
(Rom) Die Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica veröffentlichte ein Gespräch mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus I. Darin skizziert der „Ehrenvorsitzende“ der orthodoxen Kirchen eine „Road Map“ (Andrea Tornielli) für die Einheit zwischen Ost- und Westkirche. Das Gespräch führte der Schriftleiter der Civiltà Cattolica, Pater Antonio Spadaro SJ.
Bekanntlich wird jeder Beitrag der römischen Jesuitenzeitschrift vor der Drucklegung dem Vatikan vorgelegt. Erst nach Gewährung der Druckerlaubnis durch das Staatssekretariat können die Beiträge erscheinen. Aus diesem Grund steht die Zeitschrift dem jeweils regierenden Papst besonders nahe und erlaubt einen offiziösen Einblick in die Agenda des Papstes und anderer Einrichtungen des Vatikans.
„Zunehmende nationalistische Verengung der eucharistischen Natur der Kirche“
„Es gibt ein konservatives Element, das in vielen orthodoxen Kirchen und Kreisen im Wachstum begriffen ist, das auf die Herausforderungen unserer Zeit mit einer erstickenden und ausschließenden Abschottung reagiert. Zudem hat es, was die brüderlichen und kollegialen Beziehungen zwischen den orthodoxen Kirchen betrifft, eine zunehmende nationalistische und triumphalistische Verengung der eucharistischen und ökumenischen Natur der Kirche gegeben.“ Soweit ein Ausschnitt aus dem ausführlichen Interview von Patriarch Bartholomäus I. mit Civiltà Cattolica-Chef Antonio Spadaro, das in der kommenden Ausgabe der Jesuitenzeitschrift erscheinen wird und über die der Hofvatikanist Andreas Tornielli bereits vorab berichten konnte.
„Wir sind uns bewußt, daß es noch viel zu tun gibt, sowohl zwischen unseren beiden Kirchen [Ost- und Westkirche] als auch innerhalb unserer Kirchen selbst [orthodoxe Kirchen]. Es besteht kein Zweifel, daß der Weg lang und schwierig sein wird. Als Jünger des Herrn, der zum Vater betet und seine Jünger ermahnt ‚daß sie eins sind‘, haben wir keine Alternative als auf diesem Weg der Versöhnung und der Einheit weiterzugehen. Alles andere wäre ein ehrloser Verrat am Willen des Herrn und eine inakzeptable Rückkehr zu jener Vergangenheit der Trennung, die wir bedauern“.
„Dorniges Thema“ des päpstlichen Primats
Zu den umstrittenen Themen zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche wie dem päpstlichen Primat und der Kollegialität sagte Bartholomäus: „Das ist sein langem ein dorniges Thema, seit Jahrhunderten, und es steht derzeit auf der Tagesordnung des offiziellen theologischen Dialogs … Jedesmal, wenn man unter Orthodoxen über den Primat diskutiert, denkt man sofort an die päpstliche Autorität, vor allem angesichts der Mißbräuche im Mittelalter. Und jedesmal wenn man unter römischen Katholiken über die Kollegialität diskutiert, befürchtet man umgehend, daß die Autorität des Papstes in Frage gestellt werde oder daß man über sie hinwegsehe. Es braucht daher Zeit, um die wirklichen Sorgen und Absichten eines jeden zu unterscheiden.“
„Unterdessen wird das Verhalten der religiösen Führer bedeutenden Einfluß darauf haben, wie die Autorität der Kirche wahrgenommen wird. Zum Beispiel ist die Art wichtig, mit der die orthodoxe Führerschaft gelebt wird, ob sie wirklich ein authentisches Modell für die Kollegialität ist oder nur eine Gelegenheit oder ein Alibi für nationale oder institutionelle Rivalitäten. Eine authentische Ausübung der Führerschaft wird unweigerlich die wirkliche und glaubwürdige Natur unserer kritischen Sicht des Petrusamtes bestimmen“, so der Patriarch.
„Es braucht einen Ersten“ ‑Bei Papst Franziskus spüren wir „außergewöhnliche Führerschaft“
„Gleichzeitig wird die Art, mit der das päpstliche Amt in Demut und Mitgefühl, statt einer Art von Zwang über das übrige Bischofskollegium ausgeübt wird, unweigerlich als wahrer Ausdruck der Liebe des gekreuzigten Herrn wahrgenommen, statt als Ausdruck weltlicher Macht. Die Synodalität bedarf eines ‚Ersten‘, des Protos. Ohne diesen, der jener ist, der das Charisma der diakonia im Dienst der Gemeinschaft hat, versteht man nicht. Der Protos ist der, der auf der Suche nach dem consensus aller ist. Und genau das ist der Punkt in dem wir wirklich spüren, daß unser Bruder Franziskus eine außergewöhnliche Führerschaft gezeigt hat.“
„Seit der Wahl von Papst Franziskus haben wir gespürt, daß etwas Besonderes in ihm ist: seine Integrität, seine Spontaneität, sein Warmherzigkeit. Das ist ein Motiv, weshalb ich entschieden habe, an seiner Inthronisation oder Amtseinführung im März 2013 teilzunehmen. Das war das erstemal überhaupt, daß ein Erzbischof von Konstantinopel zu diesem Anlaß bei der Kirche in Rom war“, so der Ökumenische Patriarch.
Herausforderungen unserer Zeit
Auf dem Weg zur Einheit „gibt es viel, was wir gemeinsam mit Papst Franziskus machen können“, so Bartholomäus I. weiter, „um auf die entscheidenden Bedürfnisse unserer Welt zu antworten: das Leiden und der Hunger, die immer mehr unsere Gesellschaften heimsuchen; die nicht zu rechtfertigende und perverse Kluft, die sich immer mehr zwischen Reichen und Armen auftut; und nicht zuletzt die drängende Krise, die durch den Klimawandel verursacht wird, die grundlegende Verhaltensweisen in Frage stellt, die wir gegenüber den natürlichen Ressourcen der Welt zeigen. Das heutige Leiden von Menschen in allen Teilen unseres Planeten, der Mißbrauch der Religion für politische und weltliche Zwecke, die Schwierigkeiten der Christen auf der ganzen Welt und besonders in den Gegenden, in denen die christliche Kirche ganz unabhängig von der konfessionellen Identität entstanden und gewachsen ist; die Ungerechtigkeiten, die den schwachen Gliedern der modernen Gesellschaft zugefügt werden und die alarmierende ökologische Krise, die selbst das Überleben von Gottes Schöpfung bedroht.“
Soweit vorab vom Vatikanisten Andreas Tornielli veröffentlichte Auszüge aus dem Interview des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. von Konstantinopel, das in der kommenden Ausgabe der Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica erscheinen wird.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Oikonomia
Sieht nach einem Deal aus. Konstantinopel bewegt sich in Richtung Anerkennung des Papstprimats, das alte Rom bewegt sich in Richtung Synodalität durch Höhergewichtung der Bischofskonferenzen. Schon vor Jahrzehnten schrieb Joseph Ratzinger, Rom dürfe dem Osten nicht mehr Primatsanerkennung abverlangen als in der ungespaltenen Kirche des ersten Jahrtausends bestand, und Papst Johannes Paul II. sprach von unterschiedlichen Formen der Primatsausübung. Wenn man zueinanderfinden will, dürfte es kirchenpolitisch kaum anders möglich sein. Aber weder im Westen noch im Osten wird es letztlich möglich sein, die jeweilige Lehre zu ändern, dazu wurde sie in vergangenen Jahrhunderten zu sehr festgelegt.