
Ein nicht gläubiger Wissenschaftler verteidigt seit Jahren die Geschichte gegen den militanten Atheismus. Nathan Johnstone tritt der Instrumentalisierung der Geschichte, besonders der Kirchengeschichte, durch den „neuen Atheismus“ entgegen.
Die Kirchengeschichte gegen die Manipulationen des militanten Atheismus verteidigen, das ist das Ziel, das sich Nathan Johnstone, ehemaliger Professor für Geschichte an der Canterbury Christ Church University und der University of Portsmouth, gesetzt hat. Auf ihn trifft zu, daß er die Geschichte gegen Verzerrungen und Falschdarstellungen verteidigt.
Er ist weder katholisch noch überhaupt Christ. Er bekennt sich lediglich als Nicht-Gläubiger. Johnstone ist vor allem Autor des interessanten Buches „The New Atheism, Myth and History: The Black Legends of Contemporary Anti-Religion“ („Der neue Atheismus, Mythos und Geschichte: Die schwarzen Legenden der zeitgenössischen Anti-Religion“, Palgrave McMillan 2018).

Vor kurzem nahm er an einem Videointerview teil, in dem er sein Interesse an der Debatte über Gott, die Idee, warum Menschen einen Glauben haben, und die Kritik, die sie erhalten, erläuterte. Er erzählte, daß er ein distanzierter Beobachter des „neuen Atheismus“ war, jener Bewegung des fundamentalistischen Atheismus, die mit den Anschlägen vom 11. September 2001 begann und vor ein paar Jahren implodierte.
Als Reaktion auf das Attentat, als dessen Urheber sunnitische Moslems behauptet wurden, kam es zur Entstehung des „Neuen Atheismus“, einer radikalen Fundamentalkritik nicht nur am Islam, sondern an den Religionen insgesamt. Der „Neue Atheismus“, als dessen bekannteste Köpfe Richard Dawkins, Sam Harris, Christopher Hitchens und Daniel Dennett auftraten, propagiert die Beseitigung aller Religionen, um „Frieden und Harmonie“ zwischen den Menschen zu erreichen. Religion sei, so diese Strömung, per definitionem spaltend und daher ein Störfaktor, der Unterdrückung, Gewalt und Ignoranz hervorbringe. Der Wahrheitsanspruch ist dabei das Haupt-Haßobjekt.
Als Johnstone die wilde Hetze ihrer Anhänger gegen die Religionen beobachtete, sei ihm klar geworden, daß „die Geschichtsdarstellung des militanten Atheismus im Vergleich zu dem, was akademische Historiker schreiben, so veraltet ist, daß es sich bei dem, was sie wiederholen, um Marketingmythen und nicht um die Wahrheit handelt“.
„Obwohl ich nicht gläubig bin und war, hat es mich gestört, daß diese Leute meinten, sie sprächen in meinem Namen, ich habe nie so wie sie über Religion gedacht, ich habe sie nie als etwas empfunden, das ausgerottet werden muß“, so Johnstone.
Johnstone erkannte, daß der Atheismus die Geschichte verzerrt und durch übertriebene negative Darstellungen manipuliert, um sie gegen die Kirche einzusetzen. Als Historiker ärgert ihn die Verbreitung historischer Unwahrheiten, die über die Religion verbreitet werden, was er an konkreten Beispielen aufzeigt:
„Es braucht nicht viele Worte, um zu sagen, die Inquisition habe Millionen von Hexen getötet. Doch es braucht mindestens ein Kapitel eines Buches, um zu zeigen, daß dies nicht der Fall ist.“
Die militanten Atheisten verlassen sich auf die falsche Geschichtswahrnehmung durch die Bevölkerung, indem sie ältere Verzerrungen und Schwarze Legenden bedienen. Das kollektive Gedächtnis kann manipuliert werden und es wurde auch schon in der Vergangenheit manipuliert. Hier setzt der „Neue Atheismus“ und insgesamt jede religionsfeindliche Störmung an. Johnstone sagt es so: „Sie benutzen eine Art Schlüsselwörter: Es genüge, so der Historiker, die Wörter Inquisition, Hexenprozesse, Antisemitismus auszusprechen, und die Leute denken, daß sie alles über diese Geschichten wissen. Aber ihr Geschichtsbild ist meist nicht nur überholt, sondern falsch.“ Es ist manipuliert durch jene, die zu einer bestimmten Zeit oder heute über ausreichend Einfluß verfügen, die öffentlichen Wahrnehmung zu lenken.
Der Erfolg dieser Mythen beruht auf Brandolinis Gesetz. Der italienische Informatiker faßte seine These 2013 zu Falschbehauptungen, Fake News und einem falschen Geschichtsbild zusammen:
„Das Widerlegen von Schwachsinn erfordert eine Größenordnung mehr Energie als dessen Produktion.“
Anders ausgedrückt: Es ist viel aufwendiger etwas Falsches zu widerlegen, als es zu behaupten. Dies gilt umso mehr, wenn Falsches in das kollektive Gedächtnis gelangt ist. Eine historische Falschbehauptung kann längst durch die Geschichtswissenschaft widerlegt sein, und dennoch hält sie sich im Volksmund und prägt weiterhin die öffentliche Wahrnehmung.
Während seriöse Historiker Forscher sind, die nach bestem Wissen und Gewissen nach den historischen Fakten suchen, benutzen die Anhänger des militanten Atheismus die Geschichte, indem sie sich wie Jäger und Sammler verhalten, um Religionen zu verleumden.
Sie nutzen die akademische Forschung nicht auf rationale Weise, mit dem Willen und der Absicht zu verstehen, sondern suchen in der Geschichte nach Beispielen und vermeintlichen Bestätigungen dessen, was sie glauben wollen und daher für „die Geschichte“ halten. Und was glauben militante Atheisten? Sie glauben, daß Religion per se böse ist und Verfolgung, Leid, Streit und Krieg führe.
Nathan Johnstones Buch ist in dieser Hinsicht nicht nur eine historische Korrektur der verschiedenen antiklerikalen Legenden, sondern untersucht auch, warum Geschichte in dieser antireligiösen Polemik zum Einsatz kommt und instrumentalisiert wird. Er liefert damit auch eine Verteidigung der Geschichtswissenschaft.
Obwohl er keine Position zu Gott oder der Kirche vertritt, wurde Johnstone selbst zur Zielscheibe von Angriffen der „neuen Atheisten“. Weil er sich als Atheist bezeichnet, müsse er doch im „Lager“ des „Neuen Atheismus“ stehen und diesen unterstützen. Stattdessen unterstütze er die „Feinde“, so die Kritik.
Johnstone hat seine eigene Antwort auf diese Kritik parat:
„Wenn man es nicht mag, von Theisten darauf hingewiesen zu werden, daß man die Geschichte falsch versteht, dann sollte man die Geschichte eben nicht falsch verstehen.“
Im Klartext ruft er den militanten Atheisten zu: „Sucht euch bessere Argumente“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Youtube/History for Atheists (Screenshot)
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