
(Rom) Im vergangenen halben Jahr dieses Pontifikats trat unerwartet ein Mann auf die Bühne, der bisher der katholischen Öffentlichkeit unbekannt war. So schnell sein Stern aufzugehen schien, ist er auch wieder erloschen. Grund genug, etwas näher hinzusehen, um zu verstehen, was derzeit rund um Papst Franziskus geschieht. Am vergangenen 20. Juli verstarb nach einem Motorradunfall in Großbritannien und langen vergeblichen Stunden im Operationssaal Anthony Joseph Palmer, Bischof der 1995 gegründeten Communion of Evangelical Episcopal Churches (CEEC), die der Anglikanischen Weltgemeinschaft angehört. Palmer wurde in Großbritannien geboren, wuchs in Südafrika auf, war beruflich zunächst im Versicherungswesen tätig, verheiratet mit einer Italienerin, und bekehrte sich erst im Erwachsenenalter zu Christus. In den letzten sechs Monaten seines Lebens erlangte er als „Freund von Papst Franziskus“ internationale Bekanntheit. Am Montag, den 28. Juli hätte er am „geheimen“ Treffen des Papstes mit Pastor Traettino von der Evangelical Church of Reconciliation in Caserta teilnehmen sollen.
Wo verläuft heute die Bruchlinie?
„Ich verstehe Tony Palmer, weil ich denselben Weg gegangen bin“, sagte Father Dwight Longenecker, ein ehemaliger amerikanischer Protestant und ehemaliger Anglikaner, heute katholischer Priester und im Internet eine bekannte Persönlichkeit. „Aufgewachsen in einer protestantischen nordamerikanischen Familie habe ich mich auf die Suche nach der wirklich historischen Kirche gemacht und wurde Anglikaner. Dieser Schritt hat mich an die Katholizität angenähert und schließlich wurde ich in die Gemeinschaft der Katholischen Kirche aufgenommen. Auf diesem Weg habe ich die ganze Fülle des Glaubens der Katholischen Kirche erfahren und gleichzeitig auch alle positiven Aspekte der evangelischen und anglikanischen Traditionen. Ich habe die positiven Aspekte nicht verleugnet, sondern sie durch mein Katholischwerden noch bekräftigt“, so Longenecker. „Seit einiger Zeit ist die eigentliche Trennung nicht mehr jene zwischen Katholiken und Protestanten, sondern zwischen den Christen, die an die offenbarte Religion glauben und jenen Christen, die an eine relative Religion glauben. Die wirkliche Spaltung ist heute zwischen den Progressiven, die den durch Christus in die Geschichte eingetretenen Glauben im Sinne eines Zeitgeistes verändern wollen und jenen, die daran glauben, daß der Zeitgeist durch die ewige und unveränderliche Wahrheit des christlichen Evangeliums immer neu herauszufordern ist. Jene, die an eine relative, progressive und modernistische Form des Christentums glauben, verachten das wunderbare Element der Religion und denken, daß die Kirche sich auf soziologischer Grundlage völlig den Wünschen der modernen Gesellschaft anzupassen habe.“
Die Evangelikalen charismatischer und episkopaler Richtung
In Tony Palmer erkannte sich Father Longenecker wieder. Ein junger Mann, der wirklich Christus suchte und auf diesem Weg dem Papst begegnete. Palmer war zu einem führenden Vertreter der CEEC aufgestiegen. Sie war vor bald 20 Jahren aus dem Convergence Movement hervorgegangen, das seit den 1970er Jahren eine größere Gruppe konservativer amerikanischer Protestanten evangelikaler Richtung und mit einem charismatischen Gebetsstil dazu führte, die liturgische und episkopale Tradition der Anglikanischen Weltgemeinschaft wiederzuentdecken. Die Selbstbezeichnung „Kirche“ sagt noch nichts über die Größe der verschiedenen Gemeinschaften aus, die von einer Handvoll Gläubigen bis zu mehreren Zehntausend reichen können. Daraus gingen mehrere Dachverbände unterschiedlicher evangelikal-charismatisch-anglikanischer Kirchen hervor. Ein solcher Zusammenschluß ist die CEEC. Erster Erzbischof wurde Michael Owen, nachdem John Kikuva, ein anglikanischer Bischof aus Kenia den Übergang in die episkopale Tradition leitete. Weitere Bischöfe alt-katholischer oder orientalischer Tradition schließen sich der CEEC an. Durch den Missionserzbischof Robert Wise erlebte die CEEC ihre Verbreitung in Europa. In Italien entstand die Gemeinschaft L’Arca in Todi, die vom Briten Tony Palmer, der mit einer Italienerin verheiratet ist, gegründet wurde. Palmer wurde als Leiter der Gemeinschaft von der CEEC zum Bischof ordiniert. Palmers Gemeinschaft ist in besonderer Weise an einer keltischen Spiritualität interessiert und an die christlichen Ursprünge auf den britischen Inseln. Todi gehörte allerdings nie zum keltischen Gebiet Europas.
Treffen mit Papst Franziskus am 14. Januar in Rom
Wann und wie sich der keltisch-anglikanische Bischof Tony Palmer und der katholische Papst kennenlernten, ist nicht genau bekannt. Sowohl Palmer als auch Wise nahmen regelmäßig an ökumenischen Treffen vor allem mit charismatischen Katholiken teil. Der entscheidende Moment für Palmer scheint jedoch der vergangene 14. Januar gewesen, als er in seiner Funktion des Verantwortlichen des International Ecumenical Officer der CEEC vom Papst empfangen wurde. Im offiziellen Bulletin des Heiligen Stuhls wurde an jenem Tag unter den Audienzen verzeichnet: „His Grace Anthony Palmer, Bishop and International Ecumenical Officer for the Communion Evangelical Episcopal Churches“. Palmer wurde unmittelbar vor Erzbischof Oscar Kardinal Rodràguez Maradiaga von Tegucigalpa und Mitglied des C8-Kardinalsrats (inzwischen zum C9 erweitert) empfangen.
Was genau dabei besprochen wurde, ist nicht bekannt bis auf einen Punkt: die Charismatic Evangelical Leadership Conference, die wenige Wochen später im Februar in Texas unter der Federführung von Kenneth Copeland stattfand, einem der bekanntesten und einflußreichsten Vertreter der evangelikal-pfingstlerischen Bewegung Word of Faith. Palmer wird dem Papst davon berichtet und die Bedeutung dieses Treffens innerhalb der evangelikalen Pfingstbewegung unterstrichen haben. Der Papst übermittelte der Leadership Conference jedenfalls spontan eine Videobotschaft, die von Palmer mit dessen Smartphone an Ort und Stelle aufgenommen wurde (siehe eigener Bericht Ungewöhnlicher Schriftverkehr aus dem Vatikan).
Der Papst wollte die Gelegenheit nützen, indem er etwas tat, was noch kein Papst getan hatte. Er trat in direkten Kontakt (wenn auch auf Distanz) zu führenden Evangelikalen. Ob die Videobotschaft nun Teil des offiziellen oder privaten Lehramtes des Papstes ist, mag Juristen und Dogmatiker beschäftigen. Das private Lehramt entfaltet jedenfalls seine Wirkung.
Palmers Rede in Texas
Das spontane Video war ziemlich unsäglich, bestenfalls hausbacken, das einen Papst zeigt, der einige englische Worte stammelt, dann italienisch spricht und sich in Untertiteln englisch übersetzen läßt. Es scheint keine Rolle zu spielen. Als der Anglikaner Palmer im Februar vor den in Texas versammelten Evangelikalen das Wort ergriff, fand er aufmerksames Gehör. Palmer sprach bei dieser Gelegenheit eigentlich nur über Katholisches: über die charismatischen Katholiken, über die Katholische Kirche, über seine langjährige Freundschaft mit Erzbischof Jorge Mario Bergoglio, über das Konklave, das diesen zum Papst wählte, über die Emotionen, die er empfand, als er jenen als neuen Papst sah, den er als einen seiner drei geistlichen Väter betrachtet, über seine italienische Frau, die ihren katholischen Glauben wiederfand und ihre Kinder, die im katholischen Glauben erzogen werden. Und dann, es schien nicht abgesprochen, kündigte Palmer an, was zuvor sicher alle Anwesenden für unmöglich gehalten hätten: eine Videobotschaft des katholischen Papstes an eine evangelikale Versammlung. Die protestantische Versammlung sah und hörte staunend und schweigend zu. Wie es heißt, soll von den einflußreichen anwesenden Evangelikalen sich sogar jemand zum katholischen Glauben bekehrt haben. Papst Franziskus sprach über die „Sehnsucht“ nach der Einheit. Ein Stichwort, das in Texas gut ankam. Die Botschaft habe dort mehr bewirkt, als tausend ökumenische Ansprachen und interreligiöse Treffen. Was dies auf dogmatischer Ebene bedeutet, läßt sich schwer abschätzen.
Palmer hatte bereits unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Sympathie für die Katholische Kirche gezeigt. Mit Franziskus wollte er an der Einheit der einen Kirche arbeiten. In Texas sagte Palmer zu den dort versammelten Evangelikalen: „Der Protest von Martin Luther ist zu Ende. Und Eurer?“
Die Begegnung vom 19. Juni und Caserta
Am 19. Juni gehörte Palmer der evangelikal-pfingstlerischen Delegation an, die von Papst Franziskus im Vatikan empfangen wurde (siehe eigenen Bericht Gimme Five zwischen Papst Franziskus und Teleevangelist James Robison). Ein Treffen das außerprotokollarisch stattfand. Das Bulletin des Heiligen Stuhls erwähnt die Begegnung nicht. Ein Treffen, das offiziell nicht stattgefunden hat, ebensowenig wie der Besuch des Papstes am vergangenen Montag in Caserta eigentlich „privat“ sein sollte, wie Vatikansprecher Pater Lombardi betonte und daher nicht Teil der offiziellen Amtshandlungen des Papstes.
Dennoch veröffentlichte der Heilige Stuhl inzwischen offiziell die Ansprache des Papstes vor den in Caserta geladenen Evangelikalen und Pfingstlern. Damit wird der Besuch nachträglich zu einem offiziellen päpstlichen Akt erhoben.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: CEEC Italien
Zitat Longenecker: „„Seit einiger Zeit ist die eigentliche Trennung nicht mehr jene zwischen Katholiken und Protestanten, sondern zwischen den Christen, die an die offenbarte Religion glauben und jenen Christen, die an eine relative Religion glauben.“
Das würde bedeuten, dass es eine „unsichtbare Geist-Kirche“ gibt, die sich durch die verschiedenen Konfessionen und Gemeinschaften erstreckt. Das Konzept hat Anleihen bei dem „anonymen Christen“ Karl Rahners.
Was bedeuten die Sakramente, die Taufe, die Aufnahme in die katholische Kirche vor diesem Gedankengang? Warum ist Longendecker dann konvertiert? Wenn er doch an die offenbarte Religion glaubt, hätte er doch auch als Anglikaner Teil dieser „unsichtbaren Kirche“ sein können. Wie steht das Konzept zu den Märtyrern, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu katholischen Kirche ihr Leben verloren haben?