(Kiew/Moskau) Der Nachrichtendienst Asianews des Päpstlichen Instituts für die auswärtigen Missionen (PIME) warnt vor einem Krieg der NATO gegen Rußland. „Immer heftigere Drohungen wegen einer ‚russischen Invasion‘ – Zweifel an den ‚Beweisen‘ der NATO“, titelte Asianews am Montag.
Der ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko erklärte, daß die Lage in der Ost-Ukraine „nahe einem Point of no Return ist: Ein Punkt ohne Rückkehr ist ein wirklicher Krieg“. Die Zunahme der Spannungen komme derzeit von den Anschuldigungen der NATO, laut der Panzer, Waffen und Soldaten aus Rußland die pro-russischen Rebellen im Raum Lugansk und Donezk unterstützen. Nur dadurch, so die NATO, seien die Erfolge der Rebellen in den vergangenen Tagen erklärbar. Die pro-russischen Verbände der Ost-Ukraine rücken derzeit auf die Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer vor.
Die USA legten Satellitenaufnahmen vor, um die Mitgliedsstaaten der NATO davon zu überzeugen, daß eine „russische Invasion“ im Gange sei. Doch die vorgelegten Beweise können nicht wirklich überzeugen.
Interessen des militärisch-industriellen Komplexes
Politische Beobachter wie der globalisierungskritische kanadische Wirtschaftswissenschaftler und militärpolitische Experte Michel Chossudovsky, der zahlreiche Regierungen und internationale Institutionen berät, weisen darauf hin, daß dieser „Drang“ zu einer militärischen Eskalation „absichtlich“ betrieben werde, weil in wenigen Tagen, vom 4.–9. September in Wales der NATO-Gipfel 2014 stattfindet. Ziel sei es, so Chossudovsky, die NATO-Mitgliedsstaaten dazu zu bewegen, einer massiven Militärpräsenz im östlichen Mitteleuropa und Teilen Osteuropas sowie der Aufstellung neuer Verteidigungssysteme dort zuzustimmen. Es gehe dabei um Zuwendungen und Aufträge in Milliardenhöhe an das Militär und die Rüstungsindustrie. Als Begründung diene die „russische Bedrohung“.
Dies, so Chossudovsky, erkläre auch die Haltung etlicher amerikanischer Parlamentsmitglieder, die mit dem militärisch-industriellen Komplex in den USA verbunden sind. Sie üben kontinuierlichen Druck auf US-Präsident Barack Obama aus, Waffenlieferungen an Kiew anzuordnen, um die „russische Invasion“ aufzuhalten. Ähnlicher Lobbyismus erfolge auch in westeuropäischen Staaten, darunter der Bundesrepublik Deutschland.
Kampf um Kontrolle des Weltwährungssytems
Chossudovskys Hauptthese ist, daß hinter den meisten, weltweit stattfindenden Militär- und Wirtschaftskonflikten in Wirklichkeit ein Kampf um die Kontrolle über das Weltwährungssystem steht. Aus diesem Blickwinkel erhalte auch der Ukraine-Konflikt eine ganz andere Dimension. 2010 sei die zunehmende Bedeutung der BRIC-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien und die Volksrepublik China) vom Internationalen Weltwährungsfonds (IWF) zwar anerkannt worden. Von den USA sei jedoch bisher die Neuverteilung der Stimmrechte und damit wirkliches Mitspracherecht dieser Länder verhindert worden. USA und EU halten eine Sperrminorität. Aus diesem Grund hätten die BRICS-Staaten (nunmehr auch mit Südafrika) im Juli 2014 mit der New Development Bank (NDB) in Konkurrenz zur US-dominierten Weltwährungsordnung des Bretton-Woods-Systems (1944) und der daraus hervorgegangenen IWF und Weltbank mit dem Aufbau einer neuen Weltwährungsordnung begonnen.
Chancen für „Runden Tisch“ gering
Es gebe auch andere Bemühungen. Gestern sollte sich eine Kontaktgruppe in der weißrussischen Hauptstadt Minsk treffen. Ein Treffen, bei dem Vertreter Rußlands, der Ukraine, der OSZE und eventuell auch der pro-russischen Rebellen an einem Tisch Platz nehmen. Die Hoffnungen, so Chossudovsky, seien jedoch nicht groß, da es auf westlicher Seite und der von ihr abhängigen Regierung in Kiew wenig Interesse dafür gebe, die Interessen der pro-russischen Regionen der Ost-Ukraine zu berücksichtigen.
Rußland leugnet bisher jede militärische Beteiligung gegen Kiew in der Ukraine und bemühte sich die Festnahme einiger russischer Soldaten jenseits der russisch-ukrainischen Grenze herunterzuspielen. Sollten russische Soldaten in der Ukraine tätig sein, dann könne dies, so die Moskauer Darstellung, nur während ihres „Urlaubs“ geschehen sein. Laut westlichen Militärangaben sollen sich etwa tausend russische Soldaten in der Ost-Ukraine befinden. Unabhängige Beobachter bestätigen das nicht. Die Zahl sei zudem viel zu gering für eine tatsächliche „Invasion“. Eine solch geringe Präsenz habe für den Konflikt kaum Bedeutung, spiele aber letztlich nur Kiew und dem Westen zu. Es sei allein daher sehr unwahrscheinlich, daß sich Moskau sich selbst ein solches Bein stellen würde. Rußlands Staatspräsident scheine keinen offenen Konflikt zu suchen. Sein Ziel sei es, Kiew zu Verhandlungen mit den Rebellen zu bewegen. Das würde eine einseitige Dominanz der West-Ukraine über die Ost-Ukraine verhindern und ein indirektes russisches Mitspracherecht sichern.
Die behauptete russische Präsenz in der Ost-Ukraine komme der NATO jedoch gelegen für eine großangelegte Propagandaoffensive. Entsprechend falle in diesen Tagen die Medienberichterstattung im Westen aus. Die Medien würden „gefüttert“, um eine Eskalationsstimmung aufzubauen.
Text: Asianews/Giuseppe Nardi
Bild: Asianews