von Klaus Obenauer*
Mein kleiner Debatteneinwurf zum Liebesgebot veranlaßte eine Nachfrage betreffs Lektüre des Aquinaten.
Dazu: von gewissen Schwierigkeiten einmal abgesehen – der hl. Thomas ist trotz der unerreichten Übersichtlichkeit in der Darstellung nun mal keine leichte Kost (mit der Knappheit geht eine oft unterschätzte Gedrängtheit einher) –, kann ich die Lektüre des Traktates bzw. der Traktate über die Gottesliebe nur anempfehlen.
Ich will die Leser nicht mit einem Essay meinerseits behelligen, aber trotzdem einige Bemerkungen (für Interessierte) dazu loswerden:
Gerade Thomas läßt uns die Einheit von Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten vor Augen treten. Die göttliche Tugend der Liebe („Caritas“) bzw. deren Vollzug („Akt“) ist („habituelle“ bzw. „aktuelle“) Freundschaftsliebe: der geschaffene Geist liebt darin Gott über alles auf der Grundlage der Gemeinschaft der „beatitudo“, des seligen Besitzes Gottes selbst, der für Gott wesentlich ist, und in uns besteht durch Teilhabe in der Gnade (und somit hier auf Erden schon beginnend). Und wer Gott freundschaftlich liebt, liebt so auch die Freunde Gottes, alle Mitteilhaber am seligen Selbstbesitz Gottes; beziehungsweise alle, die (obwohl sie es aktuell nicht sind) es noch werden können. Und das sind schlichtweg alle Geistgeschöpfe außer denen, für die das nicht mehr in Frage kommt (weil sie verdammt sind).
Eine Perspektive, die alles anders sehen läßt: Wer in der Freundschaft Gottes ist, der sieht im Nächsten den, in dem Gott – durch seine Gnade einwohnend – auch „vor-kommt“ oder wenigstens „vor-kommen“ will, der will und bejaht den Nächsten als genau solchen, um sich in der Konsequenz auch für dieses Vorkommen Gottes im Nächsten einzusetzen (Gebet etc.). – Pervertiert wird dies durch Haltungen und Einstellungen, die um der sog. Liebe willen die Zentralstellung des Anspruchs Gottes überspringen; aber auch durch jede Selbststabilisierung, Selbstprofilierung mit den Ansprüchen Gottes auf Kosten anderer. Daß hiermit Stichworte zu innerkirchlichen Debatten samt Links-/Rechts-Positionierungen geliefert sind, braucht nicht weiters erörtert zu werden. Aber es gilt hier gerade bei sich selber anzufangen … (anders hat die Liebe keine Chance).
Nun wirklich „um der Liebe willen“ und ohne irgendwelchen Diskutanten zu nahe zu treten: der wenigstens tendenziellen Sprengung der Hierarchisierung der Adressaten der Liebe – Gott einerseits und die ihm freundschaftlich verbundenen Geschöpfe (s.o.) andererseits – hin auf Gleichrangigkeit (wenn auch „aus Gnaden“) kann keinesfalls stattgegeben werden. Vielmehr: Gott, und nur Er, ist (in letzter Instanz) um seiner selbst willen über alles zu lieben (beim hl. Thomas: II/II, 26,2 sowie 27,3); aber daß der Nächste wie ich selber von mir zu lieben ist als (wenigstens potentieller) Freund Gottes, auf daß die Liebe zu Gott bei letzterem gerade nicht haltmachen kann, sondern gerade um Gottes willen den Nächsten umfaßt (ibd. 25,1): genau darin drückt sich der einzigartige Adel der Geistkreatur aus. (Stichwort „ordo caritatis“)
Entsprechend darf ich vor allem die Lektüre des Traktates über die theologische Tugend der Liebe in der Secunda-secundae der Summe des heiligen Thomas empfehlen. Die standardisierte Übersetzung ist die der Deutschen Thomas-Ausgabe (DThA), die bekanntlich neben dem deutschen Text den lateinischen mitabdruckt. Einschlägig ist hier der Band 17 mit den beiden Teilbänden A und B, samt einem sehr engagierten Kommentar von Heinrich Christmann OP. Der Band ist schon älter: wenn nicht vergriffen, so wird er vom Styria-Verlag vertrieben; bei De-Gruyter erhältlich „on demand“. Auch gut bestückte theologische Fakultäten müssen das eigentlich alle haben (ob ausleihbar, ist eine andere Frage).
Mit Blick auf das (in der Oktav noch andauernde) Pfingstfest: die Liebe hat bekanntlich viel mit dem in der Gnade einwohnenden Heiligen Geist zu tun (u.a. II/II, 24,2 u. 11). Ein Glanzstück theologischer Meditation über den uns vermittels des Heiligen Geistes einwohnenden dreifaltigen Gott (im Gesamtkontext des dem Heiligen Geist zuzueignenden Wirkens) finden wir im Vierten Buch der „Summa contra gentes“, Kapitel 21 (man beachte den Gesamtkontext von 19 bis 26). Eine lateinisch-deutsche Fassung von Contra-gentes vertreibt die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Darmstadt) in vierter Auflage. – Noch nebenbei: eine „short summary“ zur theologischen Tugend der Liebe (im Kontext der Gnadenlehre) finden wir im Dritten Buch von Contra-gentes, Kapitel 91.
Wenn nicht schon geschehen, so wünsche ich – im Interesse echter Erneuerung in der Liebe – den Lesern dieses Forums wie mir selber noch (nachträglich) eine gute Pfingstbeichte.
*Dr. theol. Klaus Obenauer ist Privatdozent für Dogmatische Theologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn.
Bild: Catholic News/Herz-Jesu-Blogspot
Pater Metz von der Petrusbruderschaft hat die im Artikel beschriebene Thematik in einer Predigt behandelt. .
Seine Grundaussagen:
Eine „Nächstenliebe“ ohne Gottesliebe folgt nicht dem hl. Evangelium.
Eine solche human konstruierte „Nächstenliebe“ zeitigt „Früchte“, die sogleich verdorren,
denn ihr fehlt die diese reifen lassende Gnade !
Wahre Liebe kann es nur in der Wahrheit geben.
Ebenso die wahre Nächstenliebe durch das Erkennen Christi im Nächsten.
Alles andere ist menschengedachte „Wohltätigkeit“.
Sehr schön – danke!