(Rom/Mexiko-Stadt) Eine Diskussion, die seit 20 Jahren beendet schien, ist durch die Wahl von Papst Franziskus neu ausgebrochen. Der Priesterzölibat steht wieder unter Beschuß. An ihm rieben sich im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder die Geister. Nur die katholische Kirche vermochte ihn innerhalb der Christenheit aufrechtzuerhalten. Die orthodoxe Kirche hält an dessen Richtigkeit fest, konnte ihn aber nur für Mönche und Bischöfe bewahren. Der Weltklerus kann verheiratet sein, sofern der Kandidat zum Zeitpunkt der Priesterweihe bereits verheiratet ist. Nach der Priesterweihe ist eine Eheschließung auch bei den Orthodoxen ausgeschlossen. Ebenso ist beim eventuellen Tod der Ehefrau eine erneute Heirat nicht möglich. Einige neuere Bücher liefern interessante Beiträge zur Diskussion.
Die protestantischen Konfessionen und Denominationen haben mit Martin Luther den Zölibat verworfen. Luther, selbst ein ausgesprungener Mönch, heiratete eine ausgesprungene Klosterfrau. Mit diesem persönlichen Lebenswandel wird unter anderem erklärt, warum der Protestantismus die Ehe nicht als Sakrament anerkennt, sondern darin mit Luther nur „ein weltlich Ding“ sieht.
Der Priesterzölibat als Beleg für den Anspruch, die wahre Kirche Jesu Christi zu sein
Nicht die ganze katholische Kirche ist heute aber dankbar dafür, in diesem Punkt den höchsten Stand bewahrt zu haben und damit einen Beleg für den Anspruch vorweisen zu können, wahre Kirche Jesu Christi zu sein. Die sexuelle Revolution der 1960er Jahre brachte das Thema Zölibat erneut auf den Tisch und köchelt seither vor sich hin. Bischöfe im deutschen Sprachraum drücken meist ein Augen zu, wenn ein Priester sich eine Konkubine hält, oder auch beide Augen, wenn – wie in einer österreichischen Diözese – ein Pfarrer ganz offiziell mit seiner standesamtlich angetrauten Frau und seinen Kindern zusammenlebt. Der Applaus verwirrter Katholiken, die ihre Meinungen mehr den Massenmedien entnehmen als dem Katechismus, ist gesichert.
Zu den Wortführern der jüngsten Angriffswelle gegen den Priesterzölibat gehören vor allem Theologen und Bischöfe des deutschen Sprachraums. Symbolgestalt ist ein Liebling der politischen Linken, der inzwischen emeritierte österreichische Missionsbischof Erwin Kräutler mit seiner „Amazonas-Werkstatt“. Hinter ihm steht der einflußreichere brasilianische Kardinal Claudio Hummes, ein deklarierter Wähler von Papst Franziskus, der dem Neugewählten den Papst-Namen Franziskus suggeriert haben soll. Hummes ist seit langem als Gegner des Priesterzölibats bekannt.
Zwei „mexikanische“ Publikationen
Die anhaltende Diskussion fördert jedoch auch eine Vertiefung der Zölibatsfrage, die in einer Reihe von Publikationen Niederschlag gefunden haben. Zwei davon haben mit Mexiko zu tun.
Im deutschen Sprachraum gab es unter Bischöfen und Priestern irrationale Hoffnungen, Papst Franziskus könnte bei seinem Mexiko-Besuch einen Handstreich wagen und den Priesterzölibat durch vollendete Tatsachen kippen. Offenbar hatte sich die Chiapas-Legende vom „indigenen Klerus“ – eine Mischung aus Sozialromantik, „guten Wilden“ und Dritte-Welt-Mythos – in einigen Köpfen verselbständigt. In Mexiko selbst ist man jedoch ganz anderer Meinung als im deutschen Sprachraum. Im katholischsten Land Lateinamerikas ist nur eine kleine Minderheit für eine Änderung. Sogar in der Diözese San Cristobal de las Casas, die von 1970–2000 eine Art „Chiapas-Werkstatt“ gegen den Zölibat war, betonte der heute amtierende Bischof, daß die zahlreich vom Vorgänger übernommenen verheirateten Diakone „keine Forderung erheben, ein verheiratetes Priestertum anzustreben“.
In Mexiko, worauf der Vatikanist Sandro Magister aufmerksam machte, sind zwei Bücher erschienen, die sich entschieden gegen die Aufhebung des priesterlichen Zölibats und gegen ein Priestertum more uxorio aussprechen. Beide Autoren sehen im orthodoxen wie im protestantischen Modell einen schwerwiegenden Bruch mit der Tradition der lateinischen Kirche. Einer Tradition, die direkt auf das Vorbild Jesu und der Apostel zurückgeht. Mehrere Apostel waren bereits verheiratet, als Jesus sie in Seine Nachfolge berief. Dazu gehörte auch Petrus. Sie lebten jedoch nach der Einsetzung des Priestertums und dem Pfingsterlebnis in völliger Enthaltsamkeit. Die Apostel und ihre Ehefrauen waren wie Bruder und Schwester. Das christliche Priestertum war daher von Anfang an zölibatär und enthaltsam.
Jean Meyer: Aufhebung des Zölibats wäre unverständlicher Rückschritt
Jean Meyer, ein frankomexikanischer Priester ist Autor von Standardwerken über die Cristiada, den katholischen Widerstand gegen die antiklerikale, freimaurerische Diktatur im Mexiko der 1920er Jahre. Von ihm stammt das Buch „El celibato sacertodal. Su historia en la Iglesia católica“ (Der Priesterzölibat. Seine Geschichte in der katholischen Kirche). Das zweite Buch stammt vom italienischen Priester Vittorio Moretto, einem Comboni-Missionar, der nach Einsätzen in Europa und Afrika seit 17 Jahren in Mexiko wirkt. Morettos Buch trägt den Titel: „Il celibato dei preti. Una sfida sempre aperta“ (Der Zölibat der Priester. Eine immer offene Herausforderung).
Für Meyer wäre die Zulassung verheirateter Männer zum Priestertum grundsätzlich ein ebenso bedenklicher wie unverständlicher Rückschritt, weil niemand ernsthaft verlangen könne, von einem erreichten schon erreichten höheren Niveau freiwillig auf ein niedrigeres hinabzusteigen.
Pater Moretto legte eine umfassende und sich an ein breites Publikum richtende Darlegung über den Sinn des Priesterzölibats vor. Es handelt sich um ein richtiges Plädoyer für die Schönheit und die Machbarkeit des priesterlichen Zölibats.
Vittorio Moretto: Apostolisches Vorbild zölibatär und enthaltsam
Moretto schließt dabei nicht aus, daß die Kirche auch verheiratete Männer als Priester haben könnte. Das entspreche dem Zustand der verheirateten Apostel, wie auch Petrus einer war. Allerdings müsse für diese verheirateten Priester dann auch gelten, was für die Apostel galt. Mit dem Augenblick der Priesterweihe könnten sie nur mehr in völliger Enthaltsamkeit leben und in ihrer Ehefrau nur mehr eine Schwester sehen.
Pater Moretto verweist dabei auf zwei andere Bücher:
Christina Cochini: Le origini apostoliche del celibato sacerdotale (Die apostolischen Ursprünge des priesterlichen Zölibats), Nova Millennium Romae, 2011;
Cesare Bonivento: Il celibato sacerdotale. Istituzione ecclesiastica o tradizione aposotolica? (Der Priesterzölibat: kirchliche Einrichtung oder apostolische Tradition?), Edizioni San Paolo, 2007.
Beide Autoren sind Missionare wie Moretto. Pater Cochini ist Jesuit und Missionar in China und Japan. Pater Bonivento gehört dem Päpstlichen Institut für die auswärtigen Missionen (PIME) an und wirkt als Missionar auf Papua-Neuguinea, wo er seit 1992 Bischof von Vanimo ist.
Brief an den Papst – aber keine Antwort
In einem aktuell von Sandro Magister veröffentlichten Aufsatz von Pater Moretto geht dieser auch auf die jüngste Tagung zum Priesterzölibat an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom ein. Dort fanden vor allem die beiden Referate von Kurienkardinal Marc Ouellet, Präfekt der Bischofskongregation, und von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin besondere Beachtung. Moretto weist darauf hin, daß der Kardinalstaatssekretär zwar eine „schöne“ Rede gehalten, „aber mit keinem Wort eine Pflicht zur Enthaltsamkeit für verheiratete Priester erwähnt“ habe. „Mir kommt der Zweifel, daß mancher Kardinal und Bischof über diese historische Realität nicht am Laufenden sein könnte“, so der Missionar.
Pater Moretto übermittelte sein Buch samt einem Begleitschreiben auch Papst Franziskus, um seinen Beitrag zur aktuellen Diskussion zu leisten und seinen historischen Exkurs und seine Argumente zur Verfügung zu stellen. Eine Antwort aus dem Vatikan erhielt er allerdings nicht.
Wiederzulassung ehemaliger, nun verheirateter Priester unmöglich
Der Grund könnte sich im Titel seines jüngsten Aufsatzes finden, der wie eine Provokation klingt: „Ich breche eine Lanze für verheiratete Priester, allerdings unter einer Bedingung…“. Der Missionar meint es dabei mit dem Vorbild jener Apostel, die bereits verheiratet waren, aber in völliger Enthaltsamkeit lebten, durchaus ernst. Gleichzeitig läßt er durchblicken, daß eine solche, für ihn denkbare Variante wohl kaum für die heutigen Zölibatsgegner besonders attraktiv ist. Deren Forderungen seien jedoch Illusion. Man könne das Priestertum nicht 2000 Jahre nach Christus willkürlich neu erfinden.
Im Postskriptum schreibt Pater Moretto: „Ich habe auch gelesen, daß man die Idee vorbringt, einige jener Priester wieder zuzulassen, die ihren priesterlichen Dienst aufgegeben und dann geheiratet haben und heute eine vorbildliche Ehe führen.“ Doch dem, so der Missionar, stehe die historische Tatsache der gesamten Überlieferung entgegen und mache einen solchen Vorschlag unmöglich: „Wenn ein Lediger zum Priester geweiht wurde, durfte er danach zu keinem Zeitpunkt der Kirchengeschichte mehr heiraten. Wenn er es dennoch tat, wurde er entfernt. Interessanterweise ist das noch heute die Praxis in der orthodoxen Kirche, obwohl sie verheiratete Priester zuläßt.“
Damit sei die Zerrissenheit zwischen Berufung und Frau jener Priester, die vor allem unter Papst Paul VI. in großer Zahl ihr Priestertum aufgegeben haben, um sich ihren Wunsch nach einer Frau zu erfüllen, nicht durch eine Wiederzulassung zum priesterlichen Dienst zu lösen. Das sei ein persönliches Drama der Betroffenen, das auf einer ganz anderen Ebene behandelt werden müsse.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL