
(Mexiko-Stadt) Bis zum Donnerstag wird Papst Franziskus noch Mexiko besuchen. Es handelt sich um den siebten Besuch eines Papstes im größten mittelamerikanischen Land. Papst Johannes Paul II. besuchte es fünfmal, Benedikt XVI. einmal und nun zum ersten Mal Papst Franziskus. Lateinamerika gilt als katholischer Kontinent. evangelikale und pfingstlerische Freikirchen, die ihren Ausgang aus den USA nahmen, zehren jedoch in vielen Ländern an der Substanz der katholischen Kirche. Mexiko ist das Land, das dieser Offensive am besten standhielt.
Das Land der Cristeros
Als Mexiko 1810/1821 von Spanien unabhängig wurde, umfaßte es noch ganz Mittelamerika und ein gutes Viertel der heutigen USA. Mexiko ist heute das katholischste Land Lateinamerikas. Das Land der Cristeros erlebte seit der Unabhängigkeit mehrere Kirchenverfolgungen, besonders brutal in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen 1917 und 1934. Eine Verfolgung, die unter dem liberalen, freimaurerischen Staatspräsident Plutarco Elàas Calles zur antikatholischen Guerra Cristera von 1926–1929 führte.
Laut dem Washingtoner Pew Research Center bekennen sich 81 Prozent der Mexikaner zur katholischen Kirche. Das ist, laut einer jüngsten Studie, des auf religionssoziologische Fragen spezialisierten Instituts, der höchste Anteil in ganz Lateinamerika, wo protestantische Freikirchen der katholischen Kirche zu schaffen machen. In der Papst-Heimat Argentinien bekennen sich nur mehr 71 Prozent der Bevölkerung als Katholiken. Im benachbarten Uruguay und in Honduras sollen es weniger als die Hälfte sein.
Was unterscheidet Mexiko von den anderen lateinamerikanischen Staaten, daß der katholische Glauben dort stärker verwurzelt ist?
Lateinamerikas Unabhängigkeit durch antiklerikale Kräfte geprägt
Mexiko hält dem massiven Expansionsdrang einer Myriade von protestantischen Gruppierungen evangelikaler und pfingstlerischer Prägung stand, die mit bewundernswertem missionarischen Eifer eine religiöse Variante des American Way of Life exportieren. Sie haben besonders in Brasilien und in anderen mittelamerikanischen Staaten Fuß gefaßt. In Brasilien, das vor wenigen Jahrzehnten noch fast in seiner Gesamtheit ein katholisches Land war, bekennen sich nur mehr 61 Prozent zur katholischen Kirche. In Honduras sollen es nur mehr 46 Prozent sein, in Guatemala, El Salvador und Nikaragua nur mehr die Hälfte. In Mexiko findet eine Erosion nur im Süden des Landes statt, im Chiapas, wo an der Grenze zu Guatemala die indigenen Völker stark sind.

Zudem hat Mexiko besser der politisch oktroyierten Säkularisierung standgehalten, die ihr von einer meist antiklerikalen, häufig freimaurerisch geprägten Politikerklasse aufgezwungen wurde. Das hat mit der lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbewegung zu tun, die vom liberal-republikanischen, kirchenfeindlichen Teil der hispanischen Oberschicht angeführt wurde, die sich mit Gewalt gegen den meist spanientreuen, monarchistischen, katholischen Teil durchsetzte.
„Uruguay ist das Land, in dem die katholische Kirche am meisten unter den Folgen der langen Herrschaft einer politischen Klasse und eines Bürgertums zu leiden hat, die stark antiklerikal und freimaurerisch geprägt sind“, so der Vatikanist Sandro Magister. Es sei daher kein Zufall, daß dort heute der Katholikenanteil mit 42 Prozent unter allen lateinamerikanischen Staaten am geringsten ist.
Widerstand gegen die Kirchenverfolgung verwurzelte den Glauben im Boden
Im Gegensatz dazu ist der Katholikenanteil in Mexiko fast doppelt so groß, obwohl Mexiko einer noch viel längeren und rücksichtsloseren kirchenfeindlichen, freimaurerischen Offensive ausgesetzt war. Als in Mexiko die Klöster geschlossen, die Priester zu Freiwild erklärt wurden und die Kirche regelrecht ausgelöscht werden sollte, griffen die Katholiken zu den Waffen, um sich zu verteidigen. Das Gnadenbild der Gottesmutter von Guadalupe wählten sie sich zu ihrem Symbol. „Viva Cristo Rey“ (Es lebe Christus König) wurde ihr Schlachtruf.
Der 15jährige José Sanchez del Rio wurde 2005 zusammen mit zwölf Gefährten von Papst Benedikt XVI. seliggesprochen. Das Dekret für seine Heiligsprechung wurde von Papst Franziskus bereits unterzeichnet. Noch in diesem Jahr wird die Kanonisierung stattfinden. Sein Schicksal bildete 2012 die Grundlage zum Spielfilm Cristiada, der vom Filmverleih jedoch dermaßen boykottiert wurde, daß er in Europa bis heute kaum zu sehen war. Eine Würdigung des katholischen Freiheitskampfes gegen die Brutalität eines freimaurerischen Liberalismus ist offensichtlich unerwünscht, während fast täglich in Kinos und im Fernsehen Filme mit antikatholischen Seitenhieben gezeigt werden.
Als Papst Johannes Paul II. 1979 erstmals Mexiko besuchte, waren noch Gesetze in Kraft, die der Kirche jede öffentliche Präsenz verboten. Auch gab es noch keine diplomatischen Beziehungen zwischen Mexiko und dem Heiligen Stuhl. Das Volk empfing das katholische Kirchenoberhaupt aber mit solcher Begeisterung und Anhänglichkeit, daß der Besuch zur Initialzündung für die Schrittweise Abschaffung der antikatholischen Gesetze wurde. Die jahrzehntelange Unterdrückung der Kirche, scheint wesentlich zur Bewahrung der katholischen Identität Mexikos beigetragen zu haben.
Trauma verhindert politische Partizipation
Kurz bevor Papst Franziskus zu seiner Mexiko-Reise aufbrach, sagte Pater Armando Flores Navarro, der Rektor des Päpstlichen Mexikanischen Kollegs in Rom: „Das Trauma ist noch nicht vollständig überwunden.“ Die Bischöfe würden die jungen Katholiken auffordern, die Lücken in der öffentlichen Präsenz der Kirche zu schließen und das Volk antworte mit bemerkenswerter Teilnahme. „Die Katholiken zeigen eine spontane und außergewöhnliche Solidarität. Vom politischen Leben aber, halten sie sich noch immer ein bißchen fern.“
Mit anderen Worten: Die Politik und die Führung im Staat werden nichtkatholischen Kräften überlassen, weitgehend jenen Kräften, die seit 100 Jahren die Katholiken von der Regierung fernhalten. Offenbar wurde die Lektion den Katholiken in mehreren Generationen so eingebleut, daß sie sich sicherheitshalber selbst unter veränderten Bedingungen noch selbst daran halten.
Das bedeutet auch, daß die Katholiken Mexikos gesellschaftspolitischen Programmen, die der natürlichen und der göttlichen Ordnung widersprechen, wie Scheidung und „Homo-Ehe“, kaum Widerstand entgegensetzen. Anders als in Europa sind die Mexikaner aber zugleich mehrheitlich gegen die Aufhebung des Priesterzölibats. Wo im deutschen Sprachraum satte Mehrheiten bei Umfragen es allen Ernstes für eine böswillige Diskriminierung halten, daß die Kirche ihren Priestern keine sexuellen Freuden gönne, denn schließlich lebe man ja nur einmal, findet sich dergleichen nicht in Mexiko.
Dabei hatten Zölibatsgegner im Vorfeld der Papst-Reise gerade Mexiko, das Experiment des „Indigenen Klerus“ und den Priestermangel ins Feld geführt und die Hoffnung gehegt, der Papst könnte in einem Handstreich verheiratete Diakone zu Priestern weihen und einfach vollendete Tatsachen schaffen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Pew/MiL (Screenshots)