(Rom) Über das jüngste Gesprächsbuch von Peter Seewald mit Benedikt XVI., das am 8. September in den Handel kam, berichteten bereits zahlreiche der führende Tageszeitungen. Ein Thema, das dabei hervorsticht, ist der Fall Williamson und der Holocaust.
Radio Vatikan – Deutsche Sektion, die argentinische Tageszeitung La Nacion, deren Vatikan-Korrespondentin Papst Franziskus sehr nahesteht, und andere hoben einen Auszug des Buches hervor, der sich mit dem Fall von Bischof Richard Williamson befaßt. Der Brite Williamson war 1988 von Erzbischof Marcel Lefebvre ohne Erlaubnis von Papst Johannes Paul II. für die Priesterbruderschaft St. Pius X. zum Bischof geweihte worden.
Als Papst Benedikt XVI. Anfang 2009 die Exkommunikation über die vier damals geweihten Bischöfe für aufgehoben erklärte, drohten Aussagen von Bischof Williamson sogar zum Stolperstein für den Papst zu werden, der für seine Geste stark angefeindet wurde. Williamson hatte Aussagen zum Holocaust gemacht und die Zahl von sechs Millionen von den Nationalsozialisten getöteten Juden bezweifelt und auch den Einsatz von Gaskammern.
Die meinungsführenden Medien erzeugten einen Sturm der Empörung, der sich weniger gegen Williamson richtete, sondern als weitere Gelegenheit genützt wurde, den von ihnen wenig geliebten Benedikt XVI. und dessen Kirchenverständnis anzugreifen. Benedikt XVI. spricht im neuen Gesprächsbuch von einer „riesigen Propagandaschlacht“ gegen die Kirche.
Der Vatikan verteidigte den Papst damals mit dem Hinweis, daß er von den betreffenden Aussagen Williamsons, die dieser gegenüber dem schwedischen Fernsehen STV äußerte, nichts gewußt zu haben. Das STV-Interview war zwar einige Monate zuvor aufgezeichnet, aber erst im Zusammenhang mit der Exkommunikationsaufhebung ausgestrahlt worden. Vor allem aber habe seine Entscheidung nichts mit historischen Bewertungen zu tun, sondern betreffe strikt geistliche und kirchliche Fragen.
Dasselbe wiederholte nun Benedikt XVI. gegenüber Peter Seewald.
Im Gesprächsbuch spricht Benedikt XVI. wörtlich vom „blödsinnigen Fall Williamson“. Seewald zu den Ereignissen von 2009, daß sich der Vorgänger von Papst Franziskus gegen die Kritik verteidigt, er habe die Exkommunikation des „Holocaustleugners“ Richard Williamson aufgehoben, der zu jenem Zeitpunkt in Argentinien lebte. Ratzinger sagte nun, daß ihn keine Schuld für den Fall Williamson treffe.
Schuld sei allein die 1988 im Zuge der unerlaubten Bischofsweihen von Papst Johannes Paul II. errichtete Päpstliche Kommission Ecclesia Dei für die Gemeinschaften des überlieferten Ritus. Diese habe ihn nicht informiert über die Positionen, die Williamson zum Holocaust vertrat. „Ich sehe die Schuld nur bei dieser Kommission.“
Geleitet wurde damals die Kommission Ecclesia Dei von Dario Kardinal Castrillon Hoyos, der wenige Monate später von Benedikt durch Kardinal William Levada ersetzt wurde. Offiziell wurde für den Wechsel der 80. Geburtstag von Castrillon Hoyos abgewartet.
Williamson wurde 2012 wegen „fortgesetzten Ungehorsams“ aus der Piusbruderschaft ausgeschlossen, nachdem er sich gegen eine Verständigung mit dem Heiligen Stuhl und die kanonische Anerkennung der Bruderschaft durch Rom ausgesprochen hatte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
Hätte es also keine Rücknahme der Exkommunikation gegeben, wenn das Interview vorbekannt gewesen wäre? Das wäre dann gesondert zu begründen.
„erst im Zusammenhang mit der Exkommunikationsaufhebung ausgestrahlt“
Es war sogar so, dass das genaue Timing der Ausstrahlung des Interviews offenbar nur mit Insiderwissen aus dem Vatikan möglich war. Das Dekret zur Aufhebung der Exkommunikation wurde am Vormittag des 21.1.2009 unterzeichnet, aber erst am 24.1.2009 veröffentlicht. Das schon am 1.11.2008 aufgezeichnete Interview mit Williamson wurde am Abend des 21.1.2009 ausgestrahlt. Durch die Ausstrahlung nach Unterzeichnung, aber vor Bekanntgabe, konnte der medienpsychologisch wichtige Effekt erzielt werden, dass man glauben musste, das Dekret sei trotz des Wissens um die Aussagen Williamsons erfolgt. Andererseits zeigt die Ausstrahlung erst nach Unterzeichnung des Dekrets, dass bei den Strippenziehern und Mitwissern keine Absicht bestand, die Exkommunikation Williamsons zu verhindern, sondern Papst Benedikt maximal zu schädigen.
Ergänzend ist zu sagen, dass vor der Ausstrahlung zwei Institutionen vorab informiert worden waren: Das Magazin SPIEGEL, welches online (http://www.spiegel.de/spiegel/a‑603642.html) und in der Print-Ausgabe am Vortag die Ausstrahlung ankündigte, sowie der Zentralrat der Juden in Deutschland, welcher sich schon zuvor zu der kommenden Ausstrahlung geäußert hatte.
Bei beiden Institutionen stellt sich die Frage, ob sie eine Verhinderung der Aufhebung der Exkommunikation Williamsons wirklich gewollt haben. Weiter stellt sich die Frage, ob ein personell gut bestücktes Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz, bei dem man davon ausgehen muss, dass es die deutsche Medienlandschaft zu kirchlichen Themen beobachtet, nach Erscheinung des Spiegelartikels am 20.1.1009 nicht innerhalb von 24 Stunden noch eine Alarmmeldung nach Rom hätte machen können. Vielmehr nahm der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Robert Zollitsch, der die Zeitabfolge von Unterzeichnung, Ausstrahlung und Veröffentlichung des Dekretes kennen musste, Papst Benedikt nicht in Schutz, sondern unterstellte Papst Benedikt eine Kenntnis, indem er es als „unglücklich“ bezeichnete, dass der Papst die in der Ausstrahlung veröffentlichten Äußerungen bei seiner Entscheidung nicht mit in Betracht gezogen habe.
Andererseits heißt es vom schwedischen Episkopat, dass von diesem eine Warnmeldung nach Rom gemacht worden sei. Wer hat im Vatikan in der Weiterleitung dieser Nachricht an den Papst versagt oder eine solche hintertrieben?
Jedenfalls ist klar, dass nur mit einer Bandbreite von gemeinsam handelnden inner- und außerkirchlichen Akteuren das dann ablaufende Szenario möglich wurde.
Das haben Sie ziemlich gut analysiert und erfasst. Danke!
Es ist sonnenklar, daß die Bösen in der Kirche, Papst Beendikt XVI. „maximal Schaden zufügen wollten“ wie Sie es sagen @Damian.
Wenn man sich den weiteren Verlauf seines offiziellen Pontifikats, das mit einem „Rücktritt“ zu Ende ging dann anschaut, so wird m.Er. eines jedenfalls deutlich: gerade mit diesem (halben oder so) Rücktritt hat er die innerkirchlichen Gegner der Kirche auf dem falschen Fuß erwischt. Mir wird immer mehr klar, daß mit dem Rücktritt die „Konzilsungeister“ entlarvt und erledigt worden sind- Papst Franziskus hin, Papst Franziskus her. Papst Benedikt XVI./Joseph Ratzinger hat mit seinem freiwilligen Rücktritt das wirkliche Konzil (so wie es eine weite Mehrheit der Konzilsväter wollte- ohne Abschaffung der überlieferten Messe und Mundkommunion z.Bsp.) vor den Küngs und Kaspers usw. gerettet.
Das mag paradox klingen, aber es scheint mir wahr zu sein. Und daß es so ist, ist u.a. daran ersichtlich, daß Papst Benedikt XVI. sich nicht in den Kardinalsstand zurückversetzte, sondern weiterhin Papst geblieben ist- den Feinden der Kirche (innerhalb und außerhalb) zum Trotz. Also wie gesagt: der Rücktritt, die scheinbare Niederlage, war der letztendliche und bleibende Sieg des wahren Konzils über den selbsternannten Konzilsgeist.
Grober Unfug ist meine Meinung dazu. Spätestens mit der Erklärung der religiösen Freiheit am Ende des „Zweiten Vatikanischen Konzils“ ist endgültig die vatikanische Hierarchie gekippt. Schon im Pontifikat von Papst Pius XII. geriet die vatikanische Hierarchie im Schieflage, danach wurde es nur noch schlimmer. Von Benedikt XVI. gibt es genügend Aussagen, die im kompletten Widerspruch zum Lehramt früherer Jahrhunderte stehen.
Mit einer zeitlich bewusst raffiniert terminierten Ausstrahlung einer Sendung bzw. eines Interviews kann man also ganz gezielt Politik machen. Und wenn dann noch Insider verschiedener Seiten das böse Spiel mitmachen, ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet.
Zum Schaden des/der Betroffenen und ebenso der Öffentlichkeit.
Auf meinem Blog (auf meinen Namen klicken!) habe ich meine Angaben noch leicht korrigiert und ergänzt.