(Bonn) Deutsche Moral- und Pastoraltheologen springen Zollitsch und Marx in derem Kampf gegen die katholische Morallehre zur Seite. Im Konfrontationskurs deutscher Bischöfe mit Rom mußten die Bischöfe eine Niederlage einstecken. Trotz des „Wunsches“ einer Gruppe von Bischöfen an Papst Franziskus, Glaubenpräfekt Gerhard Ludwig Müller nicht zum Kardinal zu erheben, wird der deutsche Glaubenshüter am 22. Februar das Kardinalsbirett erhalten.
„Die Kirche muß ihre Haltung zur Sexualmoral ändern. Wir schreiben das Jahr 2014 nach Christus. Seit Jahren sind wir in das dritte Jahrtausend eingetreten. Es ist doch unmöglich, daß Rom noch immer an Zölibat und Ehe denkt als Alternativen, die dem Leben einen Sinn geben.“ Kurzum, alte Zöpfe seien endlich abzuschneiden, man müsse sich dem Neuen, dem Modernen zuwenden, dem, was die Menschen wollen und ohnehin tun. So und ähnlich klingt schwarz auf weiß die Stellungnahme führender Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Moraltheologen und der Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologen und Pastoraltheologinnen e.V.
Bei Ersteren handelt es sich laut Eigendefinition um einen Zusammenschluß der an deutschen Universitäten und Hochschulen lehrenden und forschenden bzw. emeritierten Professoren der Moraltheologie. Bei Zweiteren um dieselbe Gruppe im Fachbereich Pastoraltheologie aus dem ganzen deutschen Sprachraum einschließlich den Niederlanden.
„Gemeinsame Antwort“ deutscher Moral- und Pastoraltheologen linienkonform mit Zollitsch & Marx
„20 Moral- und PastoraltheologInnen“ antworteten gemeinsam auf den römischen Fragebogen zum Vorbereitungsdokument der Bischofssynode zum Thema Familie. Beteiligt sind Moral- und Pastoraltheologen verschiedener Universitäten. Emeritierte Professoren von Münster, Mainz, Graz, Benediktbeuern, Tilburg, Dortmund, ebenso der Promotor der Schulsexualerziehung Johannes Gründel (München) und Hans Kramer (Bochum). Unter den Aktiven finden sich der Wiener Moraltheologe Gunter Prüller-Jagenteufel, der mit der Leiterin des Pastoralamtes der Erzdiözese Wien, Veronika Prüller-Jagenteufel verheiratet ist, ebenso Eberhard Schockenhoff von Freiburg im Breisgau, der Jesuit Josef Schuster von St. Georgen. Mehr erstaunt in diesem Kreis der Pastoraltheologe und Zisterzienser Norbert Stigler von der Hochschule Heiligenkreuz bei Wien.
Gefordert wird eine Überwindung der Glaubenslehre, die ein moralisches Urteil über das Sexualverhalten der Individuen ausspricht. Die Sexualität sei Privatsache und gehe niemanden etwas an, weder die Kirche und auch nicht Gott. Es sei an der Zeit zu einem Paradigmenwechsel, der auf der Zerbrechlichkeit der Ehe und den persönlichen Erfahrungen im Sexualbereich gründet. Die Sexualmoral müsse auf der „Verletzlichkeit“ gründen, diese anerkennen und begleiten.
Rom müsse endlich einsehen, daß die Stunde gekommen ist, die Ehe neu zu definieren: „Die Ehe muß sich als eine die Verletzlichkeit bergende, nicht nötigende Institution profilieren.“ Ehe neu definiert durch „palliale“, „emanzipative“ und „ reflexive Dimension“ der „Vulnerabilität“ der menschlichen Sexualität.
„Mehr Barmherzigkeit, weniger Strafe“ – veränderte Praxis, unveränderte Lehre
Die 20 Unterzeichner des Appells geben sich dabei nur als Sprachrohr aus. Nicht sie würden das verlangen, nein, die Gläubigen seien es. Ein Blick auf die professoralen Antworten zeigt, an welche revolutionäre „Wende“ sie denken. Natürlich wird alles im Namen von „mehr Barmherzigkeit“ gefordert.
„Mehr Barmherzigkeit, und weniger Strafe, das entspricht in etwa dem, was ohnehin seit einiger Zeit die Mehrzahl der deutschen Bischöfe auf ihre Fahne geschrieben haben“, so Matteo Matzuzzi, der Vatikanist von Il Foglio. Die kirchliche Lehre finde in der Theorie nur zum Teil „Akzeptanz“ bei den meisten Gläubigen, in der Praxis kaum. Es sei offenkundig, „daß eine christliche Moralverkündigung, die Sexualität nur im Kontext der Ehe ansprechen will, nicht genau genug hinsehen kann, wenn es um die vielen Erscheinungsformen des Sexuellen außerhalb der Ehe geht“, wissen die Moral- und Pastoraltheologen zu sagen.
Lob für „Handreichung“ des Erzbistums Freiburg
Das Professorendokument rezipiert auf verblüffende und wohlabgewogene Weise, was in den vergangenen Monaten von Vertretern des deutschen Episkopats geäußert wurde, besonders des inzwischen emeritierten Erzbischofs von Freiburg, aber noch Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Msgr. Robert Zollitsch. Entsprechend lobend wird die umstrittene „Handreichung“ des Amtes für Familienpastoral von Zollitschs Erzbistum Freiburg hervorgehoben: „Als derzeit wichtigsten ‚Pastoralplan‘ könnte man die »Handreichung zur Begleitung von Menschen in Trennung, Scheidung und nach ziviler Wiederverheiratung« aus dem Erzbistum Freiburg bezeichnen, welche die menschenfreundliche und respektvolle Grundhaltung Jesu konsequent zum Maßstab der kirchlichen Sorge um wiederverheiratet Geschiedene machen will. Sie nahm zahlreiche Impulse aus dem moraltheologischen Diskurs der letzten beiden Jahrzehnte produktiv auf.“
Ende Januar wird sich der Ständige Rat der Bischofskonferenz in Vorbereitung der Frühjahrsvollversammlung mit der „Handreichung“ befassen. Mit Ungeduld drängen mehrere deutsche Bischöfe darauf, die wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten zuzulassen. Ihnen geht es darum eine Kluft zu retuschieren und das Wegbrechen einer großen Gruppe zu verhindern. Die Freiburger „Handreichung“ soll offiziell für die Seelsorge anerkannt werden, ohne offiziell die kirchliche Lehre, sehr wohl aber ihre Praxis zu ändern.
Müllers Kritik, deutscher Starrsinn
Die „Handreichung“ wurde vom Glaubenspräfekt und bereits ernannten Kardinal Gerhard Ludwig Müller als im Widerspruch zur katholischen Lehre verurteilt. Müller forderte von Rom aus, das Dokument zurückzuziehen. Doch die deutschen Bischöfe wollen nicht lockerlassen. Mit Reinhard Kardinal Marx, dem Erzbischof von München-Freising sprang Zollitsch die derzeit gewichtigste Stimme der europäischen Kirche zur Seite. Marx ist Vorsitzender der Europäischen Bischofskonferenzen COMECE und Vertreter Europas im C8-Rat von Papst Franziskus.
Der Applaus zu Hause bewegt sie mehr, als die Ermahnungen und Warnungen Roms. Die Bischöfe betreiben ein hochriskantes Vabanquespiel in der Hoffnung, daß Rom, abgeschreckt von einem möglichen Schisma und dem Verlust der deutschen Brieftasche, nachgibt oder zumindest so tut, als sei nichts geschehen. Der Idealfall, den die deutsche Kirche seit Jahrzehnten erfolgreich betreibt. Selten fiel ein so grelles Licht auf die „deutsche Arroganz“ wie zu dem Augenblick, als Zollitsch und Marx öffentlich erklärten, nicht sie, sondern der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, der von Benedikt XVI. eingesetzte und von Papst Franziskus bestätigte oberste Hüter der Orthodoxie habe seine Meinung zu ändern.
Deutsche Bischöfe wollten nicht, daß Müller Kardinal wird
Der im Untergrund schwelende Konflikt einer latent schismatisierenden deutschen Kirche wurde dadurch zum offenen und heftigen Zusammenprall. Die Passauer Tageszeitung Neue Presse berichtete vor wenigen Tagen, daß eine Gruppe deutscher Bischöfe Papst Franzikus nahegelegt haben, Präfekt Müller doch von der Liste der neuen Kardinäle zu streichen.
Eine ebenso außergewöhnliche wie unerhörte Aktion in den Beziehung zwischen der deutschen Kirche und dem Vatikan. Die Wochenzeitung Die Zeit versuchte auf ihre Weise das bischöfliche Anliegen zu unterstützen, indem sie schrieb, daß Präfekt Müller der „hartnäckigste Gegner“ des Papstes sei und ein Urteil von Hans(Dampf) Küng veröffentlichte, der Müller, natürlich mit negativer Konnotation, als „neuen Ottaviani“ bezeichnete.
Papst Franziskus läßt sich bei Personalentscheidungen nicht dreinreden
Doch Papst Franziskus ließ sich von den Begehrlichkeiten einiger deutscher Bischöfe nicht beeindrucken. Insgesamt läßt sich das katholische Kirchenoberhaupt bei Personalentscheidungen nicht dreinreden. Schon gar nicht ändert er bereits getroffene Entscheidungen, wie ganz unterschiedlich gelagerte Fälle belegen, etwa die heftig kritisierte Ernennung von Msgr. Ricca als Hausprälat der Vatikanbank oder der am Montag erfolgte Kahlschlag in der Kardinalskommission der Vatikanbank. Lediglich der dem neuen Papst treu ergebene Kardinal Tauran wurde bestätigt.
Im Tornielli-Interview ging Papst Franziskus vor Weihnachten auch auf die Zollitsch „Handreichung“ ein und widersprach einer deutschen Auslegung, er habe in irgendeiner Weise zum Thema wiederverheiratet Geschiedene Stellung bezogen. Inhaltlich ging der Papst jedoch nicht auf die Frage ein.
Seit vergangenem Sonntag, als der Papst unter den neuernannten Kardinälen auch Kurienerzbischof Müller nannte, ist den deutschen Bischöfe allerdings klar, daß ihr Forderungsschreiben, mit dem sie die Kardinalserhebung Müllers hintertreiben wollten, ungeöffnet an den Absender zurückgeschickt wurde, wie Hans Küngs Zwischenrufe ungehört blieben. Ende Januar werden die Bischöfe darüber zu sprechen haben. Ob sie das päpstliche Signal von ihrem offenen Konfrontationskurs abbringen wird?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Il Foglio