Kardinal Walter Brandmüller zählt zu den führenden kritischen Stimmen, die sich gegen Vorschläge der vatikanischen Famliensynode zur Untergrabung der katholischen Sakramenten- und Morallehre stemmen. Er ist einer der fünf Kardinäle, der zusammen mit Gerhard Müller, De Paolis, Burke und Caffarra zur Bischofssynode über die Familie 2014 den Sammelband „In der Wahrheit Christi bleiben“ herausbrachte, in dem sie gegen Kardinal Kaspers Vorschlag, jene, die in irregulären sexuellen Verhältnissen leben, zur Kommunion zuzulassen, Stellung beziehen.
Dr. Maike Hickson interviewte Kardinal Brandmüller für Lifesitenews. Der mutigen Katholikin (Offener Brief einer besorgten amerikanischen Katholikin an Papst Franziskus) gilt der besondere Dank, Fragen und Antworten zur Verfügung gestellt zu haben.
Könnten Sie noch einmal für unsere Leser klar die Lehre der katholischen Kirche darlegen, wie sie beständig Jahrhunderte hindurch in Bezug auf die Ehe und ihre Unauflöslichkeit gelehrt wurde?
Die Antwort findet sich im Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 1638–1642.
Kann die Kirche wiederverheiratete Paare zur Heilige Kommunion zulassen, auch wenn ihre zweite Ehe in den Augen der Kirche nicht gültig ist?
Das wäre möglich, wenn die Betroffenen sich dazu entschließen würden, künftig wie Bruder und Schwester zusammenzuleben. Diese Lösung kommt vor allem dann in Frage, wenn die Sorge für gemeinsame Kinder eine Trennung nicht möglich macht. Der Entschluss zu diesem Weg wäre ein überzeugender Ausdruck der Buße für den vorausgegangenen und fortdauernden Ehebruch.
Kann die Kirche das Thema der Ehe in einer pastoralen Art und Weise behandeln, die anders ist als die beständige Lehre der Kirche? Kann die Kirche überhaupt die Lehre selbst ändern, ohne selbst in die Häresie zu fallen?
Es ist evident, dass das pastorale Handeln der Kirche nicht im Widerspruch zur verbindlichen Glaubenslehre stehen kann, oder diese einfach ignorieren darf. So etwa könnte ein Architekt eine noch so schöne Brücke bauen. Wenn er dabei aber die Gesetze der Statik nicht beachtet, riskiert er den Einsturz seines Bauwerks. Ebenso muss alle Pastoral sich am Wort Gottes orientieren, wenn sie nicht scheitern soll. Eine Änderung der Lehre, des Dogmas, ist undenkbar. Wer es dennoch bewusst tut, bzw. hartnäckig fordert, ist Häretiker – auch wenn er den römischen Purpur trägt.
Ist nicht die ganze Diskussion über die Zulassung der Wiederverheirateten zur Heiligen Eucharistie auch ein Ausdruck der Tatsache, dass viele Katholiken nicht mehr an die Realpräsenz glauben, sondern vielmehr meinen, dass sie in der Heiligen Kommunion ohnehin nur ein Stück Brot empfangen?
In der Tat ist es ein nicht aufzulösender innerer Widerspruch, wenn ich im Sakrament der Eucharistie eben jenen Christus mit Leib und Blut empfangen, mich mit Ihm vereinigen will, dessen Gebot ich bewusst missachte.
Wie soll das gehen? Dazu Paulus: „Wer unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt sich das Gericht …“
Aber: Sie haben Recht: längst nicht alle Katholiken glauben an die wirkliche Gegenwart Christi in der konsekrierten Brotsgestalt. Das sieht man schon daran, dass viele – sogar Priester – vor dem Tabernakel ohne Kniebeuge vorübergehen.
Warum gibt es heutzutage einen so starken Angriff auf die Unauflöslichkeit der Ehe innerhalb der Kirche? Eine mögliche Antwort könnte sein, dass der Geist des Relativismus in die Kirche eingedrungen ist, aber es muss noch mehr Gründe geben. Könnten Sie einige nennen? Und sind nicht all diese Gründe ein Zeichen für die Glaubenskrise innerhalb der Kirche selbst?
Natürlich, wenn allgemein, immer und überall gültige sittliche Normen nicht mehr anerkannt werden, dann macht sich jeder selbst sein eigenes Sittengesetz. Das läuft dann darauf hinaus, dass einer tut, was ihm gefällt. Hinzu kommt noch der individualistische Lebensentwurf, der im Leben die einmalige Chance zur Selbstverwirklichung sieht – und nicht einen Auftrag des Schöpfers.
Es ist evident, dass solche Haltungen Ausdruck eines in die Tiefe reichenden Glaubensverlustes sind.
In diesem Zusammenhang kann man sagen, dass es in den letzten Jahrzehnten wenig Diskussion über die Lehre von der gefallenen menschlichen Natur gegeben hat. Der herrschende Eindruck war, dass der Mensch insgesamt gut ist. Meiner Ansicht nach hat dies zu einer laxen Haltung gegenüber der Sünde geführt. Nun, da wir das Ergebnis einer derartigen laschen Haltung sehen „” eine Explosion unmenschlichen Verhaltens in allen möglichen Bereichen des menschlichen Lebens „”, sollte dies nicht für die Kirche ein Grund sein, einzusehen, dass die Lehre von der gefallenen menschlichen Natur bestätigt wurde, und somit wieder zu verkünden ist?
Das ist in der Tat wahr. Das Thema „Erbsünde“ samt ihren Folgen, die Notwendigkeit der Erlösung durch Leiden, Tod und Auferstehung Christi ist seit langer Zeit geradezu verdrängt und vergessen. Man kann aber den Lauf der Welt – und das eigene Leben – ohne diese Wahrheiten nicht verstehen. Dass sich aus dieser Ausblendung wesentlicher Wahrheiten auch sittliches Fehlverhalten ergibt, ist unvermeidlich. Sie haben Recht: es müsste endlich wieder darüber klar gepredigt werden.
Die hohe Zahl von Abtreibungen besonders im Westen haben großes Leid verursacht, nicht nur für jene getöteten Babys, sondern auch für die Frauen (und Männer), die sich entschieden haben, ihr Kind zu töten. Sollten die Prälaten der Kirche nicht eine feste Haltung zu dieser furchtbaren Wahrheit einnehmen und versuchen, die Gewissen jener Frauen und Männer aufzurütteln, auch ihrer Rettung wegen? Und hat nicht die Kirche die Pflicht, mit Nachdruck die Kleinen zu verteidigen, die sich nicht selbst verteidigen können, weil ihnen nicht einmal gewährt wird zu leben? „Lasst die Kleinen zu mir kommen …“
Dazu ist zu sagen, dass die Stellungnahme der Kirche zumal unter den letzten Päpsten ebenso wie von Seiten des hl. Vaters Franziskus an der Verwerflichkeit der Tötung ungeborener Kinder im Mutterleib für keinen Zweifel Raum lässt. Das gilt auch für wohl alle Bischöfe.
Eine andere Frage ist aber, ob und in welcher Form diese Lehre der Kirche in der Öffentlichkeit bezeugt und vertreten wird.
Da könnte freilich seitens der Hierarchie mehr geschehen. Man denke nur an die Teilnahme von Kardinälen und Bischöfen an den Kundgebungen für das Leben.
Welche Schritte würden Sie der Kirche empfehlen, um den Ruf zur Heiligkeit zu stärken und den Weg sie zu erlangen aufzuzeigen?
In jedem Fall gilt es den Glauben in einer der Situation angemessenen Weise zu bezeugen. In welcher Form dies geschehen kann, hängt von den konkreten Umständen ab. Da ist auch der kreativen Phantasie ein Feld geöffnet.
Was würden Sie zu den jüngsten Aussagen von Bischof Franz-Josef Bode sagen, dass sich die katholische Kirche zunehmend der „Lebenswirklichkeit“ der Menschen von heute anpassen und entsprechend ihre Morallehre angleichen muss? Ich bin mir sicher, dass Sie als Kirchenhistoriker andere Beispiele aus der Geschichte der Kirche vor Augen haben, wo sie von außen unter Druck gesetzt wurde, die Lehre Christi zu verändern. Könnten Sie einige nennen, und wie hat die Kirche in der Vergangenheit auf solche Angriffe reagiert?
Es ist vollkommen klar und auch nicht neu, dass die Verkündigung der Lehre der Kirche die konkrete Lebenssituation der Gesellschaft und der Einzelnen beachten und auf sie antworten muss, wenn die Botschaft gehört werden soll.
Das aber betrifft die Art und Weise der Verkündigung, keinesfalls ihren unantastbaren Inhalt. Von einer Anpassung der Moral kann keine Rede sein.
„Macht euch dieser Welt nicht gleichförmig“, sagt der Apostel Paulus. Wenn Bischof Bode anders lehrt, befindet er sich im Widerspruch zur Lehre der Kirche. Ob er sich dessen bewusst ist?
Ist es der deutschen katholischen Kirche gestattet, ihre eigenen Wege in der Frage der Zulassung von wiederverheirateten Paaren zur Heiligen Eucharistie zu gehen und dabei unabhängig von Rom zu entscheiden, wie es Reinhard Kardinal Marx nach dem jüngsten Treffen der Deutschen Bischofskonferenz angekündigt hat?
Die einschlägigen Äußerungen von Kardinal Marx stehen im Widerspruch zum Dogma der Kirche. Sie sind pastoral unverantwortlich, weil sie die Gläubigen in Verwirrung und Zweifel stürzen. Wenn er meint, einen nationalen Sonderweg einschlagen zu können, setzt er damit die Einheit der Kirche aufs Spiel. Es bleibt dabei: verbindlicher Maßstab für alles Lehren und Handeln der Kirche ist ihre klar definierte Glaubenslehre.
Interview: Maike Hickson
Bild: Collegium Cardinalium