Das Zweite Vatikanum: Anatomie einer Revolution

Die Forderung nach einer ausstehenden Überprüfung


War das Zweite Vatikanisches Konzil das Pearl Harbor der katholischen Kirche?
War das Zweite Vatikanisches Konzil das Pearl Harbor der katholischen Kirche?

Chris Jack­son gab auf sei­nem Blog Big­Mo­der­nismHiraeth In Exi­le) kürz­lich die bal­di­ge Ver­öf­fent­li­chung sei­nes mit Span­nung erwar­te­ten Buches „Vati­can II. The Ana­to­my of a Revo­lu­ti­on“ („Vati­ka­num II. Ana­to­mie einer Revo­lu­ti­on“) bekannt. Er ver­sucht, das Kon­zil auf den Prüf­stand zu stel­len, also jenen Schritt zu set­zen, der längst über­fäl­lig ist, dem sich aber die Kir­chen­ver­ant­wort­li­chen bis­her mit Nach­druck ver­wei­gern.
Jack­son ver­öf­fent­lich­te nun einen Arti­kel, in dem er über die bevor­ste­hen­de Buch­ver­öf­fent­li­chung berich­tet sowie den Pro­log und die Ein­lei­tung zu sei­nem Buch publi­zier­te. Wir doku­men­tie­ren die­se in deut­scher Übersetzung:

Vatikanum II: Die Anatomie einer Revolution

Anzei­ge

Von Chris Jackson*

Ich schrei­be die­sen Arti­kel, wäh­rend in vie­len Tei­len der Welt noch der 8. Dezem­ber ist, unter dem Man­tel der Unbe­fleck­ten Emp­fäng­nis der Jung­frau Maria und im lan­gen Schat­ten eines ande­ren Ereig­nis­ses, das ihren Fest­tag bean­sprucht. An die­sem Tag, im Jahr 1965, vvor genau sech­zig Jah­ren, ver­lie­ßen die Väter des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils den Peters­dom und erklär­ten ihr Werk für been­det. Die Kir­che schloß offi­zi­ell ein Tref­fen, das sich gewei­gert hat­te, der Jung­frau Maria ein eige­nes Doku­ment zu wid­men und sie statt­des­sen, wie ein Anhäng­sel, ans Ende einer Kon­sti­tu­ti­on über die Kir­che zu set­zen. In den dar­auf­fol­gen­den Jahr­zehn­ten wur­de die­se Wei­ge­rung zu offe­nem Unbe­ha­gen. Heu­te hören wir von Leo, daß es „unan­ge­mes­sen“ sei, Maria mit den Titeln zu bezeich­nen, die Gene­ra­tio­nen von Katho­li­ken lieb­ten: Mit­erlö­se­rin und Mitt­le­rin aller Gna­den. All dies an einem Fest, das gera­de dazu dient, die ein­zig­ar­ti­gen Pri­vi­le­gi­en der Frau zu ehren, die der Schlan­ge den Kopf zertrat.

In den Ver­ei­nig­ten Staa­ten fügt sich dem Kalen­der noch eine wei­te­re Schicht Iro­nie hin­zu. Der Tag vor der Unbe­fleck­ten Emp­fäng­nis ist der 7. Dezem­ber, der Pearl Har­bor Day, an dem das Kai­ser­reich Japan einen Über­ra­schungs­an­griff star­te­te, der tau­sen­den ame­ri­ka­ni­schen Sol­da­ten den Tod brach­te. Jedes Jahr zei­gen die Nach­rich­ten kör­ni­ge, ver­wackel­te Bil­der des Hafens, der Explo­sio­nen und der bren­nen­den Schif­fe im Was­ser. So ver­ste­hen wir, zumin­dest in die­sem Kon­text, was es bedeu­tet, wenn ein Feind heim­lich plant, plötz­lich zuschlägt und eine Flot­te lahm­legt, die sich für unan­tast­bar hielt.

Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil war das Pearl Har­bor der Kirche. 

Die Moder­ni­sten hat­ten ihre Plä­ne im Vor­aus geschmie­det. Sie stu­dier­ten die Strö­mun­gen, zähl­ten die Bischö­fe und berei­te­ten ihre Manö­ver vor. Vie­le Kon­zils­vä­ter kamen nach Rom und ver­trau­ten auf die Maschi­ne­rie der Tra­di­ti­on. Sie dach­ten, die vor­be­rei­ten­den Ent­wür­fe wür­den erfolg­reich sein und die theo­lo­gi­schen Festun­gen, die von den vor­he­ri­gen Päp­sten errich­tet wor­den waren, wür­den stand­hal­ten. Statt­des­sen wur­den sie von pro­ze­du­ra­len Spie­len über­rum­pelt, von Kom­mis­sio­nen über­gan­gen und von einer neu­en, barm­her­zig und modern klin­gen­den Spra­che zer­mürbt, die die Bin­dun­gen locker­te, die Dog­ma, Lit­ur­gie und Dis­zi­plin ver­ban­den. Die Bom­bar­die­run­gen wur­den auf Latein und Ita­lie­nisch durch­ge­führt, mit Lächeln und Fuß­no­ten. Erst spä­ter erkann­ten die mei­sten Katho­li­ken, was alles unter der Was­ser­li­nie zer­stört wor­den war.

Das Buch „Vati­ka­num II. Die Ana­to­mie einer Revo­lu­ti­on“ wird mein Ver­such sein, zu jenem Moment zurück­zu­keh­ren und den Angriff im Detail nach­zu­voll­zie­hen. Es ist kei­ne from­me Kaf­fee­tisch-Zele­brie­rung des „Kon­zils“. Es ist eine Unter­su­chung der Tex­te und der Ideen, die die Män­ner moti­vier­ten, die sie schrie­ben und umschrie­ben. Ich möch­te zei­gen, wie ein Kon­zil, das sich selbst als „pasto­ral“ bezeich­ne­te, die­ses Eti­kett als Deck­man­tel für eine stil­le, aber sehr kon­kre­te dok­tri­nä­re Ver­än­de­rung benutz­te, wie gewis­se Aus­drücke und „klei­ne“ Ände­run­gen im Sprach­ge­brauch die Tür zum Cha­os öff­ne­ten, das wir heu­te als nor­ma­les Gemein­de­le­ben in den Pfar­rei­en erleben.

Ich arbei­te noch am voll­stän­di­gen Manu­skript, woll­te aber nicht län­ger war­ten, um die Ein­lei­tung mit Ihnen zu tei­len. Was folgt, ist der Ent­wurf des Pro­logs und der Ein­lei­tung. Sie geben den Ton für das gesam­te Werk an. Der Pro­log skiz­ziert den Kon­trast zwi­schen der Festung Kir­che, die noch in den frü­hen 1960er Jah­ren exi­stier­te, und der des­ori­en­tier­ten Insti­tu­ti­on, die weni­ge Jah­re spä­ter ent­stand. Die Ein­lei­tung erläu­tert die Metho­de und Struk­tur des Buches und begrün­det, war­um ich das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil als eine Revo­lu­ti­on betrach­te, die in der Spra­che der Barm­her­zig­keit und des Dia­logs voll­zo­gen wurde.

An heu­ti­gen Fest der Unbe­fleck­ten Emp­fäng­nis, und zum sech­zig­sten Jah­res­tag des Kon­zils, das ver­such­te, die Jung­frau Maria in den Hin­ter­grund zu stel­len, möch­te ich die­ses Datum auf eine klei­ne Wei­se zurück­er­obern. Nach­dem die Moder­ni­sten der Kir­che einen Über­ra­schungs­an­griff ver­setz­ten, ist das Min­de­ste, was wir tun kön­nen, ihren Schlacht­plan zu stu­die­ren. Erst dann kön­nen wir begin­nen, das zu rekon­stru­ie­ren, was in Trüm­mern liegt.

Hier also eine Vor­schau auf „Vati­can II. The Ana­to­my of a Revo­lu­ti­on“.


Kei­ner der anwe­sen­den Kon­zils­vä­ter hat je eine sol­che Kir­chen­ver­samm­lung erlebt. Das beein­druck­te und begün­stig­te eine eige­ne Dyna­mik, die man­che zu steu­ern wußten

„Wenn die Trom­pe­te unkla­re Töne her­vor­bringt, wer wird sich dann zur Schlacht rüsten?“
1 Korin­ther 14,8

Prolog

Als das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil an einem Herbst­mor­gen im Jahr 1962 eröff­net wur­de, glich die Kir­che noch eine Festung, die von der Zeit ver­ges­sen wor­den war. Seit über tau­send Jah­ren erhob sich das Latein von den Altä­ren, beglei­tet vom Weih­rauch. Der glei­che Kate­chis­mus, der die Bau­ern in Polen unter­wies, bil­de­te in Rom die Semi­na­ri­sten aus. Die Prie­ster spra­chen mit dem Selbst­be­wußt­sein von Män­nern, die über­zeugt waren, daß der Him­mel in den Glau­bens­wahr­hei­ten jedes ihrer Wor­te stüt­ze. Die päpst­li­che Tia­ra glänz­te noch unter der Kup­pel von St. Peter, und die Katho­li­ken betrach­te­ten sie nach wie vor als eine Kro­ne, nicht als ein Schmuck­stück oder blo­ße Kopfbedeckung.

Weni­ge Jah­re spä­ter schien die glei­che Kir­che vor einem ver­zerr­ten Spie­gel zu erwa­chen. Die Tia­ra ver­schwand in einer Vitri­ne im Muse­um; die Spra­che des Opfers wich einer Spra­che der Gemein­schaft; die Prie­ster wand­ten sich dem Volk zu und ent­deck­ten, zu spät, dass das Volk ihnen den Rücken gekehrt hat­te. Die Eiche war nicht gefal­len, aber der Stamm war gespal­ten, und durch die Öff­nung weh­te der Luft­zug einer neu­en Reli­gi­on, die behaup­tet, die alte zu sein.

Das Kon­zil nann­te sich „pasto­ral“. Es ver­sprach zu „aktua­li­sie­ren“, ohne sich zu ver­än­dern, sich zu refor­mie­ren, ohne sich zu wider­set­zen. Doch ein Kon­zil, das sich selbst als „pasto­ral“ bezeich­net und die Dok­trin unan­ge­ta­stet läßt, wirft eine Fra­ge auf, die sich nicht mehr ver­scheu­chen läßt: Wenn sich nichts geän­dert hat, war­um hat sich dann alles ver­än­dert? Die Doku­men­te des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils haben kei­ne Häre­sie erfun­den; sie haben etwas Sub­ti­le­res getan. Sie locker­ten die Defi­ni­tio­nen, so daß fast alles dar­in Platz fin­den konn­te. Was Dog­ma war, wur­de zu Dia­log; was Erlö­sung war, wur­de zu Beglei­tung. Die Kir­che begann, sich der Welt zu erklä­ren und ver­gaß dabei, der Welt ihre Not­wen­dig­keit der Bekeh­rung zu erläutern.

Die­ses Buch führt das Skal­pell in den Pati­en­ten ein. Es unter­sucht die Kon­zils­tex­te wie ein Chir­urg das Gewe­be einer miss­lun­ge­nen Trans­plan­ta­ti­on, indem er son­diert, wo das Trans­plan­tat ange­wach­sen ist, wo der Kör­per es abge­sto­ßen hat und wo sich eine Infek­ti­on ent­wickelt hat. Es ver­liert kei­ne Zeit mit sen­ti­men­ta­len Fra­gen dar­über, ob das Kon­zil letzt­lich „gute Absich­ten“ hat­te. Revo­lu­tio­nen haben immer „gute Absich­ten“, zumin­dest für die, die sie anfüh­ren. Ich fra­ge mich jedoch, ob der Glau­be, der von den Apo­steln über­lie­fert wur­de, eine Umschrei­bung gemäß der Gram­ma­tik des moder­nen Men­schen über­le­ben kann, durch­ge­führt von Män­nern, die die­se Gram­ma­tik zuneh­mend der Spra­che der Tra­di­ti­on vorziehen.

Die fol­gen­den Sei­ten sind kei­ne Ele­gie, son­dern eine Aut­op­sie. Sie sind für jene geschrie­ben, die immer noch glau­ben, daß der Leich­nam es wer ist, unter­sucht zu wer­den, um zu ver­ste­hen, wie er gestor­ben ist, und auch für die­je­ni­gen, die ver­mu­ten, daß irgend­wo unter den Trüm­mern das Herz der wah­ren Kir­che noch schlägt, in Erwar­tung der Auferstehung.

Einleitung

Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil kün­dig­te sich als Akt der Barm­her­zig­keit an. Es wür­de nicht ver­ur­tei­len, son­dern ein­la­den; es wür­de nicht defi­nie­ren, son­dern in Dia­log tre­ten. Sei­ne Väter betra­ten den Peters­dom unter Fah­nen, die eine Erneue­rung ohne Brü­che ver­spra­chen: die Kir­che, die end­lich mit der moder­nen Welt in einer Spra­che zu spre­chen begann, die die­se ver­ste­hen konn­te. Sech­zig Jah­re spä­ter räu­men selbst vie­le ihrer Ver­tei­di­ger zu, dass das Ergeb­nis ver­wir­rend war. Man hat­te uns einen neu­en Früh­ling ver­spro­chen; erhal­ten haben wir einen lan­gen Win­ter, in dem die alten For­men auf dem Papier ver­blie­ben, wäh­rend die Sub­stanz dahin­wand. Die Trom­pe­te ertön­te, doch der Klang war unsi­cher, und die Armee zer­streu­te sich, anstatt zu marschieren.

Die­ses Buch beginnt mit einer ein­fa­chen The­se: Jede katho­li­sche Gene­ra­ti­on erhält ein Ver­mächt­nis, kei­nen Ent­wurf. Die Leh­re wächst, wie ein leben­des Wesen wächst, aus der­sel­ben Wur­zel und inner­halb der­sel­ben Art. Sie mag sich ver­zwei­gen, blü­hen und Frucht brin­gen, aber sie ver­wan­delt sich nicht in eine ande­re Pflan­ze. Doch das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil mar­kier­te einen Moment, in dem die Kir­che begann, sich selbst in Kate­go­rien zu beschrei­ben, die aus dem moder­nen Den­ken stamm­ten, anstatt aus Offen­ba­rung und Meta­phy­sik. Die Doku­men­te des Kon­zils ersetz­ten die ver­ti­ka­le Gram­ma­tik von Gna­de und Sün­de durch eine hori­zon­ta­le Gram­ma­tik von Erfah­rung und Dia­log. Die über­na­tür­li­che Ord­nung wur­de nicht kate­go­risch abge­lehnt. Sie wur­de in die Spra­che der Psy­cho­lo­gie, der Geschich­te und der Sozio­lo­gie auf­ge­nom­men, wo sie nach Belie­ben umge­deu­tet wer­den konn­te. Der Glau­be trug immer noch die alten Gewän­der, aber er sprach einen neu­en Dia­lekt, einen, der Gehor­sam wie ein Gespräch und Heil wie eine per­sön­li­che Ver­wirk­li­chung erschei­nen ließ.

Die­se Trans­for­ma­ti­on fand nicht durch ein ein­zi­ges Dekret oder in einem ein­zi­gen Jahr statt. Sie ent­fal­te­te sich in einer Rei­he von Tex­ten, die harm­los wirk­ten, wenn man sie schnell las, aber gefähr­lich, wenn man sie auf­merk­sam betrach­te­te. Der unschein­ba­re Aus­druck „sub­si­stit in“, ein­ge­führt in Lumen gen­ti­um, schien eine unbe­deu­ten­de Nuan­ce zu sein. In der Pra­xis schuf er jedoch eine neue Ekkle­sio­lo­gie, in der die Kir­che Chri­sti in der katho­li­schen Kir­che „sub­si­stiert“, sich jedoch irgend­wie auch über ihre sicht­ba­ren Gren­zen hin­aus erstreckt. Die Erklä­rung über die Reli­gi­ons­frei­heit, Dignita­tis hum­a­nae, ent­lehn­te das Voka­bu­lar dem Natur­recht, um eine alte Wahr­heit über das Gewis­sen zu bekräf­ti­gen, doch sie löste sie heim­lich vom alten Gebot, den wah­ren, ein­zi­gen Glau­ben zu suchen, zu umar­men und zu bewah­ren. Die pasto­ra­le Kon­sti­tu­ti­on Gau­di­um et spes behan­del­te die moder­ne Welt nicht als ein Baby­lon, das es zu bekeh­ren galt, son­dern als einen Gesprächs­part­ner, den man nach sei­nen eige­nen Bedin­gun­gen beja­hen und ver­ste­hen soll­te. Jeder Text schien ledig­lich ein Schar­nier zu regu­lie­ren. Zusam­men jedoch dreh­ten sie das gan­ze Tor.

Die fol­gen­den Kapi­tel des Buches wer­den die­se Schar­nie­re eines nach dem ande­ren unter­su­chen. Sie wer­den dies nicht tun, indem sie Anek­do­ten erzäh­len oder Slo­gans wie­der­ho­len, son­dern indem sie die Kon­zils­tex­te mit dem Lehr­amt ver­glei­chen, das ihnen vor­aus­ging. Die Metho­de ist fast schon pein­lich ein­fach. Man ver­gleicht die Wor­te des Kon­zils mit denen der Päp­ste und Kon­zi­li­en, die ihnen vor­aus­gin­gen, und fragt sich, ob sie mit­ein­an­der ver­ein­bar sind, ohne der Ver­nunft oder dem Glau­ben Gewalt anzu­tun. Als Leo XIII. schrieb, daß die Kir­che „eins ist in der Leh­re, der Regie­rung und der Gemein­schaft“, sprach er die Spra­che der Iden­ti­tät. Als die Kon­sti­tu­ti­on Lumen gen­ti­um begann, die Kir­che statt­des­sen in Begrif­fen von „Gra­den der Gemein­schaft“ dar­zu­stel­len, wähl­te sie die Spra­che der Abstu­fun­gen. Der Abstand zwi­schen die­sen bei­den Idio­men ist nicht nur eine Fra­ge des Stils. Es ist der Abstand zwi­schen einer Theo­lo­gie, die in kla­ren Gren­zen denkt, und einer ande­ren, die in Schat­tie­run­gen denkt.

An die­ser Stel­le taucht die übli­che Ver­tei­di­gung auf. Uns wird gesagt, daß das Kon­zil „iim Ein­klang mit der Tra­di­ti­on“ zu ver­ste­hen sei. Die­ser Anspruch wird hier mit dem größt­mög­li­chen Wohl­wol­len geprüft, das die Fak­ten zulas­sen. Kon­ti­nui­tät kann nicht bedeu­ten, daß sowohl eine Sache als auch ihr Gegen­teil wahr sind. Ent­we­der drück­te das Kon­zil den­sel­ben Glau­ben in einer neu­en Form aus, oder es hat einen neu­en Glau­ben in die alten Wor­te ein­ge­führt. Um zu ent­schei­den, was der Fall ist, muß man die Doku­men­te im wört­li­chen Sinn lesen, nicht in den trö­sten­den Para­phra­sen, die die nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen bereit­stell­ten, als der Scha­den bereits sicht­bar war.

Es gibt eine wei­te­re from­me Erzäh­lung, die abge­legt wer­den muß. Es ist in Mode gekom­men, zu sagen, daß die Kon­zils­vä­ter per­sön­lich inte­ger waren und sich ledig­lich dar­auf beschränk­ten, mehr­deu­ti­ge Tex­te zu ver­fas­sen, die dann von skru­pel­lo­sen Inter­pre­ten miß­braucht wur­den. Zwei­fel­los gab es vie­le Bischö­fe, die aus Ver­wir­rung, Angst, Gewohn­heit oder blin­dem Ver­trau­en unter­schrie­ben. Doch es gab auch Män­ner, die bewußt einen Bruch mit der Leh­re und der Dis­zi­plin der Ver­gan­gen­heit woll­ten und die pasto­ra­le Spra­che als Brech­ei­sen benutz­ten, um die Tür zu Ver­än­de­run­gen auf­zu­sto­ßen. Die Geschich­te, die wir hier hören, ist nicht die einer edlen Absicht, die tra­gisch miß­ver­stan­den wur­de. Es han­delt sich um eine Mischung aus Nai­vi­tät und Kal­kül, von ech­tem, aber fehl­ge­lei­te­tem Opti­mis­mus und vor­sätz­li­cher Sub­ver­si­on. Die Kri­se ist daher nicht nur meta­phy­sisch oder seman­tisch. Sie war auch moralisch.

Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil muß nicht als eine zufäl­li­ge Abfol­ge miß­lun­ge­ner Inter­pre­ta­tio­nen betrach­tet wer­den, son­dern als eine beab­sich­tig­te Neu­ori­en­tie­rung von Spra­che und Akzent­set­zung, deren kon­kre­te Fol­gen vie­len der füh­ren­den Akteu­re bewußt waren. Für man­che war die­se Neu­ori­en­tie­rung sogar der eigent­li­che Zweck. Die ver­lang­ten Frei­heit dort, wo die Kir­che einst von Pflicht sprach, Dia­log dort, wo sie von Bekeh­rung sprach, und „Offen­heit“ dort, wo sie einst den Schutz der Her­de beton­te. Wenn ewi­ge Din­ge in moder­ne Idio­me über­setzt wer­den, blei­ben sie im Über­set­zungs­pro­zeß nicht unbe­rührt. Ein Geheim­nis, das „rele­vant“ gemacht wird, hört auf, geheim­nis­voll zu sein. Eine Kir­che, die ver­stan­den wer­den möch­te, beginnt wie ein Kör­per zu klin­gen, der die Welt um Erlaub­nis bit­tet, exi­stie­ren zu dürfen.

Der Auf­bau des Buches folgt der Logik der Revo­lu­ti­on, die es beschreibt. Der erste Teil rekon­stru­iert den histo­ri­schen Kon­text des Kon­zils: die Däm­me­rung von Pius XII., die Wahl von Johan­nes XXIII., die theo­lo­gi­schen Strö­mun­gen vor dem Kon­zil, die Funk­ti­ons­wei­se der Vor­be­rei­tungs­kom­mis­sio­nen und die poli­ti­schen Manö­ver, die deren Arbeit schei­tern lie­ßen. Der zwei­te Teil ana­ly­siert die vier Kon­sti­tu­tio­nen, die tra­gen­den Bal­ken der neu­en Kon­struk­ti­on: die dog­ma­ti­sche Kon­sti­tu­ti­on über die Kir­che, die Kon­sti­tu­ti­on über die Lit­ur­gie, die Kon­sti­tu­ti­on über die Offen­ba­rung und die pasto­ra­le Kon­sti­tu­ti­on über die Kir­che in der moder­nen Welt. Der drit­te Teil folgt den Dekre­ten, in denen die Theo­rie beginnt, das Leben von Prie­stern, Ordens­leu­ten, Mis­sio­na­ren und Lai­en zu regeln. Der vier­te Teil unter­sucht die Erklä­run­gen, aus denen die Revo­lu­ti­on am offen­sten in der Spra­che von Reli­gi­ons­frei­heit, des Öku­me­nis­mus und der nicht­christ­li­chen Reli­gio­nen spricht. Der fünf­te Teil folgt den Kon­se­quen­zen von Paul VI. bis zum heu­ti­gen Pon­ti­fi­kat und fragt, wie sich das Voka­bu­lar des Kon­zils in der Theo­lo­gie und der pasto­ra­len Pra­xis unse­rer Zeit ent­wickelt hat.

Die Bewei­se wer­den haupt­säch­lich aus öffent­li­chen Tex­ten stam­men: den Doku­men­ten des Kon­zils, den Enzy­kli­ken und Anspra­chen, die sie beglei­te­ten, sowie den Kate­chis­men und Kodi­zes, die ver­sucht haben, ihre Spra­che zu zäh­men. Tage­bü­cher, Memoi­ren und pri­va­te Brie­fe tre­ten nur dann hin­zu, wenn sie not­wen­di­ges Licht auf die ver­steck­te Absicht hin­ter einer For­mu­lie­rung oder die Manö­ver hin­ter einer pro­ze­du­ra­len Über­ra­schung wer­fen. Das Ziel ist nicht, ein psy­cho­lo­gi­sches Por­trät des „Kon­zils­gei­stes“ zu zeich­nen, son­dern auf­zu­zei­gen, Zei­le für Zei­le, wie bestimm­te Phra­sen und sprach­li­che Ent­schei­dun­gen den gegen­wär­ti­gen Zusam­men­bruch mög­lich – und in vie­len Fäl­len nahe­zu unver­meid­lich – machten.

Die Per­spek­ti­ve ist die der des­ori­en­tier­ten Gläu­bi­gen. Lee­re Semi­na­re, geschlos­se­ne Pfarr­ge­mein­den, ent­weih­te Lit­ur­gien und Kate­chis­men, die nicht mehr kate­chi­sie­ren, sind kei­ne abstrak­ten Daten. Sie sind das erleb­te Ergeb­nis von Ent­schei­dun­gen, die im Kon­zils­raum getrof­fen und mit Tin­te rati­fi­ziert wur­den. In der Theo­lo­gie sind Wor­te Fak­ten. Ein Adjek­tiv kann das Gewicht eines Sat­zes ver­schie­ben. Ein Adverb kann ein Gebot ent­lee­ren. Eine Fuß­no­te kann einen dog­ma­ti­schen Satz sabo­tie­ren. Die Katho­li­ken, die in halb lee­ren Kir­chen knien oder Zuflucht in Rand­ka­pel­len und impro­vi­sier­ten Altä­ren suchen, leben im Echo die­ser Entscheidungen.

Nichts davon ver­langt von uns, anzu­neh­men, die wah­re Kir­che sei ver­gan­gen oder Chri­stus habe sei­ne Ver­hei­ßun­gen ver­las­sen habe. Es ver­pflich­tet uns viel­mehr, uns der Mög­lich­keit zu stel­len, daß das, was als die offi­zi­el­le Fort­set­zung die­ser Kir­che prä­sen­tiert wird, in wich­ti­gen Aspek­ten zu einem Gegen­zeug­nis ihrer eige­nen Ver­gan­gen­heit gewor­den ist – eine Gegen­kir­che, die im para­si­tä­ren Über­le­ben die Spra­che und Struk­tu­ren fort­führt, die sie geerbt hat. Ob man zu dem Schluß gelangt, die jüng­sten Päp­ste hät­ten kei­ne Auto­ri­tät, oder daß sie die­se bis zur mora­li­schen Unbrauch­bar­keit miß­braucht hät­ten, wird von die­ser Unter­su­chung abhän­gen. Wir müs­sen ehr­lich betrach­ten, was sie aus die­sem Kon­zil gemacht haben, das sie alle als ihre Char­ta feiern.

Um die Revo­lu­ti­on zu ver­ste­hen, muß man dort begin­nen, wo sie ihren Anfang nahm: mit der Ent­schei­dung, ein Kon­zil ein­zu­be­ru­fen in einem Zeit­al­ter, das weder an Kon­zi­le noch an die Wahr­heit glaub­te. Das näch­ste Kapi­tel wen­det sich daher dem Vor­spiel zu: den letz­ten Jah­ren von Pius XII., der Wahl von Johan­nes XXIII. und dem eigen­tüm­li­chen Ver­trau­en, mit dem die Kir­che ihre Fen­ster einem Sturm öff­ne­te, den sie nicht zu beherr­schen ver­moch­te. Nur wenn wir zu die­sem Moment zurück­keh­ren, ver­mö­gen wir das Aus­maß des­sen zu erken­nen, was fol­gen sollte.

Der Vor­hang hebt sich nun über die letz­ten Jah­re einer Welt, die noch glaub­te, die Kir­che kön­ne sich nicht ändern, weil Gott sich nicht ände­re. Pius XII. herrsch­te über eine Hier­ar­chie, die uner­schüt­ter­lich schien; doch unter der Ober­flä­che begann sich der Boden bereits zu lockern. Theo­lo­gen, die einst ihre Theo­rien nur in Semi­na­ren flü­ster­ten, began­nen, sie laut aus­zu­spre­chen. Bischö­fe, die geschwo­ren hat­ten, die Tra­di­ti­on zu ver­tei­di­gen, lern­ten, von Anpas­sung zu spre­chen. Als Johan­nes XXIII. sei­ne Absicht bekannt gab, ein Kon­zil ein­zu­be­ru­fen, begrüß­te die Mehr­zahl der Welt dies als Kurio­sum, nicht als Revo­lu­ti­on. Die Geschich­te kün­digt ihre Wen­de­punk­te nur sel­ten mit Trom­pe­ten­fan­fa­ren an. Sie beginnt lei­se, in Büros und Flu­ren, mit Män­nern, die glau­ben, ledig­lich die Möbel des Glau­bens zurechtzurücken.

Das ist der Blick, den die­ses Buch zu ver­mit­teln sucht. Und so begin­ne ich mit der Unter­su­chung der soge­nann­ten „Revo­lu­ti­on des Konzils“.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Hiraeth In Exile/​Wikicommons

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