(Abuja) Attentate und Propaganda. Das ist das Handwerk der Islamisten-Miliz Boko Haram, die Nigeria in Schrecken versetzt. Mit der Geiselnahme von mehr als 200 christlichen Mädchen aus Chibok erreichen die Dschihadisten, was sie seit 2009 anstreben: „Nicht nur als lokale, sondern weltweit als Kampfgruppe wahrgenommen zu werden. Sie wollen als internationale Terroristen anerkannt werden, nicht nur als lokale Terrorgruppe in Nordost-Nigeria“, so der Terrorismusexperte des Corriere della Sera, Guido Olimpio.
Die Islamisten entführten rund 300 Schülerinnen aus einem Internat in Chibok. Mehr als 50 Mädchen konnten fliehen. Erstaunlicherweise alles Mosleminnen. Die Mädchen, die sich noch in der Hand der Dschihadisten befinden, sind mindestens zu mehr als 90 Prozent Christinnen.
Boko Haram will in die „erste Terrorliga“
Seit sich die jungen Christinnen in ihrer Hand befinden und internationale Empörung ausgelöst haben, veröffentlicht die Terrorgruppe eine Videobotschaft nach der andere. Wie alle Terrrorgruppen betreibt Boko Haram neben terroristischen Operationen auch intensive Propaganda. Boko Haram hat durch die Massengeiselnahme einen „Qualitätssprung“ vollzogen, der auch in Nigeria für Überraschung sorgte. Die Terrorgruppe verübt nicht mehr nur Massaker unter Christen oder unter Moslems, die ihnen im Weg sind. Boko Haram sendet nun auch klare Botschaften an die Welt.
Es scheint, daß die nigerianischen Islamisten mit anderen islamischen Terrorgruppen um Anerkennung konkurrieren. Nun gelingt der Aufstieg in die „erste Terrorliga“, indem Boko Haram in einem Atemzug mit Al-Qaida, Taliban und ISIS genannt wird, um nur einige der bekannten islamistischen Terrorgruppen zu nennen.
„Auch Terroristen sind eitel, keine Frage“, so Guido Olimpio. „Boko Haram hat große Ambitionen. Sie wollen als Feinde des Westens und besonders als Feinde der USA wahrgenommen werden. Denn je größer der Feind, desto wichtiger wird man selbst. Im Stil von Al-Qaida betrachten auch sie als Hauptfeind nicht den nahen Feind, sondern den fernen Feind.“
Boko Haram operiert selbständig und kooperiert mit Al-Qaida-Ablegern
Es gebe unterschiedliche Meinungen dazu, ob Boko Haram mit Al-Qaida zusammenhängt. „Über die in Abbottabad gefundenen Dokumente, die eine Finanzierung Boko Harams durch Bin Laden bestätigen würden, wurde lange diskutiert. Das ist aber längst Vergangenheit. Mit Sicherheit arbeitet Boko Haram heute mit AQIM (Al Qaida im islamischen Maghreb) zusammen und mit islamistischen Milizen in Nord-Mali. Die Entführung der christlichen Mädchen zeigt jedoch, daß sie als wichtigste Terrorgruppe südlich der Sahelzone anerkannt werden wollen. Wie alle Islamistenmilizen, man denke an die ISIS in Syrien und im Irak, ist Boko Haram stolz auf seine Fahne und sein Symbol. Und wie die anderen Dschihadisten gehen sie eigene Wege“, so Guido Olimpio.
Ziel: Eroberung eines eigenen, christenfreien Territoriums als Operationsbasis
Das erste Ziel von Boko Haram sei die Vertreibung der Christen aus dem Norden Nigerias. In einer christenfreien Zone will die Terrorgruppe sich ihr eigenes Territorium schaffen und dort ein Emirat errichten, von dem aus alle weiteren Operationen durchgeführt werden sollen. Wie alle Islamisten ist nach dem Vorbild Mohammeds und der ersten Kalifen die territoriale Eroberung, die Schaffung eines Landes für den Islam, von besonderer Bedeutung. Weitere Operationen meint im Denken der Islamisten die schrittweise militärische Eroberung und Unterwerfung aller umliegenden Gebiete unter die Scharia. Islamisten kennen keine Grenzen, als die, die ihnen mit Waffengewalt aufgezwungen werden. Zunächst will Boko Haram in Nigeria das Gegengewicht zum Staat werden, der sich aus verschiedenen Gründen als schwach erweist.“
Ob das Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft hilfreich sein könnte, hänge davon ab, was damit gemeint sei. „Die Freilassung der Geiseln kann nur durch einen Austausch erreicht werden. Freilassung von Boko Haram-Kämpfern gegen Freilassung der Mädchen. Wenn die internationale Gemeinschaft am Verhandlungstisch sitzt, könnte auch die Freilassung von Islamisten in anderen Ländern gefordert werden. Die Zahlung eines Lösegeldes muß auf jeden Fall mit einkalkuliert werden. Das gehört zur Logik der Islamisten.
Gescheiterte Geiselbefreiung kann Regierung gefährden
Die nigerianische Regierung erklärte offiziell, nichts dergleichen zu tun. Wir wissen aber, wie solche Dinge dann verlaufen. Die Befreiung der Mädchen durch eine Kommandooperation ist heikel. Bei einer so großen Zahl an Geiseln ist ein militärischer Eingriff schwierig und die Gefahr groß, daß viele Mädchen getötet werden könnten. Das würde die Regierung von Staatspräsident Jonathan unter großen Druck bringen. Die Regierung setzte in der Vergangenheit bereits auf eine gewaltsame Befreiung von Geiseln. Nicht immer mit Erfolg. Eine erfolgreiche Befreiung der Mädchen würde die Regierung sehr stärken. Eine gescheiterte Operation könnte sie gefährlich schwächen.“
Die internationale Staatengemeinschaft sollte als öffentliche Antwort Geschlossenheit gegen Boko Haram zeigen. Konkret Hilfe sollte in der Geiselfrage jedoch fast „unsichtbar“ erfolgen, „um nicht das Spiel der Terroristen zu spielen, die sich in der Rolle von ‚Wir allein gegen den Rest der Welt‘ sehen und einen Mythos um sich schaffen wollen“, so Guido Olimpio vom Corriere della Sera.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi
Feinde der USA? Oder doch ein Geschöpf der CIA?
Zitat:
„Nach derzeitigem Kenntnisstand verhinderte die ehemalige amerikanische Außenministerin Hillary Clinton bis zu ihrem Abgang, dass Boko Haram schon sehr viel früher auf der internationalen Terrorliste landete, was das US-Justizministerium, das FBI, die CIA und zahlreiche Senatoren und Abgeordnete bereits seit 2011 forderten.“
Quelle:
http://edition.cnn.com/2014/05/09/opinion/gingrich-hillary-clinton-boko-haram-terrorist/