„The Revenant“ – Missionseifer bis zum „Wasserscheide“-Konzil


"The Revenant", Leonardo Di Caprio in einer katholischen Kirchenruine
"The Revenant", Leonardo Di Caprio in einer katholischen Kirchenruine

(Rom) Leo­nar­do Di Capri­os neue­ster Spiel­film The Revenant – Der Rück­keh­rer, ist ein „düste­rer und strecken­wei­se uner­träg­li­cher“ Film, so der Kino­kri­ti­ker Andrea Gal­li. Der mehr­fach aus­ge­zeich­ne­te Film wur­de in zwölf Kate­go­rien für den Oscar nomi­niert. Die Audi­enz des Hol­ly­wood-Schau­spie­lers bei Papst Fran­zis­kus ver­an­laß­te den Avve­ni­re, die Tages­zei­tung der Italie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, auf­zu­grei­fen, was im Film nur in einer Sze­ne kurz ange­deu­tet wird. Die Hand­lung spielt in Dako­ta, im „Wil­den Westen“ Nord­ame­ri­kas Anfang des 19. Jahr­hun­derts, als die­se Gegend noch lan­ge nicht zu den USA gehör­te. Die erwähn­te Sze­ne zeigt den Haupt­dar­stel­ler inmit­ten der Wild­nis zwi­schen den Rui­nen einer katho­li­schen Kir­che. Was abrupt und für den Durch­schnitts­zu­schau­er völ­lig uner­war­tet in den Film tritt, hat jedoch eine histo­ri­sche Grundlage.

Unerschrockene Missionare Anfang des 17. Jahrhunderts

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Anfang des 17. Jahr­hun­derts „war eine Hand­voll muti­ger Jesui­ten, ange­trie­ben von ihrem Glau­bens­ei­fer für Chri­stus, bis zum Ober­lauf des Mis­sou­ri und in die Rocky Moun­ta­ins vor­ge­drun­gen“, so Andrea Gal­li. „Sie waren nicht weni­ger mutig als die Haupt­fi­gur in The Revenant doch mit einem Unter­schied: Sie such­ten nicht mate­ri­el­len Gewinn, son­dern das See­len­heil, und es gelang ihnen in die Welt der India­ner vor­zu­sto­ßen wie sonst nie­mand vor ihnen.“

Die Pio­nie­re des Jesui­ten-Ordens kamen in der ersten Hälf­te des 17. Jahr­hun­derts in die­se Gegend Nord­ame­ri­kas. Sie unter­wie­sen die India­ner, brach­ten sie dazu, ihre unmensch­li­chen Sit­ten abzu­le­gen und began­nen sie zu evan­ge­li­sie­ren und zu tau­fen. Sie gin­gen durch unglaub­li­che Ent­beh­run­gen und Prü­fun­gen. Ihre detail­lier­ten Berich­te, die sie regel­mä­ßig an ihre Obe­ren nach Euro­pa schick­ten, sind erhal­ten geblieben.

Pater Isaac Jogues (1607–1646) wur­de von den Mohawk gefangengenommen.

„Erst nach einem Jahr Gefan­gen­schaft und Fol­ter kehr­te er schwer gezeich­net und ohne die Fin­ger einer Hand, die ihm abge­trennt wor­den waren, in die Hei­mat zurück. Kurz dar­auf brach er wie­der auf, um zu ’sei­nen India­nern‘ zurückkehren.“

Das Martyrium von Pater de Brebeuf SJ
Das Mar­ty­ri­um von Pater de Bre­beuf SJ (1649)

Pater Jean de Bre­beuf (1593–1649) wur­de von den Iro­ke­sen gefangengenommen.

„Er erlitt unter Fol­ter einen lang­sa­men, qual­vol­len Tod: ihm wur­den mit kochen­dem Was­ser und glü­hen­den Koh­len Brand­wun­den zuge­fügt, die Glied­ma­ßen gebro­chen, eines nach dem ande­ren, dann schnitt man ihm nach­ein­an­der die Nase ab, stach ihm die Augen aus und schnitt ihm die Zun­ge her­aus. Er aber bete­te unent­wegt: ‚Jesus, erbar­me Dich ihrer‘. Er setz­te sein Gebet fort, obwohl er es nur mehr stam­meln konn­te. Sei­ne Hen­ker, die ihn so übel zuge­rich­tet hat­ten, schnit­ten ihm am Ende sein Herz her­aus und aßen es und tran­ken sein Blut zum Zei­chen der Bewun­de­rung für sei­nen Mut, und um sich die­ses zu bemächtigen.“

150 Jahre später erinnerten sich Indianer an den „Schwarzrock“

Und in gewis­ser Wei­se war dem auch so. Es war eine Grup­pe von Iro­ke­sen, die die bewun­dern­de Erin­ne­rung an Pater Bre­beuf bewahr­te und nach Westen in die Rocky Moun­ta­ins trug. Als 150 Jah­re spä­ter India­ner davon erfuh­ren, daß sich im Vor­po­sten von St. Lou­is auch Jesui­ten auf­hiel­ten, unter­nah­men sie vier aben­teu­er­li­che Expe­di­tio­nen über Tau­sen­de von Kilo­me­tern, um mit Nach­druck dar­um zu bit­ten, daß ein „Schwarz­rock“ zu ihnen kom­me und sich bei ihnen niederlasse.

Das geschah tat­säch­lich. Der flä­mi­sche Jesu­it Pie­ter-Jan De Smet (1801–1873) aus Ost­flan­dern mach­te sich auf den Weg. Nach lan­gen Kanu­fahr­ten, den Mis­sou­ri auf­wärts und unend­lich schei­nen­den Fuß­mär­schen gelang­te er zu den Iro­ke­sen. Pater De Smet wird mit den Wor­ten beschrie­ben: von „väter­li­chem Lächeln und eiser­nem Schlag “. Er wur­de bald zu einem der besten Ken­ner eines damals noch weit­ge­hend unbe­kann­ten Lan­des. Er lern­te im tief­sten Win­ter und unter unwirt­lich­sten Bedin­gun­gen zu überleben.

Bekehrung zum „starken und barmherzigen Gott“

Nachgebaute Kirchenruine (The Revenant)
Kir­chen­rui­ne (The Revenant)

Aus­ge­rü­stet mit der Hei­li­gen Schrift, dem Bre­vier und sei­ner Kla­ri­net­te – ein biß­chen wie im Film Mis­si­on – ging er in die Lager­plät­ze der India­ner. Wo ande­re sofort den Tod gefun­den hät­ten, fand er Auf­nah­me. Für die India­ner war er der „wei­ße Mann“, der nicht „mit gespal­te­ner Zun­ge“ rede­te. Durch sein Bei­spiel bekehr­te er zahl­rei­che India­ner. Einer ver­such­te ihn eines Tages aus dem Hin­ter­halt zu töten. Pater De Smet konn­te ihn jedoch vom Pferd rei­ßen und ihm im Zwei­kampf sei­ne Streit­axt ent­wen­den. „Die­se Geschick­lich­keit und sein Mit­leid, das er dem Besieg­ten bewies, gewan­nen die­sen für den Glau­ben an den star­ken und barm­her­zi­gen Gott der Katho­li­ken.“ Er soll­te einer sei­ner treu­en Gefähr­ten wer­den und den Weg zu wei­te­ren Bekeh­run­gen ebnen.

„Wasserscheide“ Konzil: der Missionseifer erschlaffte

Die gro­ße mis­sio­na­ri­sche Bewe­gung und Schub­kraft, die für die katho­li­sche Kir­che bis vor einem hal­ben Jahr­hun­dert prä­gend war, wur­de auch durch sol­che Prie­ster geformt. Doch dann löste sich die­ser Pio­nier­geist und die­se Lei­den­schaft für Chri­stus, die alle Hin­der­nis­se zu über­win­den schien, plötz­lich auf und der Mis­si­ons­ei­fer erschlaff­te. Ein Zusam­men­bruch, der vom heu­te 87jährigen Mis­sio­nar Pater Pie­ro Ghed­do (PIME) vor weni­gen Jah­ren in einer denk­wür­di­gen Dia­gno­se beklagt wur­de. Ghed­do hat­te selbst an der Redak­ti­on des Kon­zils­de­kre­tes Ad Gen­tes über die Mis­si­ons­tä­tig­keit der Kir­che mit­ge­ar­bei­tet. Er stell­te fest, daß das Kon­zil in Sachen Mis­si­on die „Was­ser­schei­de“ bil­de­te. Er berich­te­te über die Schwie­rig­kei­ten, die es bereits beim Zustan­de­kom­men des Dekrets gab, über die For­de­run­gen der asia­ti­schen Bischö­fe, den Prie­ster­zö­li­bat zu bekräf­ti­gen, wäh­rend latein­ame­ri­ka­ni­sche Bischö­fe des­sen Auf­he­bung for­der­ten. Er berich­te­te auch über ein selt­sa­mes Des­in­ter­es­se an der Mis­si­on durch etli­che west­li­che Bischö­fe. Pater Ghed­do schrieb:

„Nach dem Kon­zil wur­de der reli­giö­se Auf­trag zu evan­ge­li­sie­ren auf sozia­les Enga­ge­ment redu­ziert: wich­tig sei es, den Näch­sten zu lie­ben und Gutes zu tun, so als wäre die Kir­che eine Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on, um sozia­le Unge­rech­tig­keit oder gesell­schaft­li­che Übel zu besei­ti­gen. Par­al­lel war die ‚wis­sen­schaft­li­che‘ Ana­ly­se des Mar­xis­mus in Mode gekom­men. Völ­lig fal­sche The­sen wur­den zu Wahr­hei­ten erho­ben, zum Bei­spiel, daß es nicht wich­tig sei, daß sich die Völ­ker zu Chri­stus bekeh­ren, Haupt­sa­che sie neh­men die Bot­schaft der Lie­be und des Frie­dens an, von der auch das Evan­ge­li­um spre­che. Mit ande­ren Wor­ten: Mis­si­on wur­de zum Unwort in einer Zeit von Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung, Eman­zi­pa­ti­on und Selbst­be­stim­mung, wo der mar­xi­sti­sche „Fort­schritt“ unauf­halt­sam und sein Sieg nur mehr eine Fra­ge der Zeit schien.“

„Politkampagnen“ statt Mission – Die „ganz andere“ Diagnose als Papst Franziskus

In die­sem Den­ken sei der kirch­li­che Mis­si­ons­auf­trag „ertränkt“ wor­den und habe sich seit­her nicht mehr wirk­lich davon befrei­en kön­nen. Das habe auch damit zu tun, daß sich jene, die vom mar­xi­sti­schen und Drit­te-Welt-Den­ken gelenkt waren, sich der kirch­li­chen Mis­si­ons­ein­rich­tun­gen bemäch­tig­ten und sie zu Ent­wick­lungs­hil­fe­pro­jek­ten umbau­ten. So gebe es zwar „vie­le Polit­kam­pa­gnen“, aber kein Mis­si­ons­ide­al mehr. 2014 frag­te Pater Ghed­do pro­vo­kant: „Wie­viel Beru­fun­gen weckt ein Marsch für den Regen­wald?

Ghed­dos Dia­gno­se ist das genaue Gegen­teil des­sen, was Papst Fran­zis­kus am ver­gan­ge­nen 8. Dezem­ber in sei­ner Pre­digt zur Eröff­nung des Hei­li­gen Jah­res der Barm­her­zig­keit sag­te. Laut Fran­zis­kus habe das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil, am sel­ben Tag wur­de an den 50. Jah­res­tag sei­nes Abschlus­ses gedacht, die Kir­che gedrängt, „aus der Dür­re, die sie vie­le Jah­re lang in sich selbst ver­schlos­sen gehal­ten hat­te, her­aus­zu­kom­men, um mit Begei­ste­rung den mis­sio­na­ri­schen Weg wie­der aufzunehmen“.

„Dür­re“? „Ver­schlos­sen gehal­ten“?, fragt der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster. „Aber war nicht genau das in den Jah­ren, den Jahr­zehn­ten und Jahr­hun­der­ten vor dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil eine wirk­lich mis­sio­na­ri­sche Kir­che, die ‚hin­aus­ging‘, die man heu­te ger­ne ‚revert‘ hät­te?“

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons/​Youtube (Screen­shot)

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