
(Rom) Eine besorgniserregende Aussage von Papst Franziskus sorgte in den vergangenen Tagen für Unruhe in Rom. Am 16. Juni hielt das katholische Kirchenoberhaupt in der Lateranbasilika eine Ansprache zur Eröffnung der Kirchentagung „Die Freude der Liebe“ der Diözese Rom. Die Tagung gilt schwerpunktmäßig der Erläuterung und Umsetzung des umstrittenen nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia.
Der Papst, der seine Ansprache mit einem „Buona sera!“ begann, sprach zunächst über „drei biblische Bilder“ der Bibelstellen Exodus 3,5: „Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“, Lukas 18,11: „Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, daß ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort“, und Joà«l 3,1: „Eure Alten werden Träume haben“.
Die drei Stellen interpretierte der Papst als „drei Bilder, um Amoris laetitia zu lesen“:
„1. Das Leben jeder Person, das Leben jeder Familie muß mit viel Respekt und viel Fürsorge behandelt werden. Besonders, wenn wir über diese Dinge nachdenken.
2. Hüten wir uns davor, eine Pastoral der Ghettos und für Ghettos zu betreiben.
3. Geben wir den Alten Raum, damit sie wieder träumen können.“
Anschließend beantwortete der Papst drei Fragen, die von einem Priester und zwei Katecheten vorgetragen wurden.
Die dritte Frage, von einem Katecheten gestellt, lautete:
„Heiligkeit, Guten Abend. Wohin wir auch gehen, hören wir heute von einer Krise der Ehe sprechen. Daher wollte ich Sie fragen: Worauf können wir heute abzielen, um die Jugend zur Liebe zu erziehen, in besonderer Weise zur sakramentalen Ehe, um ihre Widerstände, ihre Skepsis, ihre Desillusionen und ihre Angst vor dem Definitiven zu überwinden? Danke.“
„Große Mehrheit unserer sakramentalen Ehen nichtig“
Papst Franziskus antwortete mit der irritierenden Behauptung:
„Deshalb ist eine große Mehrheit unserer sakramentalen Ehen nichtig.“
Im italienischen Original: „E per questo una grande maggioranza dei nostri matrimoni sacramentali sono nulli“. Der Papst widersprach damit dem in der Kirche geltenden Grundsatz, daß die Ehe als gültig anzunehmen ist, solange nicht das Gegenteil bewiesen wird.
Die Aussage sorgte im aufmerksamen Publikum für solche Unruhe, daß der vom Heiligen Stuhl noch am selben Tag veröffentlichte Text der päpstlichen Ansprache und der Fragebeantwortung in einer korrigierten Fassung publiziert wurde.
„Ein Teil unserer sakramentalen Ehen nichtig“
Auf der offiziellen Internetseite des Heiligen Stuhls heißt es abgeschwächt:
„Deshalb ist ein Teil unserer sakramentalen Ehen nichtig.“
Italienisch: „E per questo una parte dei nostri matrimoni sacramentali sono nulli.“
Aus der „großen Mehrheit“ wurde „ein Teil“, und damit eine ganz andere Aussage.
Der Osservatore Romano druckte ebenfalls die korrigierte Fassung ab.
Die Ansprache und die Beantwortung der Fragen wurde jedoch vom Fernsehzentrum des Vatikan CTV aufgezeichnet und in Direktübertragung vom Fernsehsender TV2000 der Italienischen Bischofskonferenz gesendet (siehe unten). Das Video bestätigt, daß Papst Franziskus etwas ganz anderes sagte, als von den offiziellen Medien des Heiligen Stuhls nachträglich veröffentlicht wurde.
Vatikansprecher Lombardi: „Wenn der Papst spontan improvisiert spricht …“

Am vergangenen Freitag war Vatikansprecher Pater Federico Lombardi SJ durch Journalistenanfragen genötigt, eine Erklärung zur Diskrepanz zwischen den Worten des Papstes und der korrigierten Wiedergabe seiner Worte durch die vatikanischen Medien abzugeben.
Lombardi fragte: „Warum diese Änderung? Ist es eine Manipulation des Gedankens des Papstes? Die Antwort ist, daß wenn der Papst spontan improvisiert spricht, ist die Abschrift des Textes immer Gegenstand einer Revision durch die Verantwortlichen für die Texte des Papstes, um die Sprache oder eventuelle Ungenauigkeiten oder besondere Punkte zu revidieren, bei denen es richtig ist, zu präzisieren. Wenn Argumente einer bestimmten Bedeutung berührt werden, wird der Text immer dem Papst selbst vorgelegt. Das ist das, was in diesem Fall geschehen ist, sodaß der veröffentlichte Text ausdrücklich vom Papst gebilligt wurde.“
Die seit Beginn des Pontifikats immer wieder als bedenklich wahrgenommene Praxis von Papst Franziskus, auch zu wichtigen Fragen spontan Stellung zu nehmen, wurde von Vatikansprecher Lombardi weder thematisiert noch hinterfragt.
Diese Praxis, die bereits zu zahlreichen Widersprüchen und nachträglichen Korrekturen führte, wurde von den bisherigen Päpsten ausdrücklich vermieden. Sie stellten den persönlichen Drang zur spontanen und improvisierten Rede zurück, um eine seriöse, authentische und eine der Überlieferung der Glaubenslehre und der kirchlichen Ordnung entsprechende Antwort zu geben, wie es sich die Menschen von ihrem Oberhirten erwarten dürfen und es sich auch verdienen.
Im konkreten Zusammenhang könnte die ursprüngliche Aussage des Papstes in der Lateranbasilika im Zusammenhang mit seinem Motu proprio Mitis Iudex Dominus Jesus vom September 2015 gesehen werden. Mit dem Motu proprio griff der Papst radikal in das Ehenichtigkeitsverfahren ein. Er änderte nicht nur die Verfahrensordnung, sondern führte eine Reihe weitreichender neuer Nichtigkeitsgründe ein, darunter auch die subjektive Einschätzung der Betroffenen, daß deren Ehe nichtig sei.
Zwei Bischofssynoden über die Familie diskutierten die Frage, ob wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zugelassen werden können und sollen. Kardinal Walter Kasper, der Befürworter einer Zulassung, argumentierte zugunsten der faktischen Anerkennung der Zweitehe wie sie von den orthodoxen Kirchen praktiziert wird. Die Existenz einer innerkirchlichen Strömung, die eine faktische Anerkennung der Scheidung durchsetzen will, steht außer Zweifel. Diskutiert wird die Frage, wie Papst Franziskus zu dieser Richtung steht. Sein Eingriff in das Ehenichtigkeitsverfahren wurde bereits als „katholische Scheidung“ bezeichnet. Die Behauptung, die „große Mehrheit“ der sakramentalen Ehen sei nichtig, entspräche der faktischen kirchlichen Anerkennung der allgemeinen weltlichen Scheidungspraxis.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va
Ist es zulässig etwas Gesagtes, was durch vorhandenes Filmmaterial jederzeit nachgeprüft werden kann, nachträglich abzuändern bzw. zu korrigieren?
Was gilt im Ernstfall – das im Original Gesagte oder das manipulativ Korrigierte, auch wenn dies durch den Papst selbst geschieht?
Welche Version beispielsweise würde vor Gericht gelten, wenn es sich dabei um eine weltliche Angelegenheit einer Person der Öffentlichkeit handelte?