Papst Franziskus hat sich am gestrigen Freitag, 20. Juni 2014, vor Teilnehmern einer Konferenz von Drogenfahndern deutlich gegen die Legalisierung von Drogen ausgesprochen. Zu den von „Radio Vatikan“ in deutscher Sprache veröffentlichten Auszügen aus der Ansprache des Heiligen Vaters sind einige Bemerkungen zu machen, die sich möglicherweise in gewissen traditionalistischen Kreisen keiner großen Beliebtheit erfreuen oder zumindest, oberflächlich betrachtet, auf Widerstand stoßen. Zunächst aber seien die positiven Aspekte erwähnt. So sagt der Papst: „Ich möchte ganz klar sagen: Drogen besiegt man nicht mit Drogen! Drogen sind immer schlecht, und man kann nicht das Übel mit Kompromissen besiegen.“ In ähnlicher Weise heißt es im „Katechismus der katholischen Kirche“ (Nr. 2291): „Der Genuß von Drogen führt zu schweren Schädigungen der Gesundheit und des menschlichen Lebens. Abgesehen vom rein medizinischen Gebrauch ist er eine schwerwiegende sittliche Verfehlung. Die heimliche Herstellung von Drogen und der Rauschgifthandel sind etwas Schändliches; durch ihre verführerische Wirkung sind sie eine direkte Mitwirkung zu schwerwiegenden Verstößen gegen das moralische Gesetz.“ Der Gebrauch und die – übrigens wohl nicht nur „heimliche“ – Herstellung von Drogen sind, mit anderen Worten, schwer sündhaft. Hier kann es selbstverständlich keinen Widerspruch geben.
Nichtsdestotrotz stellt sich sofort eine Frage. Es ist ungewiß, wie die Definition des Begriffs „Droge“ überhaupt lautet. Zwischen Medikamenten und dem, was man gemeinhin als „Drogen“ bezeichnet, ist häufig nur ein schmaler Grat. Deutlicher ist dies in der englischen Sprache, wo man auf der einen Seite von „illegal drugs“, auf der anderen aber von „prescription drugs“ spricht. Doch auch wenn man den Vatikan selbst anschaut, begegnet einem diese Spannung. Bekanntlich kann jeder mit einem Rezept in der vatikanischen Apotheke ohne große Schwierigkeiten seine Medikamente besorgen. Nun werden dort aber auch solche verkauft, die in Italien (noch) nicht zugelassen sind. Besorgt man sich das Medikament im Vatikan, ist alles in bester Ordnung. Besorgt man sich das Medikament oder verkauft es auf dem Schwarzmarkt in Italien, so ist man, folgt man den Gesetzen der Logik, im Drogenhandel tätig.
Unbeabsichtigte Konsequenzen der Kriminalisierung von Drogen
In einem zweiten Schritt ging Papst Franziskus über die Feststellung der moralischen Verwerflichkeit von Drogenkomsum und ‑produktion hinaus und sagte: „Es ist falsch, zu denken, daß man das Drogenproblem mit der Legalisierung von leichten Drogen in den Griff bekäme. Ersatzdrogen als Therapiemethoden sind auch keine Lösung, weil es einfach bedeutet, daß wir vor dem Rauschgift kapitulieren. Sagt Nein zu Drogen und Ja zum Leben! So sollte die Botschaft lauten.“ Die Vereinigten Staaten von Amerika sind mit ihrem „War on Drugs“ („Krieg gegen Drogen“) ein Paradebeispiel, um die Auswirkungen einer Kriminalisierung von Drogen zu analysieren. Dabei ist, wie Henry Hazlitt in „Economics in One Lesson“ glänzed darstellt, stets zu bedenken, daß man nicht nur die unmittelbaren Auswirkungen einer politischen Maßnahme auf eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe betrachten muß, sondern auch die häufig unbeabsichtigten langfristigen Auswirkungen auf alle Gruppen. Ohne Zweifel erscheint ein Verbot von Drogen äußerlich sinnvoll, denn wenn der durchschnittlich indoktrinierte Staatsbürger hört, daß etwas verboten ist, denkt er zumindest unterbewußt, daß sich praktisch niemand diesem Verbot widersetzt.
Schauen wir also auf die Vereinigten Staaten, wo der „War on Drugs“ mit großem Aufwand geführt wird. Gemäß einer 2008 veröffentlichten Harvard-Studie würde der Staat insgesamt mehr als 40 Milliarden Dollar einsparen, wären Drogen entkriminalisiert oder die entsprechenden Gesetze schlicht nicht länger angewandt. Die „Drug Policy Alliance“ spricht gar von mehr als 50 Milliarden Dollar. Kosten entstehen dem Staat dabei nicht nur durch den Einsatz von Polizei und anderen Einheiten, sondern in hohem Maße auch durch Gerichtsverfahren gegen Drogenkonsumenten und ‑produzenten sowie die daraus resultierenden Gefängnisaufenthalte. Laut „Washington Post“ wurden 2008 rund 1,5 Millionen Amerikaner für Verbrechen verhaftet, die in Verbindung mit Drogen stehen, wovon wiederum ein Drittel zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde. Wie erfolgreich ist also das amerikanische System, alle Drogen zu verbieten (in letzter Zeit haben zugegebenermaßen einige wenige Staaten der USA leichte Drogen entkriminalisiert), wenn immer noch so viele Menschen Drogen konsumieren oder vertreiben? Das Geld für diese mehr oder weniger wirkungslosen Maßnahmen nimmt sich der Staat natürlich vom Steuerzahler, wobei Steuern ganz eigene massive moralische Probleme mit sich bringen. Ist es so undenkbar, dass Familien das Geld, das derzeit für einen letztlich erfolglosen „War on Drugs“ ausgegeben wird, besser verwenden könnten?
Eine weitere Auswirkung des Verbotes von Drogen zeigt folgende Argumentation, basierend auf den fundamentalsten Grundsätzen der Marktwirtschaft: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Wenn entsprechend das Angebot einer Droge durch den „War on Drugs“ verringert wird, steigt der Preis, da die Nachfrage offensichtlich gleich bleibt. Der höhere Preis sorgt logischerweise für einen größeren Profit der Produzenten und Vertreiber der Droge. Darüber dürfte Papst Franziskus – mit zahlreichen anderen Katholiken, darunter auch viele Traditionalisten – kaum nachgedacht haben. Denn bei allem, was man über den gegenwärtigen Heiligen Vater sagen kann, ist die Förderung von Drogenhändlern sicherlich nicht seine Absicht. Ein größerer möglicher Profit führt natürlich auch dazu, daß die involvierten Personen tendenziell größere Risiken eingehen, was sich oft in brutalen Verbrechen, bis hin zu Morden, äußert. Nun könnte man sagen, daß man Leuten im Drogenmilieu keine Träne nachweinen muß. Abgesehen davon, daß immer wieder auch Unbeteiligte Opfer von derartiger Gewalt werden, ist diese Haltung kaum katholisch zu nennen.
Perspektiven für Jugendliche
Papst Franziskus ging in seiner Ansprache zudem auf sein augenscheinliches Lieblingsthema – die Jugendarbeitslosigkeit – ein: „Denken wir doch mal an einen Jugendlichen, der keine Arbeit hat. Ich glaube, in Europa gibt es 75 Millionen arbeitslose Jugendliche. Ich bin mir allerdings dieser Zahl nicht ganz sicher. Aber denken wir an solche junge Menschen, die nicht arbeiten und nicht studieren: Sie haben keinen Horizont, keine Hoffnung – und da werden sie eine leichte Beute für Drogen. Wenn wir also diesen Jugendlichen eine Alternative anbieten wie Arbeit, Schule oder Sport, dann gibt es keinen Platz für Drogen!“ Auch hier sind einige Aspekte kritisch zu beleuchten.
In den Vereinigten Staaten halten es seit Beginn des „War on Drugs“ vor rund 40 Jahren stets mehr als 80 Prozent aller Schüler im Alter von 15 bis 18 Jahren für „einfach“, an Marihuana zu kommen. Die Schule als eine von Papst Franziskus angesprochene Alternative zum Drogengebrauch ist also nicht unbedingt haltbar. Natürlich konsumiert nicht jeder Drogen, der sagt, sie seien einfach zu erwerben. Doch wenn dies der Fall ist, so muß eine Nachfrage bestehen, denn wo keine Nachfrage herrscht, dort gibt es, zumindest nach kurzer Zeit, auch kein Angebot. Außerdem ist die Bestrafung von Jugendlichen, wie sie in den USA praktiziert wird, möglicherweise unklug und kontraproduktiv. So behaupten die Professoren Eric Blumenson und Eva S. Nilsen in einem Aufsatz aus dem Jahr 2002, durch den „War on Drugs“ und die damit verbundenen Strafen für amerikanische Jugendliche werde eine permanente Unterschicht geschaffen. Die Strafen, so heißt es, hinderten die Jugendlichen beispielsweise für immer oder für eine gewisse Zeit daran, sich weiterzubilden oder ihr Wahlrecht auszuüben. Durch die Anlegung eines Strafregisters sei es auch schwieriger, später einen Job zu bekommen.
Schließlich ist aus katholischer Sicht anzumerken, daß man von Jugendlichen ohne Arbeit oder ohne Studienplatz nicht einfach sagen kann, daß sie „keinen Horizont, keine Hoffnung“ haben. Ein solider junger Katholik wird sich nicht zum Drogenkonsum verführen lassen, bloß weil es ihm momentan auf materieller Ebene schlecht geht. Der „Katechismus der katholischen Kirche“ definiert Hoffnung wie folgt (Nr. 1817): „Die Hoffnung ist jene göttliche Tugend, durch die wir uns nach dem Himmelreich und dem ewigen Leben als unserem Glück sehnen, indem wir auf die Verheißungen Christi vertrauen und uns nicht auf unsere Kräfte, sondern auf die Gnadenhilfe des Heiligen Geistes verlassen.“ Hoffnung hat also ziemlich wenig mit meiner materiellen Situation zu tun. Ob ich ein armer Schlucker bin oder ein Milliardär – die Tugend der Hoffnung ist stets dieselbe. Darauf sollte sich Papst Franziskus in erster Linie konzentrieren, nicht auf weltliche Dinge wie Arbeit und Schule.
Ist politisches Eingreifen gerechtfertigt?
Um es abschließend noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Dieser Artikel dient nicht dazu, den Konsum oder die Herstellung von Drogen zu rechtfertigen oder gar zu befürworten. Vielmehr gilt es, Menschen aus dem Drogenmilieu zu befreien. Wie der Katechismus erklärt, sind sowohl der Konsum als auch die Herstellung schwer sündhaft. Daraus zu schließen, daß politische Maßnahmen die Situation verbessern, ist jedoch ein „non sequitur“. Wie in diesem Artikel angedeutet, haben derlei Maßnahmen Konsequenzen, die zu vermeiden sind. Man kann darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, daß sich die Politik ganz aus der Drogenproblematik zurückzieht. Aber es gilt auch, daß die Ausgangsposition nicht jene sein sollte, daß die politische Lösung zwangsläufig die beste für alle Beteiligten (und Unbeteiligten) ist.
M. Benedikt Buerger studiert derzeit Theologie an einer englischsprachigen Hochschule.
Bild: Axel Boldt