(Buenos Aires) Über das Denken und Handeln von Papst Franziskus vor seiner Wahl zum katholischen Kirchenoberhaupt ist wenig bekannt. Ab und zu ist die Rede von Konflikten, die er mit der Römischen Kurie auszutragen hatte. Vor allem die argentinische Vatikanistin Elisabetta Piqué macht in ihrem Buch über Jorge Mario Bergoglio „Franziskus. Leben und Revolution“ (2013), die als „glaubwürdigste Biographie“ herumgereicht wird, wenig schmeichelhafte Anspielungen auf den Apostolischen Nuntius Adriano Bernardini, Titularerzbischof von Faleri. Bernardini ist derzeit Nuntius des Heiligen Stuhls in Italien und San Marino. Von 2003 bis Ende 2011 und damit bis meiste Zeit, die Bergoglio Erzbischof on Buenos Aires war (1998–2013) war er Nuntius in Argentinien. Daß das Verhältnis zwischen Erzbischof und Nuntius nicht gerade das Beste war, ist in Argentinien allgemein bekannt.
Papst-Biographin reitet Anschuldigungen gegen Nuntius
Weil die Autorin bestimmte Informationen in ihrem Buch veröffentlicht, heißt dies aber noch nicht, daß es sich dabei um die objektive Wahrheit handelt. Diese könnte auch ganz anders sein. Zwei der Hauptanschuldigungen gegen Nuntius Bernardini sollen daher näher unter die Lupe genommen werden. Die erste hat auf irgendeine Weise mit dem zu tun, was man einen gewissen Hang zur Armutshuldigung nennen könnte. Die Anschuldigung lautet, „gewaltige Summen“ für die Renovierung des „luxuriösen Sitzes“ der Apostolischen Nuntiatur von Buenos Aires ausgegeben zu haben.
Eine so hingeworfene Meldung läßt zwangsläufig an einen Fürstbischof zur Zeit des Absolutismus denken. In der Bundesrepublik Deutschland wurden dafür in jüngster Zeit Wortschöpfungen wie „Protz-Bischof“ erfunden und jeder weiß, zumindest laut moralischem Zeigefinger der Medien, was er davon zu halten hat. Im konkreten argentinischen Fall stellt man sich also vor, daß ein kirchlicher Barockfürst im Gewand eines Botschafters des Heiligen Stuhls für seinen Palast mit vollen Händen Kirchengelder ausgegeben hat. Während man in Deutschland zum Fall Limburg noch immer auf den Abschlußbericht der Untersuchungskommission wartet, obwohl laut anklagenden Medienberichten die Dinge doch so eindeutig seien, weiß man zu Argentinien schon, daß die Dinge in Wirklichkeit etwas anders lagen. Um genau zu sein, wissen es zumindest jene, die es noch wissen wollen. Die Mehrzahl der Medienkonsumenten wird wahrscheinlich mit der gespeicherten Anklage im Kopf zur Tagesordnung übergangen sein. So ist das eben mit dem, „was in der Zeitung steht“.
„Armutshuldigung“ und Vorwürfe: Die Fakten
Die Fakten: Die Nuntiatur von Buenos Aires ist ein Geschenk von Adelia Maria Harilaos de Olmos (1865–1849). Adelia Maria Harilaos stammte aus einer alten, allerdings verarmten Dynastie argentinischer Großgrundbesitzer. 1902 heiratete sie den wohlhabenden Unternehmer, Großgrundbesitzer und Gouverneur der Provinz Cordoba Ambrosio Olmos (1839–1906). Der Tod ihrer einzigen Tochter (1904) und der frühe Tod ihres Mannes (1906) stürzten Adelia in eine so große Depression. Sie mußte entmündigt und ihr Bruder die Verwaltung des Vermögens übernehmen, das ihr verstorbener Mann hinterlassen hatte. 1911 wurde sie wegen ihres prekären Gesundheitszustandes von ihrer Familie in ein Institut in Paris eingewiesen. Innerhalb weniger Monate erholte sie sich jedoch auf wunderbare Weise. Eine Genesung, die sie einem göttlichen Gnadenerweis zuschrieb.
Nach Argentinien zurückgekehrt, trat sie die Hinterlassenschaft ihres Mannes an, eines der größten Vermögen Lateinamerikas. Die fromme Katholikin bemühte sich auf vorbildliche Weise, ihre Unternehmen, vor allem eine riesige Landwirtschaft, sozial gerecht zu führen. Persönlich kümmerte sie sich vor allem um die Armenfürsorge und stellte der Katholischen Kirche großzügig ihr Vermögen für die Notleidenden und Befürftigen zur Verfügung.
1934 überließ sie ihr Stadtpalais in Buenos Aires dem Heiligen Stuhl als Sitz der Apostolischen Nuntiatur. In Argentinien gab es starke antikatholische Strömungen, freimaurerischer, liberaler und marxistischer Provenienz, die immer wieder zum offenen Kulturkampf herausforderten. Harilaos de Olmos wollte daher der Vertretung des Papstes eine ihrer Würde entsprechende Sichtbarkeit in der argentinischen Hauptstadt verschaffen.
Stadtpalais als zweckgebundene Schenkung
Immer wieder hatte Adelia Maria Harilaos de Olmos, die als Marchesa (Markgräfin) dem päpstlichen Adel angehörte, hohe Gäste in ihrem Palast. Dieser beherbergte noch im selben Jahr, als er Nuntiatur wurde, Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, den künftigen Papst Pius XII., der zum XXIII. Internationalen Eucharistischen Kongreß nach Argentinien gekommen war.
In ihrem Testament, das 1949 geöffnet wurde, schenkte sie das Stadtpalais dem Heiligen Stuhl. Ein Geschenk, das die Gönnerin allerdings an die Bedingung knüpfte, daß es auch weiterhin als Sitz der Nuntiatur diente. Sie habe, wie sie begründete, ihr Vermögen für die Armen gegeben, doch dieses Palais soll der Kirche eine würdige Vertretung sichern. Deshalb schloß sie eine Verwendung für einen anderen Zweck oder gar eine Veräußerung aus.
Das Palais, an sich schon ein architektonisches Kunstwerk, birgt in seinem Inneren kostbare Einrichtungsgegenstände, Möbel, Boden- und Wandteppiche, eine Bibliothek und vor allem eine vollständige Pinakothek mit Werken von großem künstlerischem Wert.
Während seiner diplomatischen Mission in Argentinien fiel es Nuntius Bernardini zu, eine grundlegende Renovierung des Palais durchzuführen. Gleiches galt für die Sicherung der Kunstwerke. Seit das Gebäude ab 1934 als Nuntiatur genützt wurde, war nichts dafür getan worden. Eingriffe waren notwendig geworden. Hätte Nuntius Bernardini sich nicht darum gekümmert, hätten sie seinen Nachfolger umso drängender belastet.
Die ohne Zweifel kostspielige Renovierung des Palais und die Restaurierung einiger Kunstwerke wurden jedoch durch eine großzügige Zuwendung einer katholischen Stiftung der USA möglich, um die sich der Nuntius bemüht hatte. Die Drittmittelfinanzierung belastete die argentinische Kirche finanziell nicht.
Widerstand gegen Bergoglios Vorschläge für Bischofsernennungen
Kommen wir also zur zweiten Anschuldigung gegen Nuntius Bernardini. Laut Papst-Biographin Piqué habe der Nuntius den damaligen Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, „leiden lassen“. Der Nuntius habe sich nämlich wiederholt Bergoglios Vorschlägen für Bischofsernennungen in den argentinischen Diözesen widersetzt und dabei die Eignung der von Bergoglio genannten Kandidaten gegenüber dem Heiligen Stuhl bestritten.
Auch in diesem Fall geht der Vorwurf ins Leere. Der 1997, also noch in der Zeit vor Bernardini ernannte Bischof Fernando Maria Bargallò von Merlo-Moreno, war durch die nachdrückliche Empfehlung des damals bereits als Erzbischof-Koadjutor feststehenden Weihbischofs Bergoglio von Buenos Aires in sein Amt gelangt. Bischof Bargallò war einer jener argentinischen Bischöfe, die bei Bergoglio besonders Liebkind waren. 2005 machte ihn Bergoglio zum Präsidenten der argentinischen Caritas und 2007 zum Präsidenten der Caritas von ganz Lateinamerika und der Karibik. Bargallò führt andauernd zwei Schlüsselbegriffe in seinem Mund, die ihn offensichtlich für diese Ämter qualifiziert hatten: “Arme“ und “Armut“. Von ihm scheint auch der Ausdruck „existentielle Ränder“ zu stammen, den Papst Franziskus inzwischen in den weltweiten Sprachgebrauch nicht nur der Katholischen Kirche eingeführt hat.
Die Ergebnisse die Msgr. Bargallò im Dienst der Armen in seiner Diözese, auf nationaler und internationaler Ebene erbrachte, sind auf triste Weise bekannt. Auch wenn sie nicht in das Konzept der Papst-Biographin Piqué zu passen scheinen und deshalb von dieser unerwähnt bleiben. Nur der letzte Skandal sei genannt, der ihn schließlich sein Amt kostete: Foto- und Filmbeweise zeigten den Bischof und Caritas-Präsidenten 2012 an karibischen Traumstränden fest um eine Frau geschlungen, mit der er in einem nicht gerade „armen“ Fünf-Sterne-Hotel logierte. Im Luxushotel begegnete der Bischof weder „Armen“ noch „existentiellen Rändern“, sondern genoß sein Doppelleben. Papst Benedikt XVI. setzte ihn als Bischof ab und enthob ihn aller Ämter. Selbst wenn man davon ausgeht, daß Bargallò auch seinen Förderer Bergoglio getäuscht hat, kann man es aufgrund solcher Personalentscheidungen Nuntius Bernardini kaum verdenken, daß er sich mehrfach den Personalvorschlägen des Erzbischofs von Buenos Aires widersetzte. Dabei wurden hier nur Bedenken wegen des Lebenswandels, aufgegriffen. Ein ganz anderes, entscheidenderes Kapitel wären noch die Bedenken wegen der Überzeugungen mancher Kandidaten.
Text: Corrispondenza Romana/Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Pagina Catolica/Cruzada del Santo Rosario