
(Rom/Havanna) Im Vorfeld des Papst-Besuchs auf Kuba führte der Tessiner Journalist Giuseppe Rusconi (Rossoporpora) ein Interview mit Ofelia Acevedo, der Witwe von Oswaldo Payá, einer Führungsgestalt der kubanischen Katholiken und Vorsitzender der christlichen Bürgerrechtsbewegung Movimiento Cristiano de Liberacion (Christliche Befreiungsbewegung), der am 22. Juli 2012 bei einem „sehr verdächtigen Autounfall“ (Rusconi) ums Leben gekommen ist. Bei dem Unfall wurde mit Oswaldo Payá (Gründer und Vorsitzender) und Harold Cepero (Vorsitzender der Jugendorganisation) die gesamte Führungsspitze der Christlichen Befreiungsbewegung ausgelöscht. Papst Franziskus, der die Familie Payá am 14. Mai 2014 in Privataudienz empfing, kennt die Situation gut. Die Witwe übt Kritik an Kardinal Jaime Ortega, dem Erzbischof von Havanna, dem sie eine feindliche Haltung gegenüber den Dissidenten und Regimekritikern vorwirft.
Oswaldo Payá gründete 1987 die Christliche Befreiungsbewegung, die zum maßgeblichen Sprachrohr der antikommunistischen und anticastristischen Regimekritiker wurde. Der Katholik Payá wurde zur zentralen Figur der Dissidentenszene. Vor drei Jahren wurde er 700 Kilometer von Havanna entfernt in einem höchst zweifelhaften Autounfall getötet. Mit seinem Namen ist das Proyecto Varela zur Erlangung der Grund- und Freiheitsrechte für das kubanische Volk durch ein Referendum verbunden. Payá sammelte die dafür notwendigen 10.000 Unterschriften und übergab sie 2002 dem kubanischen Parlament. 2003 legte er noch einmal 14.000 Unterschriften drauf, obwohl das kommunistische Inselregime mit repressiven Maßnahmen reagierte. Ofelia Acevedo mußte ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes mit ihrer Familie nach Miami (USA) auswandern, nachdem die ständigen Polizeischikanen und Drohungen kein Ende nahmen.
„In Kuba gibt es keine Religionsfreiheit“
Zum Papstbesuch auf Kuba sagte Ofelia Acevedo:
„Als ich davon erfuhr, war ich überrascht, dann empfand ich große Freude. Überrascht, weil drei Papst-Besuche innerhalb von 17 Jahren ein Privileg sind. Freude, weil Papst Franziskus sich besonders mit den Armen, Ausgegrenzten und Verfolgten identifiziert. Diesen Gruppen gehört die Mehrheit meines Volkes an. Sie erwarten eine Botschaft der Ermutigung und der Hoffnung von Papst Franziskus, die sie anspornt, sich zu erheben und einen langen Weg zu beginnen, Akteure ihrer eigenen Geschichte zu werden, die Kraft zu finden, dies in Jesus Christus zu tun, den großen Restaurator der Menschenwürde.“
Die Ankündigung des Papstbesuchs habe, so Acevedo, für das kubanische Volk bisher keine Verbesserungen gebracht. „Der Mangel an Freiheit hält die Kubaner in Armut und Ungerechtigkeit gefangen“. Die Situation sei unverändert gleich: „In Kuba gibt es keine Religionsfreiheit. Es gibt ein Amt für Religionsangelegenheiten des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas (der einzigen zugelassenen Partei auf der Insel), das mit der Staatssicherheit (der Seguridad) verbunden ist. Es hat die Aufgabe, jeden Angehörigen der Kirche zu überwachen, zu durchsuchen, zu überzeugen, zu bedrohen, dessen Meinungen oder dessen Verhalten der Regierung der Brüder Castro mißfallen. Sie haben die Befugnis, jederzeit in jedweden Bereich des kirchlichen Lebens einzugreifen, der die Regierung nicht zufriedenstellt. Die Kirche hat keinen Zugang zu den Massenmedien. Die Familien können ihren Kindern keinen christlichen Religionsunterricht zuteil werden lassen, weil es einen solchen nicht gibt. Der derzeitige Leiter des Amtes für Religionsangelegenheiten der Kommunistischen Partei erklärt im Zusammenhang mit dem Papst-Besuch, daß der Religionsunterricht durch die Revolution beseitigt wurde.“
Papst Franziskus kennt die „erbärmliche“ Lage der Kubaner
Die Papst-Besuche von 1998 und 2012 seien ein wichtiges Zeichen der brüderlichen Verbundenheit mit der pilgernden Kirche von Kuba gewesen. Die Botschaften von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. seien von jenen Kubanern dankbar aufgenommen worden, die sie hören konnten. „Die kirchliche Hierarchie verweist auf positive Konsequenzen, weil die Regierung nach den Besuchen es einigen Priestern erlaubte, das Land zu betreten und bestimmte technische Geräte und für die Seelsorge notwendige Fahrzeuge gekauft werden konnten, ebenso die Rückgabe einiger in den ersten Jahren der Revolution enteigneter Immobilien, darunter Kirchen und Schulen, die damals in bestem Zustand waren. Als sie zurückgegeben wurden, waren sie leer, baufällig oder total zerstört. Andere sichtbare positive Folgen sind mir nicht bekannt.“
Die Regierung Castro kündigte anläßlich des Papstbesuches die Amnestierung von 3522 Gefangenen an. „Bisher findet sich unter diesen jedoch kein politischer Gefangener. Um genau zu sein, wurde bisher die Amnestie noch für keinen Gefangenen konkret umgesetzt.“
Die Witwe von Oswaldo Payá wurde mit ihrer Familie von Papst Franziskus in Privataudienz empfangen. „Wir haben mit ihm über die erbärmlichen Bedingungen gesprochen, unter denen der weitaus größte Teil der Kubaner lebt. Wir haben für die pilgernde Kirche auf Kuba gesprochen, der wir angehören und die wir innig lieben. Wir haben auch über das Attentat vom 22. Juli 2012 auf das Auto meines Mannes gesprochen, das von Agenten der Seguridad verübt wurde. Beim Attentat kamen mein Mann, Oswaldo Payá, und der junge Harold Cepero [Vorsitzender der Jugendorganisation der Christlichen Befreiungsbewegung] ums Leben. Wir haben dem Papst gesagt, daß wir eine unabhängige Untersuchung fordern, um den genauen Hergang zu klären. Ich denke, daß Papst Franziskus die wirkliche Lage kennt, in der die Kubaner leben. Er ist gut informiert und bezog sich in verschiedenen Momenten auf die Leiden des kubanischen Volkes.“
„Wenn der Papst es will, kann er kubanische Dissidenten treffen“
Sollte der Papst es wollen, „wird er kubanische Dissidenten treffen können“.
Seit einiger Zeit wird das Verhalten von Erzbischof Jaime Kardinal Ortega y Alamino von Havanna gegenüber den Dissidenten kritisiert, nicht nur durch die katholische Opposition. Am vergangenen 5. Juni gab Kardinal Ortega, der einmal ein zentraler Ansprechpartner für Oswaldo Payá war, der spanischen Cadena Ser ein Interview, in dem er sogar die Existenz von politischen Gefangenen auf Kuba in Abrede stellte.
„Leider hat Kardinal Ortega bei verschiedenen Anlässen gegenüber den Dissidenten, nicht nur den katholischen, ein Verhalten an den Tag gelegt, das jenem der Staatssicherheit entspricht: ausgrenzen und beleidigen.“
Rusconi fragte die Witwe, was ihr Mann, Oswaldo Payá, wäre er noch am Leben, dem Papst sagen würde. „Mein Mann hätte kaum die Gelegenheit gehabt, während des Besuchs in die Nähe des Papstes zu gelangen. Bei den beiden vorherigen Papst-Besuchen hatte er die kirchliche Obrigkeit ersucht, Johannes Paul II. und Benedikt XVI. treffen zu dürfen, doch es war nicht möglich. Wir nehmen an, daß die kubanische Regierung eine solche Begegnung nie akzeptiert hätte. Ich bin mir aber sicher, wenn Oswaldo mit dem Papst sprechen hätte können, hätte er ihn um nichts gebeten, sondern gesagt: ‚Ich möchte Ihr Wort mit einem offenen Herzen und voller Hoffnung hören‘.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: InfoVaticana