(Rom) Man wußte, daß Papst Franziskus unberechenbar ist. Die Liste der neuen Kardinäle, denen er beim Konsistorium am 14. Februar Purpur verleihen wird, macht jede Vorhersage zur Makulatur. Hat der ehemalige Diplomat Rauber noch andere Verdienste, außer seine Konflikte mit Benedikt XVI., die ihn für die Kardinalswürde qualifizieren? Nach welchen Kriterien wählt der Papst die Kardinäle aus? Lassen sich neben Launen auch Richtungsentscheidungen erkennen? Ja, sagt der Vatikanist Sandro Magister. Einige neue Papstwähler haben sich bei der Bischofssynode im Oktober 2014 als eindeutige Parteigänger der Kasper-Fraktion zu erkennen gegeben.
Mit den fünfzehn neuen Papstwählern, steigt die Zahl der Konklave-Teilnehmer auf 125. Fünf mehr als vorgesehen. In den kommenden Monaten werden fünf Kardinäle aus Altersgründen ausscheiden.
Vatikansprecher Pater Federico Lombardi meinte dazu, der Papst habe die von Papst Paul VI. vorgeschriebene Höchstzahl nur „leicht“ überschritten, sich aber „insgesamt an diese Bestimmung gehalten“, da bis Jahresende die Zahl der Papstwähler wieder auf 120 sinken werde.
Der Kolumbianer Pimiento Rodriguez wird demnächst 96 Jahre alt. Die Ernennung zum Bischof erfolgte im Jahr 1955 noch durch Pius XII. Geradezu eine Sensation. Er ist einer der letzten acht noch lebenden Pacelli-Bischöfe.
Zweimal Purpur als Wiedergutmachung für Konflikte mit Vorgänger-Päpsten?
Für Zwei-Neokardinäle scheint die Kardinalserhebung eine Art Wiedergutmachung für ihre Konflikte mit zwei anderen Päpsten zu sein. Einer von ihnen ist der Italiener Luigi De Magistris, 88 Jahre alt. Er kritisierte mehrfach die Zeremonien von Johannes Paul II, die deren Regisseur Piero Marini inszenierte, besonders die exotischen Tänze, die in Meßfeiern integriert wurden. Damit machte er sich das wojtylianische Establishment im Vatikan zum Gegner. Er war auch der einzige führende Kurienvertreter, der sich gegen die Seligsprechung von José Maria Escrivá de Balaguer, den Gründer des Opus Dei ausgesprochen hatte. Die Folge war, daß ihm die Kardinalswürde verweigert wurde, die ihm als Großpönitentiar (2001–2003) zugekommen wäre. De Magistris ist der einzige Leiter dieses Dikasteriums ohne Kardinalsbirett.
Der andere ist der Deutsche Karl-Josef Rauber, 81 Jahre alt. Er stand mit Papst Benedikt XVI. im Konflikt. Zuletzt 2009, als er Apostolischer Nuntius in Belgien war. Damals ging es um die Nachfolge des progressiven Godfried Danneels als Erzbischof von Brüssel-Mecheln. Rauber meldete Rom einen Dreiervorschlag, der nicht den Namen des heutigen Amtsinhabers, Erzbischof André Léonard enthielt. In mutmaßlicher Anlehnung an Danneels lehnte Rauber Léonard als „ungeeignet“ ab. Benedikt XVI., der jedoch über andere Informationskanäle verfügte, sah im damaligen Bischof von Namür den geeigneten Mann, um der am Boden liegenden Brüsseler Kirche im Zentrum der Europäischen Union wieder Leben einzuhauchen.
Da traf es sich, daß Rauber 2009 75 wurde. Benedikt XVI. nahm seinen Rücktritt an und ernannte Msgr. Léonard zum Nachfolger von Kardinal Danneels. Rauber, kaum in Pension, enthüllte seinen Widerstand gegen Erzbischof Léonard und andere Konflikte mit Papst Benedikt XVI. in einem Interview mit der progressiven Dehonianer-Zeitschrift Il Regno. Er distanzierte sich damit auf unfeine Art von Benedikt XVI. und von der Ernennung in Brüssel, die nicht nur Rauber, sondern auch Kardinal Danneels dem deutschen Papst nachtrug. Eine Distanzierung, die jenseits persönlicher Animositäten vor allem einen Richtungsstreit sichtbar machte.
Laut dem britischen Autor Austen Ivereigh habe Kardinal Danneels zusammen mit den deutschen Kardinälen Kasper und Lehmann 2013 die Wahl eines Anti-Ratzingers organisiert.
Während Erzbischof Léonard seit fünf Jahren vergebens auf die Kardinalswürde wartet, wird sein gescheiterter Verhinderer Rauber mit eben dieser ausgezeichnet. Man geht kaum fehl, darin ein weiteres Entgegenkommen gegenüber Kardinal Danneels zu erkennen. In Rom suchen manche nach anderen Verdiensten Raubers, außer seiner Gegenposition zu Benedikt XVI., die ihn für die Kardinalswürde qualifizieren würde.
Die Zahl der von Franziskus ernannten Papstwähler steigt damit auf 31. 34 wurden von Johannes Paul II. ernannt. 60 der derzeit 125 Papstwähler erhielten ihr Purpur von Benedikt XVI.
Die einzige Regel ist der Bruch mit ungeschriebenen Regeln?
Mit Franziskus haben sich jedoch die Auswahlkriterien grundlegend verändert. Seine Vorgänger hielten sich an konsolidierte Regeln. Dazu gehörte die Verleihung an die Erzbischöfe bestimmter Bistümer, die traditionell mit der Kardinalswürde verbunden waren. Gleiches gilt für die Inhaber bestimmter Kurienämter.
Der argentinische Papst „fühlt sich nicht daran gebunden“, wie Vatikansprecher Pater Federico Lombardi am Montag erklärte. In der Tat handelt es sich um eines der vielen ungeschriebenen Gesetze der Kirche, die viele Generationen für sinnvoll erachtet haben. Papst Franziskus modelliert das Kardinalskollegium viel stärker nach seinem „Ebenbild“ um, als es seine Vorgänger taten.
Durch den Bruch mit überlieferten Regeln erweitert sich der Kreis möglicher Kandidaten enorm. In Italien bleiben die beiden einzigen Bischofssitze, die traditionell mit der Kardinalswürde verbunden sind, auch weiterhin ohne Purpur. Statt Venedig und Turin fischte Franziskus unter den mehr als 200 Diözesanbischöfen die Erzbischöfe Menichelli (Ancona-Osimo) und Montenegro (Agrigent). Menichelli war viele Jahre Sekretär von Kardinal Achille Silvestrini.
Lampedusa – das luxuriöse Paradox von EU und Papst
Zur Diözese von Bischof Montenegro, der allgemein als guter Bischof anerkannt ist, gehört auch die Insel Lampedusa, auf die Franziskus seine erste und umstrittene Reise außerhalb Roms unternahm. Im neuen „Wertekatalog“ von EU, Medien und Papst ist die Insel zu einem Ort mit Symbolcharakter stilisiert worden. Mit ihm soll Kritik an der Masseneinwanderung, auch der illegalen, zum moralisch irreversiblen Tabu gemacht werden. Schiffbruch ist eine menschliche Katastrophe und verlangt Hilfe. Doch bei Lampedusa geht es um die Durchsetzung eines einseitigen politischen Postulats.
Obwohl das Phänomen Masseneinwanderung nur zum geringsten Teil über den Seeweg nach Lampedusa erfolgt, wird eine „humanitäre“ Gleichsetzung versucht. Mit einer die Realität verzerrenden Sprachregelung wird fast täglich über „Flüchtlinge“ berichtet, die aus „Seenot gerettet“ wurden. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Jeder Einwanderer, der mit dem Schiff aus Afrika Europa zu erreichen versucht, wird einfach zum „Flüchtling“ und „Schiffbrüchigen“ erklärt. In den Gewässern vor der tunesischen Küste patrouillieren europäische Polizei‑, Militär- und Sanitätsschiffe mit dem Auftrag, jedes Einwandererschiff „Willkommen“ zu heißen, sprich bei Sichtung in Empfang zu nehmen und nach Lampedusa zu begleiten. Ein inzwischen eingespielter Mechanismus, der in der Regel bei ruhiger See abläuft und den kriminellen Schlepperbanden in Nordafrika bestens bekannt ist. In den europäischen Zeitungen liest man am nächsten Tag aber, daß vor Lampedusa wieder Hunderte „Flüchtlinge“ vor dem „Ertrinken“ gerettet worden seien. Ein luxuriöses Paradox, wenn man bedenkt, daß es sich um illegale Einwanderung handelt. Doch Papst Franziskus steht hinter diesem „Gutmenschentum“ und signalisiert das auch durch die Erhebung in den Kardinalsrang. Der Papst muß keinen differenzierten politischen Diskurs zum Thema führen, weil ihn wichtige Entscheidungsträger seit Jahren verweigern. Er fördert einen solchen allerdings nicht durch zu einseitige Parteinahme.
Ein nachtragender Papst
Benedikt XVI. hielt sich diszipliniert an die kirchlichen Consuetudines und konnte damit dem Kardinalskollegium in acht Jahren Amtszeit weniger seinen Stempel aufdrücken als Franziskus in nicht einmal zwei Jahren. Bei den fünfzehn neuen Papstwählern, hielt sich Franziskus nur bei zwei Ernennungen daran, jener von Kurienerzbischof Mamberti, Präfekt der Obersten Signatur, aus der Franziskus Kardinal Raymond Burke verjagt hatte. Dazu kommt noch der Patriarch von Lissabon. Den Erzbischof von Bangkok könnte man eventuell noch dazu rechnen.
Erneut ohne Kardinalswürde blieb der französische Dominikaner Jean-Louis Brugués, der Archivar und Bibliothekar der Heiligen Kirche. Ein Amt, mit dem seit Jahrhunderten die Kardinalswürde verbunden ist. Doch Papst Franziskus ist nachtragend. Wer sich ihm in den Weg stellt, bekommt seine Faust zu spüren. Davon weiß nicht nur amerikanische Kardinal Burke zu berichten. Pater Burgués hatte in seiner Zeit an der Kongregation für das katholische Bildungswesen entschiedenen Widerstand gegen die Ernennung von Victor Manuel Fernandez zum Rektor der Katholischen Universität von Buenos Aires geleistet. Fernandez aber war der Schützling des damaligen Erzbischofs von Buenos Aires. Als Papst ernannte ihn Franziskus sofort zum Titularerzbischof, zum Synodalen und machte ihn zum persönlichen Ghostwriter. In Rom heißt es daher: Wer Papst Franziskus liest, liest Fernandez.
Die Römische Kurie verliert weiterhin an Gewicht im Konklave. Nach dem 14. Februar wird der Anteil der Kurialen von derzeit noch 30 Prozent auf 27 Prozent sinken.
Die Suche nach entlegenen und unbekannten Orten
Man mag die Liste der Neuernannten lesen wie man will, ein System läßt sich nicht erkennen. Papst Franziskus scheint keine Regeln zu befolgen, oder anders gesagt, wenn es eine Regel gibt, dann bestenfalls eine: bestehende Regeln zu mißachten. In Rom, wo man derzeit über die neuen Kardinäle aus Tonga, Xai Xai und den Kapverdischen Inseln rätselt, behaupten böse Zungen, selbst der Papst würde diese unbekannten Bischöfe nicht kennen. Er habe einfach eine Landkarte aufgeschlagen und nach den entlegensten und unbekanntesten Orten gesucht. Inseln bevorzugt. „Manche werden darin wohl die Handschrift des Heiligen Geistes erkennen wollen“, kommentierte Secretum meum mihi. Andere, so Franciso de la Cigoña sprechen nüchterner von päpstlichen „Launen“.
Fest steht, daß das Kardinalskollegium mit dem 53jährigen Kardinal aus Tonga ein neues jüngsten Mitglied bekommen wird. Gefolgt vom Erzbischof von Montevideo, der 55 Jahre alt ist.
Der traditionsverbundene Erzbischof von Morelia und die Narcos
In Mexiko fiel, aus welchem Grund auch immer, die Wahl auf Erzbischof Alberto Suarez Inda von Morelia. Die Diözese liegt im Staat Michoacán, in dem der Drogen- und Bandenkrieg am blutigsten ausgetragen wird. Hat dieser medienträchtige Umstand wie im Fall Lampedusa das päpstliche Interesse geweckt? Suarez Inda ist aber auch der erste mexikanische Diözesanbischof, der nach dem Erlaß des Motu proprio Summorum Pontificum ein feierliches Hochamt im überlieferten Ritus zelebrierte. Er tat es am Heiligen Abend 2013, bereits nach dem Amtsverzicht von Benedikt XVI. und spendete dabei zwei Jugendlichen der Tradition das Sakrament der Firmung.
Unter den Neo-Kardinälen findet sich kein Jesuit, dafür mit dem Erzbischof von Bangkok ein Freund der Fokolarbewegung, zu denen bereits die Kardinäle Braz de Aviz und Antonelli gehören. Der ebenfalls in den Kardinalsrang erhobene Erzbischof von Valladolid hegt Sympathien für den Neokatechumenalen Weg, dem bereits Kardinal Filloni nahesteht.
Die neuen Kardinäle und die Bischofssynode
Die Neo-Kardinäle aus Lissabon, Wellington, Ancona-Osimo, Addis Abeba und Tonga nahmen als Vorsitzende der Bischofskonferenz an der Synode über die Familie teil. Der Erzbischof von Valladolid wurde persönlich von Papst Franziskus zum Synodale berufen.
Bei der Bischofssynode über die Familie schlossen sich der Neuseeländer Dew von Wellington und der Italiener Menichelli von Ancona-Osimo der Kasper-Fraktion an und sprachen sich für die Zulassung wiederverheiratet Geschiedener zur Kommunion und die Anerkennung von Homo-Verbindungen aus.
Indem Papst Franziskus den Neuseeländer Dew statt Anthony Colin Fisher, den Nachfolger von Kardinal George Pell als Erzbischof von Sydney, zum Kardinal erhebt, ließ der Papst ein weiteres Mal erkennen, in welche Richtung seine Sympathien gehen. Sowohl Kardinal Pell als auch Erzbischof Fisher sind entschiedene Verteidiger der Unauflöslichkeit der Ehe.
Text: Andreas Becker
Bild: Settimo Cielo