von Roberto de Mattei*
Am 23. Februar 2016 fand in Mailand die „laizistische Bestattung“ des Schriftstellers Umberto Eco statt, der am 19. Februar im Alter von 84 Jahren gestorben ist. Eco war eines der schlimmsten Produkte der Turiner und der italienischen Kultur des 20. Jahrhunderts. Seine Turiner Herkunft ist zu betonen, weil Piemont im 19. Jahrhundert eine Schmiede großer Heiliger war, im 20. Jahrhundert aber auch zahlreicher laizistischer und antikatholischer Intellektueller.
Die „Turiner Schule“, von Augusto Del Noce gut beschrieben, wechselte unter dem Einfluß von Antonio Gramsci (1891–1937) und Piero Gobetti (1901–1925) vom Idealismus zur marxistischen Aufklärung. Dabei behielt sie stets ihr immanentistisches und antikatholisches Wesen bei. Nach dem Zweiten Weltkrieg übte diese kulturelle Richtung eine so starke Hegemonie aus, daß sie sogar Katholiken anzuziehen vermochte, und das nicht wenige.
Umberto Eco, 1932 in Alessandria geboren, hatte im Alter von 16 Jahren bereits eine Leitungsfunktion in der Katholischen Aktion seiner Heimatdiözese inne. Wie er selbst erzählte, war er nicht nur Aktivist, sondern „Gläubiger mit täglichem Kommunionempfang“. Er nahm am Wahlkampf von 1948 [1]1948 fanden die ersten Parlamentswahlen der Nachkriegszeit statt, dabei ging es um die Richtungsentscheidung zwischen einem christdemokratisch oder einem kommunistisch geführten Italien und damit um … Continue reading teil, klebte Plakate und verteilte antikommunistische Flugblätter. Er arbeitete dann mit dem nationalen Vorstand der Katholischen Aktion in Rom zusammen, während er an der Universität Turin studierte. 1954 promovierte er mit einer Arbeit über die Ästhetik bei Thomas von Aquin. Im selben Jahr gab er den katholischen Glauben auf. Seine Arbeit wurde 1956 unter dem Titel „Das ästhetische Problem beim heiligen Thomas“ veröffentlicht und ist sein einziges Buch, das zu lesen, sich lohnt.
Wie kam es zu seiner Apostasie? Mit Sicherheit läßt sich sagen, daß sie überlegt, überzeugt und endgültig war. Mit spöttischem Unterton sagte Eco, er habe den Glauben durch das Lesen des heiligen Thomas von Aquin verloren. Den Glauben verliert man aber nicht, sondern lehnt ihn ab. Am Ursprung seiner Entfernung von der Wahrheit steht daher nicht der heilige Thomas, sondern der philosophische Nominalismus, der eine dekadente und deformierte Interpretation der thomistischen Lehre ist. Eco blieb bis zuletzt ein radikaler Nominalist, für den es keine universalen Wahrheiten gab, sondern nur Namen, Zeichen und Konventionen. Wilhelm von Ockham (um 1288–1347), der Vater des Nominalismus, ist in William von Baskerville dargestellt, der Hauptfigur seines berühmtesten Romans „Der Name der Rose“ (1980, deutsche Übersetzung 1982), der mit einem nominalistischen Motto endet: „Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus“.
Das Wesen der Rose (wie jeder Sache) reduziert sich auf einen Namen; wir haben nur Namen, einen Anschein, Illusionen, aber keine Wahrheit und keine Gewißheit. Eine andere Figur des Romans, Adson von Melk, behauptet: „Gott ist ein lautes Nichts“. Alles ist letztlich nur ein Spiel, ein Tanz auf dem Nichts. Dieses Konzept ist dasselbe, das einem anderen philosophischen Roman Ecos zugrundeliegt: „Das Foucaultsche Pendel“ (1988, deutsche Übersetzung 1989). Hinter der Metapher des Pendels steht ein Gott, der im Nichts aufgeht, im Bösen, dem absoluten Dunkel.
Das wirkliche Pendel im Denken Ecos war in Wirklichkeit das Schwanken zwischen dem absoluten Rationalismus der Aufklärer und dem Irrationalismus des Okkultismus, der Kabbala, der Gnosis, die er zwar bekämpfte, von denen er aber gleichzeitig auf morbide Weise angezogen wurde. Wenn der Nominalismus die Realität ihrer Bedeutung entleert, dann ist das unvermeidliche Ergebnis der Fall ins Irrationale. Um dem zu entrinnen, bleibt nichts als der absolute Skeptizismus. Wenn Norberto Bobbio (1909–2004) die neokantische Version der Turiner Aufklärung des 20. Jahrhunderts darstellt, verkörpert Umberto Eco die neolibertine. Einer seiner letzten Romane, „Der Friedhof von Prag“ (2010, deutsche Übersetzung 2011), ist die implizite Apologie dieses moralischen Zynismus, der zwangsläufig auf das Fehlen des Wahren und des Guten folgt.
Auf den mehr als 500 Seiten des Buches findet sich weder ein einziger idealer Impetus noch irgendeine Figur, die von Liebe oder Idealismus angetrieben wird. „Der Haß ist die wahre Urleidenschaft. Die Liebe ist eine anomale Situation“, läßt Eco Ratschkowski, eine der Hauptfiguren sagen. [2]Matthias Matussek schrieb im Spiegel 40/2011 v. 1.10.2011: „Was für eine Oper des Hasses“ […]. Ein Libretto aus Gift und Galle, aus Hass auf alles, was sich bewegt […]. Wir sitzen sogar beim … Continue reading Trotz der verachtenswerten Figuren und dem kriminellen Geschehen fehlt den Seiten jene tragische Note, die allein ein literarisches Werk groß machen kann.
Der sarkastische Ton ist der einer Komödie, in der sich der Autor über alle und jeden lustig macht, weil das einzige, an das er wirklich glaubt, die filets de barbue sauce hollandaise sind, die man im Lapérouse am Quai des Grands-Augustin bekommt, die écrevisses bordelaises oder die mousses de Volailles im Café Anglais der Rue Gramont und die filets de poularde piqués aux truffes im Le Rocher de Cancale der Rue Montorgueil. Das Essen ist die einzige Sache, die im Roman triumphiert und ständig von der Hauptfigur zelebriert wird, die gesteht: „Die Küche hat mich immer mehr befriedigt als der Sex. Vielleicht ein Fingerabdruck, den mir die Priester hinterlassen haben.“ Nicht zufällig wurde Eco 1992 mit einer kolossalen Magenverstimmung in ein Krankenhaus eingeliefert und dem Tode nahe von den Ärzten schon fast aufgegeben.
Eco war technisch gesehen ein großer Jongleur, weil er alle zum Narren hielt: seine Leser, seine Kritiker und vor allem die Katholiken, die ihn fast als eine Art Orakel zu ihren Tagungen einluden. Als wäre es ein Spiel, richtete er 1974 anläßlich des italienischen Referendums über die Scheidung aus den Spalten des Wochenmagazins Espresso einen Aufruf an die Scheidungsverfechter zu einer intelligenteren Ausrichtung ihrer Propagandakampagne mit den Worten:
„Die Kampagne für das Referendum sollte frei von theoretischen Aussagen, rücksichtslos und direkt sein, und auf einen kurzfristigen Effekt abzielen. Vorwiegend auf ein Publikum ausgerichtet, das leichte Beute für emotionale Anstöße ist, sollte sie ein positives Bild der Scheidung verkaufen, das die emotiven Appelle der Gegenseite genau auf den Kopf stellt… Die Themen dieser ‚Verkaufs‘-Kampagne sollten sein: die Scheidung tut der Familie gut, die Scheidung tut den Frauen gut, die Scheidung tut den Kindern gut… Seit Jahren erleben die italienischen Werbestrategen ihr Identitätsdrama: gebildet und informiert, sehen sie sich als Gegenstand einer soziologischen Kritik, das sie als treue Diener der konsumorientierten Macht ausweist… Sie versuchen kostenlose Kampagnen für mehr Grün und Blutspenden, fühlen sich aber von den großen Fragen ihrer Zeit ausgeschlossen und dazu verdammt, Seifen zu verkaufen. Die Schlacht für das Referendum wird der Prüfstein sein für die Ehrlichkeit der so oft geäußerten, angeblichen zivilgesellschaftlichen Ambitionen sein. Es genügt, daß eine Gruppe von sachkundigen, dynamischen, rücksichtslosen, demokratischen Werbeagenturen sich koordiniert und kostendeckend arbeitet, um eine Kampagne dieser Art zu unterstützen. Es genügen ein Telefonrundruf, zwei Versammlungen, ein Monat intensiver Arbeit. Ein Tabu in wenigen Monaten zu zerstören, ist eine Herausforderung, die jedem Werbefachmann, der seinen Beruf liebt, das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen sollte…“.
Das Tabu, das es zu zerstören galt, war die Familie, die für einen Relativisten wie ihn, keinerlei Existenzberechtigung hatte. Die Zerstörung der Familie ging nach 1974 etappenweise weiter. Eco hat sie mit Genugtuung begleitet. Sein Abgang erfolgte im unmittelbaren Vorfeld der Anerkennung homosexueller Verbindungen, die das Endergebnis der Einführung der Scheidung vor 40 Jahren bildet. Die natürliche Familie wird durch die unnatürliche ersetzt.
Der Relativismus feiert seinen scheinbaren Triumph. Umberto Eco trug kräftig zu diesem Werk der Schändung der natürlichen und christlichen Ordnung bei. Er wird sich aber nicht so sehr für das viele Schlechte, das er getan hat, verantworten müssen, sondern für das Gute, das er tun hätte können, wenn er sich der Wahrheit nicht mit Absicht verweigert hätte. Was nützt es, 40 Ehrendoktorate zu bekommen und 30 Millionen Exemplare allein von einem Buch (Der Name der Rose) zu verkaufen, wenn man damit nicht die ewige Glückseligkeit erwirbt? Der junge Aktivist der Katholischen Aktion hätte in diesem Europa, das heute Missionsland ist, ein heiliger Franz von Sales sein können. Er aber nahm die Worte nicht auf, die der heilige Ignatius zum heiligen Franz Xaver sagte, und die Gott in jedem christlichen Herz erklingen läßt: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele Schaden leidet?“ (Lk 9,25).
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Verona 2013; in deutscher Übersetzung zuletzt: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/europeanfoundations (Screenshot)
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↑1 | 1948 fanden die ersten Parlamentswahlen der Nachkriegszeit statt, dabei ging es um die Richtungsentscheidung zwischen einem christdemokratisch oder einem kommunistisch geführten Italien und damit um die Zugehörigkeit zu einem von Washington geführten westlichen oder einem von Moskau geführten östlichen Bündnis, Anm. Katholisches.info |
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↑2 | Matthias Matussek schrieb im Spiegel 40/2011 v. 1.10.2011: „Was für eine Oper des Hasses“ […]. Ein Libretto aus Gift und Galle, aus Hass auf alles, was sich bewegt […]. Wir sitzen sogar beim softpornografischen Humbug einer schwarzen Messe in der ersten Reihe […].“ |