Gastkommentar von Klaus Obenauer*
1. Warum ich schreibe
Kritik an der Video-Präsentation der päpstlichen Gebetsmeinung zum Monat Januar, in der Papst Franziskus eine maßgebliche und höchst kritikanfällige Rolle spielt, ist schon von zahlreichen anderen geübt worden. Nur weil eine episkopale Stellungnahme von Gewicht – nach meiner Wahrnehmung jedenfalls – bislang fehlt und die Sache an sich von allergrößter Bedeutung ist, habe ich mich doch noch dazu entschlossen, den Chor der Protestierenden aus der hinteren Reihe mit meiner unmaßgeblichen Stimme ein bisschen zu verstärken. – Damit nochmals klar ist, worum es geht: Es ist dies das (zu Recht) skandalisierte Video mit seiner relativistisch anmutenden Botschaft: viele Wege, Gott zu suchen und zu finden – aber wir alle sind doch Kinder Gottes; „ich vertraue auf Buddha“ / „ich glaube an Jesus Christus“ etc. etc. – aber wir alle glauben doch an die Liebe.
Wie vielleicht mancher Leser registriert hat, bin ich in letzter Zeit mit (öffentlicher) Kritik, zumal am Papst, zurückhaltender geworden. Das hat seine Gründe. Und den Vorsatz größerer Zurückhaltung zu brechen, fällt mir nicht leicht. Erst vor nicht ganz drei Wochen hatte ich die Gelegenheit zu einem Gespräch mit einem sehr hohen Mitglied der kirchlichen Hierarchie; und bei dieser Gelegenheit sagte ich nebenbei, dass ich die Zeit für derart Stellungnahmen für mich eigentlich abgelaufen sehe („est tempus loquendi – est tempus silendi“: cf. Ecl. 3,7). Sollte er von dieser Stellungnahme Kenntnis erhalten, bitte ich um Verständnis, dass ich mich innerlich genötigt sehe, meinen ausgesprochenen Vorsatz zu brechen.
Warum diese Emphase der Zurückhaltung? Nun, Kritik am Papst zu üben, das zehrt doch irgendwie – es hinterlässt irgendwie innerlich Spuren, sich so zu exponieren, zumal wenn dieser jemand, gegen den man sich mit seiner Wortmeldung ins Spiel bringt, wahrlich nicht irgendjemand ist, sondern eben der römische Pontifex, demgegenüber der katholisch Glaubende keinen Höheren auf Erden anerkennt. Ja, und ganz menschlich: irgendwann bringt sich das Bedürfnis nach harmonischer Unauffälligkeit mächtig zur Geltung gegen eine gewisse Unlust, die da sagt: sollen doch andere das Enfant terrible spielen.
Zumal auch in „unseren eigenen Reihen“ Papstkritiker sich gegen so manches Verdikt wappnen müssen, habe ich (in bewährter Manier) zum Galaterbriefkommentar des heiligen Thomas gegriffen, und darin ebenso Anspornendes wie Trostvolles gefunden. Zur berühmten Begebenheit, wonach der hl. Paulus den hl. Petrus, also den von Christus bestellten Felsenmann, zurechtgewiesen hat ob seiner schillernden Haltung gegenüber den Heidenchristen (Gal 2,11–14), bemerkt der heilige Thomas in wirklich nichts zu wünschen übrig lassender bündiger Kürze:
„Aus dem Zuvorbesagten also haben wir ein Beispiel: und zwar die Prälaten ein solches der Demut, dass sie es [nämlich] nicht verschmähen, von Geringeren und Untergebenen zurechtgewiesen [‚corrigi‘] zu werden; die Untergebenen hingegen ein Beispiel des Eifers und der inneren Freiheit [‚libertatis‘], dass sie sich nicht scheuen, die Prälaten zurechtzuweisen, besonders wenn das Vergehen [‚crimen‘] öffentlich ist und zur Gefahr für die Masse zu werden droht.“ (in: ADGalatas II, lectio3)
Und wenn wir näher hinsehen: die Thematiken, worin es im aktuellen Fall geht und worum es damals beim hl. Paulus ging, liegen gar nicht so weit auseinander; es gibt gewisse Überschneidungen. Auf jeden Fall geht es in beiden Fällen um die Eindeutigkeit der Heilsuniversalität Christi und des Glaubens an ihn sowie eben um die Konsequenzen daraus. – Wenn ich mir diese Bemerkung noch erlauben darf: die lakonisch knappen Aussagen des hl. Thomas haben vor dem Hintergrund einer so fundamentalen Angelegenheit Vorrang; auch gegenüber Mahnungen eines heiligen Pater Pio, die nicht zu einem Fetischisieren kritikloser Unterwürfigkeit verabsolutiert werden dürfen. Überdies spricht der Aquinate in der zitierten Passage ausnahmslos von den „Untergebenen“ („subditi“). Freilich sind gemäß dem biblischen Prototyp die erstberufenen Kritiker eines Papstes die Bischöfe; das schließt jedoch Nichtbischöfe wie überhaupt (wie in meinem Fall) Laien nicht a limine aus, zumal wenn aus bischöflichem Mund Kritik ausbleibt.
Die konkreten Kritikpunkte an dem ärgerlichen Video sind freilich bekannt, schon längst von zahlreichen anderen benannt und erörtert. Meinerseits darf ich so zusammenfassen: in strikter methodischer Parität werden die Religionen als unterschiedliche Weisen, Gott zu suchen und zu finden, präsentiert [1]Will man skrupelhaft genau sein, muss man freilich zugeben, dass wörtlich nur davon die Rede ist, dass „viele“ Gott auf unterschiedliche Weise suchen und finden – allein die dichte … Continue reading, ohne dass nur irgendetwas die Absolutheitsstellung Christi und des Glaubens an ihn erkennen ließe [2]Welche Absolutheitsstellung bekanntlich Raum lässt für den „anonymen“ Christusglauben und den Kirchenbezug desjenigen, der schuldlos nicht zur ausdrücklichen Anerkenntnis Christi und … Continue reading; vielmehr wird das christliche Bekenntnis in die breite Palette der Religionen regelrecht eingeordnet. Es gibt eine einzige, uns alle verbindende Gewissheit: dass „wir alle Kinder Gottes sind“, ohne dass im geringsten zwischen Kindschaft Gottes im weiteren oder gar ganz weiten Sinne und der Kindschaft des Adoptivsohns bzw. der Adoptivtochter, und zwar allein durch Christus, unterschieden würde [3]Vgl. STh I, 33,3; auch III, 23,3.; abgesehen davon, dass das Grunddogma von der Realität (gerade auch) der (schweren) Sünde es rundweg verbietet, die Tatsächlichkeit der Adoptivkindschaft in der heiligmachenden Gnade für alle zu behaupten. Schließlich wird massiv suggeriert, dass die vielen Religionen ihre Legitimität letztlich aus einer Quintessenz beziehen, in die alle unterschiedlichen Bekenntnisse einmünden beziehungsweise mit welcher sie in ihrer Tiefe konvertibel sind: „Ich glaube an die Liebe.“
2. Zur Bewertung des päpstlichen Videos
Ja, als ob das Lehramt sich nie zur Intervention in Form der Erklärung „Dominus Jesus“ genötigt gesehen hätte. Und es ist nun keine falsche Bezichtigungssucht, wenn man den Heiligen Vater, Papst Franziskus, für das Video voll verantwortlich macht: Wer auch immer am Werk war und den Papst überredet hat; seine Redepassagen fügen sich nahtlos in das ganze Machwerk ein und geben ihm zum Teil erst die nötige Würze. Und als der maßgeblich Beteiligte trägt er die entscheidende Verantwortung, zumal er dieses Ding jederzeit aus dem Verkehr ziehen, widerrufen etc. könnte.
Wie meine einführenden Worte ja zu erkennen gaben: bei aller Kritik, die ich geboten sehe, weiß ich mich zu einer gewissen Zurückhaltung veranlasst; weiß ich um die Gefahr, vermessen zu werden. Deshalb: ich möchte mir keinesfalls anmaßen, den Papst persönlich zu zensurieren. Aber um das Ausmaß des Ärgernisses, wie es sich mir jedenfalls präsentiert, zu kennzeichnen, möchte ich unverhohlen sagen, auf welche der klassischen Zensuren für falsche Lehrsätze man meines Erachtens zur Bewertung dieses unsäglichen Videos (das ich ad hoc als eine Gesamtaussage nehme) zurückgreifen könnte, wenn man nur wollte. Und bei der ganzen Bandbreite möglicher Urteile, je nach größerem Wohlwollen oder größerer Strenge, reicht hier die „Palette“ von „Häresie begünstigend“ („haeresi favens“) bis „wenigstens der Häresie zunächst“ („saltem haeresi proximum“). Das muss einmal so deutlich gesagt werden.
Nein, auch diesmal will ich nicht schon wieder das Fass mit dem Fall des häretisch gewordenen Papstes aufmachen. Denn obige (rein materielle) Bewertung des Gesamtaussage des Skandalvideos bezieht sich auf diese Aussage absolut, also in sich genommen: zumindest was die zweite, sehr scharfe Zensur betrifft. Es ist nun einmal eine Aussage des Papstes (die er sich zu Eigen macht) – und muss daher im Kontext anderer Aussagen desselben beurteilt werden; umso mehr, als die in sich genommene Gesamtaussage des Videos, wenn, dann ohnedies nur indirekt eine Häresie artikuliert (nämlich durch Auslassungen und Gesamtkontextierung [4]Jede Einzelaussage kann man noch „irgendwie hinbiegen“.). Im Kontext welcher anderer Aussagen? Es ist wohl unumstritten, dass „Evangelii gaudium“ bislang immer noch die Programmschrift des gegenwärtigen Pontifikats ist – und damit eine hermeneutische Schlüsselstellung innehat. Wenn ich daher im Gegenzug in die Rolle des Papstapologeten schlüpfe, so muss ich vorab eingestehen, dass ich in „Evangelii gaudium“ nichts finde, was in puncto Entlastung ausgesprochen schlagkräftig genannt zu werden verdient. Aber immerhin finden wir ein deutlich implizites Bekenntnis zur absoluten und konkurrenzlosen Heilsuniversalität Christi im Abschnitt zum interreligiösen Dialog; unter Nummer 254 heißt es:
„Die Nichtchristen können, dank der ungeschuldeten göttlichen Initiative und wenn sie treu zu ihrem Gewissen stehen, ‚durch Gottes Gnade gerechtfertigt‘ und auf diese Weise ‚mit dem österlichen Geheimnis Christi verbunden werden‘. Aber aufgrund der sakramentalen Dimension der heiligmachenden Gnade neigt das göttliche Handeln in ihnen dazu, Zeichen, Riten und sakrale Ausdrucksformen hervorzurufen, die ihrerseits andere in eine gemeinschaftliche Erfahrung eines Weges zu Gott einbeziehen. Sie haben nicht die Bedeutung und die Wirksamkeit der von Christus eingesetzten Sakramente, können aber Kanäle sein, die der Geist selber schafft, um die Nichtchristen vom atheistischen Immanentismus oder von rein individuellen religiösen Erfahrungen zu befreien.“ (Die Anführungszeichen markieren Zitate.)
Dass die Ausführungen zur Bedeutung der nichtchristlichen Religionen, die sich ähnlich auch in anderen offiziellen und offiziösen Dokumenten finden, nun ihrerseits Anfragen seitens zumal „traditionalistischer“ Katholiken provozieren, ist mir klar. Aber es geht hier nur um eines: Mögen solche Aufwertungen außerchristlicher Riten etc. u.U. noch so problematisch sein [5]Auch diese Frage will ich hier nicht diskutieren. – sie wollen offensichtlich nichts anderes als Weisen artikulieren, (bei schuldloser Nichtanerkennung Christi) mit dem Erlösungsgeheimnis Christi und mit seiner sakramentalen Heilsgemeinde, der Kirche, „irgendwie“ verbunden zu sein. Und nur so, in dieser Beziehung wird diesen Religionen und deren Riten Heilsbedeutung zugeschrieben. Mag man auch mit gutem Recht eine unbekümmert-abgeflachte Diktion in doctrinalibus bei Papst Franziskus bedauern und skandalisieren: am Grunddogma von der Heilsuniversalität Christi (mitsamt seiner Kirche) will auch er nicht gerüttelt haben. – Es geht hier nicht darum, Papst Franziskus mit Gewalt zu verteidigen; aber so viel Apologetik muss sein, ohne dass dies im geringsten etwas an der Feststellung ändert, dass durch das Video sehr schweres Ärgernis gegeben worden ist.
Ich verachte nicht diejenigen noch zürne ich ihnen, die auf anderen Internetforen die Strategie einer (im überliefert-katholischen Sinn) wohlwollenden Papst-Franziskus-Interpretation schier bis zum Geht-nicht-mehr verfolgen. Auch das hat sein, gleichwohl nur bedingtes, Recht. Ich stimme daher Armin Schwibach insgesamt zu, wenn er schreibt: „Wer dem Duktus des Denkens und Handelns des Papstes dagegen aufmerksam folgt, kann weder revolutionäre Umbrüche noch liberale Aufbrüche erkennen. Vielmehr könnte eine bei Päpsten ungewohnte Zweideutigkeit festgestellt werden, woraus sich oft die Notwendigkeit einer konstanten Interpretation von Papstworten ergibt.“ [6]Kath.net-Artikel „Der Papst und die ‚konservativste‘ Rota-Ansprache der letzten Jahre“. Dass sich einer der Verdientesten in der Unternehmung (katholisch-)wohlwollender Papstinterpretation heute und gestern genötigt sieht, bei all dem Guten, das man bei Franziskus würdigen und zumindest herausinterpretieren kann, diese Zweideutigkeit anzusprechen – genau das ist sehr beredt. Es ist das, freilich längst nicht nur von Schwibach angesprochene, zentrale Problem bei Franziskus; nämlich diese permanente Aprilwetterstimmung, jedenfalls im Erleben des überkommen glaubenstreuen Katholiken: auf den Regen höchst irritierender Worte folgt der Sonnenschein traditionstreuer Aussagen; und schon bald wieder der nächste Schutt. Und man weiß nicht, wie man sich einstellen soll: hat man den Schirm aufgespannt, ja gar sich gegen einen Tsunami ausgerüstet – glatt lacht dann schon wieder die Sonne. Aber mit der darf man sich auch nicht für so lange anfreunden, wo doch bald wieder das nächste Unwetter dräut, in täuschender Gefährlichkeit. Man kann nicht nicht erschrecken, und muss doch im Hinterkopf behalten, dass es halb so schlimm kommt, aber längst nicht so gut, wie man zu hoffen gewagt hätte. – Warum das so ist? Einerseits sehe ich Gründe dafür in der Persönlichkeit von Jorge Bergoglio. Und um das etwas in ein sprechendes Bild zu bringen: Wenn ein Kantinenkoch Moralist ist, benimmt er sich gerade so wie ein Bergoglio. Da darf man zum Beispiel nicht sagen, dass man keine Möhren mag; denn dann werden unter sicherer Garantie Karotten aufgetischt. Das bekamen die deutschen Bischöfe zu spüren, die hofften, diesmal, dieses eine Mal wenigstens gelobt zu werden; und siehe, sie bekamen die alte Suppe aufgewärmt.
3. Versuch einer Tiefenbohrung
Nun aber: Schluss mit der Fastnacht. Dieser Irgendwie-Moralismus scheint mir bei Papst Franziskus mit etwas anderem zu konvergieren. Vor inzwischen etwas mehr als drei Jahren hatte ich im Kontext der leider erst einmal gescheiterten Bemühung von Papst Benedikt zur kanonischen Integration der FSSPX in diesem Forum ein Essay gewagt, das dem Hintergrund unseres „Zeitgeistes“ und damit auch schon dem „(Un-)Geist des Konzils“ nachspüren sollte: „Monismus versus Mono-Theismus“. Über Details kann man immer streiten, wie ich auch keine Originalität für meine Gedanken von damals beanspruchte und beanspruche (in verschiedenen Varianten kann man das, bei Parteigängern und Kontrahenten, auch anderswo lesen). Aber ich denke wahrlich, dass mich der Herrgott schon Richtiges sehen ließ, das gerade bis zur Stunde Bedeutung hat (und vielleicht auch nur bis dahin?). Das Signum unserer Zeit ist demnach eine Art Monismus, der sich eher selten ausgesprochen metaphysisch in einer „Hen-kai-Pan“- („Ein-und-alles“-) Lehre artikuliert; aber umso mehr im Denken in den Kategorien eines All-ein-Verständnisses, wie man es im deutschen Wortspiel so schön sagen kann. Man ist mit allem einverstanden, und genau dieses Ein-verständnis wird zum allein leitenden Verständnis. Natürlich ist dies so überspitzt idealtypisch gesagt: Aber die bis in die Rechtspflege gehende Skandalisierung von exklusiven Wahrheitsansprüchen und Werturteilen in der westlichen Welt dokumentiert dies deutlich. Im Gefälle dieses „Alleinverständnisses“ dürfen Standpunkte nur vertreten werden, um sich zu verflüssigen im „Dia-log“, der zum programmatischen Zauberwort dieser Unterströmung avanciert ist. Wahrheit ist nicht nur, extrem subjektivistisch, für mich: zwischen An-sich und Für-mich wird gar nicht mehr unterschieden (womit wir vielleicht an den tieferen Nerv der modernen, subjekttheoretischen Variante des hen-kai-pan rühren). Zu einer ausdrücklichen theoretischen Affirmation dieses modernen Monismus, gar mitsamt metaphysischem Unterbau, kommt es eher selten. Und schon gar nicht unterstelle ich dies, um zum Thema zu kommen, Papst Franziskus. Aber gerade er erscheint mir in seiner (sich offenbarenden) subjektiven Befindlichkeit in engster Tuchfühlung mit diesem monistischen Esprit; wohl kaum zu Ende reflektierend, dafür umso instinktsicherer schwingt er in diesen Esprit ein, wie er eine ausgesprochene Sensibilität hat für dessen Agenda, die auf ihre Weise auch hohe moralische Ansprüche stellen. Man darf dazu nicht vergessen, dass dieser Monismus zumindest auch so etwas wie ein Bastard des Christentums, durchaus auch des katholischen, ist: klar, dass dies ein enormes Verwechslungspotential mit sich bringt. Der monistische Esprit und dessen Agenda werden von nicht wenigen als das „eigentlich Christliche“ angesehen. Was in weiten Teilen der westlichen Welt als die „political correctness“ beklagt wird, ist der Substanz seines Inhalts nach nichts anderes als dieser Monismus. Und die „Diktatur des Relativismus“ (Papst Benedikt XVI.) meint im Wesentlichen dasselbe Phänomen. Dass meine Erschließung dieses Phänomens unter dem Stichwort „Monismus“ die rundweg bessere sein soll, nehme ich mitnichten verwegen in Anspruch; glaube aber mit Bestimmtheit, dass sie ganz wichtige, eben auch kirchenpolitische Facetten der sich damit verbindenden Probleme treffsicherer einfängt. Der viel diskutierte „Gutmensch“: im Prinzip auch nichts anderes als der Anhänger der monistischen Agenda.
Dass sich die besagte instinktive Tuchfühlung von Papst Franziskus mit dieserart Monismus gerade in seinem ökumenischen, interreligiösen Engagement wie auch im Kontakt mit Agnostikern und Atheisten zeigt: ich denke, das ist für alle, die meine Problemindikation anerkennen, ausgemacht. – Was die von mir vorsichtig diagnostizierte Einziehung des Unterschiedes von Für-mich und An-sich angeht, so nehme ich im inzwischen berühmten Brief an Eugenio Scalfari vom 4. September 2013 deutliche Anklänge wahr: ich habe dabei in erster Linie die etwas merkwürdigen Ausführungen zur Absolutheit der Wahrheit im Auge. Nicht dass ich Franziskus unterstelle, er wolle besagte Einziehung des richtenden Unterschiedes des An-sich zum Für-mich positiv affirmieren; aber er sucht alles andere als die deutliche Abgrenzung dagegen. – Man könnte auch sagen: Dieser „Monismus“, das ist: Einschließen, nur einschließen; und nur das Ausschließen und die Ausschließenden ausschließen (was die Richterfunktion der Wahrheit nicht vorlässt). Und wie nahe ist doch Franziskus, bis in die wörtliche Diktion, an diesem Programm dran! Allein: das Neue Testament spricht eine ganz andere Sprache; einer Einzeldokumentation bedarf es nicht [7]Außer dass ich, parte pro toto, auf Johannes 3,18–21 verweise..
Es geht nicht darum, sich an jemandem abzuarbeiten, der zudem noch unser regierender Papst ist. Und Gott allein richtet über das Herz von Jorge Bergoglio, wie wir die Pläne Seiner Vorsehung nicht durchschauen: Er weiß, warum er Jorge Bergoglio 2013 Papst werden ließ; und er allein weiß, was daraus an weniger Gutem, aber auch an Gutem erwachsen kann und tatsächlich wird. Aber deshalb ist es nicht illegitim, dass wir unser vorläufiges Urteil bilden und in diesem Rahmen auch unser Unbehagen ausdrücken. Und da sehe ich schon eine schwere Hypothek darin, dass wir einen Papst haben, der nach meinem bestimmten Eindruck im Kopf „schon noch“ am Katechismus festhält und im Herzen in durchaus an-rührender Weise katholisch-christlich ist, dafür aber im Bauchgefühl umso anhänglicher ein Jünger Nathans des Weisen.
Und da sind wir wieder beim Video, das wohl als das prominenteste Zeugnis dieser Anhänglichkeit gewertet werden darf. In zeitlich nächste Nähe fällt ein weiteres Zeugnis, nicht so deutlich, zumal begrenzt auf die binnenchristlichen Verhältnisse, also die ökumenische Bewegung, aber von nicht geringem indiziellem Wert. Ich meine die Mittwochskatechese vom 20. Januar: alle Christen, gespalten in Katholiken, Orientalen und Protestanten, sind schon wirklich das Volk Gottes („siamo realmente popolo santo di Dio“); aber noch sind wir kein vollkommen vereintes Volk Gottes („non siamo ancora un popolo pienamente unito“); in der Entsprechung zu unserer Berufung im Annehmen der Gnade werden wir alle immer vollkommener zum Volk Gottes („noi diventiamo sempre pi๠pienamente popolo di Dio“). Keine Spur davon, dass es laut Vatikanum II solche gibt, die dem Volk Gottes = der Kirche Christi, die in der katholischen Kirche „ihren Bestand hat“ und darin unzerstörbar eine ist, vollkommen eingegliedert sind, und eben solche Christgläubigen, mit denen sich diese Kirche nur in unterschiedlicher Weise verbunden weiß. [8]Dazu LG 8 und 13fine – 15; UR 4. Man muss geradezu von einem Hintergehen dieser höchstwichtigen lehramtlichen Differenzierung mit der Dignität eines Affronts sprechen.
4. Erinnerung an das Erbe von Papst Paul VI
Ich nehme dies zum Anlass, um auf den seligen Papst Paul VI zu sprechen zu kommen. Berühmt geworden sind seine Retuschen an der Vorlage zum Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanums. [9]Dazu: Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, = Band 13 des LThK2, 124–126. Für Artikel 21 änderte der Papst folgenden Satz ab: „Unter der Bewegung des Heiligen Geistes finden sie [gemeint sind die Protestanten] in eben den Heiligen Schriften Gott als denjenigen, der zu ihnen in Christus spricht“; geblieben ist folgende Formulierung: „Unter Anrufung des Heiligen Geistes suchen sie in eben den Heiligen Schriften Gott als denjenigen, der gleichsam [‚quasi‘] zu ihnen in Christus spricht“. Bekanntlich sorgte diese päpstliche Intervention damals für Verstimmungen bei der Majorität der Konzilsväter, ein Vorgang, der neben anderen als die sogenannte „Schwarze Woche“ in die Konzilsgeschichte eingegangen ist. [10]Dazu: Ralph M. Wiltgen: Der Rhein fließt in den Tiber, Feldkirch 1988, 242–251. Vor diesem Hintergrund ist es objektiv ein Hohn, wenn Papst Franziskus auf seinem Januar-Video davon spricht, dass die Menschen auf unterschiedliche Weise, nämlich in den verschiedenen Religionen, Gott suchen und finden. Der Kontrast könnte kaum größer sein. Besonders wenn man sieht, wie in diesem Video zur Denkart Nathans des Weisen in massiv-sinnenfälliger Greifbarkeit aufgeschlossen wird.
Zumal vor dem Hintergrund meines früheren Engagements zugunsten der Aussöhnung mit der FSSPX, worin ich deren Sichtweise für meine Begriffe weit entgegenzukommen suchte, ist natürlich die Anfrage zu erwarten, ob Franziskus denn vom Himmel gefallen ist, ob das nicht konsequente Weiterentwicklung der konziliär-nachkonziliären Entwicklung ist etc. Nein, ist es nicht: so jedenfalls meine entschiedene Antwort. Dass der vom höchsten Lehr- und Hirtenamt, über die Abhaltung eines Ökumenischen Konzils und in dessen Folge, arrangierte Paradigmenwechsel auch Anfragen provoziert betreffs seiner Tragfähigkeit, muss deshalb noch nicht in Abrede gestellt werden; wie man auch gut und gern die Frage stellen mag, ob in all dem Vergangenen sozusagen (und sei es erheblich) disponierendes Potential für die jüngsten Entwicklungen unter Papst Franziskus bereitliegt. Nur: Das ändert nach meinem entschiedenen Dafürhalten nichts an dem Novum unter Papst Franziskus, nämlich der provokativen Unbekümmertheit um die Kontinuität der Ausübung seines Lehr- und Hirtenamtes mit dem der Vergangenheit. Bislang verhielt sich das entschieden anders: der konziliär-nachkonziliäre Paradigmenwechsel, wie überzeugend auch immer, war konstant begleitet vom Aufzeigen der notwendigen substantialen Identität des heute mit dem gestern. „Hermeneutik der (Reform und) Kontinuität“ ist nur als Wortschöpfung ein Novum von Papst Benedikt; in der Sache haben alle Konzils- und Nachkonzilspäpste diese Hermeneutik urgiert. Und hier möchte ich nochmals an Papst Paul VI erinnern. Im Jahr des Glaubens von 1968, an dessen Idee bis in die Wortwahl Benedikt XVI anknüpfen sollte, verkündete er feierlich das „Credo des Gottesvolkes“. In seiner Vorbemerkung dazu sagte er:
„Diese Formel [nämlich des vorgelegten Bekenntnisses], wenngleich sie im wahren und eigentlichen Sinne [!] nicht eine dogmatische Definition zu nennen ist, wiederholt dennoch, unter Anwendung einiger Explikationen, welche die geistlichen Bedingungen dieser unserer Zeit verlangen, die nizänische Formel hinsichtlich der Gesamtheit der Sachverhalte. Wir sprechen von einer Formel der unsterblichen Tradition der heiligen Kirche Gottes.“
Mit anderen Worten: da will ein Römischer Pontifex, in durchaus hochverbindlicher Weise, das für immer Verbindliche (natürlich zusammenfassend) in Erinnerung rufen gerade auch für die Kirche in der Folge des Zweiten Vatikanums. Von daher gehört es zu den höchstrangigen Lehrdokumenten seit „Munificentissimus Deus“ von 1950. Hier werden irreversible Markierungen gegeben, die man eben nicht in einer Hermeneutik stets neuer „Aktualisierung“ übergehen und ignorieren darf. Dies gilt ganz ungeachtet der faktischen Vergessenheit dieses Dokuments – vielmehr rückt diese Vergessenheit die faktische nachkonziliäre Befindlichkeit ins grellste Licht, sie denunziert die Mentalität eines Ungehorsams, die wohl nur als Widerstand gegen den Heiligen Geist Gottes zu identifizieren ist.
Nun zum doktrinalen Inhalt des „Credo des Gottesvolkes“: In feierlicher, nachgerade schön zu nennender Knappheit wird darin das unser Thema Betreffende auf den Punkt gebracht:
„Wir glauben, dass die Kirche, die Christus gegründet und für welche er Gebete ausgeschüttet hat, unaufhörlich eine ist sowohl durch den Glauben als auch durch den Kult als auch durch das gemeinschaftliche Band der heiligen Hierarchie … – Ebenso hoffen wir, indem wir von daher anerkennen, dass außerhalb des Verbandes der Kirche Christi zahlreiche Elemente der Wahrheit und der Heiligung gefunden werden, welche als der Kirche selber eigene Gaben zur katholischen Einheit hindrängen … – Wir glauben, dass die Kirche zum Heil notwendig ist. Der eine Christus nämlich ist Mittler und Weg des Heils, der in seinem Leib, der die Kirche ist, uns gegenwärtig wird (vgl. LG 14). Aber der göttliche Heilsratschluss umfasst alle Menschen: diejenigen nämlich, die das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennen, aber Gott mit lauterem Herzen suchen und dessen durch den Befehl des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluss der Gnade zu erfüllen sich anstrengen, die gehören auch, und zwar in einer Zahl, die allein Gott kennt, zu seinem Volk, wenngleich in unsichtbarer Weise, und können das ewige Heil erlangen.“
Ich habe diesen Text, der zu einem gut Teil den Wortlaut des Zweiten Vatikanums wiedergibt, deshalb so ausgiebig zitiert, weil zum einen dessen Verständnis, ohne die Belastetheit mit den Problemen der „Subsistit-in“-Formulierung, ganz von der direkten Gleichsetzung der Kirche Christi mit der katholischen Kirche lebt; und weil er ganz in diesem Gefälle zum anderen das Heil strikt an die Zugehörigkeit zu dieser einen wahren Kirche Christi bindet, und sei es in unsichtbarer Weise bei schuldloser Ignoranz. Wenn nun dieses feierliche päpstliche Bekenntnis diese Wahrheiten bewusst der Nachkonzilszeit mit auf den Weg geben will, dann gehört dies mit zum bleibend verbindlichen Erbe des Konzils. Dann sind in den konziliären Paradigmenwechsel unverrückbare Markierungen eingezeichnet, die nicht noch einmal in einer eigenmächtigen päpstlichen Metahermeneutik verdünnt werden dürfen. Denn dann würde sich der päpstliche Dienst an der der Kirche übergebenen Offenbarung selbst ad absurdum führen. „La tradizione sono io“: dieser berüchtigt-berühmte Ausspruch von Pius IX, ob wirklich so gefallen oder nicht, gewinnt einen ganz neuen Klang, liest man ihn vom Wörtchen „tradizione“ her. Der ganze Sinn des Papstamtes steht und fällt mit seiner Funktion, die Tradition in ihrer Verbindlichkeit zu verkörpern; und nicht in einer eigenmächtigen metahermeneutischen Unternehmung, in der jemand, ausgestattet mit unumschränkten Chefkompetenzen, nach je neuem Gusto den spirituellen Animateur spielt, der der Kirche seiner Zeit unwidersprochen seinen ideologischen Stempel aufdrücken darf. Die Ideologien kämen und gingen („gestern war gestern, und heute ist heut“), der Chefsessel wäre dagegen die bleibende Konstante. Eine Pervertierung von „Pastor aeternus“ (Vatikanum I) in sein genaues Gegenteil. Keine bloße Behauptung: schaut man nämlich, gemäß der Methode des „canonical approach“, in das Schwesterdokument „Dei Filius“, worin im dritten Kapitel unter anderem die „katholische Einheit“ und die „unbesiegte Beständigkeit“ („ob catholicam unitatem invictamque stabilitatem“) als Glaubwürdigkeitsmotiv für den Anspruch der katholischen Kirche genannt wird, um somit als „auf die Nationen hin erhobenes Zeichen“ („signum levatum in nationes“) ausstrahlen zu können. Entsprechend war den Vätern von Vatikanum I samt Papst Pius schon klar, dass exklusiv in diesem Bezugsrahmen der Römische Pontifex mit seiner exponentiellen Gewaltenfülle loziert ist, eine Positionierung außerhalb einem Unding gleichkommt.
5. Schluss
Um zu einem Fazit zu kommen: Ich beharre darauf, dass mit diesem päpstlich verantworteten Video ein maximaler Skandal heraufbeschworen wurde; ganz gleich, ob dies in der Breite auch so empfunden wird. Nicht weil ich jemanden aufhetzen, ihm ein Stichwort geben oder in unkontrollierte apokalyptische Hysterie verfallen wollte: Aber warum sollen sich religiös sehr ansprechbare Gemüter nicht an den vom Heiland im ausdrücklichen Anschluss an den Propheten Daniel angekündigten „Greuel der Verwüstung“ (Mt 24,15parall.) gemahnt sehen? Man kann schon auf so einen Gedanken kommen. Und sollen dann doch wieder nur diese „gesetzestreuen Fanatiker“, die nicht verstehen, wie gut es der Papst doch meint, selbst daran schuld sein, statt derjenige, der an maßgeblichster Stelle das Ärgernis in die Welt gesetzt hat?
Jedenfalls hat die Aporie ein bestürzendes Ausmaß erreicht. Und so: Auch wenn ich weiß, dass es ziemlich riskant ist, so meine ich doch, das letzte Wort Rainer Maria Rilke geben zu sollen:
Herr, es ist Zeit …
*Dr. theol. Klaus Obenauer ist Privatdozent für Dogmatische Theologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn
Bild: Youtube/Asianews (Screenshots)
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↑1 | Will man skrupelhaft genau sein, muss man freilich zugeben, dass wörtlich nur davon die Rede ist, dass „viele“ Gott auf unterschiedliche Weise suchen und finden – allein die dichte kontextuelle Einbindung lässt keinen Zweifel, dass diese verschiedenen Weisen der „vielen“ gerade auch und vor allem die der unterschiedlichen Religionen sind. |
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↑2 | Welche Absolutheitsstellung bekanntlich Raum lässt für den „anonymen“ Christusglauben und den Kirchenbezug desjenigen, der schuldlos nicht zur ausdrücklichen Anerkenntnis Christi und seiner katholischen Kirche gelangt ist – was hier aber nicht unser Thema ist. |
↑3 | Vgl. STh I, 33,3; auch III, 23,3. |
↑4 | Jede Einzelaussage kann man noch „irgendwie hinbiegen“. |
↑5 | Auch diese Frage will ich hier nicht diskutieren. |
↑6 | Kath.net-Artikel „Der Papst und die ‚konservativste‘ Rota-Ansprache der letzten Jahre“. |
↑7 | Außer dass ich, parte pro toto, auf Johannes 3,18–21 verweise. |
↑8 | Dazu LG 8 und 13fine – 15; UR 4. |
↑9 | Dazu: Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, = Band 13 des LThK2, 124–126. |
↑10 | Dazu: Ralph M. Wiltgen: Der Rhein fließt in den Tiber, Feldkirch 1988, 242–251. |