(Damaskus) „Das grandiose, von Ingenieuren und Sklaven erbaute Palmyra verschmilzt auf so vollkommene Weise mit den Farben der Wüste, wie ich es an keinem anderen Ort gesehen habe. Die Bilder des glühenden Sonnenuntergangs, in dem ein unerwartet festlich gekleidetes Kind mir bestens gelaunt Lapislazuli-Steine zum Kauf anbot, waren inmitten der Wüste wie aus Feuer und Wind gemacht“, mit diesen Worten beginnt der Publizist Renato Farina seine „Liebeserklärung an Palmyra“, die berühmte antike Ruinenstadt in der syrischen Wüste auf halbem Weg zwischen Damaskus und dem Euphrat. Farinas Gedanken in deutscher Übersetzung:
Diese Ruinenstadt, melancholischer Bote einer vergangenen Pracht, läuft nun Gefahr von den Dschihadisten des Islamischen Staates ausgelöscht zu werden. Die Vorstellung führte zu einem plötzlichen Aufschrei in der zivilisierten Welt. Mich aber erschreckt, in den anderen und in mir selbst, daß es mir um die Steine, die Zeugen menschlicher Schaffenskraft und Größe sind, mehr leid ist als um das Leben eines Kindes, vielleicht jenes, das mir damals Lapislazuli angeboten hat, mehr leid ist als um das Massaker an Hunderten unschuldigen Menschen, als um die Enthauptung von Alawiten und meiner christlichen Brüder. Niemand sagt es mehr, aber ich sage es und wiederhole mich: Ein einziges von Gott geschaffenes Menschenleben zählt mehr als alle leblosen Zeichen einer glorreichen Vergangenheit.
Ein Menschenleben zählt mehr als alle leblosen Zeichen einer glorreichen Vergangenheit
Das ist kein abstrakter Diskurs, so als würde man bei einem Gesellschaftsspiel auffordern, feinsäuberlich geordnet aufzureihen, was man am meisten liebt. Nein, das ist eine in der Praxis und anhand der politischen und sogar militärischen Entscheidungen messbare Frage.
Solange es sich um eine Sache von Tausenden von Unschuldigen handelte, die wegen ihres Glaubens ermordet wurden, um Hunderttausende, die aus ihren Häusern und ihrer Heimat vertrieben wurden, weil sie Christen sind, wurde sie den Appellen des Papstes überlassen. Keine klaren Worte, keine kräftigen politischen Aktionen, kein starker militärischer Einsatz einer „Koalition der Willigen“ regten sich zur Verteidigung der Schutzlosen.
Als die Ruchlosigkeit des „Kalifen“ aber ansetzte, das wunderbare und einzigartig aus Stein gefügte „Weltkulturerbe“ zu zerstören, wurde die öffentliche Meinung vom Schrecken gepackt, und man sprach plötzlich sogar im Glaspalast der UNO und im Weißen Haus in Washington von einem Militäreinsatz.
Immerhin gibt es noch etwas, vor dem sich die „globalisierte Gleichgültigkeit“ verneigt
Das alles hat sogar Erfreuliches an sich: Immerhin gibt es noch etwas, vor dem sich die „globalisierte Gleichgültigkeit“ (Papst Franziskus) verneigt. Letztlich handelt es sich aber um Egoismus. Wir denken, daß die Dschihadisten, wenn sie Palmyra zerstören, so wie die Taliban bereits die Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan zerstört haben, uns etwas wegnehmen, uns ganz persönlich.
Ein alter Priester erzählte mir einmal von einer Diskussion, die er auf einer deutschen Autobahn mit seinem Reisegefährten, einem berühmten Wissenschaftler hatte. Dieser hatte ihm geklagt, wie sehr er darunter leide, daß zahlreiche Mikro-Biodiversitäten im Amazonasbecken verschwinden, die es nur dort gibt. Der Priester erklärte ihm volles Verständnis dafür zu haben, daß aber jedes einzelne im Mutterschoß getötete Kind einmaliger und kostbarer ist. Der Professor, der als Nobelpreisanwärter galt, war empört über eine solche Feststellung: Die menschliche Spezies sei ja schließlich nicht gefährdet, die biologische Vielfalt und die Kunstwerke hingegen schon.
Als 1993 bei einem Mafia-Attentat in der Nähe der Uffizien in Florenz ein Kind, Giovanni Testori, getötet wurde, schrieb ich, daß dieses Leben wichtiger war, als eine potentielle Beschädigung der Werke von Raffael und Michelangelo. Das war ein Skandal.
Was ist dort, wo es keine Kulturdenkmäler gibt, die uns bewegen?
Wenn die Verteidigung von Palmyra dazu führt, Menschenleben, auch nur ein einziges Menschenleben zu retten, dann sei Palmyra, das mich so faszinierte, tausendmal gesegnet. Es gibt einen Spielfilm mit John Wayne, der sich entschließt, eine Siedlerfamilie zu verteidigen. Nicht weil für ihn das Leben anderer wichtig gewesen wäre, sondern weil die Indianer seinen Cowboy-Hut durchlöchert hatten. Von mir aus, denn er hat das Leben der Familie verteidigt. Was aber ist dort, wo es keine berühmten, grandiosen Kulturdenkmäler gibt, die uns bewegen, zum Beispiel in Kenia, im Sudan, in Nigeria oder in Pakistan?
Da ich nicht im Glaspalast der UNO, nicht im Weißen Haus oder einer anderen Staatskanzlei sitze, bleibt mir nur folgender Gedanke: Wenn die Islamisten Palmyra zerstören, aber irgendwo ein menschlicher Keim, ein kleiner Rest der christlichen Herde, vielleicht auch nur aus Versehen, übrigbleibt, wird die Saat neu aufgehen. Wo es aber wunderschöne Denkmäler gibt, die von den Menschen bestaunt werden, denen die Ermordung und das Leid der Menschen dort gleichgültig ist und die keinen Finger rühren, um das Morden zu beenden, dort werden am jüngsten Tag, sogar die Steine dieser Denkmäler laute Anklage gegen uns erheben.
Text: Tempi
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
Die Wahrheit über die Geschichte des Djihad: Dr Bill Warner PhD Jihad vs Crusades-deutsch: https://www.youtube.com/watch?v=zlNAgvZfdLo
„Die Fakten bleiben die Fakten, auch wenn man sie ignoriert“ (Aldous Huxley).
Guter Artikel, der die Dinge ins wahre Licht rückt und in den richtigen Proportionen sieht.