(München) In einer Zeit religiöser Beliebigkeit, die sich irgendwie auf alle möglichen Ismen und letztlich vor allem auf Agnostizismus und Atheismus reimt, kann ein Moslem auch Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele werden. Zumindest zweiter Spielleiter. Vorerst. Daß die Passionsspiele die entscheidenden fünf Tage im irdischen Leben Jesu Christi mit der Heilstat für die Menschheit darstellen, an die ein Moslem nicht glaubt, spielt dabei keine Rolle. Denn wenn der neue Spielleiter von Oberammergau, der Türke Abdullah Kenan Karaca, schon nicht den Glauben mitbringt, bringe er dafür Professionalität mit, und auf die komme es ja schließlich an. Jedenfalls dann, wenn es mehr um Kultur, Theater und Unterhaltung als um Religion geht.
An schönen Gründen für die Neubesetzung fehlt es nicht. Stärkung der Internationalität ist nur einer. Mitspielen dürfen in Oberammergau, das geht auf ein altes Versprechen zurück, nur Einheimische, und schließlich ist Karaca ein gebürtiger Oberammergauer, also ein Einheimischer. Daß ein Einheimischer neuerdings in Bayern einen türkischen Paß hat, wäre dann doch erklärungsbedürftig, aber über „solche Themen“ sei es ja besser, „nicht zuviel zu reden“. Und überhaupt haben der Wulff und die Merkel gesagt, daß der Islam „zu Deutschland gehört“.
Wer ein Bayer und ein Christ ist, das bestimmen noch immer wir
Und überhaupt „Nix da“, sagte die Mehrheit im Oberammergauer Gemeinderat. Wo kämen wir denn da hin: Wer ein Einheimischer ist und wer ein Christ, das bestimmen dann immer noch wir. Und wir sagen, daß der Türke und Moslem Karaca ein Bayer und ein Christ ist … oder zumindest ein halber … oder vielleicht doch ein Dreiviertel, oder… Aba Sakradi und übahaupt sei ma wäidofffa, was soviel heißt wie: aber und überhaupt sind wir weltoffen. Versprechen von 1633 hin oder her, seit 1990 lassen wir ja a Weiberleid (Frauen) unter 35 mitspielen und sogar die Lutherischn (Protestanten). Und jetzt hà¥mma eben auch einen Moslem. Wenn das nicht modern ist.
Man darf getrost annehmen, daß Christian Stückl, seit 1990 erster Spielleiter, die Ernennung von Karaca gerade deshalb förderte, weil er Moslem ist. Abdullah Kenan Karaca jedenfalls studiert Regie und ist „stolz“ auf seine Ernennung. Stückl kennt ihn vom Münchner Volkstheater. Laut den ungeschriebenen Gesetzen des Kulturbetriebs, muß man von sich reden machen, koste es, was es wolle. Provokationen haben Kultstatus – um zumindest irgendwie beim Thema Kultus zu bleiben, wenn damit auch etwas ziemlich anderes gemeint ist. Im Gemeinderat haben es nicht alle so gesehen. Die Abstimmung ging mit 13 zu 5 Stimmen aus, doch die „aufgeklärte Vernunft“ hat gesiegt.
Gotthold Ephraim Lessing hat es schon vor 236 Jahren gewußt
Ja genau, der Gotthold, der freut sich über die Ernennung. Gotthold Ephraim Lessing hat es ja schon vor 236 Jahren gewußt, daß alle Religionen gleich seien, sprich am besten gar nicht oder nur insoweit seien, als sie dem Staat zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung dienen.
Passionsspiele, die Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi darstellen, mit einem Moslem als (Vize-)Chef, das ist gelebter Relativismus und vor allem der perfekte Ausdruck der politisch beschworenen „Willkommenskultur“. Alles wie gehabt. Die Botschaft scheint ziemlich eindeutig.
„Im tiefsten Bayern bestimmt demnächst ein junger Türke die Geschicke einer tiefreligiösen, christlichen Tradition mit: Das erste Mal seit 380 Jahren gehört ein Moslem dem Leitungsteam der Oberammergauer Passionsspiele an. Salam Aleikum unterm Holzkreuz“, frohlockten zahlreiche Medien, diesfalls der Österreichische Rundfunk, sind die Österreicher doch mit den Bayern verschwägert.
Öffentliche Kritik? „Dafür ist das Thema zu heikel“
Erhellendes lieferte der ORF auch: „Öffentlich Kritik äußern will keiner in Oberammergau, dafür ist das Thema zu heikel.“ Was ist zu heikel: Die Passionsspiele oder der Umstand, daß Karaca Moslem und Ausländer ist? Jedenfalls hat die jüngste Oberammergauer Entscheidung auch viel mit modernen Denkverboten zu tun, die im freiesten Staat und der freiesten Gesellschaft auf deutschem Boden zusehends um sich greifen.
An den Texten der Passionsspiele wird schon länger „nachgebessert“. Auch für die 42. Ausgabe 2020 soll der Text „überarbeitet“ werden. Wer weiß, vielleicht wird aus dem christlichen Passionsdrama am Ende sogar Lessings Ideendrama Nathan der Weise.
Text: Martha Weinzl
Bild: Wikicommons