Von der Verwandlung der heidnischen Labyrinthmysterien in christliche Deutungen und Begehungsrituale.
Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker.
Das Labyrinth ist ein archaisches Urbild. Es reicht bis in die Vorzeit vor 5.000 Jahren zurück und findet sich bei verschiedenen Kulturen dieser Welt. Labyrinthforscher erinnern an den griechischen Mythos vom Minotaurus, an die Bodenmuster in der Kathedrale von Chartres in Frankreich oder an die Buchsbaum-Irrgärten in barocken Schlossanlagen.
Das klassische Labyrinth entspricht allerdings nicht dem Typ mit Irrwegen und Sackgassen. Es besitzt einen äußeren Zugang mit durchgehenden Linien, die wieder zum Ausgang nahe der Mitte des Gebildes führen.
Labyrinthe in den nordischen Ländern – Trojaburgen genannt
In den skandinavischen Ländern ist die höchste Zahl von erhaltenen Großlabyrinthen bekannt. In Schweden gibt es über 200, in Finnland 141, in Rußland etwa 60 historische Labyrinthe. Vereinzelt kommen sie auch in Norwegen und Dänemark vor.
Labyrinthe werden häufig mit dem nordischen Namen Trojaburg bezeichnet. Diese Gebilde sind Steinsetzungen in Form unverzweigter Labyrinthe aus faust- bis kopfgroßen Steinen. Die Durchmesser dieser Steinsetzungen betragen zwischen fünf und zwanzig Meter. Die Steine liegen meist lose auf Feldern oder Rasen.
Der Name Trojaburg leitet sich von dem gotischen Verb trajan ab. Es bedeutet so viel wie drehen, winden, verfangen. Im Germanischen heißt das Verb drelle, was in dem Stadtnamen Trelleburg eingegangen ist oder auch in dem deutschen Wort Drall steckt. Dahinter steht aber möglicherweise eine indo-europäische Sprachwurzel und Praxis. Denn schon bei etruskischen Labyrinth-Darstellungen findet man mit Troja verwandte Worte.
Volksforscher des 19. Jahrhunderts berichteten von skandinavischen Jugendspielen um die Trojaburgen – Jungfrudanse. Dabei stand im Mittelpunkt des Labyrinths ein Mädchen, das von jungen Männern geholt oder befreit wurde.
Heidnische Kultdramen in den Trojaburgen
Verschiedene skandinavische Sagen weisen die Trojaburgen als Platz für Kultdramen aus. Dabei bekämpft ein Held im Frühling den Winterdämon, um die Sonnen-Jungfrau aus dem Labyrinth-Schloß zu befreien und so die Fruchtbarkeit zu sichern.
Der Labyrinth-Forscher John Kraft kam zu folgendem Ergebnis: Die Trojaburgen waren Arenen für religiöse Kultspiele im Frühling. Dabei drang der Himmelsgott durch die Windungen vor, um die Vegetationsgöttin im Zentrum des Labyrinths zu befreien. Daraufhin vereinigte er sich mit ihr in einer Heiligen Hochzeit, die der Gemeinschaft Fruchtbarkeit sicherte.
Der Zusammenhang von Labyrinth und Begattungsritus ist auch auf dem Weinkrug von Tragliatella in Etrurien – 600 vor Christus – dargestellt. Auf dem äußeren Windungspfad der etruskischen Trojaburg-Darstellung ist die Inschrift TRVIA eingetragen – also eine Variation von Troja oder Trojaburg.
Christliche Umdeutungen der Labyrinthe seit dem 4. Jahrhundert
Die heidnischen Labyrinthe wurden schon früh christlich umgedeutet. Das älteste Kirchen-Labyrinth findet sich in der Reparatus-Basilika in Orleansville im heutigen Algerien. Sie wurde 324 n. Chr. erbaut. In der Mitte des römisch-eckigen Labyrinths befindet sich eine Buchstabenanordnung. Mit Blick auf diese Mitte ist aus jeder erdenklichen Richtung 3000 Mal das Wort Sancta Ecclesia zu lesen: Aus der Kreuz-Mitte Christi wächst durch die Heilige Kirche in jede Richtung das Heil der Welt.
In der Gotik erlebte das Labyrinth eine Blütezeit und wurde in manche gotische Kathedrale eingebaut. Das mittelalterlich-christliche Labyrinth ist dadurch gekennzeichnet, dass Kreis- und Kreuzmitte miteinander verschmelzen. Alle Wege werden am Kreuz ausgerichtet.
Die berühmteste Labyrinthdarstellungen ist das Bodenmosaik in der Kathedrale von Chartres.
Auf den Labyrinthmustern wurden Ostergänge abgehalten und von Klerikern Mysterienspiele zu Ehren des Auferstandenen aufgeführt. Ein goldener Ball spielte dabei eine Rolle – von Theologen als Christus-Symbol gedeutet. Bekannt ist auch, dass die Begehung der Kirchenlabyrinthe als Symbole für die christliche Pilgerschaft angesehen wurde – ins irdische oder auch himmlische Jerusalem.
Eines ist jedenfalls für mittelalterlichen Wandelgänge klar ersichtlich: Mit den Labyrinthen in christlichen Gotteshäusern hatten die frommen Kirchenbauern mit Sicherheit nicht die Suche nach dem eigenen Selbst darstellen wollen.
Das berühmte Sibbo-Labyrinth: hervorgehobenes Mittenkreuz und Frauengestalt
Eine interessante Spur für eine christliche Umdeutung nordischer Trojaburgen zeigt eine Wandzeichnung in der altschwedischen Kirche von Sibbo – zwanzig Kilometer nördlich von Helsinki. Die gotische Feldsteinkirche wurde im Jahr 1480 gebaut und ausgemalt.
Das Sibbo-Labyrinth an der Schrägwand des linken Kirchenschiffs ist in vielen Büchern zu skandinavischen Trojaburgen abgebildet, aber stets nur als Nachzeichnung in schwarz-weiß. Bei einer Inaugenscheinnahme oder Buntfotografie stellen sich zwei Besonderheiten heraus:
Im Zentrum der schwarzgemalten Labyrinth-Windungen steht das Kreuz. Es ist mit roter Farbe hervorgehoben. Damit ist offenbar eine neue Interpretation der Trojaburg als Hinführung zu Kreuz und Christus angezeigt.
Das zweite neue Element der Labyrinth-Zeichnung ist die Darstellung einer großen Frau im mittleren Bereich. Auch sie ist in Rot hervorgehoben und damit auch dem Mitten-Kreuz als Christussymbol zugeordnet.
Über die Frau im Sibbo-Labyrinth ist von säkularen Forschern viel gerätselt und hineingelesen worden. Doch alle Deutungen ohne die farbliche Heraushebung der Frau zum (Mitten-)Kreuz führen in einen Irrgarten der Interpretationen.
Dabei ist auf die oben beschriebenen heidnischen Kultrituale zurückzukommen, bei denen eine Jungfrau oder Fruchtbarkeitsgöttin im Mittelpunkt stand. Das Kirchenlabyrinth wollte aber mit Sicherheit keine heidnischen Kultdramen abbilden, sondern eine christliche Neuinterpretation anzeigen.
Heidnische Rituale zu christlichen umformen
Papst Gregor der Große („ 604) erlaubte in seinen Missionsempfehlungen, heidnische Bräuche christlich umzuformen. Nach diesem Muster könnte der schwedische Frühlingsbrauch der Trojaburg-Begehung zu einer christlichen Prozession weiterentwickelt worden sein. Das gemalte Labyrinth in der Sibbo-Kirche wäre demnach ein Abbild von kirchlich organisierten Trojaburg-Ritualen.
Dem farblich hervorgehoben Mitten-Kreuz entsprechend dürfte das Ziel der Labyrinth-Begehungen die geistliche Annäherung an Kreuz und Christus sein. Aber wen stellt dann die dem Kreuz zugeordnete Frau dar?
So kam die Jungfrau Maria in die Trojaburg
Bei der christlichen Umdeutung der Fruchtbarkeitsgöttin aus dem heidnischen Kultritual kann mit der Frau nur die Gottesmutter Maria gemeint sein. In der praktischen Begehung könnte entweder eine junge Frau als Mariendarstellerin durch die Trojaburg geschritten sein oder – wahrscheinlicher – man trug eine Marienstatue durch die Labyrinthwindungen. Zu dieser Verchristlichung des heidnischen Fruchtbarkeitsrituals kam als flankierendes Element hinzu, dass der Frühlingsmonat Mai – die Zeit der nordischen Labyrinthriten – zum christ-katholischen Marienmonat erklärt wurde.
In der vorlutherischen Zeit waren im schwedischen ‚Neuland’, dem heutigen Süd-Finnlands viele Kirchen der Sancta Maria geweiht. Berühmt ist die Maarian Kirkko bei Turku, der alten Hauptstadt von Schwedisch-Finnland. In der Kirche sind drei Labyrinth-Darstellungen zu finden.
Text: Hubert Hecker
Bilder: Hubert Hecker
Danke für den interessanten Artikel über die Integration germanischer Kulte in den christlichen Glauben. Oft sind an oder in Kirchen germanische Zeichen oder Darstellungen angebracht, wie zum Beispiel hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Alpirsbach#/media/File:Alpirsbach-Kapitell.jpg – Ein Säulenkapitell in der Klosterkirche von Alpirsbach (Schwarzwald) mit der Darstellung Odins mit den beiden Raben Hugin und Munin. Ähnliches sah ich auch an der Außenfront der St. Vitus Basilika in Ellwangen.
Nach allem was über das Labyrinth gesagt, geschrieben oder in historischer oder zeitgemäßer Kunst dargestellt wurde, halte ich daran fest, das ich einem Labyrinth ohne eindeutige Zielführung zu Jesus Christus nach wie vor nichts positives abgewinnen kann. Ob man heidnische Bräuche – auch wenn durch einen Papst genehmigt – einfach christlich umdeuten kann oder sollte?
Ich glaube nicht, denn Jesus sprach n i e von einem (Lebens-)Labyrinth, welches zu Ihm führt. Er sprach auch nicht von Irrgärten, sondern von
I r r l e h r e r n = falschen Propheten, vor welchen wir uns hüten müssen. Der Heiland sprach ganz klar und unmissverständlich davon, das Er allein d e r Weg, d i e Wahrheit und d a s Leben ist. Niemand kommt zum Vater außer durch Ihn (=Christus). Warum sollten wir uns als Christen mit anderen Wegen oder Methoden befassen? Diskussionen führen weg von Gott.
Deshalb ist für mich ganz klar: Es gibt und gab immer schon nur einen einzigen Weg zu Gott – durch Seinen Sohn Jesus Christus. Persönliche Fixierung auf diverse Labyrinthe oder „moderne Selbstfindungswege“ die in Heidentum oder Esoterik wurzeln, sind unweigerlich zum Scheitern verurteilt.
Es gibt nicht diverse oder persönliche Labyrinthwege, die zum Vater führen, sondern nach wie vor bleibt der einzige Weg zu Gott Jesus Christus. Dieser Weg führt immer über die Kreuzesnachfolge – niemals über den bequemen breiten „modernen“ leidensfreien Weg zu Gott. Ohne Kreuz keine Gnaden – keine Gnaden ohne Kreuz!