Barmherzigkeit für alle, außer für die hierarchische Kirche? – Papst Franziskus und das Jubeljahr


Barmherzigkeit für alle, aber nicht für die (hierarchische) Kirche
Barm­her­zig­keit für alle, außer für die (hier­ar­chi­sche) Kirche

(Rom) „Barm­her­zig­keit für alle, außer für die hier­ar­chi­sche Kir­che, die zu ver­schlos­sen und rück­stän­dig ist, um die Ver­ge­bung des Pap­stes zu ver­die­nen“, so der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster. „Doch unter­des­sen explo­die­ren zwei Gerichts­fäl­le mit unge­wis­sem Aus­gang: der Pro­zeß gegen Val­le­jo Bal­da und der Kon­flikt mit dem Ober­sten Gerichts­hof von Chile.“

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In der Zen­tral­afri­ka­ni­schen Repu­blik nahm Papst Fran­zis­kus am ver­gan­ge­nen Sonn­tag die Eröff­nung des Hei­li­gen Jah­res der Barm­her­zig­keit vor­weg. Er „hat ein altes Instru­ment der Fröm­mig­keit in eine ganz neue, ganz sei­ne Gestalt umge­bo­gen“, so Magister.

Die Jubel­jah­re genos­sen kei­nes­wegs immer einen guten Ruf. „Der Ablaß­han­del hat­te Mar­tin Luther ent­setzt, der Papst aber hält den Ablaß für Leben­de und Ver­stor­be­ne zum Nach­laß der Sün­den­stra­fen im Fege­feu­er hoch.“ Nie­mand kön­ne ihm daher vor­wer­fen, von der Tra­di­ti­on abzurücken.

„Franziskus hat Tradition der Heiligen Jahre umgebogen“

„Eine Sache ist jedoch die Form, eine gan­ze ande­re die Sub­stanz. Denn von die­ser Tra­di­ti­on hält Fran­zis­kus nur eine ein­zi­ge Sache am Leben: die Ver­ge­bung. Eine Ver­ge­bung, die für alle jene ist, die die Hei­li­ge Pfor­te durch­schrei­ten, beich­ten und die Kom­mu­ni­on emp­fan­gen. Doch die Hei­li­gen Pfor­ten sind über­all. Auch die Tür der Gefäng­nis­zel­le kann es wer­den, sobald man Gott um Barm­her­zig­keit bit­tet, hat­te der Papst erklärt“, so Magister.

Das Jubel­jahr „ist also das Fest des immensen Vol­kes der Sün­der, denen ver­ge­ben wur­de. Die­ses Volk ist der wirk­li­che Haupt­dar­stel­ler des Hei­li­gen Jah­res von Jor­ge Mario Berg­o­glio, nicht mehr die Hier­ar­chie, die den Ablaß von oben ver­wal­tet. Im Gegen­teil: Die Hier­ar­chie ist die erste, die mit die­sem Papst auf der Ankla­ge­bank lan­det.“ Eine Hier­ar­chie, die vol­ler unbarm­her­zi­ger, ver­här­te­ter Her­zen ist, die unfä­hig ist, bei­spiels­wei­se den wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen, am Tisch Platz zu machen. „Das war der Vor­wurf, den Fran­zis­kus gegen die Bischö­fe erhob, die er vor sich hat­te, als er im ver­gan­ge­nen Okto­ber die Fami­li­en­syn­ode abschloß“, so Magister.

„Franziskus redet als charismatischer Führer zum Volk, um Bischöfe und Kardinäle schlecht zu machen“

Als Papst ist Fran­zis­kus das Ober­haupt die­ser Hier­ar­chie. „Doch wenn er zum Volk redet, um die Bischö­fe und Kar­di­nä­le schlecht zu machen, ent­klei­det er sich sei­ner insti­tu­tio­nel­len Rol­le und zieht sich das Gewand des cha­ris­ma­ti­schen und puri­fi­zie­ren­den Füh­rers an.“ Daß das Volk beson­ders auf Güte anspricht, sei das „Dog­ma des Popu­lis­mus“, für das der Argen­ti­ni­er Berg­o­glio beson­ders sen­si­bel ist. „Er hat es auch in Nai­ro­bi gepre­digt, da im Volk an den Rän­dern eine höhe­re Weis­heit inne­wohnt“, so Magister.

„Das ist das Geheim­nis sei­ner Popu­la­ri­tät, mit dem die Unbe­liebt­heit der hier­ar­chi­schen Kir­che nicht zurück­geht, son­dern zunimmt“, der Vatikanist.

Fran­zis­kus appel­lier­te auch an die Men­schen­men­ge und ent­lock­te ihr Applaus auf dem Peters­platz, um sich gegen den „Dieb­stahl“, wie er sag­te, von Geheim­do­ku­men­ten über die Miß­wirt­schaft von Tei­len der Kurie zu wen­den. Dage­gen setz­te er im Eil­ver­fah­ren kurz vor Beginn des Hei­li­gen Jah­res ein Gerichts­ver­fah­ren durch, das im Ver­gleich zur Hal­tung Bene­dikts XVI. sei­nem untreu­en Kam­mer­die­ner Pao­lo Gabrie­le gegen­über, „weder durch Reue, Klug­heit noch Barm­her­zig­keit glänzt“.

Es glänzt „nicht durch Reue, obwohl es gera­de er selbst, der Papst war, der die bei­den Haupt­an­ge­klag­ten des Dieb­stahls zu Inspek­to­ren und Hei­lern der Kuri­en­fi­nan­zen ernannt hat­te, näm­lich Msgr. Lucio Angel Val­le­jo Bal­da und Fran­ce­s­ca Chaou­qui, obwohl das Staats­se­kre­ta­ri­at vor der Unzu­ver­läs­sig­keit der bei­den gewarnt hatte.“

Es glänzt „nicht durch Klug­heit, da er auch die bei­den Jour­na­li­sten und Buch­au­to­ren vor Gericht zer­ren woll­te und damit eine bizar­re Neu­auf­la­ge eines Index ver­bo­te­ner Bücher betreibt. Und es glänzt noch weni­ger durch Barm­her­zig­keit, da die Rot­lich­t­epi­so­den, die aus den Unter­su­chungs­ak­ten an die Öffent­lich­keit durch­ge­sickert sind, nicht nur den Mon­si­gno­re und die­se Dame an den Pran­ger stel­len, die ohne­hin schon hyper­ak­tiv sind, sich gegen­sei­tig zu scha­den, son­dern auch Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge von ihr, die mit der Sache nichts zu tun haben.“

Die Strenge gegen die Einen und die Nachsicht gegen die Anderen

Berg­o­glio wen­det sich noch in einer ande­ren rei­ni­gen­den Sache gegen die Hier­ar­chie an das Volk des Jubel­jah­res: jener gegen den sexu­el­len Miß­brauch Min­der­jäh­ri­ger durch Kleriker.

Der Papst betont „sei­ne Unnach­gie­big­keit gegen­über Bischö­fen, die sol­che Unta­ten decken. Und tat­säch­lich hat er eini­ge ent­las­sen“, so Magi­ster. Gleich­zei­tig aber sei er über­mä­ßig barm­her­zig mit einem Kar­di­nal, der einer sei­ner Schlüs­sel­wäh­ler beim Kon­kla­ve von 2013 war, dem Bel­gi­er God­fried Dan­neels, der 2010 die sexu­el­len Unta­ten des dama­li­gen Bischofs von Brüg­ge, Roger Vang­he­lu­we, zu ver­tu­schen ver­such­te. Das Opfer Vang­he­lu­wes war des­sen eige­ner Nef­fe, den der Kar­di­nal zum Schwei­gen aufforderte.

Der Skan­dal kam den­noch ans Licht, doch Papst Fran­zis­kus scheint davon völ­lig unbe­ein­druckt. Für bei­de Syn­oden über die Fami­lie, 2014 und 2015, ernann­te er Dan­neels per­sön­lich und an erster Stel­le zum Syn­oda­len. Damit brach­te er vor der gan­zen Kir­che demon­stra­tiv sei­ne Wert­schät­zung für den ehe­ma­li­gen Erz­bi­schof von Mecheln-Brüs­sel zum Aus­druck. Dan­neels geht seit der Wahl von Fran­zis­kus im Vati­kan ein und aus.

Dar­an änder­te auch nichts, daß vor kur­zem durch eine Bio­gra­phie über den Kar­di­nal bekannt wur­de, daß die­ser einem gehei­men Zir­kel in der Kir­che ange­hör­te, der 2005 die Wahl von Papst Bene­dikt XVI. ver­hin­dern woll­te. Ein Zir­kel den Dan­neels selbst scherz­haft als „Mafia“ bezeich­ne­te. In die­sem Zusam­men­hang ist unge­klärt, ob es die­sen Zir­kel noch heu­te gibt und wel­che Rol­le er beim Kon­kla­ve 2013 spielte.

Damals gehör­te Dan­neels zusam­men mit den Kar­di­nä­len Kas­per, Leh­mann und Mur­phy O’Connor einer Vie­rer­grup­pe an, die sich die Papst-Wahl von Jor­ge Mario Berg­o­glio zum Ziel gesetzt hat­te und damit erfolg­reich war. Papst Fran­zis­kus zeigt sei­ne Dank­bar­keit. Erst vor weni­gen Wochen ernann­te er einen Schütz­ling Dan­neels zum neu­en Erz­bi­schof von Mecheln-Brüs­sel, was einer Rich­tungs­ent­schei­dung für Bel­gi­en gleichkommt.

Die „unbarmherzige“ Forderung des Obersten Gerichtshofs von Chile

„Noch auf­se­hen­er­re­gen­der ist der Fall des chi­le­ni­schen Bischofs, Juan de la Cruz Bar­ros Madrid, den Fran­zis­kus zum Bischof von Osor­no ernann­te, obwohl drei Opfer ihn vor Gericht der Kom­pli­zen­schaft mit ihrem Schän­der, dem Prie­ster Fer­nan­do Kara­di­ma, beschul­di­gen, der jah­re­lang eine Berühmt­heit in der chi­le­ni­schen Kir­che war, wes­halb sich vie­le sei­ne Schand­ta­ten nicht vor­stel­len konn­te. Am Ende wur­de er unter Bene­dikt XVI. vom Hei­li­gen Stuhl des Miß­brauchs für schul­dig erklärt, vom Prie­ster­tum sus­pen­diert und zu einem Leben ‚der Buße und der Zurück­ge­zo­gen­heit‘ verurteilt.

Papst Fran­zis­kus erklär­te sich gegen­über chi­le­ni­schen Pil­gern, die ihre Beden­ken äußer­ten, abso­lut über­zeugt von der Unschuld des von ihm ernann­ten Bischofs und beschul­dig­te chi­le­ni­sche Links­po­li­ti­ker, zu den Pro­te­sten gegen Bischof Bar­ros auf­ge­wie­gelt zu haben. Die päpst­li­che Gemüts­re­gung war auf Video auf­ge­zeich­net und in Chi­le bekannt worden.

Am ver­gan­ge­nen 13. Novem­ber for­der­te der Ober­ste Gerichts­hof Chi­les „ohne jede Barm­her­zig­keit offi­zi­ell den Hei­li­gen Stuhl auf, alle Doku­men­te zur Ver­fü­gung zu stel­len“, die Papst Fran­zis­kus zu sei­ner Fest­stel­lung ver­an­laßt hätten.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Nuo­va Bus­so­la Quotidiana

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