(Paris) Wer vom Weg abkommt, läuft Gefahr, sich immer mehr zu verirren. Ähnlich verhält es sich mit dem vom Klerus hausgemachten Priestermangel bei gleichzeitiger „Klerikalisierung“ von haupt- und ehrenamtlichen Laien. Die Folgen des „allgemeinen Priestertums“, das anstelle des sakramentalen Priestertums hervorgekehrt wird, waren vom ersten Tag an absehbar. Das Priestertum wird verschämt versteckt, seiner Würde und mangels Vorbild weitgehend seiner Anziehungskraft beraubt.
Im Gegenzug wurden um so beflissener im Sinne von Demokratisierung und Emanzipation immer neue Ämter für Laien geschaffen: PastoralassistentInnen, GemeindereferentInnen, KommunionspenderInnen, haupt- und nebenberufliche, verheiratete und ledige Diakone, WortgottesleiterInnen, hauptamtliche und ehrenamtliche. Es dürfte keine Diözese geben, jedenfalls nicht im deutschen Sprachraum, in der es noch mehr Priester als hauptamtliche LaienseelsorgerInnen gibt.
Entfremdung der Priester von den Pfarreien
Die Zahl der Priester sinkt, jene der hauptamtlichen Laien steigt. Eine Parallelbewegung, die in beiden Fällen hausgemacht ist. In den geschaffenen Pfarrverbänden, Pfarrgemeinschaften, Seelsorgeeinheiten, Seelsorgeräume oder wie immer man die Zusammenfassung mehrerer Pfarreien auch nennt, sind Priester häufig nur mehr ein Beiwerk an der Seite hauptamtlicher Laien. Jeder Priester hat zwar gleich mehrere Pfarreien, letztlich aber keine wirklich. Er wird zum heimatlosen Reisenden, der von Pfarrei zu Pfarrei zieht, überall einen gut organisierten Laienapparat vorfindet, der alles fest im Griff hat, und eigentlich gar keinen Priester braucht. So „gut“ machen das die Laien.
Die Laien sind damit die HerrInnen, während der Pfarrer zum Fremden im eigenen Haus wird, wenn nicht gar zum „Spielverderber“, wenn er es wagen sollte, seine Vorstellungen in längst laikal fertiggestellte und beschlossene Konzept einbringen zu wollen.
Mehr noch, einer solcherart erst einmal eingewurzelten Laienherrschaft fällt es nicht schwer, einen vom Bischof ernannten Priester notfalls schnell wieder aus dem Ort zu mobben. Die Folgen: Priester werden den Pfarreien entfremdet, liturgischer und doktrineller Wildwuchs, laikale Arroganz, latente oder offene Rebellion gegen die kirchliche Autorität, schleichende Ablehnung von Glaubenswahrheiten und ein ständig fortschreitender Rückgang der Priesterberufungen.
Tabuzone: keine Ursachenforschung für Priestermangel
Und wer vom Weg abkommt, läuft manchmal auch Gefahr, sich tödlich zu verirren. Nach dem Dominoeffekt läßt ein Stein den anderen fallen. Bischof Hubert Herbreteau von Agen in Aquitanien setzte den nächsten Schritt und errichtete die erste wirklich priesterlose Pfarrei Frankreichs.
„Die Diözese Agen liegt wie mehr oder weniger fast alle Diözesen Frankreichs wegen Priestermangels im Sterben“, so Riposte Catholique. Manche Bischöfe versuchen Pfarreien Gemeinschaften anzuvertrauen, die Berufungen haben. Auf die Gesamtheit aller Diözesen bezogen, spielt das aber nicht wirklich eine Rolle. Auch Zusammenfassungen mehrerer Pfarreien zu Verbänden verschaffen bestenfalls eine kurze Gnadenfrist. Rund 60 Prozent der Einwohner der Diözese sind Katholiken.
Wenn in der Diözese Agen ein Priester stirbt oder in den Ruhestand tritt, kann ihn der Bischof nicht ersetzen. Die Frage nach den Wurzeln dieses Übels wird aber nicht gestellt, ganz im Gegenteil gemieden wie der Teufel das Weihwasser meidet. Statt dessen werden immer neue Pläne für strukturelle Reformen des Pfarrnetzes gesucht, vorgelegt und diskutiert. Das hält von der Ursachensuche und offenbar auch vom Denken ab. Und so wird seit Jahren fleißig gruppiert und umgruppiert und wieder neu gruppiert …
„Tödliche Idee“ priesterloser Pfarreien
Die „tödliche Idee“ (Riposte Catholique) von priesterlosen Pfarreien fällt in der Diözese Agen auf fruchtbaren Boden. Begründet wird sie wie zuvor schon jede der Gruppierungen und Umgruppierungen: immer mit dem „Notstand“ des Priestermangels für den jede Ursachenforschung aber, wie schon gesagt, tabu ist.
Pater Jean Rigal, Professor am Katholischen Institut von Toulouse, eine Koryphäe der „Öffnung“ in Frankreich, hat in der Diözese zahlreiche Anhänger. Unermüdlich veröffentlichte Rigal seine subversiven Ideen mit immer neuen Büchern wie „Handwerker einer neuen Kirche“ (1976), „Die Zukunft der Kirche vorbereiten“ (1990), „Baustelle Kirche“ (1994), „Neue Horizonte für die Kirche“ (1999), „Die Kirche auf der Suche nach dem Kommenden“ (2003), „Die Kirche auf dem Prüfstand ihrer Zeit“ (2007), usw.
Im jüngeren Klerus hat sich das Blatt zwar gewendet, doch die Jünger von Rigal & Co. sind sehr gut etabliert. Sie sitzen an den Schalthebeln aller wichtigen Posten in der Diözese. Die progressiven Cliquen wußten sich festzusaugen wie Blutegel. Die kirchenrechtlichen Angelegenheiten hat einer von ihnen, der ständige Diakon Georges Morin, Kanonist, Professor am Katholischen Institut von Toulouse und einflußreicher Kanzler der Diözese Agen, in der Hand.
Kirchenrecht: „Kein Pfarrleben ohne Pfarrer und ohne Sakramente“
Der Codex Iuris Canonici von 1983 regelt die Frage, wie in einer Zeit der Priesterknappheit mit Pfarreien umgegangen werden soll. Im Canon 517, Paragraph 2 heißt es:
„Wenn der Diözesanbischof wegen Priestermangels glaubt, einen Diakon oder eine andere Person, die nicht die Priesterweihe empfangen hat, oder eine Gemeinschaft von Personen an der Wahrnehmung der Seelsorgsaufgaben einer Pfarrei beteiligen zu müssen, hat er einen Priester zu bestimmen, der, mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet, die Seelsorge leitet.“
Das Wort „leitet“ ist in der Sprache des Kirchenrechts eindeutig. Der Codex verdeutlicht, daß es kein Pfarrleben ohne Pfarrer und ohne Sakramente gibt. Wenn es nicht für jede Pfarrei einen eigenen Pfarrer gibt, so wird ein Moderator ernannt, meist der Pfarrer einer Nachbarpfarrei. Moderator meint dabei einen nicht in der Pfarrei residierenden Priester. Eine Regelung, mit der sich die Anhänger einer „horizontalen Kirche“ keineswegs zufriedengeben wollen.
Bischof Herbreteau: „Kreativität gefragt: neue Wege beschreiten, Kirche zu machen“
Bischof Herbreteau und sein Kanzler Morin haben sich daher ihre eigene „Interpretation“ des Kirchenrechts zusammengebraut. Als Experimentierfeld wählten sie die Pfarrei Saint Pierre et Saint Martial des Coteaux, ein Pfarr-Agglomerat, das sich über das Gebiet von 20 politischen Gemeinden und doppelt so vielen Kirchen erstreckt. Der bisherige Pfarrer, Arnaud Lassuderie, geht nach Neukaledonien. Anstatt die Pfarrei einem Orden oder einer Gemeinschaft der Tradition anzuvertrauen, ließ Bischof Herbreteau die fassungslosen Pfarrangehörigen wissen: „In Ihrer Pfarrei ist nun Kreativität gefragt. Die Zeit ist gekommen, in unserer Ortskirche andere Wege zu beschreiten, Kirche zu machen“, so der Bischof.
Bischof und Kanzler machten sich auf die Suche nach einem „engagierten Laien“, der imstande war, „schöne Erklärungen vor der Presse“ abzugeben, und das Ende der „pyramidalen Kirche“ bekanntzugeben. Genau wie es Rigal in seinen Bücher verkündet. Gefunden haben sie ihn in Christian Millot.
Am 29 Dezember 2014 unterzeichnete Bischof Herbreteau folgendes Dekret: „Herr Christian Millot, Pastoralvertreter, wurde für drei Jahre zum Verantwortlichen der Pfarrei Saint-Pierre et Saint-Martial des Coteaux ernannt, beginnend ab 1. Januar 2015“.
Ein Laie als neuer Pfarrer, wenn er auch nicht Pfarrer genannt wird
Öffentlich bekanntgegeben wurde die Ernennung am Sonntag, den 11. Januar 2015. Christian Millot nimmt seither alle nicht sakramentalen Vollmachten eines Pfarrers in der Pfarrei wahr, sitzt aber auch neben den Priestern in den Versammlungen des Dekanats, kann wie ein Pfarrer alle Entscheidungen in den Bereichen Katechese und Liturgie treffen, leitet das Laienseelsorgeteam und führt die Pfarrbücher.
Der „Laienkurat“ wird von zwei „Laienvikaren“, Pierre Chanut und Isabelle Gary, unterstützt, die sich mit Begeisterung in die „Herausforderung“ stürzten. Die neue Situation in der Pfarrei sehen sie als „Zeichen für neue Zeiten“. Sie haben den erklärten Ehrgeiz, auch „ein Zeichen für andere Pfarreien zu sein, die in naher Zukunft sich in der gleichen Situation befinden werden“. Die priesterlose Pfarrei wird euphemistisch als „Rückkehr zu den ersten christlichen Gemeinden“ dargestellt, denn – wie Jean Rigal in seinen Bücher wahrheitswidrig behauptet – sei „das Weihesakrament erst viel später erfunden“ worden.
„Legitime Autorität“ sind Laien, Priester bieten noch „brüderliche Unterstützung“
Im Pfarrblatt vom Mai 2015 hieß es dann, der 77 Jahre alte, ehemalige Dompfarrer von Agen, Jean-Pierre Ortholan, werde Christian Millot und dessen Seelsorgeteam „begleiten“. Die auf den Kopf gestellte kirchenrechtliche Ordnung des neuen „Modells“ lautet demnach: Die „legitime Autorität“ wird von Laien ausgeübt, während der Priester noch „brüderliche Unterstützung“ bietet.
Für Taufen und Hochzeiten holen Millot und sein Team einen Diakon aus Villeneuve-sur-Lot oder Sainte-Livrade. Für die Meßfeiern kommt einmal im Monat Pater Guillauma von den Assumptionisten aus Villeneuve-sur-Lot und einmal im Monat Jean-Pierre Ortholan aus Agen. Vom Bußsakrament ist ohnehin keine Rede.
Von Sonntag zu Sonntag wechseln sich Heilige Messe und Wortgottesfeier ab, die von Millot geleitet werden. Sie werden „Versammlung des Wortes“ genannt, offenbar eine Reminiszenz an den in der Gegend einmal starken Calvinismus. Sie bestehen aus Schriftlesungen, Gesang und Laienpredigt durch Christian Millot, ohne Kommunion. „Die Heiligen Messen von Pater Ortholan, wie bei der Erstkommunion am 7. Juni, sind aber nicht besser“, so Riposte Catholique. Wie sollte es auch anders sein: Wer kann noch das Eine vom Anderen unterscheiden?
Bischof Hubert Herbreteau hat mit seinem Kanzler im Geist von Jean Rigal die erste wirklich priesterlose Pfarrei Frankreichs geschaffen und das alles in völliger Illegalität.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Riposte Catholique/Diocese d’Agen (Screenshot)