(Damaskus) Dem Islamischen Staat (IS) ist bisher kein Durchbruch zum Mittelmeer gelungen. Der 200 Kilometer lange, alawitisch besiedelte Küstenstreifen westlich des Alawitengebirges wird von der syrischen Regierung gehalten und mit Zähnen und Klauen verteidigt. Die Islamisten blicken daher zunehmend auf den Libanon, um sich einen Zugang zum Meer zu erkämpfen.
Ein Vorstoß im Norden durch die Türkei verbietet sich ebenso wie südlich durch Israel. Gegen Israel hat der Islamischen Staat (IS) noch keine Kugel abgefeuert und die Türkei gilt – natürlich inoffiziell – als befreundeter Staat.
Die syrischen Küstenprovinzen Latakia und Tartus werden von Alawiten bewohnt, zu denen auch Staatspräsident Baschar al-Assad zählt. Auf dieses bisher sichere Gebiet und die Hauptstadt Damaskus konzentriert die syrische Regierung ihre Verteidigungskräfte.
Das Gebiet ist mit 4.200 Quadratkilometern Fläche zusammen zwar größer als das Saarland, aber kleiner als der Schweizer Kanton Wallis. Wegen der vielen alawitischen Flüchtlinge aus dem Landesinneren konzentrieren sich hier auf engem Raum und mit dem Rücken zum Meer mehr als 3,5 Millionen Menschen.
Islamischer Staat (IS) will den Hafen von Tripoli erobern
Der Islamische Staat (IS) plant, in den Libanon einzudringen mit dem Ziel „Tripoli zu erobern und sich einen Zugang zum Mittelmeer zu verschaffen“. Diese Information stammt von Ahmed Mikati, laut Angaben der libanesischen Sicherheitskräfte „einer der wichtigsten Männer des IS im Libanon“. Mikati war vor mehreren Monaten gefangengenommen worden, nachdem der Islamische Staat (IS) im Sommer 2014 einen ersten Versuch unternommen hatte, den Kampf in den Libanon hineinzutragen. In der libanesischen Bekaa-Ebene war es zu Konflikten gekommen. Die libanesische Armee erhöhte darauf die Anstrengungen, IS-Unterstützer im Libanon auszuforschen. Die 27 Prozent libanesischen Sunniten gelten als potentielle Rekrutierungsbasis des Islamischen Staates (IS).
Der Zugang zum Mittelmeer wäre eine geopolitische „Meisterleistung“ des Islamischen Staates (IS). Er würde damit wichtige Verkehrs- und Handelswege der anderen Staaten abschneiden, vor allem sich aber solche öffnen. Über einen Zugang zum Mittelmeer kann der IS seinen florierenden illegalen Erdölhandel ausbauen und sich eine wichtige Nachschublinie für Waffen, Kämpfer und alle notwendigen Waren erschließen. Darauf zielt die Eroberung des Hafens von Tripoli im Nordlibanon ab.
Laut Ahmed Mikati, der von der libanesischen Armee gefangengenommen wurde, sei es das Ziel von „Kalif“ Abu Bakr al-Baghdadi „im Nordlibanon vorzudringen und in der Stadt Tripoli ein Emirat zu errichten“, um sich einen Mittelmeerhafen zu sichern.
Illegaler Erdölhandel, Waffentransporte, Operationsbasis gegen Ungläubige
Mit einem eigenen Hafen wäre der „Kalif“ für den illegalen Erdölhandel nicht mehr allein vom Wohlwollen der Türkei abhängig. Das zweite Motiv, so Mikati, sei der „Waffenhandel“. Im Hafen von Tripoli könnten Transportschiffe anlegen, die Panzer und anderes schweres Geschütz liefern. Drittens, so der libanesische IS-Vertreter, wäre Tripoli die „Operationsbasis, um das Mittelmeer für Aktionen gegen die Ungläubigen zu nützen“. Die Levante ist das Tor zu Europa.
Um den Plan umzusetzen, muß der Islamische Staat (IS) den Kampf um das Kalamun-Gebirge an der Grenze zum Libanon gewinnen. Hier steht der Islamistenfront aus IS, Al-Nusra-Brigade und anderen syrisch-sunnitischen Rebellen eine Koalition aus regulären syrischen Truppen und der schiitischen Hisbollah des Libanon gegenüber. Die Hisbollah kommt seit 2013 den ihnen religiös verwandten Alawiten in Syrien zu Hilfe. Ein Eingreifen, das jedoch auch als vorgeschobene Verteidigungslinie für den Libanon gedacht ist.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi