(Rom) Heute vor einem Jahr trat um 20 Uhr der Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. in Kraft. Die Katholische Kirche denkt dankbar an sein Pontifikat. Eine offene Wunde ist hingegen noch immer sein spektakulärer Rücktritt, der im konkreten Kontext in der Kirchengeschichte präzedenzlos ist. Benedikt XVI. gab damals bekannt, für die Welt „unsichtbar“ zu werden und ein Leben des Gebets zu führen. Wörtlich sagte er am 14. Februar in seiner letzten großen Ansprache, daß er „für die Welt verborgen bleiben werde“. Damit will es allerdings nicht so recht klappen. Dafür sorgen Papst Franziskus, katholische Journalisten und nicht zuletzt auch Kurienerzbischof Georg Gänswein. Wenn dem so ist, ist es menschlich verständlich. Wer aber will eigentlich wissen, daß Papst Benedikt XVI. sich eine Folge von „Kommissar Rex“ anschaut? Die Demontage eines Pontifikats hat viele Gesichter.
Vatikanische Gegenmaßnahmen zu anhaltenden Spekulationen
Es ist sein Nachfolger Papst Franziskus, der ihn immer wieder in die Öffentlichkeit zurückholt und es sind engste Mitarbeiter, die zuviel über ihn reden. Alles, um Kontinuität und Einheit zwischen den beiden Päpsten zu vermitteln. Das wiederum hängt offensichtlich mit nicht abreißenden Spekulationen rund um den Amtsverzicht und die ungewohnte Situation zweier Päpste, eines regierenden und eines emeritierten, zusammen. Verantwortlich für die fortdauernde Diskussion ist vor allem auch die Amtsführung von Papst Franziskus, die glaubenstreue Katholiken irritiert.
In der Katholischen Kirche versucht man den Diskussionen entgegenzuwirken, indem in auffälligem Widerspruch zum Wunsch von Benedikt XVI., „verborgen“ zu leben, sein nunmehriges Leben in die Öffentlichkeit gezerrt wird. Es sind Kirchenvertreter und katholische Journalisten und Medien, die sich dabei hervortun. Jüngstes Beispiel ist die Tageszeitung Avvenire der Italienischen Bischofskonferenz.
Der öffentlich ausgebreitete Alltag des „verborgenen“ Papstes
Sie führte ein Interview mit Kurienerzbischof Georg Gänswein und berichtet in großer Aufmachung, daß der abgetretene Papst sich abends nun gerne Filme von „Don Camillo und Peppone“ und „Kommissar Rex“ anschaue. Auch so sieht Banalisierung aus. Der Präfekt des Apostolischen Hauses von Papst Franziskus und persönliche Sekretär von Benedikt XVI. habe dem Avvenire vom „Alltag“ des emeritierten Papstes erzählt. Es bestehe aus „Gebet, Büchern, Musik und abends den einen oder anderen Film von Don Camillo und Peppone oder Folgen der Fernsehserien Don Matteo oder Kommissar Rex“. Der Tag beginne mit der Heiligen Messe, dem Brevier und dem ersten Frühstück. Der Tagesrhythmus sei „ziemlich menschlich, nicht der einer preußischen Kaserne“. Der übrige Tag bestehe aus beten, lesen, dem Empfang von gelegentlichem Besuch und der Beantwortung zahlreicher Briefe, die er empfange. Einzige Zerstreuung sei ein Spaziergang in den Vatikanischen Gärten, bei dem er den Rosenkranz bete. Der Papst lebe inmitten seiner geliebten Bücher der Theologie. Er lese aber auch Geschichtsbücher und Biographien großer Persönlichkeiten. Zudem lese er deutsche und italienische Tageszeitungen, schaue abends die Nachrichtensendung im Fernsehen und er versuche persönlich auf Briefe zu antworten. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele ihn gerne besuchen und sehen möchten. Ich unterbreite ihm jedenfalls alle Anfragen. Er entscheidet dann. Die Warteliste ist inzwischen schon sehr lang.“
Papst Benedikt höre viel Musik „vor allem klassische Musik, besonders Mozart, aber auch Bruckner, Liszt, Bach, Schubert, Beethoven, Brahms. Aber auch religiöse Musik: gregorianische und polyphone. Nicht fehlen dürfen die Aufnahmen der Regensburger Domspatzen seines Bruders Georg.“ Gelegentlich spiele er auch selbst Klavier, vor allem den „geliebten Mozart“.
Gänswein: Verhältnis zu Nachfolger ist „ausgezeichnet“
Benedikt verfolge, so Gänswein, aufmerksam die internationale Entwicklung und jene der Kirche. Natürlich auch, was sein Nachfolger Franziskus mache, aber er mische sich in keiner Weise ein. „Die Ernennungen liest er, wenn sie im Osservatore Romano veröffentlicht werden.“ Das Verhältnis zu seinem Nachfolger sei „ausgezeichnet“. Die beiden Päpste würden sich auf verschiedene Weise hören: sie telefonieren miteinander, schreiben sich, sie sehen sich, sie essen zusammen. Mehrfach sei Papst Franziskus bereits zum Mittagessen ins Kloster gekommen. Einmal, nach Weihnachten, war Papst Benedikt auch zu Gast in Santa Marta.
Einen Gegensatz zwischen den beiden Päpsten zu behaupten, „ist ein bevorzugtes Spiel einiger Journalisten. Das mir nicht gefällt. Ich habe die Gnade, mit dem einen zu leben und mit dem anderen zu arbeiten. So kann ich mir erlauben, zu sagen, beide einigermaßen gut zu kennen. Ich sehe sie nicht gegensätzlich, sondern komplementär. Es ist klar, daß der Stil, die Gestik und auch die Art der Regierung von Papst Franziskus ganz anders als die von Papst Benedikt sind. Man kann aber eine Opposition nicht allein darauf aufbauen. Die Dinge anders zu machen, will nicht sagen, sie im Widerspruch zu machen. Man muß immer präsent halten, was der emeritierte Papst Professor Hans Küng schrieb und gegenüber Andrea Tornielli wiederholte, als er von ‚Übereinstimmung der Sichtweisen und der Herzensfreundschaft‘ mit Papst Franziskus schrieb.“
Diese explizite Nennung und Interpretation zweier umstrittener Schreiben der vergangenen Wochen, jenes an Tornielli gab dieser erst am vergangenen Montag bekannt, erstaunt dann doch. Die Frage lautet: Cui bono? Es verstärkt den Eindruck, daß hinter den jüngsten Ereignisse: Anwesenheit von Benedikt XVI. beim außerordentlichen Konsistorium, der angebliche Tornielli-Brief und nun das Gänswein-Interview eine einheitliche Sprachregelung steht. Der Rücktritt eines Papstes, das Leben eines emeritierten, „pensionierten“ Papstes als Normalität? Alles ganz „menschlich“.
Verschiedene „Sensibilität für Liturgie“ eine „objektive Tatsache“
Einige unleugbare Unterschiede zwischen den beiden dürften nicht böswillig gelesen werden. So sei zum Beispiel die Sensibilität für die Liturgie verschieden: „Das ist eine objektive Tatsache und es ist nicht kränkend, dies zu sagen. Aber auch in diesem Fall, ich wiederhole, bedeutet es anders zu machen nicht, es im Widerspruch zu machen.“ Getreu seiner Ankündigung, mische sich Papst Benedikt nicht in die Entscheidungen von Papst Franziskus ein: „Er nimmt zur Kenntnis, was man schreibt, was man spricht, was man entscheidet. Auf passive Weise ad extra und auf aktive Weise ad intra. Er hört und liest, was man über das Konsistorium hören konnte oder zum Fragebogen, der vom Generalsekretariat der Bischofssynode verschickt wurde. Aber er ruft niemanden „oben“, um Ratschläge oder Hinweise zu geben. Er hat sich zurückgezogen. Er nimmt nicht mehr an der Leitung der Kirche teil. Das wurde nicht einmal gesagt und dann vergessen. Es gilt und wird auch in Zukunft gelten“.
Daß Benedikt XVI. auch ankündigte „für die Welt verborgen“ zu bleiben, scheint nicht nur Kurienerzbischof Gänswein allerdings vergessen zu haben.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi