(Zürich) Cristina Vonzun, Redakteurin der Tageszeitung Giornale del Popolo für die italienische Schweiz, erklärte dem katholischen Wochenmagazin Tempi, warum es eine Kluft zwischen dem gibt, was die Mehrheit der Schweizer Katholiken denkt und dem, was das kirchlichen Lehramt sagt. Die Tageszeitung gehört zu 51 Prozent der Diözese Lugano.
„Der Ausschluß von wiederverheirateten Geschiedenen von den Sakramenten muß aufhören“; „Die Patenschaft von Schwulen und Lesben muß in der Kirche möglich sein“; „Die heilige Familie ist keineswegs eine ideales Vorbild“, so und ähnlich lauten die Meinungen von Schweizer Katholiken, vornehmlich Deutschschweizer Katholiken, die mediales Gehör finden. 6.000 haben an zahlreichen Dialogveranstaltungen in Vorbereitung auf die Bischofssynode im Herbst teilgenommen.
Anlaß war der Fragebogen, der vom Synodensekretariat allen Bischofskonferenzen zugeschickt wurde. Die Schweizer Bischofskonferenz reichte ihn an alle Gläubigen weiter, um ein „möglichst breites“ Stimmungsbild zu erhalten. Die Vorgangsweise ist nicht unumstritten. Unter den Teilnehmern befanden sich viele Kirchenfunktionäre, die vielfach das Wort führten. Gläubige Katholiken fühlen sich seit Jahrzehnten an den Rand gedrängt und halten sich von kirchenoffiziellen Aktionen meist fern.
Umstrittenes Pastoralsoziologisches Institut verfaßte Einheitsdokument der Schweizer Bischofskonferenz für Synode
Insgesamt gingen 570 Stellungnahmen ein, die in einem „Grundlagendokument“ zusammengefaßt wurden, das von der Bischofskonferenz dem Vatikan übermittelt wird. Der Weg entspricht dem der Bischofssynode 2014.
2014 geriet das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut (SPI) der Schweizer Bischofskonferenz in die Schlagzeilen. Philipp Gut, der stellvertretende Chefredakteur der Weltwoche warf dem Institut vor, die vatikanische Umfrage durch tendenziöse Fragestellung „in ein politisches Statement gegen die offizielle vatikanische Lehrmeinung“ umgebogen zu haben. Vom SPI wurden Fragen suggestiv umformuliert und eigenmächtig zusätzliche Fragen für eine Anerkennung der Homosexualität und andere Themen in offenem Widerspruch zur katholischen Ehe- und Morallehre eingefügt. Der Bischof von Chur, Vitus Huonder, kam damals dem Einheitsdokument der Bischofskonferenz zuvor, indem er im Alleingang ein Dokument veröffentlichte, das sich wesentlich vom gemeinsamen Dokument unterschied. Trotz des Manipulationsvorwurfs hielt die Bischofskonferenz am SPI fest und beauftragte es 2015 erneut, den Schweizer Einheitsbericht an Rom zu verfassen. Das Ergebnis stand damit von Anfang an fest.
Das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut hat seinen Sitz im Bistum Sankt Gallen, das von Bischof Markus Büchel, dem Vorsitzenden der Schweizer Bischofskonferenz geleitet wird.
38 Prozent und damit die Mehrheit der Schweizer sind römisch-katholisch. 26 Prozent sind reformiert, 22 Prozent konfessionslos, 6 Prozent gehören anderen christlichen Konfessionen an, 5 Prozent sind Moslems, 1 Prozent gehört anderen Religionen an, 0,25 Prozent sind Juden, 2 Prozent machten bei der Erhebung 2013 des statistischen Bundesamtes keine Angaben.
„Protestantischer Einfluß und jahrzehntelange Säkularisierung“
Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ist noch katholisch. Liest man aber den Bericht der Bischofskonferenz, scheint das ein Katholizismus zu sein, der sich von dem, den der Katechismus lehrt, stark unterscheidet.
Der Bericht spricht vor allem von „breiter Wertschätzung, die die von der Kirche verkündeten Ideale von Ehe und Familie genießen“. Er betont allerdings auch, daß es „Grenzen bei der Umsetzung“ gibt.
Es gibt aber erhebliche Unterschiede zwischen dem Schweizer Dokument und dem Lehramt der Kirche zu fast allen dornigen Themen, die von der Synode behandelt werden.
Zu verschiedenen Themen ist die Kluft deutlich sichtbar, aber das ist kein exklusives Phänomen der Schweiz. Das gilt für den gesamten mittel- und nordeuropäischen Katholizismus.
Welches sind die Gründe in der Schweiz?
Im Laufe der Jahre hat sich das Phänomen vor allem nördlich der Alpen entwickelt. Ich denke, daß hier der protestantische Einfluß spürbar ist, zum Beispiel dort, wo die reformierten Kantonskirchen die Segnung von Homo-Paaren gutheißen. Das Hauptproblem aber ist die jahrzehntelange Säkularisierung, die zu dieser Kluft zwischen den geglaubten katholischen Werten und dem praktischen Leben und zu einer Privatisierung des Glaubens führt. Der Glauben wird noch als eine wahre Sache anerkannt, aber nur mehr auf privater Ebene. Ein drittes Motiv erhöht den Druck auf die Familien und kann zum Zerbrechen der Ehe führen.
Welches?
Die heutigen sozioökonomischen Rahmenbedingungen, darunter etwa die intensiven Arbeitszeiten, die das Familienleben in Bedrängnis bringen und das Eheleben erschweren. Vor allem, wenn die Ehepaare allein sind und niemand haben, der ihnen einen Weg des Glaubens aufzeigt.
Die Folgen kann man dann im Bericht der Bischofskonferenz lesen.
Ja, wenn man auch sagen muß, daß der Bericht auf besondere Weise zustande kam. Es handelt sich um die Meinungen von etwa 6.000 katholischen Männern und Frauen. In der Schweiz gibt es aber drei Millionen Katholiken. Das sind keine Erhebungen, die exakt die Meinung der Schweizer Katholiken wiedergeben.
Wollen Sie damit sagen, daß er schlecht gemacht wurde?
Ich denke, daß er die Tendenz dessen widerspiegelt, was die Mehrheit der Schweizer Katholiken denkt, vor allem der Deutschschweiz. Es handelt sich aber nicht um eine wirkliche Erhebung, sondern um einen freien Fragebogen. Daran nimmt teil, wer will. Viele haben nicht teilgenommen und so kennen wir ihre Meinung nicht und werden sie auch nie kennen. Das Dokument gibt aber, das kann man nicht leugnen, die vorherrschende Meinung wieder, weshalb seine Veröffentlichung auch keine besonderen Reaktionen ausgelöst hat. Das ist die Mehrheitstendenz, aber keineswegs die einzige. Es gibt viele Katholiken, die das Eheideal ganz leben. Die Wahrheit ist, daß die Schweiz sehr komplex ist.
Das heißt?
Es gibt unterschiedliche sprachliche und kulturelle Realitäten. Dieser Bericht gibt vor allem die Realität der Deutschschweiz wieder, weniger jene der Welschschweiz und der italienischen Schweiz. Bei uns im Tessin ist beispielsweise die Tendenz eindeutig eine andere.
Warum können Sie das sagen?
Der Giornale del Popolo hat eine große Bandbreite der Antworten der Tessiner Katholiken ausgewertet und darunter nicht die Spur eines fordernden Tonfalls oder von Meinungen gefunden, die im Widerspruch zum kirchlichen Lehramt wären. Die Schwerpunkte der Antworten sind ganz andere: die Sorge um Ehepaare, die alleine in ihrer Umgebung leben ohne die Möglichkeit, mit anderen gemeinsam den Glauben zu leben; ebenso die Frage, wie Beziehungen zwischen älteren und jüngeren Familien hergestellt werden können.
Und die Frage der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten?
Auch dazu gibt es keine Forderungshaltung. Die Geschiedenen, die auf den Fragebogen geantwortet haben, sagen, daß sie sich in der Kirche wohlfühlen und in ihren Pfarreien einen Glaubensweg gehen. Bezüglich der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene haben manche die Hoffnung geäußert, die Synode könne personalisierte Bußwege für vom Bischof gebilligte Einzelfälle zulassen. Diesbezüglich ähnelt manches dem Vorschlag von Kardinal Kasper.
Denken die Schweizer Bischöfe wie die Mehrheit ihrer Gläubigen?
Das Dokument wurde nicht von den Bischöfen geschrieben, sondern gibt eine soziologische Lesart des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts in St. Gallen (SPI) wieder. Unsere Bischöfe denken als Bischöfe, treu zum Papst, zum Lehramt und auf dem Weg mit der Synode.
Einleitung: Giuseppe Nardi
Interview: Tempi/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi/Wikicommons
Bischof Büchels Aussagen:
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„Unsere Bischöfe denken als Bischöfe, treu zum Papst, zum Lehramt und auf dem Weg mit der Synode.“
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Tatsächlich ?
Wir vergleichen:
Bischof Büchels unfassbares Gerede im Jahre 2012 anl. der damals bevorstehenden Abstimmung gegen die Bezahlung des Mordes von ungeborenen beseelten Kindern durch die „Krankenkassen“:
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„Dass Abtreibungen nicht mehr aus Geldern der allgemeinen Krankenversicherung bezahlt werden sollen, trifft Frauen in finanziell schwachen Verhältnissen viel stärker als Frauen in finanziell guten Verhältnissen».
Ich erachte die Initiative als einen «Schritt in eine Zweiklassen-Medizin, was ich als problematisch empfinde».
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Bischof Gmür von Basel im vergangenen Monat April vor Mitgliedern der „beiden baslerischen Synoden“ mit folgenden „Ideen“:
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„Zölibat ist eine gute Lebensform, aber nicht nötig um Priester zu sein.
Eine Lösung des Problems wiederverheirateter Geschiedener könnte die Sorge, was mit verheirateten Priestern bei einer Scheidung geschieht, verringern.
Eine Frau am Altar kann ich mir gut vorstellen.
Als ersten Schritt muss man das Diakoninnenamt gut begründen.
Die recht junge biblisch-theologische Forschung darüber ist wohl noch nicht bei allen Bischöfen der Weltkirche angekommen.“
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Die „Synodalen“ zeigten sich denn darob auch „zufrieden“.
Mit einigen wenigen Ausnahmen wie Bischof Huonder von Chur etwa, folgen die schweizerischen Bischöfe mehrheitlich dem Laiendiktat der wildgewordenen „Zeitgeistkatholiken“.
@defendor: Hier liegt ein Missverständnis vor: Das Wochenmagazin Tempi hat nicht Bischof Markus Büchel interviewt, sondern Cristina Vonzun.
@Damian;
vielen Dank für diese Korrektur. Das habe ich in der Eile überlesen.
Doch ich denke, dass die zitierten Aussagen der Bischöfe Büchel und Gmür dennoch in etwa aufzeigen, wie sehr es in der Schweiz an wahren Hirten mangelt.
Die Folge sind die immer unverschämter werdenden Laiengremien.