Kanzlerin Merkel besucht „Paralleldiplomatie“ des Vatikans


Sant'Edgidio: Bundeskanzlerin Merkel besucht Paralleldiplomatie des Vatikans
San­t’Ed­gi­dio: Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel besucht Par­al­lel­di­plo­ma­tie des Vatikans

(Vati­kan)  Am ver­gan­ge­nen Sams­tag, 21. Febru­ar, traf Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel 40 Minu­ten mit Papst Fran­zis­kus zusam­men. Anschlie­ßend eine gute Stun­de mit Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin, der vom vati­ka­ni­schen „Außen­mi­ni­ster“, Kuri­en­erz­bi­schof Paul R. Gal­lag­her beglei­tet war. Es ging um den näch­sten G7-Gip­fel, die Ukrai­ne-Kri­se und wei­te­re The­men. Dann wur­de es spannend. 

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Im Anschluß dar­an begab sich Mer­kel zum Sitz der Gemein­schaft Sant’Egidio, der auch die UNO von Tra­ste­ve­re genannt wird, und führ­te dort das läng­ste Gespräch von etwas mehr als einer Stun­de. Was aber tut die mäch­tig­ste Frau Euro­pas bei einer von vie­len katho­li­schen Gemeinschaften?Warum stat­tet ein ame­ri­ka­ni­scher Außen­mi­ni­ster zuerst einen „Freund­schafts­be­such“ bei San­t’E­gi­dio ab, bevor er in den Vati­kan zum Papst fährt?

Die UNO von Trastevere

Da die Mann­schaft von Andrea Ric­car­di über eine wesent­lich effi­zi­en­te­re Öffent­lich­keits­ar­beit ver­fügt als der Hei­li­ge Stuhl, war es ein Leich­tes medi­al das Tref­fen Mer­kels mit der offi­zi­el­len Vati­kan­di­plo­ma­tie in den Schat­ten zu stel­len. Der Cor­rie­re del­la Sera, jene ita­lie­ni­sche Tages­zei­tung, die in allen Staats­kanz­lei­en gele­sen wird, wid­me­te dem Besuch von Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel bei Sant’Egidio wesent­lich mehr Raum als dem im Staatssekretariat.

„Kein gerin­ger Affront für die Spit­ze der Vati­kan­di­plo­ma­tie“, so Magi­ster. Die eigen­mäch­ti­ge „Par­al­lel­di­plo­ma­tie“ von Sant’Egidio wur­de dort nie beson­ders gelitten.

Das demon­stra­ti­ve Zur­schau­stel­len der eige­nen Bedeu­tung durch Sant’Egidio könn­te den Mit­ar­bei­tern des Pap­stes aller­dings auch nicht ganz unge­le­gen kom­men. Das Kir­chen­ober­haupt hat­te ein sol­ches Ver­hal­ten erst am Ascher­mitt­woch scharf kri­ti­siert. Wenn man etwas Gutes tue, möch­te man bewun­dert wer­den. Doch Chri­stus lade uns ein, die Din­ge im Ver­bor­ge­nen zu tun und allein auf die Beloh­nung durch den Vater zu ver­trau­en, der auch das Ver­bor­ge­ne sieht, hat­te der Papst erklärt.

Sant’Egidio, ein bißchen Kirche, ein bißchen eigenständig

Kirche als Restaurant Made by Sant'Egidio
Kir­che als Restau­rant Made by Sant’Egidio

Die 1968 gegrün­de­te Gemein­schaft San­t’E­gi­dio eta­blier­te seit den 80er Jah­ren eine eige­ne Par­al­lel­di­plo­ma­tie neben der offi­zi­el­len Vati­kan­di­plo­ma­tie. Der Hei­li­ge Stuhl griff dar­auf zurück, wenn auf infor­mel­lem Wege mehr erreicht wer­den konn­te als auf offi­zi­el­lem. Auf die Gemein­schaft San­t’E­gi­dio gehen die umstrit­te­nen Assi­si-Tref­fen von 1986, 2002 und 2011 zurück. Der Gemein­schaft gehört heu­te fast die gan­ze Piaz­za San­t’E­gi­dio. Wie das mög­lich wur­de, weiß nie­mand genau. Was man hin­ge­gen weiß, die Pres­se­ar­beit von San­t’E­gi­dio sorgt dafür, sind zwei Sachen. Die eine freut die Gut­men­schen, die ande­re ver­är­gert die gläu­bi­ge Katho­li­ken. Man weiß, daß Sant‘ Egi­dio gele­gent­lich Essen an Obdach­lo­se aus­teilt und daß sie dafür zu Weih­nach­ten Kir­chen in Kan­ti­nen und in Restau­rants ver­wan­deln. Bekannt ist, daß die Kosten in Rom die Stadt­ver­wal­tung über­nimmt. San­t’E­gi­dio stellt sozu­sa­gen den Raum zur Ver­fü­gung, eben die Kirche.

Die Gemein­schaft, zunächst monastisch gegrün­det, doch dann wegen des Zöli­bats in eine Lai­en­ge­mein­schaft umge­wan­delt, nahm eigen­mäch­tig da und dort Ver­än­de­run­gen an der Hei­li­gen Lit­ur­gie vor. 1975, als der spä­ter Erz­bi­schof von Mai­land und Kar­di­nal, der Jesu­it Car­lo Maria Mar­ti­ni, Rek­tor der Gre­go­ria­na war, gehör­te er zu den gro­ßen För­de­ren von San­t’E­gi­dio. Er soll sogar Mit­glied gewe­sen sein. Sicher ist, daß er spä­ter zum Ehren­mit­glied ernannt wird.

Förderer Martini und Johannes Paul II. – Die Vertrauenskrise

Da es 1978 früh­zei­tig gelang, das Ver­trau­en von Papst Johan­nes Paul II. zu gewin­nen, erleb­te die Gemein­schaft einen rapi­den Auf­stieg. Erst Ende der 90er Jah­re kommt es zu einer Ver­trau­ens­kri­se, als die Vor­gangs­wei­se der Gemein­schaft die „Sicher­heit der christ­li­chen Gemein­schaft Alge­ri­ens gefähr­det“, wie der Erz­bi­schof von Algier schrieb. Zudem miß­fie­len dem Vati­kan eini­ge „Beson­der­hei­ten“ der Gemein­schaft, dar­un­ter der Umstand, daß Andrea Ric­car­di statt ein Prie­ster in der Hei­li­gen Mes­se pre­dig­te. Aber auch, daß zuvie­le füh­ren­de Mit­glie­der der Gemein­schaft ein­fach nur zusam­men­leb­ten, zuvie­le Ehen zu Bruch gin­gen und Kin­der „ohne Vater und Mut­ter“ in der „Kom­mu­ne“ auf­wuch­sen. War Johan­nes Paul II. noch per­sön­lich zum 25. Grün­dungs­fest nach Tra­ste­ve­re gekom­men, ver­wei­ger­te er Ric­car­di und sei­ner Grup­pe zum 30. Grün­dungs­fest sogar eine Audi­enz. Über einen Dele­ga­ten ließ er in Anwe­sen­heit Dut­zen­der in Rom akre­di­tier­ter Bot­schaf­ter aus­rich­ten, San­t’E­gi­dio sol­le sich um Wer­ke der Näch­sten­lie­be küm­mern. Und mit ande­ren Wor­ten, das Spiel auf dem diplo­ma­ti­schen Par­kett der gro­ßen Poli­tik sein las­sen. Weni­ge Tage spä­ter teil­te das Staats­se­kre­ta­ri­at mit, daß man sich von der Gemein­schaft ein ernst­haf­te­res christ­li­ches Leben erwar­te. Der Vati­kan gab zu ver­ste­hen, über inter­ne Ver­hält­nis­se in der Gemein­schaft genau unter­rich­tet zu sein, über kom­bi­nier­te Ehen, einer Gebur­ten­ra­te gegen Null, dem Bruch der Mit­glie­der mit ihren Herkunftsfamilien.

„Unsere Kinder sind die Armen“

Ric­car­di läßt sich nicht ins Bocks­horn jagen, son­dern ver­sucht den Vati­kan zufrie­den­zu­stel­len durch Kor­rek­tu­ren da und dort. Wo er nichts ändern will, sagt er Ände­run­gen zu, läßt aber alles, wie es ist. Dafür inten­si­viert er die Bemü­hun­gen, gute Kon­tak­te zu hohen Prä­la­ten zu pfle­gen. Damit herrscht wie­der Ruhe. „Wenn die Mit­glie­der der Gemein­schaft San­t’E­gi­dio unter den groß­städ­ti­schen Armen und im inter­re­li­giö­sen Dia­log aktiv und vie­le ver­hei­ra­tet sind, herrscht den­noch eine besorg­nis­er­re­gen­de Situa­ti­on, die Grund zur Ver­le­gen­heit ist: sie zeu­gen kei­ne Kin­der oder bes­ser, sie zeu­gen nur ganz weni­ge und vor allem, sie wol­len kei­ne haben“, so der katho­li­sche Blog Papa­le­Pa­pa­le 2012. „Unse­re Kin­der sind die Armen“, erklär­te der Spre­cher von San­t’E­gi­dio 1996 die­ses Phänomen.

Über wel­che Freun­schaf­ten auch immer gelingt es, den Hausprie­ster von San­t’E­gi­dio, Vin­cen­zo Paglia, den „Prä­la­ten der Mäch­ti­gen“ (Papa­le­Pa­pa­le) 2000 zum Diö­ze­san­bi­schof von Ter­ni zu machen. Ter­ni ist besten­falls eine Zwi­schen­etap­pe: Ric­car­di wird nach­ge­sagt, einen der bedeu­ten­den Bischofs­stüh­le für Paglia anzu­stre­ben. Das Ziel war der Patri­ar­chen­sitz von Vene­dig. Bene­dikt XVI. geht nicht dar­auf ein, ernennt Paglia aber (als Ent­schä­di­gung?) 2012 zum Vor­sit­zen­den des Päpst­li­chen Rats für die Fami­lie, wo er seit­her aus­rei­chend Scha­den anrich­tet (sie­he „Fami­li­en­mi­ni­ster“ des Vati­kans wirbt für Kas­per-Berg­o­glio-Agen­da).

Der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster schrieb bereits vor eini­gen Jah­ren über eine selt­sa­me Per­so­nen­kon­trol­le inner­halb der Gemein­schaft. Jedes Mit­glied erhal­te einen „gro­ßen Bru­der“ als geist­li­chen Beglei­ter. Ein ehe­ma­li­ges Lei­tungs­mit­glied, das die Gemein­schaft ver­ließ, gab bekannt, daß das Beicht­sa­kra­ment in der Gemein­schaft kaum gepflegt wer­de. Statt­des­sen wer­de den Mit­glie­dern „emp­foh­len“, sich ihrem „gro­ßen Bru­der“ anzu­ver­trau­en, der aber in der Regel kein Prie­ster ist. „Eine Metho­de, wie sie bestimm­te pro­te­stan­ti­sche Grup­pen ein­set­zen, um ihre Mit­glie­der zu kon­trol­lie­ren, die aber mit der katho­li­schen Tra­di­ti­on nichts zu tun hat“, so Papa­le­Pa­pa­le.

Mit Bene­dikt XVI. kühl­ten sich die Bezie­hun­gen zum Vati­kan ab. Sechs Jah­re ver­hall­ten die Ein­la­dun­gen Ric­car­dis zu einem Assi­si III unge­hört. Was Bene­dikt XVI. 2011 bewog, doch nach Assi­si zu gehen, ist nicht bekannt. Bekannt ist, daß San­t’E­gi­dio, das Assi­si I und Assi­si II orga­ni­siert hat­te und eben­so die all­jähr­li­chen Zwi­schen­tref­fen, 2011 vor die Tür gesetzt wur­de. Die Orga­ni­sa­ti­on von Assi­si III lag aus­schließ­lich in der Hand des Hei­li­gen Stuhls, da der deut­sche Papst der Trup­pe um Ric­car­di nicht ver­trau­te, jeg­li­chen Syn­kre­tis­mus zu unterbinden.

Bei Ric­car­di-Inter­views kann man sich des Ein­drucks kaum erweh­ren, einen Poli­ti­ker spre­chen zu hören. Die Ant­wor­ten blei­ben mehr­deu­tig. Fra­gen wer­den nicht beant­wor­tet. Ric­car­di ist ohne Zwei­fel gegen Abtrei­bung, jeden­falls in der Theo­rie, aber was die Pra­xis anbe­langt, schwingt immer ein „ja, aber“ mit. So bleibt man mit der poli­ti­schen Lin­ken im Gespräch, die der­zeit natio­nal und inter­na­tio­nal ton­an­ge­bend ist. Und in die­sem Umfeld ist San­t’E­gi­dio bestens ver­an­kert und das auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne. Man gehört zum Kreis der Glo­ba­li­sie­rer, jenes links­li­be­ra­len Eine-Welt-Pro­jekts. Mit den Assi­si-Tref­fen hat San­t’E­gi­dio einen Mark­stein gesetzt.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: PapalePapale

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