„Was für ein Geschenk ist doch das Leben“

Der Abschiedsbrief von Sammy Basso zu seiner Beerdigung


Sammy Basso erlag mit nur 28 Jahren seiner schweren Krankheit Progerie. Er hinterließ einen Abschiedsbrief, der eine bewegende Botschaft für das Leben und ein starkes Glaubenszeugnis ist
Sammy Basso erlag mit nur 28 Jahren seiner schweren Krankheit Progerie. Er hinterließ einen Abschiedsbrief, der eine bewegende Botschaft für das Leben und ein starkes Glaubenszeugnis ist

Am 11. Okto­ber fand in Tez­ze sul Bren­ta in Vene­ti­en die Beer­di­gung von Sam­my Bas­so statt. Der 28jährige Ita­lie­ner war am 6. Okto­ber, wäh­rend der Hoch­zeits­fei­er eines befreun­de­ten Paa­res, sei­ner Krank­heit Pro­ge­rie erle­gen, die ihn seit sei­ner Geburt quäl­te. Pro­ge­rie, auch als Hut­chin­son-Gil­ford-Syn­drom (HGPS) bekannt, ist eine sehr sel­te­ne Krank­heit, die dazu führt, daß Betrof­fe­ne schnell altern und kör­per­lich viel älter erschei­nen, als sie eigent­lich sind. Ein Doku­men­tar­film von Natio­nal Geo­gra­phic mach­te Sam­my Bas­so welt­weit bekannt, wes­halb auch Medi­en im deut­schen Sprach­raum wie Pro Sie­ben, Der Spie­gel, stern, Kurier, Klei­ne Zei­tung über sei­nen Tod berich­te­ten. Der 1995 in Schio gebo­re­ne Sam­my Bas­so hat­te an der Uni­ver­si­tät Padua Natur­wis­sen­schaf­ten stu­diert und sich selbst der Erfor­schung sei­ner Patho­lo­gie und von The­ra­pie­mög­lich­kei­ten zu deren Ver­lang­sa­mung gewid­met. Was die Medi­en nörd­lich der Alpen nicht berich­te­ten, war die Lebens­freu­de die­ses jun­gen Men­schen, der wuß­te, daß sein Leben nicht von lan­ger Dau­er sein wür­de, und vor allem sein tie­fer Glau­be. Er hin­ter­ließ sei­nen Eltern einen Brief, der bei sei­ner Beer­di­gung ver­le­sen wer­den soll­te. Und so geschah es auch wäh­rend der Pre­digt von Msgr. Giu­lia­no Brug­not­to, dem Bischof von Vicen­za. Hier der voll­stän­di­ge Wort­laut die­ser bewe­gen­den Bot­schaft für das Leben und die­ses star­ken Glaubenszeugnisses:

Meine Lieben!

Anzei­ge

Wenn ihr das lest, bin ich nicht mehr in der Welt der Leben­den. Zumin­dest nicht in der Welt der Leben­den, wie wir sie ver­ste­hen. Ich schrei­be die­sen Brief, denn wenn es eine Sache gibt, die mich immer bedrückt hat, dann sind es Beer­di­gun­gen. Nicht, daß an Beer­di­gun­gen irgend­et­was falsch wäre, der letz­te Abschied von gelieb­ten Men­schen ist eines der mensch­lich­sten und poe­tisch­sten Din­ge über­haupt. Aber immer wenn ich dar­über nach­dach­te, wie mei­ne Beer­di­gung aus­se­hen wür­de, gab es zwei Din­ge, die ich nicht ertra­gen konn­te: nicht dabei sein zu kön­nen, um die letz­ten Wor­te zu spre­chen, und nicht in der Lage zu sein, mei­ne Lie­ben zu trö­sten. Und so habe ich beschlos­sen, hier mei­ne letz­ten Wor­te nie­der­zu­schrei­ben, und ich dan­ke allen, die sie lesen wer­den. Ich möch­te euch nichts ande­res hin­ter­las­sen als das, was ich erlebt habe, und da dies das letz­te Mal ist, daß ich die Gele­gen­heit habe, mich zu äußern, wer­de ich nur das Wesent­li­che sagen.

Ich möch­te, daß ihr vor allem wißt, daß ich mein Leben glück­lich gelebt habe, aus­nahms­los, und zwar als ein­fa­cher Mensch, mit Momen­ten der Freu­de und schwie­ri­gen Momen­ten, mit dem Wunsch, es gut zu machen, wobei ich manch­mal Erfolg hat­te und manch­mal kläg­lich geschei­tert bin. Wie ihr wißt, hat die Pro­ge­rie mein Leben seit mei­ner Kind­heit tief­grei­fend geprägt, und obwohl sie nur ein klei­ner Teil des­sen war, was ich bin, kann ich nicht leug­nen, daß sie mein täg­li­ches Leben und nicht zuletzt mei­ne Ent­schei­dun­gen stark beein­flußt hat.

Ich weiß nicht, wann und wie ich die­se Welt ver­las­sen wer­de, sicher­lich wer­den vie­le sagen, daß ich mei­nen Kampf gegen die Krank­heit ver­lo­ren habe. Hört nicht hin! Es gab nie eine Schlacht zu schla­gen, es gab nur ein Leben, das es so anzu­neh­men galt, wie es war, mit sei­nen Schwie­rig­kei­ten, aber den­noch herr­lich, den­noch groß­ar­tig, weder Beloh­nung noch Stra­fe, ein­fach ein Geschenk Got­tes an mich.

Ich habe ver­sucht, so voll­stän­dig wie mög­lich zu leben, aber ich habe mei­ne Feh­ler gemacht, wie jeder Mensch, wie jeder Sün­der. Ich träum­te davon, ein Mensch zu wer­den, über den man in den Schul­bü­chern spre­chen wür­de, ein Mensch, der es wert wäre, daß man sich an ihn erin­nert, ein Mensch, den man wie die Gro­ßen der Ver­gan­gen­heit mit Ehr­furcht erwähnt, wenn man von ihnen spricht. Ich leug­ne nicht, daß ich zwar die Absicht hat­te, in die Geschich­te ein­zu­ge­hen, weil ich Gutes getan habe, daß aber ein Teil die­ses Wun­sches dem Ego­is­mus geschul­det war. Der Ego­is­mus der­je­ni­gen, die sich ein­fach als mehr und bes­ser als ande­re füh­len wol­len. Ich habe die­ses unge­sun­de Ver­lan­gen mit aller Kraft bekämpft, wohl wis­send, daß Gott die­je­ni­gen nicht mag, die etwas für sich selbst tun, aber es ist mir trotz­dem nicht immer gelun­gen. Wäh­rend ich die­sen Brief schrei­be und mir vor­stel­le, wie mein letz­ter Augen­blick auf Erden aus­se­hen wird, wird mir klar, daß dies der dümm­ste Wunsch ist, den man haben kann. Per­sön­li­cher Ruhm, Grö­ße, Berühmt­heit sind nur eine vor­über­ge­hen­de Sache. Die Lie­be, die im Leben ent­steht, ist dage­gen ewig, denn Gott allein ist ewig, und die Lie­be kommt zu uns von Gott. Wenn es etwas gibt, das ich nie bereut habe, dann ist es, daß ich in mei­nem Leben so vie­le Men­schen geliebt habe, so sehr, und doch zu wenig. Die­je­ni­gen, die mich gut ken­nen, wis­sen, daß ich nicht der Typ bin, der ger­ne Rat­schlä­ge erteilt, aber dies ist mei­ne letz­te Chan­ce… also bit­te, mei­ne Freun­de, liebt die Men­schen um euch her­um, ver­geßt nicht, daß unse­re Mit­rei­sen­den nie­mals das Mit­tel, son­dern der Zweck sind. Die Welt ist gut, wenn wir wis­sen, wo wir hin­schau­en müssen!

Wie ich bereits gesagt habe, habe ich mich in vie­len Din­gen geirrt! Einen guten Teil mei­nes Lebens habe ich gedacht, daß es kei­ne völ­lig posi­ti­ven oder völ­lig nega­ti­ven Ereig­nis­se gibt, daß es an uns liegt, die guten oder die schlech­ten Sei­ten zu sehen. Natür­lich ist das eine gute Lebens­phi­lo­so­phie, aber sie ist nicht alles! Ein Ereig­nis kann nega­tiv sein, und es kann völ­lig nega­tiv sein! Es liegt nicht an uns, etwas Posi­ti­ves dar­in zu fin­den, son­dern auf dem rich­ti­gen Weg zu han­deln, es aus­zu­hal­ten und ein nega­ti­ves Ereig­nis zum Woh­le der ande­ren in ein posi­ti­ves umzu­wan­deln. Es geht nicht dar­um, etwas Posi­ti­ves zu fin­den, son­dern es zu schaf­fen, und das ist mei­ner Mei­nung nach die wich­tig­ste Fähig­keit, die uns von Gott gege­ben wur­de, die Fähig­keit, die uns vor allem zu Men­schen macht.

Ich möch­te, daß ihr wißt, daß ich euch alle lie­be und daß es mir eine Freu­de war, den Weg mei­nes Lebens an eurer Sei­te zu gehen. Ich wer­de euch nicht sagen, daß ihr nicht trau­rig sein sollt, aber seid nicht zu trau­rig. Wie bei jedem Todes­fall wird es unter mei­nen Lie­ben jeman­den geben, der um mich wei­nen wird, jeman­den, der es nicht fas­sen wird kön­nen, jeman­den, der, viel­leicht ohne zu wis­sen war­um, Lust haben wird, mit Freun­den aus­zu­ge­hen, zusam­men zu sein, zu lachen und zu scher­zen, als ob nichts gesche­hen wäre. Ich möch­te euch allen dabei zur Sei­te ste­hen und euch wis­sen las­sen, daß das nor­mal ist. Die­je­ni­gen, die wei­nen wer­den, sol­len wis­sen, daß es nor­mal ist, trau­rig zu sein. Die­je­ni­gen, die fei­ern wol­len, sol­len wis­sen, daß es nor­mal ist, zu fei­ern. Weint und fei­ert, tut es mir zu Ehren. Wenn ihr euch statt­des­sen an mich erin­nern wollt, ver­schwen­det nicht zu viel Zeit, betet natür­lich, aber nehmt auch ein Glas, stoßt auf mein und euer Wohl an und seid fröh­lich. Ich habe es immer geliebt, in Gesell­schaft zu sein, und so möch­te ich auch in Erin­ne­rung blei­ben. Wahr­schein­lich aber wird es sei­ne Zeit brau­chen, und wenn ich wirk­lich trö­sten und aus die­ser Welt schei­den will, ohne daß ihr euch schlecht fühlt, kann ich euch nicht ein­fach sagen, daß die Zeit alle Wun­den hei­len wird. Nicht zuletzt, weil das nicht wahr ist. Des­halb möch­te ich offen über den Schritt spre­chen, den ich bereits hin­ter mir habe und den jeder frü­her oder spä­ter tun muß: den Tod.

Schon das Wort läßt manch­mal erschau­dern. Und doch ist er etwas Natür­li­ches, das Natür­lich­ste auf der Welt. Wenn wir ein Para­dox ver­wen­den wol­len, ist der Tod das Natür­lich­ste im Leben. Und doch erschreckt er uns! Das ist nor­mal, das ist nichts Schlim­mes, sogar Jesus hat­te Angst. Es ist die Angst vor dem Unbe­kann­ten, denn wir kön­nen nicht sagen, daß wir es in der Ver­gan­gen­heit erlebt haben. Wir den­ken jedoch posi­tiv über den Tod: Wenn es ihn nicht gäbe, wür­den wir wahr­schein­lich nichts in unse­rem Leben abschlie­ßen, denn es gibt immer ein Mor­gen. Der Tod hin­ge­gen läßt uns wis­sen, daß es nicht immer ein Mor­gen gibt, daß, wenn wir etwas tun wol­len, der rich­ti­ge Zeit­punkt „jetzt“ ist!

Für einen Chri­sten ist der Tod aber mehr. Da Jesus am Kreuz gestor­ben ist, als Opfer für all unse­re Sün­den, ist der Tod der ein­zi­ge Weg, um wirk­lich zu leben, der ein­zi­ge Weg, um end­lich ins Haus des Vaters zurück­zu­keh­ren, der ein­zi­ge Weg, um end­lich Sein Ant­litz zu sehen. Und als Christ habe ich mich dem Tod gestellt. Ich woll­te nicht ster­ben, ich war nicht bereit zu ster­ben, aber ich war dar­auf vor­be­rei­tet. Das ein­zi­ge, was mich ein wenig melan­cho­lisch stimmt, ist, daß ich nicht mehr dabei sein kann, wenn sich die Welt ver­än­dert und wei­ter­geht. Doch im übri­gen hof­fe ich, daß ich in mei­nem letz­ten Augen­blick den Tod so sehen konn­te, wie ihn der hei­li­ge Fran­zis­kus sah, des­sen Wor­te mich mein gan­zes Leben lang beglei­tet haben. Ich hof­fe, auch ich konn­te den Tod als „Bru­der Tod“ begrü­ßen, dem kein Leben­der ent­kom­men kann.

Wenn ich im Leben wür­dig war, wenn ich mein Kreuz getra­gen habe, wie es von mir ver­langt wur­de, dann bin ich jetzt beim Schöp­fer. Ich bin jetzt bei mei­nem Gott, bei dem Gott mei­ner Väter, in Sei­nem unzer­stör­ba­ren Haus. Er, unser Gott, der eine wah­re Gott, ist der erste Grund und das Ende aller Din­ge. Im Ange­sicht des Todes hat nichts einen Sinn außer Ihm. Des­halb, obwohl es nicht gesagt zu wer­den braucht, denn Er weiß alles, möch­te ich Ihm dan­ken, so wie ich euch gedankt habe. Ich ver­dan­ke Gott mein gan­zes Leben und alles Gute. Der Glau­be hat mich beglei­tet, und ohne mei­nen Glau­ben wäre ich nicht das, was ich bin. Er hat mein Leben ver­än­dert, Er hat es auf­ge­ho­ben, Er hat etwas Außer­ge­wöhn­li­ches dar­aus gemacht, und Er hat es in der Ein­fach­heit mei­nes täg­li­chen Lebens getan.

Wer­det nicht müde, mei­ne Brü­der, Gott zu die­nen und nach Sei­nen Gebo­ten zu leben, denn ohne Ihn hat nichts einen Sinn, und jede unse­rer Hand­lun­gen wird beur­teilt wer­den und dar­über ent­schie­den, wer ewig lebt und wer ster­ben muß. Ich war sicher nicht der beste Christ, ich war ein Sün­der. Ich habe ver­sucht, mein Bestes zu gege­ben und wür­de es wie­der tun. Wer­det nie­mals müde, mei­ne Brü­der, das Kreuz zu tra­gen, das Gott einem jeden auf­er­legt hat, und scheut euch nicht, euch beim Tra­gen hel­fen zu las­sen, so wie Jesus von Josef von Ari­mat­häa gehol­fen wur­de. Und ver­zich­tet nie­mals auf eine voll­stän­di­ge und ver­trau­ens­vol­le Bezie­hung zu Gott, nehmt bereit­wil­lig Sei­nen Wil­len an, denn das ist unse­re Pflicht, aber seid auch nicht pas­siv, und ver­schafft eurer Stim­me laut Gehör, gebt Gott euren Wil­len kund, so wie Jakob es tat, der, weil er sich als stark erwie­sen hat­te, Isra­el genannt wur­de: Er, der mit Gott kämpft.

Sicher­lich wird Gott, der uns Vater ist, der in der Per­son Jesu jede mensch­li­che Schwä­che erfah­ren hat und der im Hei­li­gen Geist immer in uns lebt, die wir Sein Tem­pel sind, eure Bemü­hun­gen schät­zen und sie in Sei­nem Her­zen bewahren.

Nun ver­las­se ich euch, denn ich habe euch gesagt, daß ich Beer­di­gun­gen nicht mag, wenn sie zu lang wer­den, und ich war nicht kurz. Ihr sollt wis­sen, daß ich mir ein Leben ohne euch nicht vor­stel­len kann, und wenn ich die Wahl hät­te, wür­de ich mich immer noch dafür ent­schei­den, an eurer Sei­te zu wach­sen. Ich bin froh, daß mor­gen die Son­ne wie­der aufgeht…

Mei­ne Fami­lie, mei­ne Brü­der, mei­ne Freun­de und mei­ne Lieb­ste, ich bin euch nahe und wenn ich darf, wer­de ich über euch wachen. Ich lie­be euch!

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Avve­ni­re (Screen­shot)

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