
Eine Replik von Clemens van Ryt
Vor einiger Zeit habe ich auf einen Beitrag von Hubert Hecker zur Bestrafbarkeit von Blasphemie geantwortet. Dabei kritisierte ich insbesondere die Ausführungen von Robert Spaemann in der FAZ von 2012, auf die Hecker Bezug genommen hatte. Hecker seinerseits hat seinen Beitrag nochmals präzisiert und sich erneut zu Wort gemeldet. Trotz meines nachhaltigen Dankes gegenüber Hecker für seine Kritik an Charlie Hebdo komme ich nicht umhin, meine Bedenken an Heckers Ausführungen zu erneuern. Dies geschieht nicht deshalb, weil ich die praktischen Schlussfolgerungen Spaemanns wie Heckers für undiskutabel hielte. Vielmehr sehe ich das Problem, dass jeweils falsche Prämissen zugrunde gelegt werden.
Das 2. Gebot des Dekalogs ist keine Glaubensfrage!
Das erste Problem, das sich mir beim Lesen von Heckers Beitrag stellt, ist sein ausdrücklicher und ausschließlicher Bezug auf den Dekalog sowie auf die Worte Jesu aus der Heiligen Schrift. Dass er das Verbot von Blasphemie an die Offenbarung bindet, scheint mir auch aus seinem Fazit hervorzugehen, wo es ausdrücklich heißt: „Das 2. Gebot zum Schutz von Ehre und Namen Gottes ist an die Gläubigen gerichtet und der Kirche aufgegeben.“
Das Unterlassen von Blasphemie ist jedoch keinesfalls nur durch die Offenbarung geboten, sondern bereits durch die natürliche Vernunft. Diese Tatsache ist durchaus von Bedeutung: Wenn man sich dazu nämlich – wie Hecker es tut – nur auf die Heilige Schrift berufen könnte, wäre die Fragestellung angesichts eines säkularen Staates tatsächlich hinfällig. Kann man sich indes auf die natürliche Vernunft stützen, sieht die Sache anders aus. Und in der Tat sind die 10 Gebote des Dekalogs gerade deshalb – obwohl das alttestamentliche Zeremonialgesetz mit dem Neuen Testament ein Ende gefunden hat – immer noch in Geltung, weil sie eben naturrechtliche Forderungen [1]Regeln der Gebote im Detail, wie etwa die Festlegung des Ruhetags auf den Sabbat, gehören selbstverständlich zum Zeremonialgesetz, was wohl keiner weiteren Erläuterung bedarf. festschreiben. Gewiss gehören die 10 Gebote zur Offenbarung. Das schließt aber nicht aus, dass es sich bei ihnen inhaltlich um naturrechtliche Gesetze handelt; denn – um Weltys katholischen Sozialkatechismus zu zitieren – „Gott hat in Seiner Heilsoffenbarung der Menschheit auch das natürliche Sittengesetz ausdrücklich mitoffenbart, zunächst hinsichtlich der Grundwahrheiten, aber auch hinsichtlich der Folgesätze (die 10 Gebote und viele andere Gebote des AT […]).“ [2]Welty, E.: Herders Sozialkatechismus. Ein Werkbuch der katholischen Sozialethik in Frage und Antwort, Bd. 1, Freiburg 1951, S. 201. Daran ändert auch nichts, dass der moderne Mensch naturrechtliche Forderungen (soweit er diese überhaupt anerkennt) auf die rein zwischenmenschliche Ebene reduziert, Gott aber ausblendet. Eine solche Reduktion ist willkürlich und unstatthaft.
Gewiss ist der Mensch angesichts seiner erbsündlichen Belastung auch zur Pflege der natürlichen Tugend und Gerechtigkeit in gewisser Weise auf den Glauben und die Gnade angewiesen. Welty sagt dazu: „Die Erbsünde hat die natürliche Beschaffenheit des Menschen nicht zerstört, aber seine natürliche Kraft geschwächt; darum kann der Mensch ohne Hilfe der Gnade keine natürlich-rechte Lebens- und Gesellschaftsordnung erreichen.“ [3]Ebd., S. 51. Seit der Erbsünde fällt es dem Menschen schwer, selbst natürliche Gebote zu erkennen und mehr noch, sie einzuhalten. Dies zeigt sich z.B. deutlich in den Sünden der Abtreibung und Sodomie, deren jeweilige Abscheulichkeit, dem Menschen auch ohne die Gnade an sich erkennbar ist, faktisch aber nicht von allen erkannt wird. Das ändert aber nichts daran, dass es sich hier um Vergehen handelt, die auch ohne den Glauben, rein durch die Vernunft, als solche erkannt und bewertet werden können. Andernfalls könnten wir etwa gegenüber Nichtchristen nicht verlangen, z.B. Abtreibung unter gesetzliche Strafe zu stellen.
Doch ähnlich wie es naturrechtliche Forderungen an den Menschen in seinem Verhältnis zu anderen

Menschen gibt, so gibt es diese auch in Bezug auf Gott. Eine Wahrheit, die nicht genug betont werden kann! Ist doch für jeden Heiden erkennbar, dass man Gott nicht beleidigen darf! Eine Erkenntnis, die weder Glaube, noch Gnade, noch Christentum bedarf!
Paulus stellt dazu fest: „Ist doch das Erkennbare an Gott offenkundig vor ihnen; Gott nämlich machte es ihnen kund. Denn das Unschaubare an Ihm ist seit Erschaffung der Welt an den geschaffenen Dingen mit der Vernunft wahrzunehmen: Seine ewige Macht und Sein Gottsein, so dass sie unentschuldbar sind; denn obwohl sie Gott erkannten, erwiesen sie Ihm nicht als Gott Verehrung und Dank, sondern verfielen in ihren Gedanken auf eitlen Wahn, und verdunkelt wurde ihr unverständiges Herz.“ (Röm 1,19–21.)
Hecker selbst erwähnt innerhalb seines geschichtlichen Überblicks zwar die Bindung des Staates an das Naturrecht. Dabei konstatiert auch er, dass der Staat an das Naturrecht gebunden ist. Offenbar übersieht er jedoch, dass das auch Pflichten des Staates Gott gegenüber impliziert. Dass der Staat mittelbar von Gott kommt, wie Hecker ausführt, will ich nicht bestreiten, sofern man es richtig versteht. Mir ist allerdings nicht einsichtig, was das mit der Bindung an das Naturrecht zu tun hat, noch weniger, welche Rolle das für die Blasphemiefrage spielt. [4]Dass Hecker einer Auslegung von Römer 13 widerspricht, „wonach jede obrigkeitliche Gewalt unmittelbar von Gott verliehen würde“, dürfte auf einer fehlenden Unterscheidung zwischen der … Continue reading
Einordnung von Blasphemie
Was nun die Einordnung von Blasphemie betrifft, Folgendes: Eine Beleidigung ist ein Verstoß gegen die jemand anderem geschuldete Ehre. Damit fällt die Beleidigung unter die Rubrik Verstoß gegen die Tugend der Gerechtigkeit. [5]Vgl. Jone, H.: Katholische Moraltheologie auf das Leben angewandt, Paderborn 1961, S. 297f. Leider wird diese für die Moraltheologie eigentlich völlig normale und notwendige Unterscheidung zwischen göttlichen und sittlichen Tugenden heutzutage regelmäßig außer Acht gelassen. Natürliche Tugenden werden behandelt wie übernatürliche und die übernatürliche Nächstenliebe wird häufig sogar von Nichtchristen mit einem Impetus eingefordert, als handelte es sich dabei um eine natürliche Tugend. Das ist jedoch eine Verkehrung der Ordnung. Die Wahrung der Ehre Gottes gehört jedenfalls zu den Gerechtigkeitspflichten des Staates!
Um nun die Schwere des Vergehens zu qualifizieren, folgende weitere Überlegungen: Grundsätzlich erkennt die Vernunft, dass ich nicht das Recht habe, eine Person zu beleidigen. Auch in säkularen Staaten kann man für Beleidigung u. U. bestraft werden. Sodann ist eine Beleidigung umso schlimmer, desto höher der Rang ist, den der Beleidigte einnimmt. Aus vergangenen Epochen kennen wir den Begriff der Majestätsbeleidigung. Nun wird man aber ohne Zweifel zugestehen, dass Gott einen Rang einnimmt, der jegliche irdische „Majestät“ übertrifft. Die Höhe der Strafe für Blasphemie müsste an sich also auf jeden Fall höher angesetzt werden als die Beleidigung einer jeglichen irdischen Person bzw. Majestät. Was Hecker nur im geschichtlichen Aufriss erwähnt, ist also durchaus ein angemessenes Bewertungskriterium.
Der säkulare Staat
Nun zu dem Einwand, dass wir es heute in der Regel mit säkularen Staaten zu tun haben. Hecker grenzt den Begriff des säkularen Staates von jenem des Laizismus ab, „der Religion aus Staat und Öffentlichkeit verbannen will“. Der säkulare Staat wäre also wohl einfach der bekenntnislose Staat, wenn auch ohne antireligiösen Impetus. Doch auch dieser säkulare Staat ist nach katholischer Tradition keinesfalls so ein Ideal wie Hecker es glauben machen möchte. Letztlich läuft nämlich auch dies auf einen atheistischen Staat hinaus, wie Papst Leo XIII. hervorhebt. [6]Vgl. Leo XIII. in Libertas praestantissimum, Absatz 21, hier zitiert nach der Internetseite des Heiligen Stuhls (11.3.2015). Nun verstößt der Staat jedoch bereits gegen die naturrechtliche Pflicht, die ihm als Staat gegenüber Gott auferlegt ist, wenn er „atheistisch“ ist. Dies bestätigt der nämliche Papst, wenn er feststellt, dass „die bürgerliche Gesellschaft als Gesellschaft notwendigerweise Gott als ihren Ursprung und ihren Urheber anerkennen und folglich seiner Macht und seiner Autorität die Huldigung ihre Kultes erweisen [muss].“ Der Papst fährt daher fort: „Nein, weder von Rechts wegen noch nach der Vernunft kann der Staat atheistisch sein (…).“ [7]Leo XIII. in Immortale Dei, hier zitiert nach Lefebvre, M.: Sie haben Ihn entthront. Vom Liberalismus zur Apostasie. Die Tragödie des Konzils, Stuttgart 1988, S. 64.
Darüber hinaus ist festzustellen, dass der Begriff „säkular“ eine Bestimmung zu dem Begriff Staat ist, nichts mehr und nichts weniger. Seinem Wesen nach bleibt der Staat also weiter ein Staat, auch wenn er „säkular“ ist. Daher ändert das Prädikat auch nichts an jenen Pflichten, die dem Staat als Staat grundsätzlich zukommen. Da der Staat nach der Lehre der Heiligen Schrift und der Kirche seiner Natur nach als natürliche Gemeinschaft von Gott kommt, kann er sich jedoch niemals seiner Verpflichtungen gegenüber Gott entziehen; er kann sie höchstens ignorieren, wodurch er freilich Schuld auf sich lädt. An dieser grundsätzlichen Verpflichtung des Staates als Staat gegenüber Gott ändert sich auch nichts, wenn sich dieser Staat „säkular“ gibt.
Hecker ist sodann der Auffassung, dass von der „praktischen Vernunft“ geboten sei, „dass ein Staat in einer pluralistischen Weltanschauungsgesellschaft nicht auf die unterschiedlichen Gottesvorstellungen eingehen und sich zum Richter über die jeweils behaupteten Gotteslästerungen machen sollte.“ Zumindest was die praktischen Folgerungen angeht, könnte sich Hecker sogar auf Papst Leo XIII. berufen, gemäß dem die Kirche nicht verurteilt, „daß die öffentliche Gewalt etwas duldet, was der Wahrheit und Gerechtigkeit fremd ist, nämlich um entweder ein größeres Übel zu vermeiden oder ein größeres Gut zu erlangen oder zu bewahren.“ [8]Leo XIII. in Libertas praestantissimum, hier zitiert nach Denzinger, a.a.O, Nr. 3251. Dieses Übel, das es in dem Fall zu vermeiden gälte, wäre die wohl nicht unerhebliche Störung des öffentlichen Friedens.
Mir ist jedoch schleierhaft, warum der Staat nicht eine Beleidigung Gottes ahnden soll, die nicht etwa durch ein bestimmtes Glaubensbekenntnis hervorgerufen wird, sondern per se eine Beleidigung Gottes darstellt. Meines Erachtens ist es jedenfalls ein großer Unterschied, ob der Islam Gott lästert, indem er aufgrund seines falschen Glaubens behauptet, Jesus sei nicht der Sohn Gottes, oder ob jemand karikierende Darstellungen Gottes in pornographischen Zusammenhängen darstellt. Hecker nennt mit Berufung auf Hillgruber im weiteren Verlauf seiner Ausführungen selbst Beispiele, die Kriterien zur Bestimmung von Blasphemie sein könnten. Allerdings geht es bei ihm nur um Kriterien, anhand derer eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten bzw. des religiösen Friedens festgemacht werden könnten. Warum diese Kriterien nicht auch für die zu sanktionierende Verletzung der Ehre Gottes als solches dienen können, erschließt sich mir nicht.
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“
Schließlich ist es angebracht auf eine weitere Behauptung Heckers einzugehen, die nicht direkt mit der Blasphemiefrage zu tun hat, die er jedoch in seine Überlegungen einbezieht. Sie betrifft das Grundsätzliche Verhältnis von Kirche und Staat. Mit Berufung auf Papst Benedikt XVI. meint er: „Die Trennung von Staat und Kirche etwa kann sich auf die Lehre der Kirchenväter und das Jesuswort berufen: ‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.‘“
Was ist zunächst zu dem angeführten Herrenwort zu sagen? Mir selbst ist vor allem völlig schleierhaft, wie man in diesem Schriftwort, eine Trennung von Kirche und Staat postuliert sehen will. Ist der Kaiser doch seinerseits Gott verpflichtet. Rein metaphysisch betrachtet kann es gar keine gleichberechtigt neben Gott stehende Größe geben. Darüber hinaus lohnt sich ein Blick in den bereits genannten Römerbrief, der eine ähnliche Thematik behandelt:
Es „gibt keine Obrigkeit außer von Gott und die bestehenden sind von Gott angeordnet. Wer sich daher der Obrigkeit widersetzt, der wiedersetzt sich der Anordnung Gottes (…). Sie ist ja Gottes Dienerin, Rechtsvollstreckerin zur Bestrafung dessen, der das Böse tut. (…) Aus diesem Grund zahlt ihr ja auch Steuern; denn Beauftragte Gottes sind sie, und gerade dafür tun sie ihren Dienst. Gebt allen, was ihr schuldig seid: Steuer, wem Steuer, Zoll, wem Zoll, Furcht wem Furcht, Ehre, wem Ehre!“ (Röm 13,1ff.)
Hieraus geht klar hervor, dass das „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ nur ein indirektes „Gebt Gott, was Gottes ist“ darstellt. Die Obrigkeit steht jedenfalls in der Verantwortung Gottes, ja sie ist Seine „Dienerin“! Wenn man nun die Begriffe „Gott“ und „Kaiser“ auf die Begriffe „Kirche“ und „Staat“ überträgt, komme ich angesichts der letzten Feststellung jedenfalls zu einem ganz anderen Ergebnis als Papst Benedikt und Hecker. Wenn man außerdem berücksichtigt, dass die Obrigkeit im Dienste Gottes „Rechtsvollstreckerin zur Bestrafung dessen [ist], der das Böse tut“ sehe ich meine Ausführungen zur Verpflichtung des Staates, Blasphemie zu bestrafen, im Übrigen bestätigt.
Was nun die in dem Zitat behauptete Unterstützung der Kirchenväter zugunsten der Trennung von Staat und Kirche betrifft, sei Papst Pius XI. zitiert: „Entgegen der Lehre der Schrift , der Kirche und der Kirchenväter scheuen sie sich nicht zu behaupten, daß ‚die beste Regierungsform die ist, wo man der (öffentlichen) Gewalt nicht das Amt zuerkennt, die, welche die katholische Religion verletzen, durch den Zwang der Strafen im Zaum zu halten, es sei denn, daß die öffentliche Ruhe es erfordert‘.“ [9]Pius IX. in der Enzyklika Quanta Cura vom 8. Dezember 1864, hier zitiert nach Lefebvre, M.: Sie haben Ihn entthront. Vom Liberalismus zur Apostasie. Die Tragödie des Konzils, Stuttgart 1988, S. 71. Gerade weil hier zwei Päpste in diametralem Gegensatz zueinander stehen und sich dabei beide auf die Schrift und die Väter berufen, habe ich wenig Skrupel, mich angesichts der klaren Worte der Heiligen Schrift und der Tradition lieber an die Äußerungen von Papst Pius, statt an jene von Papst Benedikt und Hecker zu halten.
Das Problem der Praxis
Nach den grundsätzlichen Erörterungen bleibt das Problem der konkreten Praxis. Die BRD ist angesichts der Präambel des GG keineswegs als atheistischer Staat zu betrachten. Ich komme jedoch nicht umhin, festzustellen, dass die Realität leider eine andere ist und wir es zumindest auf der praktischen Ebene mit einer atheistischen Gesellschaft zu tun haben. Das hat natürlich auch Folgen für die Möglichkeiten, auf Blasphemie zu reagieren. Dabei verlangt der christliche Glaube, außerdem die Regeln der Klugheit zu beachten. Erst jetzt kommt jener Punkt, wo man Robert Spaemann und anderen Recht geben muss, dass man sich etwa auf die Verletzung religiöser Gefühle oder des religiösen Friedens etc. berufen muss, um das Recht Gottes, nicht beleidigt zu werden durchsetzen zu können. Der fundamentale Fehler, den Spaemann und andere jedoch machen, ist dass sie diese rein klugheitsmäßige Beschränkung, die sich an den konkreten Möglichkeiten orientiert, auf die Prinzipien ausdehnen. Hecker muss sich angesichts seiner wiederholten unkritischen Berufung auf Spaemann und der Prinzipien, die aus seinem eigenen Text hervorgehen, den gleichen Vorwurf gefallen lassen. Andernfalls hätte er besser differenzieren müssen.
Zum Schluss
Nach den bisherigen Ausführungen könnte man sich fragen, was meine Überlegungen überhaupt sollen: Unsere Gesellschaft ist atheistisch, die Forderungen an den Staat daher eher hypothetisch und in den rein praktischen Überlegungen komme ich sogar zu ähnlichen Ergebnissen wie Spaemann und andere, dich ich so entschieden kritisiere. Nun, dazu Folgendes:
Der hl. Thomas weist die Ansicht des hl. Augustinus zurück, dass es für den Glauben gleichgültig sei, eine falsche Ansicht hinsichtlich der Geschöpfe zu haben, sofern man nur in Bezug auf Gott die richtige Meinung habe: Eine falsche Ansicht hinsichtlich der Geschöpfe führe nämlich zu falschen Ansichten über Gott und der Geist des Menschen werde von Gott entfremdet (vgl. C. G. II, c. 3.).
Wenn nun also schon eine falsche Meinung hinsichtlich der Geschöpfe zu einem falschen Gottesbild führen kann, um wie viel mehr erst eine falsche Meinung in Bezug auf die Beziehung der Geschöpfe zu Gott! Und letztlich kann diese falsche Meinung über die Beziehung der Staaten zu Gott nicht ohne Folgen bleiben für die Beziehung des Einzelnen zu Gott. Am Ende bleibt nur ein modernistischer Gottesbegriff übrig. Und schließlich:
Es geht um das Recht und die Ehre Gottes! Und die Worte Wolfgang Schülers zu gebrauchen: Dem „Gottesrecht kommt absolute Geltung zu und deshalb darf auf seine Verteidigung unter keinen Umständen verzichtet werden“, auch nicht „im Hinblick auf den Umstand, dass es im Staat nicht durchgesetzt werden kann“! [10]Schüler, W.: Glaubenswahrheit und Abkommensfrage. Rom und die Priesterbruderschaft St. Pius X. in theologischen Gesprächen, Wiesbaden ²2009, S. 93.
Text: Clemens van Ryt
Bild: Una Fides
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↑1 | Regeln der Gebote im Detail, wie etwa die Festlegung des Ruhetags auf den Sabbat, gehören selbstverständlich zum Zeremonialgesetz, was wohl keiner weiteren Erläuterung bedarf. |
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↑2 | Welty, E.: Herders Sozialkatechismus. Ein Werkbuch der katholischen Sozialethik in Frage und Antwort, Bd. 1, Freiburg 1951, S. 201. |
↑3 | Ebd., S. 51. |
↑4 | Dass Hecker einer Auslegung von Römer 13 widerspricht, „wonach jede obrigkeitliche Gewalt unmittelbar von Gott verliehen würde“, dürfte auf einer fehlenden Unterscheidung zwischen der obrigkeitlichen Gewalt und der Obrigkeit selbst zu beruhen. Stellt doch Leo XII. bzgl. der Wahl eines Herrschers fest: „Bei dieser Wahl freilich wird der Herrscher bestimmt, werden nicht die Rechte der Herrschaft übertragen“, denn diese, so lehrt der Papst, gehen von Gott hervor. – Vgl. Leo XIII. in Diuturnum illud, hier zitiert nach Denzinger, H.: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hg. v. P. Hünermann, Freiburg/Basel/Wien 402005, Nr. 3150f. |
↑5 | Vgl. Jone, H.: Katholische Moraltheologie auf das Leben angewandt, Paderborn 1961, S. 297f. |
↑6 | Vgl. Leo XIII. in Libertas praestantissimum, Absatz 21, hier zitiert nach der Internetseite des Heiligen Stuhls (11.3.2015). |
↑7 | Leo XIII. in Immortale Dei, hier zitiert nach Lefebvre, M.: Sie haben Ihn entthront. Vom Liberalismus zur Apostasie. Die Tragödie des Konzils, Stuttgart 1988, S. 64. |
↑8 | Leo XIII. in Libertas praestantissimum, hier zitiert nach Denzinger, a.a.O, Nr. 3251. |
↑9 | Pius IX. in der Enzyklika Quanta Cura vom 8. Dezember 1864, hier zitiert nach Lefebvre, M.: Sie haben Ihn entthront. Vom Liberalismus zur Apostasie. Die Tragödie des Konzils, Stuttgart 1988, S. 71. |
↑10 | Schüler, W.: Glaubenswahrheit und Abkommensfrage. Rom und die Priesterbruderschaft St. Pius X. in theologischen Gesprächen, Wiesbaden ²2009, S. 93. |
In diesem Text gehen viele Argumentationsstränge durcheinander.
Die Frage nach dem Verhältnis der Obrigkeit zu Gott ist bei Hecker richtig dargelegt und entspricht auch der päpstlichen Lehre, die in diesem Artikel hier dagegen gesetzt wird:
Die staatliche potestas ist nach den Worten St. Pauli eingesetzt, um die Guten zu schützen und die Bösen zu strafen. Dies ist eine natürliche Verfasstheit der Menschheit. Insofern ist diese potestas immer von Gott eingesetzt – nicht im speziellen Sinne, also nur der und der Mann oder die und die Frau oder nur die und die äußere Foprm der potestas. In dem Augenblick, in dem jemand in ein Autoritätsverhältnis zu einem anderen gesetzt wird, kann und darf es ausschließlich um die Wahrung einer Rechtsordnung gehen. Um mehr nicht!
Deshalb gibt man dem Kaiser – auch dem heidnischen, selbstverständlich eben auch dem nicht-christlichen Kaiser! – , was ihm gebührt, nämlich die Unterwerfung unter die von ihm verwaltete Rechtsordnung.
Nun steht es aber keinem, der mit dieser potestas versehen wird, frei, wie er die Rechtsordnungen gestalten will. Er ist verpflichtet, die natürlichen Ordnungen einzuhalten. Wir werden aber zugestehen müssen, dass die Trennschärfe des Begriffes „Naturrecht“ ziemlich mangelhaft ist. Jeder projiziert seine Vorlieben da hinein. Auch im heidnischen Reich zur Zeit Jesu wurden mit den natürlichen Ordnungen auch unnatürliche etabliert und eingefordert. Diese Problematik hat bisher noch jede staatliche potestas gekennzeichnet, auch und nicht zuletzt aufgrund des parallenen Wirken des Geheimnisses der Bosheit ganz besonders in christlichen Staatsgebilden oder nachchristlichen Staatsgebilden. Man wird in allen schismatischen, häretischen und auch den scheinbar rechtgläubigen Staatsgebilden seit der Erscheinung Jesu Christi im Fleisch die schlimmsten Perversionen feststellen können, die sich fast unauflösbar mit dem Guten und natürlichen verwuchert haben.
Und das ist auch die Problematik, in der wir seit langer Zeit stehen.
Die Frage ist bei einem säkularen Staat nicht, ob er säkular ist oder nicht, da gebe ich Ihnen vollkommen recht, sondern ob er in der Lage ist, die Ordnungen Gottes einzuhalten. Man kann einem laizistischen Staat nicht von vornherein diese Absicht absprechen. Dem Laizismus liegt letztendlich auch die Resignation angesichts der Exzesse religiöser Staaten zugrunde: bevor man weiter ganze Bevölkerungsteile diskriminiert und skandalisiert, versucht man es anders: der Staat versucht die verschiedenen Weltanschauungen und Bekenntnisse mithilfe eines ethischen Minimalpaketes zu moderieren.
Was die Gotteslästerung betrifft ist die Ehre Gottes nicht auf dieselbe Stufe zu setzen wie die einer menschlichen Person. Der säkulare Staat hat zudem das Problem, dass er zwar Gott nicht beleidigen (lassen) will, aber nicht weiß, von wem die Rede ist. Als bloßem Begriff kann er mit Gott nichts anfangen.
(Forts.)
Wer ist aus der Sicht des Staates und angesichts einer maßlosen Zersplitterung der Gottesbilder, eigentlich Gott?
Wenn Charlie Hebdo eine obszöne Zeichnung der Hl. Dreifaltigkeit veröffentlicht, versteht ein Ungläubiger dies nicht als Gotteslästerung. Eine solche Person hielt mir entgegen, das habe ja mit Gott nichts zu tun, könne ihn also nicht tangieren, sondern das ziele auf das perverse Gottesbild der Kirche.
Es gibt in einer solchen Sicht also einen rein deistischen Gottesbegriff, den man selbstverständlich unangetastet lassen will, weil man ihn schon erst gar nicht weiter spezifizieren will, und dies aus „Ehrfurcht“ vor der Unergründbarkeit Gottes.
Der postmoderne Mensch sieht also in der bloßen Spezifikation des Gottesbildes bereits eine Art von Blasphemie, die jeder ungehindert aufs Korn nehmen darf.
Eine Pflicht des Staates, einem unspezifischen Gott die Ehre zu verteidigen, ist aber absurd – niemand kann damit konkret etwas anfangen bzw. fühlt sich nicht angesprochen.
Genauso ist es auch mit dem Gottesbezug in der Präambel des GG: wovon hier immer die Rede ist, es ist unklar, welcher Gott überhaupt gemeint ist.
In der Vergangenheit wurde der Kampf um das Gottesbild auf staatlicher Ebene dadurch gelöst, dass man cuius regio eius religio erzwang. ich musste also dem Gott huldigen, den mir meine staatliche potestas aufzwang. Eine grausame Vertreibung und Fluchtbewegung vieler Menschen setzte ein.
Das waren die realen Folgen des wahns, man könne, müsse dem Gott, den man für Gott hält, die Ehre retten. Die Säkularisation war ein Notbehelf, um mit der Zersplitterung fertig zu werden, ohne einen Großteil der Bevölkerung zu terroroseren mit einem Glaubenszwang, der nicht nur der Hl. Schrift widerspricht, sondern auch der Logik der Erlösung, die grundsätzlich nicht kollektiv und durch Zwang, sondern durch Liebe und persönliche Umkehr geschieht. Durch das „christliche“ Gemeinwesen wurde die Fiktion erzeugt, man käme gewissermaßen schon erlöst zur Welt. Die ganze menshcliche Sündhaftigkeit ergoss sich in unreife Gefäße, die in alelr Regel weder einen persönlichen Ruf noch eine Umkehr vollzogen hatten. das christliche Abendland war schon im Ansatz antichristlich, weil es nun mal auf dieser Erde keine „Welt“ geben kann, die den Heiland liebt. Er sagte uns doch, dass die „Welt“ immer gegen ihn stehen müsse. Wenn aber ein ganzes Gemeinwesen sich das Attribut „Welt“ zugleich abspricht und das Reich Gottes vor der Zeit auf die Fahnen schmiert, dann muss man sich fragen, ob es in dieser Logik bei ausreichender Missionierung irgendwann überhaupt auf Erden noch diese dem Reich entgegenstehende „Welt“ geben könne.
Der Kern dieses abendländischen Kurses ähnelte der islamischen Umma. Aber es ist reine Fiktion. Spätestens mit der Reformation brach dieser Wahn in tausend Teile und es waren inzwischen tausend Gottesbilder entstanden, für die mit Feuer und Schwert gekämpft wurde – bis heute.
Wessen Ehre also soll die staatliche potestas einfordern?
(Fort.)
Hecker hat doch recht: es bleibt in dem Dilemma gar nichts, als diese Ehre, die ja so vielfältig ausfällt und so unklar definiert ist, jeweils an den individuellen Vorstellungen festzumachen: es darf niemandes Gottesvorstellung beleidigt werden in dem Sinn, in dem man einen Menschen justiziabel beleidigt.
Andernfalls genügt es, die je andere Gottesvorstellung schon als Blasphemie zu werten, wie es ja im islam geschieht.
Wir haben aber keine Alternative angesichts der Gemengelage. was nützt es, ins Blaue zu fabulieren, wenn es keinen geistigen und sozialen Rahmen gibt, innerhalb dessen diese Bläue real werden kann?