Die Präsidentschaftswahlen in Honduras vom 30. November 2025 markieren einen Wendepunkt in der jüngeren politischen Geschichte des mittelamerikanischen Landes. Nach mehr als drei Wochen kontroverser Nachzählung erklärte der Nationale Wahlrat (CNE) am 24. Dezember 2025 den konservativen Kandidaten Nasry „Tito“ Asfura zum Sieger mit 40,27 % der Stimmen, knapp vor seinem Rivalen Salvador Nasralla mit 39,53 %; die Kandidatin der bisher regierenden linken LIBRE‑Partei landete abgeschlagen auf Rang drei.
Dieser knappe Ausgang, begleitet von technischen Schwierigkeiten, langwieriger Stimmenauszählung und Vorwürfen der Wahlmanipulation, die Asfura erhob, was zur Nachzählung eine beträchtlichen Teils der Stimmen führte, ist nicht nur politisch von Bedeutung. Es gibt auch eine bemerkenswerte kulturelle Dimension: Beide führenden Präsidentschaftskandidaten stammen aus arabisch-christlichen Familien – ein bisher in der honduranischen Politik einmaliger Umstand.
Arabisch‑christliche Wurzeln in einem lateinamerikanischen Land
Nasry Asfura entstammt einer palästinensisch‑christlichen Familie. Die Großeltern des 1958 in Tegucigalpa geborenen neuen Präsidenten waren Anfang des 20. Jahrhundert nach Honduras gezogen. Asfura schloß sich frühzeitig dem konservativen Partido Nacional de Honduras (PNH) an, in dem er sich einen Namen machte, besonders als langjähriger Bürgermeister der Hauptstadt Tegucigalpa. Sein familiärer Hintergrund spiegelt Generationen christlicher Palästinenser wider, die in Mittelamerika eine zahlenmäßig nur sehr kleine, aber kulturell und wirtschaftlich einflußreiche Diaspora bilden.
Auch Salvador Nasralla, Kandidat der Liberalen Partei, und nur knapp unterlegenen Gegenspieler Asfuras, teilt diese arabisch‑christliche Herkunft. Er wurde 1953, ebenfalls in Tegucigalpa, als Sohn einer Familie väterlicherseits palästinensisch-christlicher und mütterlicherseits libanesisch-christlicher Abstammung geboren und gilt als charismatischer, teils populistischer Vertreter des liberalen Lagers.
Daß gleich beide Spitzenkandidaten arabisch‑christlicher Herkunft aus einer zahlenmäßig verschwindend geringen Bevölkerungsgruppe stammen, ist tatsächlich bemerkenswert. Historisch betrachtet stammen viele dieser arabischen Christen, wie die beiden honduranischen Spitzenpolitiker, aus Regionen, in denen die christliche Bevölkerung nach der Zerschlagung der Kreuzritterstaaten über Jahrhunderte vom Zugang zu politischer Macht ausgeschlossen war. Ihre Migration nach Mittelamerika, besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, schuf Gemeinschaften, die sich in Handel, Unternehmertum und gesellschaftlicher Verantwortung profilierten. Auf den schwelenden, grausamen Nahost-Konflikt bezogen, haben die christlichen Palästinenser nun erstmals einen Staatspräsidenten und Regierungschef, allerdings nicht in ihrer Heimat, sondern im entfernten Honduras.
Politische Lage vor der Wahl
In den vergangenen vier Jahren regierte Xiomara Castro mit ihrer Partei Libertad y Refundación (LIBRE), als Teil einer regionalen Welle linksgerichteter Regierungen in Lateinamerika. Diese Regierung setzte auf Umverteilung und politische Experimente, die sich häufig gegen klassische Ordnungs- und Rechtsprinzipien stellten. Viele Katholiken betrachteten diese Politik mit Sorge, weil sie Elemente der Befreiungstheologie und sozialistischer Theorien aufgriff, die den Vorrang des Staates vor der natürlichen Ordnung propagieren.
Diese Jahre waren von Spannungen geprägt: Die Staatsmacht beanspruchte ungebührlich Einfluß auf Wirtschaft, Bildung und Moral, während traditionelle christliche Werte marginalisiert wurden. Gleichzeitige Reformen zielten auf einen laizistischen Liberalismus, der die Religion aus dem öffentlichen Raum verdrängte und die Autorität der Kirche einschränkte.
Die Wahl: Bewahrung und Erneuerung christlicher Werte
Die Abwahl des sozialistischen Experiments mit seiner linken Transformationsagenda und die Wahl von Asfura, wird von konservativen Katholiken als Rückkehr zu Kräften gewertet, die Ordnung, Freiheit und die Achtung christlicher Werte als stabilen Kitt für das Gemeinwesen in den Mittelpunkt stellen. In einem Umfeld von Gewalt, wirtschaftlicher Unsicherheit und gesellschaftlicher Polarisierung (Bandenkriminalität mit Drogenhandel und organisierter Kriminalität und einer hohen Mordrate) konservativ‑christliche Argumente für Stabilität, Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Familie.
Sie grenzen sich bewußt ab von:
- der marxistischen Befreiungstheologie, die die staatliche Umverteilung über natürliche Ordnungsprinzipien stellt,
- sowie von einem radikal säkularen Liberalismus, der die religiösen Wurzeln der Gesellschaft aus dem öffentlichen Leben verdrängt.
Das Wahlergebnis bestätigte nun: Ein signifikanter Teil der honduranischen Bevölkerung bekennt sich wieder stärker zu einer Politik, die christliche und konservative Grundsätze mit politischer Verantwortung verbindet.
Stellungnahmen der honduranischen Bischöfe
Die Honduranische Bischofskonferenz betonte nach der Wahl, daß der neue Präsident verpflichtet sei, die christlichen Werte und die katholische Soziallehre im öffentlichen Leben zu achten. Die Bischöfe forderten eine Politik, die Familie und Gesellschaft schützt, die Menschenwürde achtet und zur nationalen Versöhnung beiträgt.
Die Bischofskonferenz bewegt sich weitgehend im lateinamerikanischen kirchlichen Mainstream, nicht offen modernistisch, aber auch nicht traditionsfreundlich, sondern im nicht selten konfliktreichen Spannungsfeld von Progressiven und Konservativen, jedoch mit eine latenten Hinneigung zu progressiven Positionen. Papst Franziskus trug durch seine Bischofsernennnungen dazu bei, diese Grundtendenz zu stärken, in dem er pastoral progressive und sozialethisch akzentuierte Kandidaten bevorzugte.
Die palästinensische Diaspora in Mittelamerika
Die palästinensische Diaspora in Mittelamerika entstand ab dem Ende des 19. Jahrhunderts, indem cristliche Familien aus wirtschaftlichen und religiösen Gründen nach Honduras, El Salvador oder Costa Rica auswanderten. Dort gründeten sie Handelsbetriebe, stärkten die wirtschaftliche Infrastruktur und engagierten sich bald auch gesellschaftlich. In dem spanisch und katholisch geprägten Umfeld fanden sie als Christen schnell Akzeptanz und problemlose Aufnahme. Obwohl zahlenmäßig klein, haben diese Gemeinschaften oft einen erheblichen Einfluß auf Wirtschaft, Kultur und Politik entwickelt. Die Präsidentschaftskandidaten Asfura und Nasralla sind der sichtbarste Ausdruck dieser Integration in die politische Führungsebene des Staates.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
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