(Turin) Am vergangenen Montag, 22. Juni, besuchte Papst Franziskus am Tag nach seiner Pilgerschaft zum Grabtuch von Turin die Hauptkirche der Waldenser in der piemontesischen Hauptstadt.
Dabei kam es zu einer Szene, die fotografisch festgehalten wurde. Die Waldenserpastoren überreichten Papst Franziskus ihre Bibel, die der Papst vor den Augen aller küßte.
Ein „beunruhigendes“ Bild, so Chiesa e postconcilio. „Was sagt der große Katechismus des heiligen Papstes Pius X., Nr. 887: Was müßte ein Christ tun, wenn ihm von einem Protestanten oder von einem Abgesandten der Protestanten eine Bibel angeboten wird? Antwort: Wenn einem Christen von einem Protestanten oder einem Abgesandten der Protestanten eine Bibel angeboten wird, muß er sie mit Abscheu zurückweisen, weil sie von der Kirche verboten ist; wenn er sie angenommen hätte, ohne darauf zu achten, muß er sie alsbald ins Feuer werfen oder seinem Pfarrer abliefern.“ Soweit Radio Spada zur Episode. Was Pius X. hier den Christen empfiehlt, tat der heilige Johannes Bosco, indem er sich den Waldensern entgegenstellte.
„Unchristliches, unmenschliches Verhalten“ der katholischen Kirche ?
Papst Franziskus betrat als erstes katholisches Kirchenoberhaupt einen Waldensertempel. Gewiß ein historischer Moment. In seiner Ansprache an die Waldenser zitierte das katholische Kirchenoberhaupt die Heilige Schrift und das – wie ausdrücklich vermerkt wurde – in einer „interkonfessionellen Fassung“.
Franziskus entschuldigte sich bei den Waldensern für alles, was ihnen durch Katholiken angetan wurde: „Von Seiten der katholischen Kirche bitte ich Euch um Vergebung für die unchristlichen, ja sogar unmenschlichen Einstellungen und Handlungen, die wir in der Geschichte gegen Euch hatten. Im Namen des Herrn Jesus Christus, vergebt uns!“
„Papst hat Mauer des Häresievorwurfes überwunden“
Der Moderator der Waldensertafel, Pastor Eugenio Bernardini antwortete darauf: „Der Papst hat eine Mauer überwunden, die vor acht Jahrhunderten errichtet wurde, als unsere Kirche von der römischen Kirche der Häresie beschuldigt und exkommuniziert wurde.“ Der Papst widersprach nicht.
Die Waldenser entstanden als pauperistische Bewegung im Lyon des 12. Jahrhunderts aus den Lehren des Kaufmanns Petrus Valdes. Sie verstanden sich als Antwort auf die damals von der römischen Kirche ausgeübte weltliche Macht. Heute werden sie allgemein als calvinistisch ausgerichtete Protestanten bezeichnet. Sie bekennen eine ganze Reihe von Irrtümern, die Ähnlichkeiten mit den Donatisten aufweisen. Der heilige Augustinus sagte von diesen Häretikern: „In vielen Punkten sind die Häretiker mit mir, in einigen anderen nicht; aber wegen dieser wenigen Punkte, in denen sie sich von mir trennen, nützt es ihnen nichts, in allem anderen mit mir zu sein“ (In Psa. 54, Nr. 19, PL 36, 641).
Historisch ist auch von Bedeutung, daß etwa die Hälfte der Anhänger im 19. Jahrhundert Liberale und Freimaurer waren, die aus der katholischen Kirche zu den Waldensern überwechselten. Dieser Umstand und ihre liberale Gesinnung führte dazu, daß sie trotz ihrer geringen Zahl in staatstragenden Kreisen Turins einiges an Gewicht besaßen.
Pius XI. gegen die „Panchristen“
In Mortalium Animos schrieb der selige Papst Pius XI. 1928:
„So und ähnlich reden in stolzer Sprache jene, die man Panchristen nennt. Man glaube nicht, es handle sich bei ihnen nur um vereinzelte kleine Gruppen. Im Gegenteil: sie sind zu ganzen Scharen angewachsen und haben sich zu weitverbreiteten Gesellschaften zusammengeschlossen, an deren Spitze meist Nichtkatholiken der verschiedensten religiösen Bekenntnisse stehen. Ihr Beginnen fördern sie inzwischen so tatkräftig, daß es weithin die Zustimmung des Volkes gefunden hat. Ja, ihre Arbeit hat sogar viele Katholiken angezogen und begeistert, die sich der Hoffnung hingeben, auf diesem Wege lasse sich eine Einheit herbeiführen, wie sie auch wohl den Wünschen der heiligen Mutter, der Kirche, entspricht. Liegt doch der heiligen Kirche nichts mehr am Herzen, als die verlorenen Söhne wieder in ihren Mutterschoß zurückzurufen und heimzuführen. Unter diesen ‚Überaus verlockenden und einschmeichelnden Worten verbirgt sich aber ein schwerer Irrtum, der die Grundlage des katholischen Glaubens vollständig zerstört und untergräbt. […] Es hat zwar den Anschein, als ob die Panchristen, die sich um die Wiedervereinigung der Kirche bemühen, das erhabene Ziel verfolgten, die Liebe unter allen Christen zu verbreiten. Wie könnte aber die Liebe zu einer Schädigung des Glaubens führen? Wir wissen doch alle, daß selbst Johannes, der Apostel der Liebe, der in seinem Evangelium wohl die innersten Geheimnisse des heiligsten Herzens Jesu geoffenbart hat, und der den Seinen das neue Gebot ‚Liebet einander‘ immer wieder in Erinnerung brachte, streng jeden Verkehr mit denen verboten hat, die Christi Lehre nicht rein und unverfälscht bekennen: ‚Kommt einer zu euch und bringt diese Lehre nicht mit, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und bietet ihm keinen Gruß‘. Weil also die Liebe nur auf der Grundlage eines reinen und unverfälschten Glaubens aufbauen kann, müssen die Jünger Christi durch die Einheit des Glaubens als dem vorzüglichsten Band miteinander verbunden werden.“
Don Bosco und seine Verfolgung durch die Waldenser
Da Papst Franziskus in Turin einen Waldensertempel besuchte, ist an den heiligen Johannes Bosco zu erinnern, der in dieser Stadt Großes gewirkt hat. So Großes, daß Franziskus auch dem von Don Bosco in Valdocco in Turin gegründeten Zentrum des Salesianer-Ordens mit der großen Kirche Maria, Hilfe der Christen einen Besuch abstattete. Der Heilige lebte von 1815 – 1888 und erlebte damit die Zeit der italienischen Einigungsbewegung, die 1870 den Kirchenstaat zertrümmern sollte.
Das Königreich Sardinien-Piemont mit seiner kirchenfeindlich-freimaurerischen Staatsdoktrin bereitete dem piemontesischen Heiligen große Schwierigkeiten. Als die staatliche Verfolgung endlich nachließ, begann jene der Waldenser, die sich ganz in den Dienst des neuen Königreiches gestellt hatten. Sie entfalteten eine rege Propagandatätigkeit in Turin, mit der sie Don Bosco angriffen und in der Öffentlichkeit zu diskreditieren suchten. Schließlich forderten sie ihn selbstsicher zu theologischen Disputen heraus. Alle Waldenserführer Turins traten gegen den Heiligen auf, unterlagen jedoch. Schließlich boten sie den bekanntesten ihrer Pastoren, Jean Pierre Meille aus dem okzitanischen Luzerna e San Jan in Piemont.
Das Streitgespräch mit dem bekanntesten Waldenserpastor Meille
Sieben Stunden dauerte das Streitgespräch in Valdocco, bis es mit einer komischen Szene endete. Don Bosco hatte es mit der Vernunft, mit der Geschichte und mit der lateinischen Heiligen Schrift versucht. Doch Meille wollte sich nicht geschlagen geben und meinte schließlich, daß die lateinische Bibel nicht genüge, man müsse den griechischen Text heranziehen. Don Bosco stand auf, ging zum Bücherschrank, holte eine griechische Bibel und legte sie dem Waldenserpastor hin mit den Worten: „Hier, mein Herr, der griechische Text. Schlagen Sie ruhig nach, Sie werden feststellen, daß er vollkommen mit dem lateinischen Text übereinstimmt.“ Meille hatte geblufft, um sich nicht geschlagen geben zu müssen. Er verfügte über keinerlei Griechisch-Kenntnisse, weshalb er das Buch seitenverkehrt zu Hand nahm und darin blätterte. Als Don Bosco es ihm umdrehte, war er bloßgestellt, bekam einen hochroten Kopf, sprang auf und stürmte aus dem Saal. Das Streitgespräch war beendet.
Daraufhin änderten sie ihre Vorgehensweise. An einem Sonntag im August 1853 kamen zwei Männer und suchten den Heiligen auf, einer von ihnen war ein Waldenser-Pastor, wie sich später herausstellte. Sie schmeichelten Don Bosco und boten ihm schließlich eine beträchtliche Summe Geld, mit der Ankündigung, daß er noch viel mehr davon bekäme, wenn er statt Bücher über Religion zu schreiben, sich der Geschichtswissenschaft zuwenden würde, denn damit könne er Wertvolles tun. Don Bosco lehnte empört ab, worauf ihn die beiden Männer beschimpften und schließlich sogar bedrohten: „Wenn Sie das Haus verlassen, sind Sie sich sicher, wieder zurückzukehren?“
„Katholische Priester sind für die Ehre Gottes und das Wohl der Seelen auch bereit zu sterben“
Johannes Bosco antwortete ihnen: „Wie ich sehe, scheinen Sie nicht zu wissen, wer ich bin: Ich bin ein katholischer Priester und katholische Priester sind für die Ehre Gottes und das Wohl der ihnen anvertrauten Seelen auch bereit zu sterben.“ Die beiden Männer wollten den Heiligen daraufhin tätlich angreifen. Don Bosco ergriff einen Stuhl und sagte: „Wenn ich Gewalt anwenden wollte, hätte ich schon die Kraft, Sie diesen Hausfriedensbruch spüren zu lassen. Die Kraft des Priesters liegt aber in Geduld und Vergebung. Ich denke also, daß es Zeit ist, dieses Gespräch zu beenden.“ In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Giuseppe Buzzetti, ein treuer Mitarbeiter Don Boscos stand in der Tür. Der Heilige sagte in aller Ruhe zu ihm: „Begleite die Herren bis zum Gitter!“
Die Waldenser griffen darauf zu anderen Mitteln der Verfolgung. Eines Abends wurde Don Bosco zu einem Kranken gerufen, um ihm die Beichte abzunehmen. Im Haus fand er eine Gruppe von Männern vor, die ihm schmeichelten und drängten, mit ihnen ein Glas Wein zu trinken. Don Bosco bemerkte jedoch, daß sein Glas aus einer anderen Flasche gefüllt wurde, als die Gläser der anwesenden Männer. Als er sich weigerte, hielten ihn zwei der Männer fest, während die anderen ihm den Wein gewaltsam einflößen wollten. Er griff in der mißlichen Lage zu einer List: „Wenn Ihr unbedingt besteht, dann trinke ich, aber laßt mich frei, sonst wird der Wein nur verschüttet“. Als sie ihn freiließen, sprang er schnell zur Tür, riß sie auf und rief die vier jungen Burschen herein, die ihn zu seinem Schutz begleitet hatten. Die Männer ließen angesichts der veränderten Lage von ihrem Vorhaben ab. Don Bosco bat einen Freund, sich über die Hintergründe dieses Angriffs zu erkundigen. Es stellte sich heraus, daß die Männer in dem Haus bezahlt worden waren, den Heiligen zu vergiften.
Mordanschläge gegen Don Bosco
Zu einem Sterbenden gerufen, lauerte dem Heiligen bald darauf eine Gruppe von mit Knüppeln bewaffneten Männern auf, die Don Bosco erschlagen sollten. Da die Angreifer das Licht ausgemacht hatten, konnte sich der Heilige zunächst mit einem Tisch schützen. Durch den Lärm alarmiert, kamen ihm seine vier getreuen Begleiter zu Hilfe, so daß er aus dem Haus heil entkam.
Die Protestanten wollten nun Fakten: An einem Januar-Nachmittag 1854 bekam Don Bosco Besuch von zwei Männern. Sie forderten ihn auf, die Publikation katholischer Schriften einzustellen oder sonst werde man es ihm einstellen. Als die Drohungen den Heiligen nicht beeindruckten, sagten die Männer zu ihm: „Entweder Sie tun es oder Sie sind tot“. Dabei zogen sie Pistolen und hielten sie dem Heiligen auf die Brust. „Dann schießen Sie!“ schleuderte ihnen Don Bosco mit kräftiger Stimme entgegen. Giovanni Cagliero, ein Vertrauter des Heiligen, hatte den Männern nicht getraut und war ihnen daher aus eigener Initiative bis vor das Zimmer Don Boscos gefolgt. Er stürzte nun mit lauten „Hilfe“-Rufen ins Zimmer, was die beiden Angreifer so überraschte, die den Heiligen einschüchtern wollten, daß sie die Pistolen schnell versteckten und aus dem Zimmer rannten.
Trotz der vielen Angriffe auf sein Leben, trug der Heilige nie Waffen und gebrauchte auch nie Gewalt. Er überließ sich ganz der Vorsehung, die ihn schützte. Dazu gehörte auch der „Graue“, ein kräftiger großer Hund, der den heiligen Don Bosco mehrfach aus gefährlichen Situationen befreite.
Don Boscos Bemühung um einen abgefallenen Priester, der Waldenserpastor wurde
Vergeglich war hingegen das Bemühen von Johannes Bosco um den katholischen Priester Luigi De Sanctis. Der Römer De Sanctis gehörte dem Kamillianerorden an, war Professor der Theologie und ein bekannter Pfarrer im Rom der 1830er Jahre. Im Revolutionsjahr 1848 kehrte De Sanctis jedoch der katholischen Kirche den Rücken, verließ seinen Orden und seine Pfarrei und ging nach Malta. Dort wurde er Protestant und heiratete. Wenig später wurde er Vikar von Pastor Meille in Turin und beteiligte sich an der antikatholischen Zeitschrift „Das evangelische Licht“, die vor allem gegen Don Bosco gerichtet war. Als es innerhalb der Waldenser zu Konflikten kam, wurde De Sanctis Calvinist, was ihn seine Stelle bei den Waldensern kostete und ihn in eine schwere Krise stürzte.
Don Bosco nahm am 17. November 1854 Kontakt mit De Sanctis auf. Er versuchte, dem abgefallenen Priester den Weg zurück in die katholische Kirche zu bahnen. Der Schritt mag erstaunen, immerhin war De Sanctis ein „Verräter“ und hatte zahlreiche Schriften gegen die katholische Kirche verfaßt, vor allem Angriffe gegen das Beichtsakrament. Doch Don Bosco war vom extra ecclesiam nulla salus überzeugt. Ihm ging es um die Rettung der Seelen der Menschen.
Tatsächlich antwortete De Sanctis. Daraus ergab sich ein intensiver Briefwechsel, der erhalten geblieben ist. „Sie können sich gar nicht die Wirkung vorstellen, die Ihr so freundlicher gestriger Brief auf mich hatte. Ich hätte mir nie vorstellen können, daß es so viel Großherzigkeit und so viel Freundlichkeit in einem Mann gibt, der mein offener Feind ist. Machen wir uns nichts vor. Ich bekämpfe Ihre Prinzipien und Sie bekämpfen meine Prinzipien, doch während Sie mich bekämpfen, zeigen Sie mir, mich aufrichtig zu lieben …“
Don Bosco, der überzeugt war, daß in einem abgefallenen Priester größte Gewissensnot herrschen müsse, weshalb er ihm mit seiner Freundschaft die Hand reichen wollte, wurde jedoch enttäuscht. Ein halbes Jahr später nahm De Sanctis seine Angriffe gegen die katholische Kirche wieder auf, ging nach Florenz, kehrte dort in die Waldenserkirche zurück und starb als Waldenser 1869. Don Bosco sollte von einem „verhärteten Herz“ und einem „verdunkelten Intellekt“ sprechen, die den ehemaligen Kamillianer umklammert hielten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Chiesa e postconcilio/Wikicommons