(Rom/Mexiko-Stadt) Im mexikanischen Bundesstaat Chiapas befindet sich die Diözese San Cristobal de Las Casas. Jahrzehntelang schauten progressive Kirchenkreise aus aller Welt mit Spannung auf den Sonderweg dieser Diözese an der Grenze zu Guatemala. Am Höhepunt des „Chiapas-Experiments“ kamen auf jeden Priester vier verheiratete Diakone. Das war das Ergebnis der „auf den Kopf gestellten Berufungspastoral“ des bis 2000 amtierenden Bischofs Ruiz Garcia (siehe dazu Beruft Papst Franziskus nächste Synode zum Thema Aufhebung des Zölibats und Frauenpriestertum ein?). Mexiko zählt 91 Diözesen. Papst Franziskus will bei seinem Pastoralbesuch im Februar 2016 ausgerechnet San Cristobal de las Casa aufsuchen. Eine Entscheidung, die als Unterstützung für das Experiment eines verheirateten Klerus gesehen wird. Vor einer solchen Lesart warnte nun Bischof Felipe Arizmendi Esquivel, der seit 2000 die Diözese leitet. Sie sei für sein Bistum „sehr negativ“. In San Christobal de Las Casas habe sich in den vergangenen 15 Jahren viel geändert.
Das „Chiapas-Exeriment“
Bischof Samuel Ruiz Garcia regierte von 1959–2000. In der sympathisierenden Presse wurde er als „sozial fortschrittlich“ und „Verteidiger der Rechte der indigenen Bevölkerung“ beschrieben. Ruiz Garcia stand aber auch der sozialistischen Guerillabewegung Zapatistische Befreiungsarmee nahe. In den 70er und 80er Jahren gab es auch in Europa zahlreiche katholische Kleriker und Laien, deren Sympathien vor allem marxistischen Guerilleros galten. Karl Marx stand bei vielen höher im Kurs als Jesus Christus.
Ruiz Garcia machte seine Diözese zum Experimentierfeld für einen neuen Klerus, einen „indigenen“ und verheirateten Klerus. Progressive Kirchenkreise der ganzen Welt schauten mit der für sie typischen Mischung aus Hoffnung und Ungeduld nach Chiapas. Der Zölibat wurde von Ruiz Garcia durch die massenhafte Weihe von „viri probati“ umgangen. Dafür wurde der Begriff „indigene Diakone“ geschaffen. Eine Entwicklung, die auch im Kontext der Entkolonialisierung und kommunistischer Antiimperialismus-Thesen zu sehen ist.
Da die ständigen Diakone ausnahmslos verheiratet waren, wurde von Bischof Ruiz Garcia bei der Diakonatsweihe auch den Frauen die Hände aufgelegt. Das führte zu seltsamen Blüten. Die Ehefrauen wurden als „Diakonissen“ angesprochen und ihnen auch irgendein Anteil am Weiheamt ihrer Männer zugeschrieben. „Man rechnete damit, daß diese indigenen Diakone in einer nächsten Etappe zu Priestern geweiht werden könnten“, so Magister.
Wie tief die Probleme gehen, wird an einem weiteren Bischof deutlich. 1995 ernannte Rom mit Msgr. Jose Raul Vera Lopez einen Koadjutor für Bischof Ruiz Garcia. Kurz vor der Emeritierung von Ruiz Garcia wurde Msgr. Vera zum Bischof von Saltillo genannt. Seine Vermittlerrolle nach den Zapatistenunruhen und sein soziales Engagement wurden als Grund für den innerkirchlichen Aufstieg des Dominikaners genannt. Von Papst Paul VI. zum Priester und von Papst Johannes Paul II. zum Bischof geweiht, fiel Bischof Vera in jüngster Zeit vor allem für sein Engagement für die Tötung ungeborener Kinder und die Anerkennung der Homosexualität durch die Kirche auf. Abtreibung und Homosexualität werden von Bischof Vera als „Menschenrechte“ behauptet. Am vergangenen 3. Oktober, einen Tag vor Beginn der Bischofssynode über die Familie, war er „Stargast“ einer Tagung von Organisationen homosexueller Katholiken in Rom. Dort verstieg er sich zum Ausruf an die Homosexuellen „Ihr seid unsere Retter. Helft uns bitte!“ Bischof Vera ist weiterhin Bischof von Saltillo. Von irgendeiner Maßregelung oder auch nur Ermahnung durch Rom wurde nichts bekannt.
Die Wende 2000
Es war bekannt, daß Johannes Paul II. das „Chiapas-Experiment“ mißbilligte. Dennoch schritt Rom erst spät ein. Der Grund dafür, so kann man in Rom hören, sei die schwierige politische Lage im Chiapas gewesen. Man habe keine zusätzliche Unruhe erzeugen wollen. So wurde gewartet, bis Bischof Ruiz Garcia im Jahr 2000 mit Vollendung des 75. Lebensjahres emeritiert werden konnte. Dann schritt die Gottesdienstkongregation ein und untersagte die Bezeichnung „indigene Diakone“, die Segnung der Ehefrauen und deren Betitelung als „Diakonissen“. Um dem Sonderweg ein sicheres Ende zu bereiten, wurde dem Nachfolger, Bischof Felipe Arizmendi Esquivel die Weihe von „viri probati“ zur Gänze untersagt. Die letzten Weihen fanden im Januar 2000 statt.
Bischof Arizmendi war von 1991–2000 Bischof von Tapachula gewesen. Die Wahl fiel 2000 auf ihn, weil er weder politisch linke noch kirchlich progressive Sympathien zeigte, aber in seiner bisherigen Diözese ein intensives und aufmerksames soziales Engagement entfaltet hatte. Das Weiheverbot stellte die Diözese vor eine große Herausforderung, die sie jedoch bestand. Für die Diözese San Cristobal de Las Casas bedeutete das Episkopat von Bischof Arizmendi eine Beruhigung. 2014 hob Papst Franziskus das Weiheverbot für „viri probati“ auf und ernannte Weihbischof Enrique Diaz Diaz zum Bischofkoadjutor. Seither wird darüber diskutiert, wie die Entscheidungen von Papst Franziskus zu deuten sind.
Bischof Arizmendi, der 1963 zum Priester geweiht worden war, vollendete im vergangenen Mai sein 75. Lebensjahr. Er schrieb Sandro Magister einen Brief, in dem der Bischof die aktuelle Lage seiner Diözese vor dem Papstbesuch beschreibt.
Im Jahr 2000, als Bischof Ruiz Garcia abgelöst und das „Chiapas-Experiment“ verboten wurde, zählte die Diözese San Cristobal de Las Casas 1.543.000 Katholiken, 24 Diözesanpriester und 46 Ordenspriester (zusammen 70 Priester), aber 336 ständige Diakone.
2014 zählte die Diözese 1.752.000 Katholiken, 67 Diözesanpriester und 41 Ordenspriester (zusammen 108 Priester) und 316 ständige Diakone. Hinter den Zahlen ist natürlich der Altersdurchschnitt von Bedeutung. Es fällt jedoch auf, daß es Bischof Arizmendi gelang, den Diözesanklerus zu stärken, dessen Zahl sich in den 15 Jahren seiner Amtszeit verdreifachte.
„Die Aufhebung des Verbots, verheiratete Männer zu Diakonen zu weihen und die Ankündigung des Papst-Besuches in San Cristobal wurden als Freibrief interpretiert, das Experiment wieder aufzunehmen, diesmal mit der Aussicht, nicht nur einen indigenen verheirateten Klerus in Chiapas zu schaffen, sondern auch in anderen Weltgegenden, besonders in Lateinamerika“, so Magister.
Bischof Arizmendi warnt: Papst-Besuch nicht als Unterstützung für das „Chiapas-Experiment“ lesen
Gegen diese Lesart hat sich nun Bischof Arizmendi zu Wort gemeldet. Er warnt davor, dem Papst-Besuch eine solche Interpretation zu geben. Das sei für seine Diözese „sehr negativ“.
Wörtlich schreibt der Bischof:
„Wir wollen keinen verheirateten Klerus. Daran dachte man früher einmal, aber nicht mehr heute. Unser Priesterseminar ist als unerklärliche Gnade gewachsen. Vor 15 Jahren, im Jahr 2000, gab es 20 Seminaristen, heute sind es 76. Fast alle stammen aus Chiapas und 42 sind Indios. Alle verbindet, daß es keine ideologische Vorbehalte gegen den Zölibat gibt. Wir haben heute bereits acht indigene, zölibatäre Priester. Die verheirateten Diakone sind nie an mich herangetreten, um das Priestertum more uxorio anzustreben. Im Jahr 2000 standen mir 66 Priester zur Verfügung. Der Großteil stammte aus anderen Diözesen und aus Ordensgemeinschaften. Heute habe ich 101 Priester mit einer bedeutenden Zunahme des einheimischen Klerus.“
Kardinal Martini forderte 1999: Priestermangel durch Aufhebung des Zölibats „lösen“
Magister erinnert daran, daß Kardinal Carlo Maria Martini 1999 den Priestermangel als Hauptproblem bezeichnete und gleichzeitig eine „Lösung“ formulierte: den zölibatären Priestern sollte ein verheirateter Klerus zur Seite gestellt werden. Im Klartext forderte Kardinal Martini, daß der Zölibat nur mehr eine Option sein sollte und damit die faktische Abschaffung des Zölibats.
Chiapas war seit den 1960er Jahren das Experimentierfeld für diesen neuen Klerus. Dem herrschenden Priestermangel wurde die große Zahl eines verheirateten und „indigenen“ Klerus gegenübergestellt. Ein Notstand wurde zum Anlaß genommen, den Zölibat weltweit zu untergraben. Gleichzeitig wurde behauptet, die indigene Bevölkerung sei für ein zölibatäres Priestertum nie zugänglich.
„Heute ist dem, laut dem Zeugnis des Bischofs von San Cristobal de Las Casas, nicht mehr so. Es wird eine ‚unerklärliche Gnade‘ sein, Tatsache ist, daß dort der zölibatäre und indigene Klerus aufblüht, während die Kampagne zugunsten eines verheirateten Klerus erlischt. Welche Lehren wird Papst Franziskus daraus ziehen?“, so Magister.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/
Wenn Gottes Gnade blüht, dann muss der Widersacher dazwischenfahren, das ist sein Job.
Jesus sagte schon im 13. Jh zur hl. Brigitta von Schweden, dass der Papst, der das Zölibat aufheben würde, ewig verlustig gehen würde!