(Rom) Seit wenigen Tagen ist das letzte Buch von Mario Palmaro in den Buchhandel gelangt. Es sammelt die Aufsätze, die er gemeinsam mit Alessandro Gnocchi im ersten Jahr des Pontifikats von Papst Franziskus in der Tageszeitung „Il Foglio“ veröffentlichten. Ein ausführliches Vorwort und ein Nachwort von Giuliano Ferrara, dem Chefredakteur der Zeitung runden die Publikation auf. Ein geistreiche und leidenschaftliche Analyse des bisherigen Pontifikats. Am 11. März wurde das Buch ausgeliefert, am 12. März wurde Mario Palmaro begraben, am 13. März jährte sich das Pontifikat von Papst Franziskus zum ersten Mal. Sein schärfster öffentlicher Kritiker erlebte diesen Tag nicht mehr.
Die drei Autoren nehmen sich, bei allem Respekt kein Blatt vor dem Mund. Er geht nicht um eine Kritik an der Person, sondern an der Amtsführung. Die Katholiken Gnocchi und Palmaro fragen sich, ob die Kirche überhaupt noch an der Stadt Gottes baut. Der Nicht-Katholik Ferrara sieht hingegen in Franziskus den „typischen“ Jesuiten des 16. und 17. Jahrhunderts, der mit allen Mitteln einen geheimen Kampf führt, um die Welt für die Kirche zu gewinnen. Aber wer wird am Ende unter welchen Bedingungen für was gewonnen? Welche Interpretation dieses Pontifikats man auch für zutreffender halten mag: alle Beiträge sind lesenswert, liefern neue, interessante Gedankenanstöße und der wohl beste Beitrag zur anhaltenden Diskussion. Die Beiträge von Palmaro und Gnocchi sind zudem Ausdruck eines Leidens am Ist-Zustand. Die erste Buchbesprechung stammt von der Historikerin Cristina Siccardi.
„Dieser Papst gefällt zu sehr – Leidenschaftlich-kritische Lesart dieses Pontifikats
von Cristina Siccardi
Mario Palmaro (1968–2014) setzte noch kurz bevor er diese Welt im Alter von erst 45 Jahren verließ, ein Zeichen seines beharrlichen, tiefen Glaubens. Am 12. März wurde im wunderbaren, altehrwürdigen Dom von Monza ein feierliches, erhabenes und erhebendes Requiem im überlieferten Ritus zelebriert, an dem mehr als 1.500 Gläubige teilnahmen. Ein heiliger und öffentlicher Akt von großer Bedeutung und einem unermeßlichen geistlichen Wert.
Der lateinische Ritus mit seinen Gregorianischen Gesängen, vorgetragen von einer ausgezeichneten Choralschola, ist von außergewöhnlichen Schönheit, die alle Anwesenden in besonderer Weise geschätzt haben und von allen verstanden wurde, obwohl viele ihn zum ersten Mal in der Form einer Totenmesse erlebten. Die Stille, die ihn unterscheidet und auszeichnet, war absolut. Selbst die Dutzende von anwesenden Kindern, darunter auch ganz kleine, schienen die Bedeutung des Augenblicks erfaßt zu haben. Die religiöse und katholische Intensität des Ritus des Heiligen Papstes Pius V. ließ begreifen oder erahnen, warum Mario Palmaro so begraben werden wollte und selbst noch zu Lebzeiten dafür gestritten hatte. Und sich, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten, letztlich durchsetzen konnte.
Zwei Katholiken und ein Nicht-Katholik über Papst Franziskus
Viele Priester waren zur Liturgie gekommen und viele Vertreter von Kultur, Wissenschaft und Journalismus, darunter auch Giuliano Ferrara, der Chefredakteur von Il Foglio, der sich anschließend tiefbeindruckt von der Totenliturgie des Alten Ritus zeigte. Ferrara gab gemeinsam mit Alessandro Gnocchi und Mario Palmaro ein Buch heraus, das am Tag vor der Beerdigung Palmaros die Druckerei verließ und in diesen Tagen in den Buchhandel kam. Es trägt den Titel: „Dieser Papst gefällt zu sehr. Eine leidenschaftlich-kritische Lesart des Pontifikats“.
Ferrara, der in seinem intellektuellen Leben verschiedene Phasen des politischen und philosophischen Denkens durchgemacht hat, bezeichnet sich selbst als „frommen Kirchenfernen“, doch römisch-katholisch getauft. „Ich habe keinen Glauben, halte aber eine Menschheit ohne Glauben für verloren, fanatisch und gleichgeschaltet durch den Unglauben wie dem der Religion der Aufklärung oder der politischen Korrektheit“, schreibt Ferrara im Vorwort des Buches. Er beobachtet die Veränderung der Kirche und des Papsttums nüchtern, scharfsinnig und mit bestechender Sorge. Es erstaunt viele, solche Worte von einem „Kirchenfernen“ zu lesen, erhöht aber vielleicht die Bereitschaft seine Anmerkungen anzuhören.
„Ich erwarte mir, daß Franziskus die Welt täuscht und die Halbwelt enttäucht“
„Ich stelle mir Franziskus als Jesuit des 16. Jahrhunderts vor und erwarte mir, daß er die Welt täuscht und den ihm zujubelnden, ihn hofierenden und ihm in jeder nur denkbaren Weise schmeichelnden demi-monde enttäuscht“, so Ferrara. Ihm, dem kirchenfernen Nicht-Katholiken, der jedoch an der Katholizität interessiert ist, gefällt Papst Franziskus in gewisser Weise sogar. Franziskus macht ihn neugierig, und er hält den argentinischen Papst für einen Revolutionär. Vor allem aber, ist er davon überzeugt, daß es die Absicht dieses Papstes ist, den geheimen und getarnten Kampf der Jesuiten mit der Welt fortzusetzen, indem er der Spiritualität des Heiligen Petrus Faber, eines Mitbruders des Heiligen Ignatius von Loyola folgt.
„Ich hoffe, daß er kein banaler Progressist ist“
Ferrara weiter zu Papst Franziskus: „Ich denke und hoffe, daß er kein banaler Progressist ist, einer, der sich mit dem vorherrschenden Zeitgeist vermischen will, um die Kirche durch politische Befriedung zu garantieren, durch historische Akzeptanz, ethische Resignation und kulturelle Anonymität.“
Der Nicht-Katholik Ferrara reflektiert gemeinsam mit den beiden Katholiken Mario Palmaro und Alessandro Gnocchi die Art und Weise Bergoglios, die Kirche autoritär, forsch und kurz angebunden zu leiten, die päpstliche Autorität ihrer sakralen Zeichen und Haltungen zu entblößen, indem er wie Otto irgendwer auftritt und damit die Kirche und das Papsttum entmythologisiert.
„Der allerseligste Liebling jener Welt, die sich von ihren Lastern losgesprochen wissen möchte“
„Dieser Papst gefällt zu sehr“ ist eine Streitschrift in Form eines Pamphlets, die das gesamte bisherige Handeln von Papst Franziskus einer kritischen Prüfung unterzieht. Jenes vor allem von den Kranken des „Feldlazaretts“ geliebten und angehimmelten Papstes, die in ihm ihren zärtlichen und barmherzigen Verteidiger sehen, „den allerseligsten Liebling jener Welt, die sich von den Sünden und den weltlichen Lasterchen losgesprochen wissen möchte“, ohne etwas zu ändern.
Papst behandelt Herde mit soziologischen und politisch-populistischen Technikern
Ferrara untersucht vor allem das Lehramt dieses Papstes, der zu den postmodernen Kindern Diderots und D’Alemberts spricht, und der sich lieber als Bischof von Rom denn als Papst bezeichnet; der die gefalteten Hände eines Ministranten auseinanderdrückt; der die Massenmedien nach seinem Belieben gebraucht; der die Hirten auffordert, selber den Geruch der Schafe anzunehmen; der mit einer Arbeitstasche reist; der mit den Bürgern telefoniert; der die in Massengröße versammelte Herde mit soziologischen und politisch-populistischen Techniken behandelt; der das Mittel der Meinungserhebungen nützt, um die Zustimmung der Basis zu ergründen; der jeden Morgen eine „biblisch-politische“ Rede „in der bescheidenen Kapelle seiner prekären Residenz“ hält; der die persona papae in seiner Abstraktion verdunkelt und statt dessen der Person, die sie gerade pro tempore bekleidet Energie, Individualität und Aktivismus verleiht. Das gleich so sehr, daß er den übernatürlichen Mythos Papst verblassen, aber dafür den menschlichen Mythos Bergoglio entstehen läßt.
Franziskus ist kein „liberal“, aber vielleicht ein „radical“
Einen Mythos, den die Mehrheit bejubelt, weil sie ihn für ihre großen und kleinen Interessen benutzen kann: Von der Scheidung bis zur Homo-Lobby. Für den Journalisten James Carroll vom „New Yorker“ ist Papst Franziskus „kein liberal, aber wenn er der Art, wie in der Kirche Macht ausgeübt wird, eine wirkliche Wende gibt, dann könnte er sich als ein radical herausstellen“.
Anhand ganzer Lastwagenladungen voll Jesuiten, Theologen und Philosophen bietet Ferrara seine Interpretation von Papst Bergoglio und denkt dabei laut nach, um zu einer Entzifferung zu gelangen, die am Ende dennoch der Hand entgleitet wegen der unwägbaren Dimension des zweideutigen und gefährlichen Liebäugeln des Papstes mit der abgrundtiefen Ignoranz unserer Zeit. Der Ignoranz der Vernunft, der Religion, des Naturrechts, des Mysteriums und sogar der Ignoranz eines Realitätssinns für die Existenz selbst.
Baut Kirche noch an Stadt Gottes oder neigt sie der verwirrten Stadt des Menschen zu?
Ferrara gefällt die lebhafte, aber respektvolle, die geistreiche Kritik der gläubigen Katholiken Gnocchi und Palmaro, deren tiefgründige, überlegte, ironische und durchlittene Aufsätze gesammelt sind, die in diesem ersten Jahr zu diesem Pontifikat in der Tageszeitung „Il Foglio“ erschienen sind. Das Autorenduo betrachtete Papst Franziskus dabei nicht unter dem gleisenden, aber irreführenden Scheinwerferlicht der Fernsehkameras oder von Twitter oder Facebook. Sie beobachteten den Papst, und die mit zunehmendem Leidensdruck, unter dem Blickwinkel der ewiggültigen Tradition der Kirche. Und dabei schneidet Jorge Mario Bergoglio auf wenig tröstliche Weise ab, jedenfalls für jene Katholiken, die auch Katholiken bleiben wollen. Wenn man ihre Aufsätze liest, drängt sich geradezu die Frage auf: Ist die Kirche heute noch darauf ausgerichtet, am Aufbau der Stadt Gottes zu arbeiten (und zwar des katholischen Gottes und nicht des ökumenischen), oder neigt sie auch den konfusen Regeln einer völlig verwirrten Stadt des Menschen zu?
„Barmherzigkeit mit psychoanalytischem Beigeschmack“?
Das Buch endet mit einem Nachwort von Ferrara, dem man seine gewisse Sympathie für einen anstößigen Papst anmerkt. Einen Papst, den er der frühen Neuzeit zurechnet und der alle modernen Mittel der Propaganda nützt, um mit Wort und Geste einen weitgehend säkularisierten Kulturkreis für die Kirche zu gewinnen. Diese Sympathie hält ihn jedoch nicht davon ab, die Fakten zu sehen: „Jetzt macht sich die Kirche zu einem Kind der Welt und ihr sentimentaler Seitensprung ist für alle sichtbar. Jesus ist ein Advokat unserer Schwächen, wie Franziskus bei einem Angelus sagte, und die Sünde existiert nur, um durch eine Buße getilgt zu werden. Sie darf sich aber nie in der Form einer gutartigen Beichte ausdrücken, wo das göttliche Urteil nicht streng ist, wie man immer sagte, sondern durch eine Barmherzigkeit mit psychoanalytischem Beigeschmack ersetzt wird.“
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Messa in Latino (Requiem für Mario Palmaro)
„Vor allem aber, ist er davon überzeugt, daß es die Absicht dieses Papstes ist, den geheimen und getarnten Kampf der Jesuiten mit der Welt fortzusetzen, indem er der Spiritualität des Heiligen Petrus Faber, eines Mitbruders des Heiligen Ignatius von Loyola folgt.“
Das glaube ich nicht. Die große Masse der Katholiken könnte dieses Spiel nicht begreifen und würde verloren gehen. Die Herde braucht eine klare warheitsgemäße Führung und keinen Glauben der auf Winkelzüge aufgebaut ist. Was nutzt es wenn ich den Feind und gleichzeitig den normalen einfachen Katholiken täusche. Am Ende würden beide verloren gehen. Und werden dann nur die raffinierten gerettet werden?
Per Mariam ad Christum.
Sehr richtig durchdacht!
Papa Bergoglio ist kein „liberal“ und auch kein „radical“ sondern ein „freemason“. Und er versteckt das nicht mal. Wann hat jemals ein Nachfolger Petri ein solches Kreuz getragen, wie er es offen zur Schau stellt? Weit und breit kein gekreuzigter Christus, kein Opfertod, keine Auferstehung und somit keine Erlösung. Stattdessen eine seltsame Hirtenfigur und eine Schafherde. Die Hirtenfigur trägt ein Schaf und kreuzt dabei absolut umständlich die Arme. Zu dumm, daß mit genau den gleichen gekreuzten Armen der altägyptische Gott der Unterwelt, Osiris, dargestellt wird. Verdammt lustig sowas und die Menge jubelt, denn wer schert sich schon um irgendwelche Details.
http://abload.de/img/kreuz8pxmw.jpg
Wenigstens fällt es einem auf, dass dieser Papst sozusagen das Leiden Christi und Seinen Opfertod „abgeschafft“ hat.
Obwohl seit dem Konzil bei keinem der Päpste ein besonders zentrales Thema war, was der Mittelpunkt unserer Religion sein sollte.
Statt dessen sind alle Religonen gleich gut und auch Atheisten kommen laut Franziskus jetzt (sozusagen gezwungermaßen, wo sie doch mit Gott gar nichts zu tun haben wollen! ) in den Himmel.
Freimaurerischer geht es wirklich nicht mehr.
Sehr gut beobachtet.
Was Bergoglio auch immer sein mag, ein Papst, den die Kirche braucht, ist er bestimmt nicht. Er schafft in uns keine Hoffnung. Was halten wir uns auch mit dem Stellvertreter auf Erden auf. Blicken wir auf den Heiland.
Schon wieder ein herausragender Beitrag von Cristina Siccardi. Ja, ich kann ihre Worte über die außergewöhnliche Schönheit des überlieferten römischen Ritus, wie er gerade in der Totenliturgie zum Ausdruck kommt, nur bestätigen. Sich von diesem Ritus zu trennen, ihn zu ersetzen durch eine Allerweltsliturgie, das war barbarisch, ich kann mich nicht anders ausdrücken.
Und genau deshalb haben wir jetzt diesen Papst, der alles banalisiert, trivialisiert, entsakralisiert. Ohne seine Vorgänger, ohne das 2. Vatikanische Konzil war es nicht möglich.
Bergoglio ist das schlimme Ende einer Fehlentwicklung seit ca. 50 Jahren. Vorläufig. Denn wir wissen nicht, was nach ihm geschieht.
Ich danke erneut Giuseppe Nardi für die Übersetzung. Wenn auch diese Texte italienischer Autoren mit ihrer gedanklichen Schärfe unsere Situation schmerzlich schildern, so ist der dieser mit der Klarheit verbundene Schmerz immer noch besser zu ertragen, als ein dumpfes, diffuses Unglück.
Mario Palmaros Stimme ist verstummt, er fehlt. Doch was er gesagt hat und wie er es gesagt hat, das wird bleiben. Und die Menschen, die an diesem Requiem teilgenommen haben, werden es nicht vergessen.
Der überlieferte römische Ritus, in seiner Schönheit, seiner unerreichten religiösen Tiefe, wird die banale Messe Paul VI. ablösen. Auch wenn der Weg noch lang, noch schwer, noch schmerzlich ist.