
von Roberto de Mattei*
Die Dokumente von Papst Franziskus sind, nach dem vorherrschenden Urteil der Theologen, allgemeine Hinweise pastoralen und moralischen Charakters ohne signifikante lehramtliche Qualität. Das ist ein Grund, weshalb diese Dokumente auf freiere Weise diskutiert werden, als es bisher bei päpstlichen Texten geschehen ist. Zu den gründlichsten Analysen dieser Texte gehört die Studie eines Philosophen der Universität Perugia, Flavio Cuniberto, mit dem Titel Madonna Povertà . Papa Francesco e la rifondazione del cristianesimo (Madonna Armut. Papst Franziskus und die Neugründung des Christentums), erschienen im Verlag Neri Pozza (Vicenza 2016). Die Studie ist besonders den Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium (2013) und Laudato si (2015) gewidmet. Die Prüfung, der Prof. Cuniberto die Texte unterzieht, ist die eines Gelehrten, der die zugrundeliegende These zu verstehen versucht, die häufig hinter einer gewollt zweideutigen und elliptischen Sprache versteckt ist. Zum Thema Armut bringt Cuniberto zwei Widersprüche ans Licht: der erste Widerspruch ist theologisch-doktrinärer, der zweite praktischer Natur.
Was den ersten Punkt betrifft, so weist er darauf hin, daß Papst Franziskus, im Gegensatz zu dem, was man aus dem Evangelium folgert, aus der Armut einen mehr materiellen als spirituellen Zustand macht, um ihn in eine soziologische Kategorie zu verwandeln. Diese Exegese schimmert beispielsweise in der Entscheidung durch, für die Rede über die Seligpreisungen Lukas 6,20 zu zitieren, und nicht den präziseren Matthäus 5,3 (der den Begriff pauperes spiritu gebraucht, jene, die demütig vor Gott leben). Die Armut scheint gleichzeitig ein Übel und ein Wohl zu sein. Cuniberto schreibt dazu:
„Wenn die Armut als materielles Elend, Ausschluß, Vernachlässigung von Anfang als zu bekämpfendes Übel, um nicht zu sagen, als das Übel aller Übel bezeichnet wird und daher das vorrangige Ziel des missionarischen Handelns ist“, macht die neue christologische Bedeutung, die ihr Franziskus zuweist, „zugleich einen Wert, vielmehr einen höchsten und exemplarischen Wert daraus.“
Es handelt sich, wie der Philosoph aus Perugia betont, um ein kompliziertes Gewirr.
„Warum die Armut bekämpfen und ausrotten, wenn sie umgekehrt ein ‘kostbarer Schatz’ und sogar der Weg ins Reich ist? Zu bekämpfender Feind oder kostbarer Schatz?“ (S. 25f).

Der zweite Knoten betrifft die „strukturellen Ursachen“ der Armut. In der Annahme, es handelt sich um ein radikales Übel, scheint Papst Bergoglio die entscheidende Ursache in der „Ungleichheit“ zu sehen. Die von ihm aufgezeigte Lösung, um dieses Übel auszurotten, sei die marxistische und Dritte-Welt-Lösung der Umverteilung der Reichtümer: den Reichen wegnehmen und den Armen geben. Eine gleiche Neuverteilung, die durch eine größere Globalisierung der Ressourcen erfolgen solle, die nicht mehr nur westlichen Minderheiten vorbehalten sein sollten, sondern der ganzen Welt. Die Grundlage der Globalisierung bildet jedoch die Logik des Profits, die einerseits kritisiert, aber andererseits als Weg zur Besiegung der Armut vorgeschlagen wird. Der Superkapitalismus braucht eine immer größere Menge an Konsumenten, doch die Ausweitung des Wohlstandes im großen Maßstab nährt in Wirklichkeit die Ungleichheiten, die man vorgibt, beseitigen zu wollen.
Das Buch von Prof. Cuniberto verdient es zusammen mit dem eines neapolitanischen Gelehrten gelesen zu werden, dem Buch Povertà e ricchezza. Esegesi dei testi evangelici (Armut und Reichtum. Exegese der evangelischen Texte) von Don Beniamino Di Martino, erschienen im Verlag Editrice Dominicana Italiana (Neapel 2013). Das Buch ist sehr technisch. Don Di Martino zerpflückt durch eine rigorose Textanalyse die Thesen einer gewissen pauperistischen Theologie. Die Aussage „Gegen den Geiz, nicht gegen den Reichtum“ faßt, laut Autor, die Lehre der Evangelien zusammen, die er analysiert.
Woher rührt aber die theologische, exegetische und moralische Verwirrung zwischen spiritueller Armut und materieller Armut?
In diesem Zusammenhang kann der sogenannte „Katakombenpakt“ nicht übergangen werden, der am 16. November 1965 in den Domitilla-Katakomben von Rom von rund 40 Konzilsvätern unterzeichnet wurde, die sich darin verpflichteten, für eine „arme und gleiche“ Kirche zu leben und zu kämpfen.
Zu den Gründern der Gruppe gehörte der Priester Paul Gauthier (1914–2002), der die Erfahrung als „Arbeiterpriester“ von Kardinal Emmanuel Suhard gemacht hatte, die vom Heiligen Stuhl 1953 verurteilt worden war. Dann gründete er 1958 mit Unterstützung von Bischof Georges Hakim, dessen Konzilstheologe er war, in Palästina die religiöse Gemeinschaft der Les compagnons et compagnes de Jésus Charpentier (Gefährten und Gefährtinnen von Jesus Zimmermann). Gauthier wurde von seiner Kampfgefährtin Marie-Thérà¨se Lacaze begleitet, mit der zusammenlebte, nachdem er sein Priestertum aufgegeben hatte.

Zu den Unterstützern der Bewegung gehörten Msgr. Charles-Marie Himmer, der Bischof von Tournai (Hennegau, Belgien), der die Treffen im Belgischen Kolleg in Rom durchführen ließ, Dom Helder Camara, der damals noch Weihbischof von Rio de Janeiro war und dann Bischof von Recife wurde, und Kardinal Pierre-Marie Gerlier, der Erzbischof von Lyon. Zudem bestand ein enger Kontakt mit Kardinal Giacomo Lercaro, dem Erzbischof von Bologna, der sich von seinem Berater Giuseppe Dossetti und seinem Weihbischof Luigi Bettazzi vertreten ließ. Mehr dazu findet sich in Il patto delle Catacombe. La missione dei poveri nella Chiesa (Der Katakomben-Pakt. Die Aufgabe der Armen in der Kirche), herausgegeben von Xabier Pizaka und José Antunes da Silva (Edizioni Missionarie Italiane, Bologna 2015).
Msgr. Bettazzi, der einzige noch lebende italienische Bischof, der am Zweiten Vatikanischen Konzil teilnahm, war auch der einzige Italiener, der den „Katakomben-Pakt“ unterzeichnete. Bettazzi, heute 93 Jahre alt, nahm an drei Sitzungsperioden des Zweiten Vaticanum teil. Von 1966 bis 1999 war er Bischof von Ivrea, bis er aus Altersgründen emeritiert wurde.
Wenn Dom Helder Camara der „rote Bischof“ Brasiliens war, so ging Msgr. Bettazzi als „roter Bischof“ Italiens in die Geschichte ein. Im Juli 1976, als der Kommunismus unmittelbar davor zu stehen schien, die Macht in Italien zu übernehmen, schrieb Bettazzi einen Brief an den damaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens (KPI), Enrico Berlinguer, dem er die Neigung zusprach, „eine originelle Erfahrung des Kommunismus, die verschieden von den Kommunismen anderer Nationen ist“, verwirklichen zu wollen. Gleichzeitig bat er darum, die Kirche „nicht zu bekämpfen“, sondern deren „Weiterentwicklung zu stimulieren, gemäß den Notwendigkeiten der Zeit und den Erwartungen der Menschen, vor allem der Armen, die Ihr vielleicht rechtzeitiger interpretieren könnt oder zu interpretieren versteht“.
Der KP-Chef antwortete dem Bischof von Ivrea mit dem Schreiben Comunisti e cattolici: chiarezza di princà¬pi e basi di intesa (Kommunisten und Katholiken: Klarheit der Grundsätze und Grundlagen eines Bündnisses), das am 14. Oktober 1977 in der Wochenzeitung Rinascita der Kommunistischen Partei abgedruckt wurde.

In diesem Schreiben leugnete Berlinguer, daß die Kommunistische Partei Italiens explizit die marxistische Ideologie als materialistischer, atheistischer Philosophie bekenne, und bestätigte die Möglichkeit einer Begegnung zwischen Christen und Kommunisten auf der Ebene der „Ent-Ideologisierung“. Das bedeute nicht, so Berlinguer, das Gleiche zu denken, aber denselben Weg gemeinsam zu gehen in der Überzeugung, daß man nicht durch das Denken Marxist ist, sondern in der Praxis wird.
Das marxistische Primat der Praxis ist heute in die Kirche eingedrungen, indem die Lehre durch die Pastoral absorbiert wird. Die Kirche riskiert in der Praxis marxistisch zu werden und auch das theologische Verständnis der Armut zu verfälschen. Die wahre Armut ist die Abkehr von den Gütern dieser Erde, in dem Sinn, daß sie der Rettung der Seelen dienen sollen und nicht damit sie verlorengehen. Alle Christen müssen sich von den Gütern der Erde lossagen, denn das Himmelreich ist den „Armen im Geist“ vorbehalten, und einige von ihnen sind berufen in wirklicher Armut zu leben, indem sie auf den Besitz und den Gebrauch der materiellen Güter verzichten.
Diese Entscheidung hat aber deshalb Wert, weil sie frei erfolgt und von niemandem auferlegt wird. Die häretischen Sekten hingegen wollten seit den ersten christlichen Jahrhunderten die Gütergemeinschaft aufzwingen mit dem Ziel, bereits auf dieser Erde eine Gleichheits-Utopie zu verwirklichen.
Auf dieser Linie bewegt sich heute, wer die religiöse Kategorie der Armen im Geist durch die soziologische Kategorie der materiell Armen ersetzen will. Msgr. Luigi Bettazzi, Autor des Büchleins La chiesa dei poveri dal concilio a Papa Francesco (Die Kirche der Armen vom Konzil bis Papst Franziskus“, erschienen im Verlag Pazzini (Villa Verucchio 2014), wurde am 4. April 2016 die Ehrenbürgerschaft des „roten“ Bologna verliehen. Von Papst Franziskus könnte er die Kardinalswürde erhalten, denn unter seinem Pontifikat, habe sich – laut dem ehemaligen Bischof von Ivrea – der Katakombenpakt entfaltet „wie ein Weizenkorn, das – in die Erde gelegt – langsam, langsam gewachsen ist, bis es seine Früchte trägt“.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Verona 2013; in deutscher Übersetzung zuletzt: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011. Die Zwischentitel stammen von der Redaktion.
Bild: Corrispondenza Romana/Wikicommons/Quotidianoeuropeo (Screenshot)
Man darf nicht übersehen, dass der Marxismus ein Kind der Aufklärung ist und sich sein materialistisches Weltverständnis aus dem Positivismus, dem Erkenntnisprinzip der Aufklärung, herleitet. Dass der Positivismus in sich widersprüchlich ist, haben schon Adorno und Horkheimer in der „Negativen Dialektik“ nachgewiesen. Die Aufklärung verkehre sich ins Irrationale, weil sie sich als positivistisches Erkenntnisprinzip einerseits verabsolutiere, andererseits Erkenntnis als relativ betrachte, wobei sie ihre theoretischen Setzungen eben nicht begründen könne und wolle und jede Kritik an diesen Setzungen unter ein Denkverbot stellt. Adorno ging in seiner Analyse so weit, die Frage aufzuwerfen, ob nicht schon ein Zustand erreicht sei, indem Rationalität vollständig durch Irrationalität ersetzt sei, da das von der Aufklärung bestimmte Denken einen ins Unendliche transponierten idealisierten Seinszustand verabsolutiere. Die Aufklärung legitimiere so den von ihr propagierten revolutionären Kampf durch eine ins Abstrakte aufgelöste Moral. In der Lebenswirklichkeit dominiere dann die Phrase, die Betroffenheit über den schlechten Weltzustand, den zu ändern die Aufgabe des Menschen sei. Emanzipation wird zum grundlegenden Prinzip des Seins. Sinn menschlicher Existenz löst sich darin auf, das Bestehende zu bekämpfen. Zukunft wird zum Zauberwort, dass alles bestimmt. Das „Neue“ als erahnte, nebulöse Wirklichkeit setzt sich an die Stelle des Realen. Die Realität wird zum Schein erklärt und die Vision zur Realität. Das Endziel legitimiert dann das Handeln in der Praxis. In der Französischen Revolution war das Grauen nicht eine zufällige Erscheinung sondern notwendiges Moment des revolutionären Handelns. Der schlechte Weltzustand soll eben um jeden Preis überwunden werden, ebenso wie die naturhafte Bestimmung des Menschen bis hin zur Sexualität. Da die Aufklärung die Erkenntnis von absoluten Wahrheiten kategorisch ausschließt, verfällt Erkenntnis ins subjektive Empfinden. Das Zweite Vatikanische Konzil stellt einen Umbruch in der Kirche insofern dar, als der Geist der Aufklärung in ihm starken Einfluss auf die Lehre der Kirche genommen hat. Der Relativismus wurde plötzlich zum theologischen Prinzip, wobei sich damit die Grundlagen des Glaubens sukzessive immer mehr auflösten. Die Theologie wurde ebenso blind, wie es im Positivismus die Philosophie schon war. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat also auch in der Kirche die Furie des Verschwindens Einzug genommen.
@ Suarez
Lieber Suarez,
ich möchte Ihnen für Ihre gute, fundierte Beiträge zur Aufklärung danken, die mir immer weiter die Augen öffnen und die bisher fehlenden Teile einer Argumentationskette darstellen.
Meinen Sie aber hier das Buch:
1) „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno und Horkheimer
oder
2) „Negative Dialektik“ von Adorno selbst?
Ich würde mir gerne dieses Buch bestellen und deswegen diese Frage.
Suarez wäre stolz auf Sie, bzw. er ist es wohl, da er schon im Himmel ist.
Lieber Tradition und Glauben,
herzlichen Dank für Ihre freundliche Bewertung meiner Gedanken zur gegenwärtigen Krise des Denkens. Ich bezog mich auf die „Dialektik der Aufklärung“ der beiden genannten Autoren. In der „Negativen Dialektik“ versucht Adorno Aufklärung als Prozess einer radikalen Kritik weiter voranzutreiben und die der Aufklärung inhärente Totalität des Positivismus als verabsolutierte Ideologie aufzubrechen. Die Dialektik ist dann eine negative Dialektik, weil sie den Relativismus in seine letzten Konsequenzen vorantreibt und so offen legt, dass die Setzungen der Aufklärung sich rational eben nicht begründen lassen. Eine positive Wahrheit sei also auf Grund der der Dialektik innewohnenden Gesetze des Denkens gar nicht möglich. Man könnte dies auf der Ebene der Abstraktion als einen theoretischen Nihilismus betrachten, der sich aber eben weigert, das Negative als letzte Konsequenz des Denkens anzuerkennen. Anders wie Horkheimer, der dem Pessimismus Schopenhauers nahe stand, sah Adorno in der Kunst, insbesondere in der Musik, noch Möglichkeiten der Erkenntnis, die über die Beschränkungen der Rationalität der Aufklärung hinauszugehen vermag. Adorno sträubte sich hartnäckig, das war wohl seiner tiefen Verwurzelung im aufklärerischen Denken geschuldet, dem Glauben also Religion dieses Erkenntnisvermögen zuzusprechen. Zwar gibt es Ansätze, in denen auch Adorno anerkennt, dass nur der Glaube in der Lage ist, eine qualitative Erkenntnis hervorzubringen, er wollte oder konnte aber diesen Gedanken nicht weiter folgen, da die Aufklärung sich ja gerade aus ihrer radikalen Entgegensetzung zur Religion definiert. Horkheimer und Adorno waren bewusst, dass die Aufklärung sich als radikale Emanzipation von Gott als die den Menschen bestimmende Macht begreift, um so den Menschen von den Fesseln des Mythos zu befreien. Dass die Aufklärung von ihren Ansatz her selbst mythologischen Charakter hat, zeigen die beiden Philosophen mit der Unerbittlichkeit abstrakter Erkenntniskategorien. Wes Kind die Aufklärung in Wahrheit ist, zeigt sich schon durch das Grauen und die Absurditäten der Französischen Revolution.
Ich habe mich intensiv in jungen Jahren mit den beiden Philosophen beschäftigt, weil in ihren Arbeiten endlich die Aufklärung selbst dem Seziermesser der Kritik unterzogen wird und sich so völlig neue Fragen hinsichtlich des Erkenntnisvermögens stellen, die von der Aufklärung bis dahin radikal unter Tabu gestellt waren.
Interessant, aber das ist dann wirklich eine doch sehr weite Ausdehnung des Themas, ist hier auch die Habilitationsschrift des jungen Ratzinger zum Offenbarungsverständnis von Bonaventura. Offenbarung hat ja immer etwas mit Erkenntnis zu tun, sie ist ja eine bestimmte Art und Weise von Erkenntnis. Bonaventura hat den Begriff der „revelatio“, also Offenbarung, nicht nur auf Gott allein, sondern in einer negativen Auslegung auch auf den Teufel bezogen. Nach Bonaventura gibt es eine „negative“ Offenbarung, in der der „perversus imitator Dei“, also der „Nachäffer“ Gottes, das Denken, respektive die Seelen der Menschen verwirrt, also göttliche Erkenntnis in ihr Gegenteil verkehrt. Diese Verzerrung der Wahrheit erfolgt durch Imitation der Macht Gottes. Es ist sozusagen die radikalste Aufforderung zur Emanzipation, die verabsolutierte Freiheit, die den Menschen an die Stelle Gottes setzt.
Wörtlich schreibt Ratzinger: Dazu ist jedoch zu beachten, dass im selben Zusammenhang auch dessen „miracula“ und der diesen zugeordneten „fides perversa“ die Rede ist, von „coetus christianus“ und „societas“ des Teufels, ja, dass endlich in fühlbarer Antithese zum „Deus Christianorum“ der Teufel als „perversus imitator Dei“ bezeichnet wird. Im Rahmen dieser „Nachäffung“ Gottes – die Geschichte dieser Vorstellung wäre eine Untersuchung wert – wird auch von den (Pseudo-) „Offenbarungen“ des Teufels geredet. So bestätigt aber am Ende gerade diese Stelle wieder die ursprüngliche Zugehörigkeit von „Offenbarung“ zu Gott und damit den ursprünglichen Sinn von „revelatio“. (Joseph Ratzinger, Offenbarung und Heilsgeschichte nach der Lehre des heiligen Bonaventura)
In der Tat wären die Gedanken Bonaventuras zum „perversus imitator Deus“ eine tiefere Untersuchung wert, denn vieles, was uns als unumstößliche Wahrheiten seitens der Aufklärung ausgegeben wird, hat nichts anderes als „Offenbarungscharakter“, nur fehlt eben der „Deus Christianorum“ als Urheber der Offenbarung.
Der Mensch gewinnt durch seine radikale Emanzipation nicht den Himmel sondern er fällt ins Grauen, genau das haben dann Adorno und Horkheimer anhand ihrer Analysen zum Phänomen des Nationalsozialismus und damit des Holocaust sehr klar erkannt. Erst die Aufklärung mit ihrem verabsolutierten Freiheitsbegriff hat ein Denken hervorgebracht, in dem der einzelne Mensch lediglich Material ist, über das eine Macht, die sich als „Herrenrasse“ versteht, frei verfügen, ja sie jederzeit vernichten kann. In den Personen Hitler und Stalin hat sich also die Freiheit der Aufklärung nicht pervertiert, sondern ist zu ihrer letzten Konsequenz gelangt. Die der Aufklärung innewohnende radikale Emanzipation endet notwendig im Grauen. Die Kritik von Horkheimer und Adorno am Erkenntnisbegriff der Aufklärung hat höchst interessante Parallelen zur Lehre vom Sündenfall. Die radikale Emanzipation des Menschen durch ein verabsolutiertes subjektives Erkenntnisvermögen führt eben nicht ins Licht, sondern in die Finsternis der Negativität, der bloßen Verneinung und in der Praxis in die Hölle des KZ oder Gulags.
P.S.Es macht immer wieder Freude, hier auf katholisches.info Gedanken austauschen zu können.
Ergänzung:
Offenbarung, das scheint mir in meinen oberen Anmerkungen nicht deutlich genug geworden zu sein, ist von zentraler Bedeutung für die Erkenntnis. Die menschliche Ratio ist ohne Offenbarung weitestgehend blind und auf die bloßen Erscheinungen im Hier und Jetzt verschränkt. Daher ist das Offenbarungsverständnis Bonaventuras auch im thematischen Zusammenhang mit erkenntnistheoretischen Fragen überhaupt von großer Bedeutung.
Sehr geehrter Herr @Suarez,
ich bin Ihnen noch eine Antwort auf Ihre Fragen v. 15.06.16 um 20.15Uhr schuldig.
Das Herrenwort in Joh14,6 „Ich bin der Weg, …und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ gilt universell für alle Menschen – egal welchen Glauben oder welche Weltanschauung sie zu Lebzeiten hatten.
Ein wahrhaft göttliches Wort.
Es gilt nach dem irdischen Tod des Menschen und besagt, dass niemand dem Gericht durch den Herrn Jesus Christus entgehen kann.
Wer zu Gottvater in den Himmel will, kann das nur über den Herrn. Einen anderen Weg gibt es nicht.
Ich glaube selbstverständlich auch an keinen Automatismus etwa in Form einer All-Erlösung; vielmehr sehr wohl an ein persönliches Gericht für jede Menschenseele – so wie es Christus verkündet hat.
Natürlich ist die Erlösungstat Christi durch Seinen Tod am Kreuz evident und ebenfalls unverzichtbar ist die christliche Mission möglichst vieler, ja im Idealfall aller, Menschen.
Aber es wird doch vorkommen, dass manche, sogar zahlreiche, Menschen in ein anderes religiöses oder weltanschaulichen Umfeld, das eben nicht christlich ist, hineingeboren werden , darin aufwachsen und leben.
Was ist mit ihnen nach ihrem Tod? Sind diese ohne eigene Schuld nicht mit dem Christentum und Jesu Lehre zu irdischen Lebzeiten in Berührung gekommenen Menschen alle verloren?
Ich kann das einfach nicht glauben.
Vielmehr glaube ich, dass auch solche Menschen durch des Herrn Erlösungstat gerettet werden können, wenn sie nach dem Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe im irdischen Leben lebten. Was mit Atheisten ist, die ja logischerweise keine Gottesliebe praktizieren konnten, weiß ich nicht. Hier kann allenfalls Gottes Barmherzigkeit ihnen den Weg zum Himmel ebnen.
Ein gläubiger Muslim dürfte Gott (Allah) verehren und auf gewisse Art lieben und zumindest Nächstenliebe für seine Glaubensgenossen praktizieren, wie es der Koran gebietet.
Feindesliebe wie sie Christus fordert, kennt er allerdings nicht. Aber auch so jemanden halte ich nicht automatisch für verloren, denn auch für solche Unvollkommenheit ist Christus gestorben zum Zwecke der Erlösung der Menschen.
Zu dem anderen Wort aus dem Johannesevangelium, das Sie anführten:
Ja, wer den Herrn liebt, hält an Seinem Wort fest. Gottvater wird diesen Menschen lieben und zusammen mit dem Herrn ihn in seinem Herzen besuchen.
Wo Gottvater und Gottsohn sind, ist aber auch eben der Heilige Geist, der ja die Liebe zwischen den beiden erstgenannten Personen der Trinität in Person ist.
Der Hl. Geist führt den betreffenden Menschen tiefer in die Geheimnisse Gottes ein, kann ihm den Sinn der heiligen Schriften erschließen und ihn mit Seinen Gnadengaben beschenken.
So verstehe ich dieser Wort des Herrn.
Verehrter Kassandro,
Ihrem Gedankengang kann ich nicht zustimmen.
Wenn es egal wäre, welchen Glauben oder welche Weltanschauung wir zu Lebzeiten haben, dann ist Verkündigung, die ja nur zu Lebzeiten geschehen kann, ein leeres Geschäft und völlig sinnlos.
Sie verkehren Joh 14,6 ins Gegenteil, denn es geht ja darum, dass Mission gerade diejenigen erreichen will, die die Wahrheit noch nicht erkannt haben, wozu natürlich auch die Muslime zählen. Mission führte sich aber ad absurdum, wenn es dazu keine Notwendigkeit gäbe. Wie sagt Paulus: Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde! (1 Kor 9,16)
Ich hatte zudem noch auf Mt 7,13–14 hingewiesen.
Es kommt entscheidend für das Heil darauf an, ob sich der Mensch der Wahrheit – und es gibt nur die eine Wahrheit – öffnet oder sich gegen sie verschließt.
Nehmen Sie die Situation, die Paulus bei den Heiden vorfand. Vielen war das Evangelium eine Torheit und doch hat Paulus klar erkannt, dass Verkündigung notwendig ist, da sonst die Menschen den richtigen Weg ins Leben nicht finden.
Es gibt einen klugen Satz von Adorno, der mir hier passend erscheint: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Sehr geehrter Herr Suarez,
es ist ein Missverständnis, dass ich christliche Mission nicht für notwendig halte.
Und zwar in Form vom Zeugnis geben vom christlichen Glauben insbesondere von der Person des Herrn Jesus Christus.
Dass aber alle, die entweder den christlichen Glauben gar nicht kennengelernt haben oder aber nicht den Schritt zur Konversion zum christlichen Glauben – nach einem Dogma sogar ausschließlich zur katholischen Kirche – tun, sämtlich durch die Bank verloren sind und in die Hölle gehen, das glaube ich allerdings nicht.
Ebensowenig ist die rein nominelle Zugehörigkeit zur kath. Kirche nach meiner Überzeugung auch längst kein Freifahrtschein für den Himmel.
So verstehe ich auch Mt7,13–14:
Ganz so einfach, wie uns selbst manche Prediger weismachen wollen, ist der Weg in den Himmel nicht:
Je mehr ein Mensch vom christlichen Glauben verstanden hat, desto mehr wird von ihm auch gefordert an persönlicher Zeugnisgabe gegenüber seiner ggf. nichtchristlichen Umwelt.
Letztlich sind wir da auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes mit unserer menschlichen Unvollkommenheit angewiesen.
Auch dafür ist der Herr am Kreuz gestorben.
Verehrter Kassandro,
Sie nähern sich hier protestantischen Positionen. Für Luther war ja gerade die Frage der göttlichen Gnade unabhängig von der Kirche ein zentrales Moment seines Protestes.
Mir scheint, Sie liebäugeln da mit der These von der Gradualität, wie sie z.B. von Kardinal Schönborn vertreten wird.
Wer sich aber der Wahrheit verschließt, der tut dies nicht graduell, sondern absolut.
„Letztlich sind wir da auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes mit unserer menschlichen Unvollkommenheit angewiesen.“
Sie vermeiden hier Sünde zu sagen, warum?
Ist der Mensch also von Gott in Unvollkommenheit geschaffen worden? Ist er dann noch fähig zur Sünde, also verantwortlich für sein Handeln?
Dass die nominelle Zugehörigkeit zur Kirche kein Freifahrtschein zum Himmel ist, ist keine neue Erkenntnis, ich habe dies auch nirgends so behauptet, es widerspräche auch der Lehre der Kirche. Anders müsste ein Katholik ja nicht beichten.
Wie sieht denn die „persönliche Zeugnisabgabe“ Ihrer Auffassung nach aus, wenn sie nicht im Bewusstsein der Wahrheit steht. Wie soll man der „nichtchristlichen“ Umwelt vom Glauben Zeugnis geben, wenn man im gleichen Atemzug dieses Zeugnis als nicht heilsnotwendig wieder relativiert?
Wenn Jesus für unsere „Unvollkommenheit“ am Kreuz gestorben wäre, wäre er umsonst gestorben, da die Unvollkommenheit ja dann aus der göttlichen Schöpfung selbst entspringen würde. Das ist aber nicht die Lehre der Kirche!
Sehr geehrter Herr Suarez!
Ich habe überhaupt kein Problem mit dem Begriff der Sünde, zu der wir ja eben fähig sind.
Ich habe den Begriff auch nicht gewollt vermieden.
Aber für vollkommen wie Gott halte ich zumindest den gefallenen Menschen nicht.
Nur Gott ist in jeder Hinsicht vollkommen.
Zeugnisgabe vom christlichen Glauben ist notwendig, damit auch Nichtchristen mehr von der Wahrheit zu Lebzeiten erkennen können.
Aber halten Sie denn wirklich nur und ausschließlich gläubige Katholiken des ewigen Seelenheils für dereinst teilhaftig werdend?
Kommen nach Ihrer Auffassung bereits gläubige Protestanten nicht mehr in den Himmel?
Geschweige denn Angehörige anderer Religionen, auch wenn sie sich zu Lebzeiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten und ihres Wissens um ein Gott gefälliges Leben bemüht haben?
Verehrter Kassandro,
das habe ich so, wie Sie es formulieren, nicht geschrieben, denn natürlich gab es schon eine dunkle Ahnung der Wahrheit bevor das Wort, der Logos, Fleisch angenommen hat.
Was genau verstehen Sie unter einem Gott gefälligen Leben, um das man sich im Rahmen der eigenen Möglichkeiten und des eigenen Wissens bemüht hat?
Ein IS Kämpfer beruft sich doch darauf, durch seinen blutigen Kampf gegen die „Ungläubigen“ ein Gott gefälliges Leben erst zu führen. Wer bestimmt also, was Gott gefällig ist und was nicht? Nicht anders bei Boko Haram.
Und wenn ein Jugendlicher in einer mittelamerikanischen Jugendbande Menschen allein aus bloßer Mordlust tötet, dann ließe sich das doch auch mit seinem höchst begrenzten moralischen Horizont bzw. mit moralischen Erkenntnisdefiziten rechtfertigen. Schon Schopenhauer hat aber Kant nachgewiesen, dass sein Kategorischer Imperativ und damit die ganze Kritik der praktischen Vernunft auf bloßen Setzungen beruht, die sich einer rationalen Begründung verschließen. Warum ein Mensch moralisch handeln soll, lässt sich ohne Bezug auf Gott gar nicht begründen.
Was machen Sie aber dann mit all den Atheisten und denen, die an diffuse Götterwelten glauben oder die ganzen Agnostiker. Die führen doch per Definition kein gottgefälliges Leben und bemühen sich auch nicht darum, weil sie ja nicht an Gott glauben. Ein Atheist ist ja kein Monster und entbehrt jeglicher Moralvorstellung, nur weil er Atheist ist.
Wie steht es da mit dem Heil?
Ich masse mir da kein Urteil an, denn Gott richtet. Darum ist aber doch die Verkündigung nicht bloßes, nebensächliches, für das Heil nur peripher notwendiges Beiwerk!
Was ist mit den KZ Schergen? Die glaubten doch an diese mörderische Ideologie der Nationalsozialisten?
Lassen Sie es mich so sagen: bevor Jesus Christus, der Sohn Gottes, vom Vater in die Welt gesandt wurde, erwarteten die Menschen das Heil als noch kommendes Heil (siehe Judentum und Glaube an den kommenden Messias). Trotz seiner Hingabe und Leiden am Kreuz für unsere Sünden, haben sie IHN dann nicht erkannt. Auch die Muslime haben den IHN als Sohn nicht erkannt, Mohammed hat ausdrücklich die Sohnschaft bestritten.
Führt einen der „Irrtum“ ins Heil oder ins Unheil?
Es ist doch nicht so, dass Muslime nicht die Wahrheit erkennen könnten, sie wollen sie nicht erkennen, sie lehnen sie ab. Was ist daran wohlgefällig?
Wenn ein Bergsteiger eine falsche Route wählt, die ihn in den Abgrund und nicht auf den Gipfel führt, so wird er abstürzen, auch wenn er im Glauben war, die richtige Route gewählt zu haben. Erst recht, wenn er sich besserer Einsicht verschlossen hat.
@ Suarez
Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Ich muss zugeben, dass ich in den angeschnittenen Themenbereichen
1) Horkheimer, Adorno,
2) Offenbarungsbegriff bei Bonaventura
3) Junge Ratzinger
(noch?) nicht die Kompetenzen haben, um mit Ihnen mitzudiskutieren.
Ich hörte aber vor einiger Zeit einen Vortrag eines sehr progressiven und zersetzenden Theologen, welcher den jungen Ratzinger gegen den alten stellte und unterstrich, dass nach dem jungen Ratzinger und dem Offenbarungsbegriff von Bonaventura, welcher subjekttheoretisch irgendwie mit dem deutschen Idealismus konform geht, der Mensch, vereinfacht ausgedrückt, „sich seine Offenbarung selbst macht“, da der Erkennende das Erkannte dermaßen prägt, dass von der objektiven Offenbarung kaum etwas übrigt bleibt.
Ich weiß natürlich nicht, inwiefern diese Leseart dem jungen Ratzinger gerecht wird, da aber die Erstfassung seiner Habilitation abgelehnt wurde, so gab es dafür doch Gründe.
Dieser oben vorgestellte Offenbarungsbegriff entspricht natürlich nicht dem Verständnis von Vatikanum I.
Es stellt sich aber für micht die Frage, ob revelatio bei Bonaventura nicht eine mystische Offenbarung, im Sinne von Vision, Audition etc. meint, wobei wir bei der wirklich subjektiven mystischen Theologie wären.
Dennoch hört sich Ihre Darstellung der negativen „Offenbarung des Teufels“ bei Bonaventura für mich sehr gnostisch an. Wenn man dies im Sinne der falschen Privatoffenbarungen deutet, dann ist es richtig, aber mit scheint, dass schon mit Ratzinger die gnostische Wende des Katholizismus stattgefunden hat. Beispiel: Hildegard von Bingen, in deren Schriften es wirklich die gnostischen Topoi und Bilder gibt (der Urmensch, Anthropos, das Ei etc.) wird zur Kirchenlehrerin erhoben. M.E. unverdient und unnötigt und das wirklich gnostische Opus Angelorum mit den Engelshierarchien von Gabriele Bitterlich wird unter Benedikt wieder zugelassen.
Die Aufklärung führte ja zu Gnosis, deutscher Idealimus, Schelling, Solowjow und Sophiologie, Steiner etc. Im katholischen Bereich Franz von Baader, den angeblich Johannes XXIII neben Steiner gerne las.
Bei Wojtyla und Johannes Paul II gibt es in seiner „Theologie des Leibes“ wirklich gnostische Züge und dass Amoris Laetitia durch und durch gnostisch ist, braucht wirklich nicht gesagt zu werden.
Aber bei dem vernunftbetonten Benedikt leider auch. Sie, lieber Suarez, haben recht: die Auklärung führt zum Irrationalismus und dieser durch die dunkle Offenbarung wird zur Gnosis, was wir zurzeit durch Papst Franziskus am eigenen Leib sozusagen erfahren können.
Und wo fing es an? Bei der Aufgabe der Seinsmetaphysik oder anders formuliert „Thomismus oder der Tod“. Denn unter Franziskus erleben wir den Zusammenbruch und die Aufgabe jeglicher Rationalität. Und leider hat Ratzinger/Benedikt, der jetzige „Zweitpapst“ dazu sowohl theoretisch als auch praktisch beigetragen.
Es ist einfach so, dass der katholische Vernunftbegriff ein anderer als der der Aufklärung ist. Er ist weder subjektiv noch autonom und deswegen kann es eine Versöhnung zwischen Aufklärung, sprich der modernen Welt und der Kirche niemals geben. Deswegen ist Vatikanum II gescheitert und Benedikt XVI ja auch. Die Prämisse „des Dialogs mit der Welt“ war philosophisch, metaphysisch und theologisch schlichtweg falsch und jetzt haben wir Papst Franziskus eine definitio per demonstrationem dafür, dass das Vat. II falsch lag.
Siehe: https://traditionundglauben.wordpress.com/2016/06/01/steve-skojec-raus-aus-dem-kaninchenloch/ für alle, die es noch nicht kennen.
Lieber Tradition und Glauben,
„revelatio“ wird von Bonaventura, das belegt Ratzinger sehr ausführlich, in unterschiedlichen Kontexten gebraucht. Dass progressive Theologen eine intensive Neigung zeigen, das Verständnis eines Textes ihrem Interesse zu unterwerfen, braucht nicht betont zu werden. So weit ich Ratzingers Arbeit richtig verstanden habe, geht es bei Bonaventura darum, dass gerade Offenbarung ein göttliches und kein menschliches Tun ist. Nicht der Mensch offenbart sich Gott, sondern Gott offenbart sich dem Menschen. Natürlich steht man damit vor der Schwierigkeit, wie man das in eine theoretische Form bringt, die eben nicht gnostisch ist. Hier ist sicher zu fragen, welchen Kirchenbegriff Bonaventura in diesem Zusammenhang hat. Nicht ohne Grund scheint mir der „späte“ Ratzinger ein so großes Gewicht darauf zu legen, dass es die Kirche ist, die die Authentizität der Offenbarung garantiert und eben nicht der einzelne Mensch als erkennendes Subjekt. Bonaventura hat sehr deutlich zwischen der mystischen Schau und göttlicher Offenbarung unterschieden. Die Schwierigkeit, die sich hier eröffnet, ist in der Tat eine grundlegend erkenntnistheoretische, denn Offenbarung ist eine Tat Gottes, die wir ja nicht im Sinne positivistischer Verifizierbarkeit, beweisen könnten. Es ist die Selbstmitteilung Gottes, die ihre Autorität allein im Glauben findet. Der Gnostiker versucht Gott zu erkennen und zwar in übergreifender Erkenntnis. Gott kann aber nicht vollständig erkannt werden, weil dann der Erkennende über Gott stehen müsste. Gott bleibt immer Geheimnis und was wir von ihm erkennen, ist das, was er uns von sich zeigt, zeigen will. Das meint wohl Bonaventura mit Offenbarung. Dieses Sich-Zeigen Gottes ist und bleibt immer ein Tun Gottes. Wo Gott sich nicht zeigen will, kann er auch nicht erkannt werden. Offenbarung ist also keine mystische Naturschau, denn die Natur offenbart sich notwendig in ihren Erscheinungen und kann sich der Erkenntnis nicht aus einem Willensakt entziehen, dass kann eben nur Gott. Insofern hinkt der Vergleich des Theologen mit dem Idealismus ohnehin. Der Mensch kann eben Offenbarung nicht hervorbringen. Man sieht, wie komplex das Thema Erkenntnis und Offenbarung ist und welche Fallstricke sich dort auftun.
Ratzinger sieht den Vernunftbegriff der Aufklärung als verkürzt an, ebenso wie Horkheimer und Adorno und sieht die Notwendigkeit diesen durch den Glauben zu ergänzen. Wie das genau zu realisieren ist, bleibt eine offene Frage, sie scheint mir aber trotz aller Skepsis notwendig.
Korrektur
Es sollte natürlich heißen: Der Gnostiker versucht Gott zu erkennen und zwar in umgreifender Erkenntnis.
Leider noch eine notwendige Korrektur:
Ich schrieb oben irrtümlich von „in eine theoretische Form bringt“. Es sollte aber heißen; „in eine theologische Form bringt“.
Nachbetrachtungen
Ich möchte, lieber Tradition und Glauben, noch auf Ihre These eingehen, dass Ratzingers Theologie gnostisch sei und sich dies unter Umständen aus seiner Beschäftigung mit Bonaventura herleite.
Richtig ist, dass Bonaventura Offenbarung „dynamisch“ versteht und nicht statisch. D.h. konkret, dass sich die Lehre der Kirche in der Zeit verändern kann. Wichtig ist aber hier zu beachten, dass Bonaventura die Veränderbarkeit der Lehre immer auf dem Boden der Schrift verankert sieht. Für Bonaventura war eine progressive Lehrauslegung, wie sie z.B. Kardinal Kasper vertritt, schon aus seiner Zeit heraus gar nicht denkbar. Ihm ging es vielmehr um das Primat des Papstes, der von ihm einzig als Garant der richtigen Lehre angesehen wurde. Der Papst sei völlig frei, was die Lehre anbetrifft. Im Gegensatz dazu sagt Thomas von Aquin, dass die Dogmenentwicklung einzig der Korrektur von Irrlehren dient. Offenbarung wird also nicht geschichtlich verstanden, hingegen das Verständnis der Offenbarung schon. Die Wahrheit ist unveränderlich, aber es kann durchaus zu Irrtümern im Glauben kommen, die von der Kirche in der Kontinuität der Lehre korrigiert werden müssen. Der Garant für die richtige Lehre ist bei Thomas von Aquin also die Lehre der Kirche in ihrer Kontinuität und weniger der Papst, der sie dann formal garantiert. Für beide ist aber allein die Kirche Träger der Wahrheit!
Wenn man also heute auf Papst Franziskus schaut, dann müsste man ihm eher eine Nähe zu Bonaventura als zum Aquinaten zusprechen, wobei solche Zuweisen eigentlich unstatthaft sind, da der heute theologische Denkhorizont ein anderer ist, im Sinne einer Theologie, die an ihrem Wahrheitsanspruch zweifelt.
Ich empfinde es als sehr problematisch, die Krise der Kirche in der heutigen Zeit auf das Vaticanum II zu reduzieren und das Vaticanum I als alleinigen Garant der wahren Lehre anzusehen. Dann zerfällt notwendig die Autorität der Kirche, die ja dann in sich widersprüchlich geworden wäre. Wo soll man außerhalb der Kirche eine Autorität finden, die die wahre Lehre festlegt? Gerät man nicht notwendig auf die schiefe Ebene des Protestantismus, wenn man das Vaticanum II grundsätzlich ablehnt und somit die Autorität der Kirche aufhebt? Ich sehe da erhebliche Fliehkräfte, die die Kirche in dunkelste Zeiten und Zustände stürzen könnte. Erzbischof Lefebvre stimmte den meisten Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils zu. Diese Dokumente selbst waren nicht das Kernproblem, dass ihn dann in Opposition zur Kirche brachte, sondern die auf das Konzil folgende Rezeption, die radikale Willkür der Rezeption, der sogenannten Hermeneutik des Konzils. Die Errichtung der Priesterbruderschaft St. Pius X. war also eine Reaktion auf Verzerrungen der Konzilstexte, die durchaus auch Raum für die traditionelle Lehre lassen. Ich denke, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. wieder in die Kirche zurückfinden muss, schon um der Tradition willen, die doch nur in der Kirche zu finden ist. Ansonsten gibt es doch nichts katholisches mehr, sondern nur noch ein Zerfallen in unendlich viele Spielarten von Interpretationen der Lehre, die ohne ihre umgreifende Autorität der Kirche keine Verbindlichkeit mehr finden kann. Das weiß man wohl auch in der Priesterbruderschaft. Ich will mit all dem sagen; man darf den progressiven Kräften eben nicht die Interpretationshoheit des Zweiten Vatikanischen Konzils überlassen, sondern muss die Konzilstexte sehr genau im Sinne der Kontinuität der Lehre lesen. Die progressive Theologie entleert doch ständig ihre Inhalte, daher wird sie auf kurz oder lang ohnehin als das erkannt, was sie ist; hohles Geschwätzt und sonst nichts. Aus meiner Sicht garantiert nur die Einheit der Kirche die Kontinuität der Lehre. Außerhalb der Kirche verliert sich auf Dauer notwendig jede Autorität, die immer nur vom Anfang kommen kann.
Papst Benedikt hat aus meiner Sicht keine Nähe zur Gnosis. Im Gegenteil, er hat Vernunft wieder an den Glauben zurück gebunden. Im Sinne des Aquinaten hat er dabei immer im Auge behalten, Glaubensirrtümer durch ein präziseres Verständnis der Lehre von ihren Ursprüngen(!) her, zu korrigieren. Das mit den Bildern sollte man nicht überbewerten, denn auch hier findet sich Interessantes in seiner Arbeit über Bonaventura. Das Bild steht nicht in einem radikalen Gegensatz zum Wort. Das Sehen ist ebenso wichtig wie das Hören. Der einfache Gläubige kann durch ein Bild im Glauben gestärkt werden. Natürlich stellen sich hier auch wieder sehr diffizile Fragen zu den Grenzen, wo Bilder ins Magische umgedeutet werden, was dann wieder ein Abfall bedeutet und im Gegensatz zur Lehre steht.
Nochmals vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort!
„Ich denke, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. wieder in die Kirche zurückfinden muss, schon um der Tradition willen, die doch nur in der Kirche zu finden ist.“
Lieber Suarez, so sehr ich die Rückkehr der Piusbruderschaft in die Kirche begrüßen würde – würden bestimmte Teile der Kirche, die nicht mehr unbedingt katholisch sind, dies überhaupt zulassen?
Sie würden Zeter und Mordio schreien, würden der Kirche einen Rückfall in das Mittelalter vorwerfen, hilfreich unterstützt durch die Medien.
Könnte die Bruderschaft innerhalb der Kirche ihr ureigenes Profil bewahren oder sähe sie sich gezwungen, sich anzupassen?
Und wie käme sie, angenommen sie würde in der baldigen Zukunft wieder eingegliedert, mit Papst Franziskus klar? Wie passen beide zusammen?