(Rom) Am 2. Juli schlug der Katholik Mathias von Gersdorff von der Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum (TFP) und der Deutschen Vereinigung für eine christliche Kultur (DVCK) Alarm. Grund war der am selben Tag von der Deutschen Sektion von Radio Vatikan verbreitete Artikel „Moraltheologe: ‚Kirchliche Sexualmoral ist in Bewegung‘“. Radio Vatikan verbreitet „die haarsträubenden Thesen von P. Martin Lintner OSM (Servitenorden) zur Sexualmoral“, so von Gersdorff. Hinter dem Vorfall wird ein Skandal erkennbar, der die Kirche im deutschen Sprachraum betrifft. Die Zusammenfassung eines Vorfalls, der mehr ist als nur ein „Sommertheater“.
Mißbrauch der Bischofssynode
Von Gersdorff schrieb noch am Tag der Veröffentlichung auf seinem Blog: „Auch P. Lintner missbraucht die von Papst Franziskus berufene Familiensynode, um eine Anpassung der katholischen Sexualmoral an die wirren Vorstellungen der ‚sexuellen Revolution‘ der 1968er zu fordern: ‚Nicht zuletzt die Diskussionen während der außerordentlichen Bischofssynode vom Herbst 2014 sowie das jüngst veröffentlichte Arbeitspapier für die Familiensynode im Oktober 2015 zeigen laut Lintner ein Umdenken im Umgang mit homosexuellen Menschen,‘ so Radio-Vatikan-Deutschland.“
„Schamloses Foto“
Da Bilder unmittelbarer wirken als Worte, veröffentlichte Radio Vatikan (Deutsche Sektion) den Artikel mit einem „schamlosen Foto, das niemals in einem katholischen Nachrichtendienst erscheinen dürfte. Deshalb wird zum Artikel nicht verlinkt“, so der TFP-Deutschland-Vorsitzende. Das „schamlose Foto“ zeigte zwei Frauen, die sich küssen. Dazu die obligaten Homo-Farben. Was unter dem angeblichen „Umdenken“ der katholischen Kirche „im Umgang mit homosexuellen Menschen“ zu verstehen sei, daran konnte aufgrund der bildlichen Unterstreichung kein Zweifel bestehen: die Anerkennung der Homosexualität.
Dabei war das Thema nur übernommen. Pater Lintner hatte sich in der österreichischen Wochenzeitung Die Furche zu Wort gemeldet. Die Ausgabe der Furche erschien am 2. Juli, Lintners Artikel „Gut? Böse? Jenseits? Die Haltung der Kirche zur (Homo-)Sexualität ist in Bewegung. Anmerkungen zum moralischen Urteil aus theologisch-ethischer Sicht“ wurde online bereits am Vortag veröffentlicht. Die 1945 gegründete Furche kippte in den 1970er Jahren nach links weg. Das linkskatholische Blatt sagt von sich selbst, kein Sprachrohr der römisch-katholischen Kirche zu sein. Die tatsächliche Vernetzung ist jedoch enorm.
Entsprechend berichtete die Katholische Presseagentur KAP der Österreichischen Bischofskonferenz umgehend über Lintners Artikel. Über die KAP-Meldung gelangten Lintners „haarsträubende Thesen“ innerhalb weniger Stunden auf die Seite von Radio Vatikan. Nur ideologisch Gleichgesinnte können für eine so schnelle Verbreitung sorgen. Der Artikel von Radio Vatikan ist mit „sk“ gekennzeichnet, ein Kürzel, mit dem der stellvertretende Redaktionsleiter Stefan von Kempis seine Beiträge unterzeichnet. Ob von Kempis auch das Foto zum Artikel auswählte, kann nicht gesagt werden.
Artikel und Foto gelöscht – Artikel und Foto wieder online
An den Anfang seiner „Anmerkungen“ stellte Lintner die inzwischen sattsam bekannte und ebenso umstrittene Aussage von Papst Franziskus über Homosexuelle: „Wer bin ich, über sie zu urteilen?“
„Homo-Agenda wichtiger als katholische Sittsamkeit“ schrieb Gloria.tv zu Foto und Artikel. Das Homo-Foto hatte die vom deutschen Jesuiten Bernd Hagenkord verantwortete Deutsche Sektion von der französischen Nachrichtenagentur AFP gekauft. Gersdorffs Kritik löste eine Reihe erstaunter und empörter Reaktionen aus. Das zeigte Wirkung. Am 5. Juli war der Artikel nicht mehr zugänglich. „Wer die Verantwortung für die Veröffentlichung des Bildes übernimmt, ist derzeit unklar. Die deutschsprachige Abteilung von ‚Radio Vatikan‘ wird finanziell von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) unterstützt“, so Kath.net. Damit wurde der Finger in die eigentliche Wunde gelegt.
Am 7. Juli waren Artikel und Homo-Bild jedoch wieder online. Pater Hagenkord meint, das Foto sei „vielleicht nicht allzu klug gewählt“ worden. Das war aber auch schon das Maximum an Kritik, das er sich abringen konnte. Wie der verantwortliche Redaktionsleiter in der Frage wirklich tickt, wurde durch seine prompte Kritik an den Kritikern deutlich: „Da sind einige Menschen da draußen wirklich ganz übel fixiert und können es nicht ertragen, dass manche Menschen anders sind.“ „Übel“ war für den Jesuiten nicht die Veröffentlichung des Fotos und die damit verbundene Botschaft. „Übel“ ist die Kritik daran. „Wildes verbales Draufhauen, als ob Worte keine Wirklichkeit und Wirkung hätten. Alles im Namen von Lehre, Wahrheit und Kirche.“ Und dazu noch: „Jawohl, auch heute noch“.
„Lehre, Wahrheit und Kirche“ waren gestern – Hagenkords Kritikerbeschimpfung
„Die Personen, die gegen das Foto protestiert haben, agieren entsprechend Hagenkord gegen die Nächstenliebe – so weit sind wir gekommen! Diese Angelegenheit ist einfach unglaublich“, so Mathias von Gersdorff in seinem Kommentar zum gelöschten, dann wieder veröffentlichten Foto.
Für Pater Hagenkord persönlich ist die Anerkennung der Homosexualität offenbar eine ausgemachte Sache. Das Bild sei „nicht allzu klug gewählt“ worden, läßt nur taktische Überlegungen erkennen. Seine Gegenkritik läßt erkennen, daß er sich in der homophilen Fraktion verortet. Als Redaktionsleiter macht er daraus auch die Linie der Deutschen Sektion von Radio Vatikan. Wer dagegen protestiert, daß Radio Vatikan die Homo-Agenda vertritt, wird als „ewiggestrig“ abgestempelt („auch heute noch“). „Lehre, Wahrheit und Kirche“ waren gestern, jedenfalls für den deutschen Jesuiten Hagenkord, zumindest was die Homo-Agenda betrifft. Wenn Hagenkord in Sachen Homosexualität so denkt, wer könnte dann garantieren, daß er sich zu anderen Fragen nicht ebenso salopp über die göttliche Ordnung und die kirchliche Lehre hinwegsetzt?
„Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Dekadenz kirchlicher Medien nicht vorstellbar gewesen“, schrieb dazu Mathias von Gersdorff.
Angeblich waren Artikel und Bild am 5. Juli auf innervatikanische Intervention abgeschaltet, doch von Hagenkord, als er davon erfuhr, wieder online gesetzt worden. Hagenkord steht damit nicht nur als Redaktionsleiter in der Verantwortung, sondern auch als treibende Kraft.
Internationalisierung des Skandals – Bild gelöscht, Artikel bleibt
Inzwischen machten der englische Journalist Edward Pentin vom National Catholic Register und die US-amerikanische Internetseite Catholic Culture den Skandal auch international bekannt. Die Empörung wurde zu einer beachtlichen Welle. Schließlich wurde das umstrittene Foto definitiv gelöscht. In dem neuen „fluiden“ Stil im Vatikan besteht allerdings keine Garantie dafür, daß definitiv wirklich definitiv ist. Das umstrittene Papst-Interview des Atheisten Eugenio Scalfari wurde auch schon auf der offiziellen Seite des Heiligen Stuhls veröffentlicht, dann gelöscht, dann wieder veröffentlicht und schließlich sogar vom Vatikan-Verlag in Buchform gedruckt.
Der nicht minder umstrittene Text von Pater Martin Lintner, der mit Blick auf die bevorstehende Bischofssynode ein „Umdenken“ der Kirche in Sachen Sexualität anregt, fordert und in Aussicht stellt, blieb unverändert und kann auf der Internetseite von Radio Vatikan – Deutsche Sektion aufgerufen werden.
Radio Vatikan-Sektionen spiegeln jeweilige Bischofskonferenz wider
Wenig verwunderlich, so die französische Internetseite Riposte Catholique. Die verschiedenen Sektionen von Radio Vatikan würden die Linie der jeweiligen Bischofskonferenzen widerspiegeln. Bekanntlich betreibe die Deutsche Bischofskonferenz, so Riposte Catholique, „an vorderster Front eine regelrechte Kampagne für eine Änderung der kirchlichen Lehre in Sachen Sexualmoral“.
Der entscheidende internationale Schub, der zur Entfernung des Fotos führte und die Frage über den deutschen Sprachraum hinaushob, kam offenbar von Edward Pentin. Er war es bereits gewesen, der Kardinal Walter Kasper öffentlich der Lüge überführte. Auch das im Zusammenhang mit der Bischofssynode, Teil Eins, im Oktober 2014. Kasper leugnete, ein Interview gegeben zu haben, in dem er sich höchst abfällig über die afrikanischen Bischöfe äußerte, weil diese sich für die Heilige Schrift, das Lehramt und die Überlieferung der Kirche in Sachen Sexualmoral einsetzen. Pentin veröffentlichte daraufhin die Tonbandaufzeichnung mit den rassistischen Äußerungen des Kardinals.
Foto war nur ein „technisches Versehen“?
Dem National Catholic Register erklärte Hagenkord, nun doch auf Schadensbegrenzung bedacht, die Veröffentlichung des umstrittenen Fotos sei nur ein „technisches Versehen“ gewesen. Die Techniker hätten keine Lösung gewußt, wie der Artikel ohne das Bild veröffentlicht werden konnte. Nun darf in der leidigen Geschichte alles mögliche angenommen werden, aber nicht ein bloßes „technisches Versehen“. Hagenkord „scheint die katholische Herde für ziemlich dumm zu halten, oder jedenfalls für dumm verkaufen zu wollen“. Mit diesen Worten machte mich ein Leser auf die Aussage des Jesuiten aufmerksam. Nachdem die Sache auch international für Diskussionen sorgte, fand die Deutsche Sektion von Radio Vatikan plötzlich doch einen Weg, zumindest das Foto zu löschen.
Für Hagenkord ist katholische Lehre über Homosexualität „krank“?
Parallel ging Hagenkord auf seinem Blog zu wüsten Beschimpfungen der Katholiken über, die sich über seinen „schamlosen Aktionismus“ empörten. Er schreckte nicht davor zurück, sie als „krank“ hinzustellen, sich und die Redaktion jedoch als Opfer einer unverständlichen Kritik darzustellen. Er hatte auch keine Scham, sich auf seinem Blog durch Kommentare wie folgenden unterstützen zu lassen: „Diese Leute [Katholiken, die Homosexualität ablehnen] sind einfach ein Fall für den Psychiater“. Hagenkord verteidigte die Katholiken nicht, sondern pflichtete bei: ja die Kritiker seien „krank“. Mit anderen Worten: Für den Jesuiten Hagenkord sind die katholische Lehre zur Homosexualität und die gläubigen Katholiken, die sich daran orientieren, „krank“.
Ein von Roland Noà«, dem Chefredakteur von Kath.net eingefordertes mea culpa von Pater Hagenkord, ist bis heute ausgeblieben. Verwunderlich ist das nicht: Hochmut und Stolz charakterisieren jede Ablehnung der katholischen Lehre.
Lintners Hoffnung, daß Kirche „sexualfeindliche Tradition“ überwindet
Noch ein Wort zum 1972 in Südtirol geborenen Pater Martin Lintner: er trat 1991 in den Servitenorden ein und wurde 2001 zum Priester geweiht. 2006 promovierte er in Theologischer Ethik an der Universität Wien. Ab 2003 war er Referent für Moraltheologie bei den Theologischen Kursen der Erzdiözese Wien, ab 2007 hatte er Lehraufträge in Moraltheologie und Kirchlicher Soziallehre an der Servitenuniversität in Rom, seit 2009 lehrt er Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule seiner Heimatdiözese Brixen. Seit 2013 ist er zudem Provinzial der Tiroler Ordensprovinz der Serviten und Vorsitzender der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie. Von ihm stammt das 2011 erschienene Buch „Den Eros entgiften. Plädoyer für eine tragfähige Sexualmoral und Beziehungsethik“.
Zentrale Stichworte seines Furche-Aufsatzes sind „Von der Aktmoral zur Gradualität“, wobei er eine These von Christoph Kardinal Schönborn, Erzbischof von Wien, aufgreift, der in einer Beziehung zwischen Menschen grundsätzlich nichts Böses mehr erkennen will, sondern nur das graduell verwirklichte Ideal. Das zweite Stichwort Lintners lautet „Sex als Ausdruck der Beziehungsqualität“. Denn die Kirche nehme „Sexualität mehr und mehr in ihrer personalen und ganzheitlichen Dimension“ wahr. Lintner bedauert zwar, daß die sexualethischen Normen der Kirche unverändert geblieben seien, hegt aber die Hoffnung, daß es ein „Umdenken“ geben werde. Das, so Lintner, lasse das Schlußdokument der Synode 2014 und das Arbeitspapier für die Synode 2015 erkennen. Wörtlich sagte er: „Die Hoffnung lebt, dass die Kirche aus dem langen und bedrückenden Schatten ihrer sexualfeindlichen Tradition heraustritt.“
Kirchliche Lehre „sexualfeindlich“ und „krank“?
Keine schmeichelhaften Urteile, die ein Servit und ein Jesuit über die katholische Kirche fällen, immerhin Priester, die sich mit dem Satz schmücken: „Wer bin ich, um zu urteilen?“ Für den Serviten Lintner ist die Kirche „sexualfeindlich“, die Verbindung mit dem Wort „Tradition“ könnte man als besondere Spitze lesen. Für den Jesuiten Hagenkord ist die kirchliche Sexuallehre „krank“ und mit ihr offenbar auch die Katholiken, die sich daran ausrichten.
Es erscheint fast überflüssig noch zu erwähnen, daß die verschiedenen Internetseiten der LGBT-Lobby die „Öffnung“ von Radio Vatikan und vor allem die Veröffentlichung des Homo-Fotos ebenso begeistert wie genußvoll feierten.
Kirche mit „Homo-Fraktion“ – Korrektur durch Papst Franziskus notwendig
Nicht überflüssig sind einige abschließende Feststellungen: Der Vorfall bestätigt, daß in der katholischen Kirche eine Fraktion existiert, die immer ungeduldiger auf eine „Öffnung“ in Sachen „Homosexualität“ und „Homo-Ehe“ drängt und in Einklang mit dem herrschenden Zeitgeist treten will.
Der Vorfall bestätigt einmal mehr, daß die höchst umstrittene Aussage von Papst Franziskus „Wer bin ich, um zu urteilen?“ als Türöffner für die Forderung nach offizieller Anerkennung der Homosexualität verwendet wird und als Begründung für eine faktische Anerkennung, die von liberalen Katholiken bereits auf vielerlei Weise vorexerziert wird.
Der Vorfall zeigt, wie dringend es geboten wäre, daß Papst Franziskus seine Aussage öffentlich korrigiert. Da dies, trotz der bekannten Negativfolgen in den vergangenen zwei Jahren nicht geschehen ist, drängt sich der Verdacht auf, daß der Papst seine Aussage tatsächlich im Sinne der kirchlichen Homo-Fraktion gemeint hat. Dann wäre er, wie in der Frage der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene, der eigentliche Anführer der destruktiven „neuen Barmherzigkeit“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: CR/RV/Eugen-Biser-Stiftung (Screenshots)