Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, demnächst Kardinal der katholischen Kirche und Präfekt der Glaubenskongregation, gab am 22. Dezember 2013 der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera ein Interview in dem er behauptet, es bestünde weiterhin eine „sakramentale Exkommunikation de facto“ für die Priesterbruderschaft „aufgrund ihres Schismas“.
Zu dieser falschen Behauptung hat die Priesterbruderschaft St. Pius X. Stellung genommen.
Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, Präfekt der Glaubenskongregation, gab am 22. Dezember 2013 in einem der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera gewährten Interview folgende Antwort:
Corriere della Sera: Welchen Stand haben die Lefebvristen, nachdem die Verhandlungen gescheitert sind?
Erzbischof Gerhard Ludwig Müller: „Die kanonische Exkommunikation der Bischöfe wegen ihrer unerlaubten Weihen wurde zurückgenommen, bestehen bleibt jedoch eine sakramentale Exkommunikation de facto aufgrund ihres Schismas. Sie haben sich selbst aus der Gemeinschaft mit der Kirche entfernt. Wir verschließen die Tore nicht, niemals, und wir laden sie ein, sich zu versöhnen. Allerdings müssen sie auch ihre Haltung ändern, die Bedingungen der katholischen Kirche und des Papstes als „definitive Kriterien“ für die Zugehörigkeit zur Kirche akzeptieren.“
Diese Aussage von Erzbischof Müller ist nichts Neues; sie wiederholt, was er schon im Oktober 2012 in einem Interview mit dem deutschen Radiosender NDR verkündete: „ In einem pastoralen Sinn ist die Tür immer offen“, während er gleichzeitig klarstellte: „Es gibt keine Ermäßigungen was den katholischen Glauben angeht, gerade wie er auch vom Zweiten Vatikanischen Konzil gültig formuliert worden ist. Das Zweite Vatikanum steht nicht im Gegensatz zur gesamtkirchlichen Tradition; allenfalls im Gegensatz zu mancher falschen Interpretation des katholischen Glaubens. Wir können den katholischen Glauben nicht den Verhandlungen preisgeben. Da gibt es keine Kompromisse.“ Und er beharrte darauf: „Die Priesterbruderschaft St. Pius X. kennt die Bedingungen, die sie akzeptieren muss. Ich glaube, es gibt jetzt keine neuen Gespräche mehr.“
Es ist ganz klar, daß die Priesterbruderschaft St. Pius X. keinen Glaubensartikel leugnet und sich zum ungekürzten katholischen Glauben bekennt. Dies in Frage zu stellen, kommt einer falschen Anschuldigung gleich. Sie widersetzt sich lediglich den ganzen Neuerungen, die den katholischen Glauben in den letzten 50 Jahren modifiziert haben.
Neu an Erzbischof Müllers Antwort ist allerdings, dass er von einem Schisma spricht. Dies ist tatsächlich das erste Mal, dass eine hochrangige römische Autoritätsperson von einem Schisma gesprochen hat: „Die kanonische Exkommunikation der Bischöfe wegen ihrer unerlaubten Weihen wurde zurückgenommen, bestehen bleibt jedoch eine sakramentale Exkommunikation de facto aufgrund ihres Schismas. Sie haben sich selbst aus der Gemeinschaft mit der Kirche entfernt.“
Im ersten Teil seiner Antwort – „Die kanonische Exkommunikation der Bischöfe wegen ihrer unerlaubten Weihen wurde zurückgenommen, bestehen bleibt jedoch eine sakramentale Exkommunikation de facto“ – könnte man meinen, Erzbischof Müller wiederhole, was Benedikt XVI. in seinem Brief an die Bischöfe vom 10. März 2009 feststellte, als er die Aufhebung der „Exkommunikationen“ erklärte. Darin unterschied er zwischen der disziplinären und doktrinellen Ebene und betonte, dass die Mitglieder der Priesterbruderschaft St. Pius X., obwohl von nun an nicht mehr exkommuniziert (auf disziplinärer Ebene), doch keinen kanonischen Status haben, da der doktrinelle Dissens weiter bestehe: „Dass die Bruderschaft Pius‘ X. keine kanonische Stellung in der Kirche hat, beruht nicht eigentlich auf disziplinären, sondern auf doktrinellen Gründen.“ Und Benedikt XVI. beharrte darauf: „Solange die doktrinellen Fragen nicht geklärt sind, hat die Bruderschaft keinen kanonischen Status in der Kirche und solange üben ihre Amtsträger, auch wenn sie von der Kirchenstrafe frei sind, keine Ämter rechtmäßig in der Kirche aus.“
Der Papst sprach jedoch nicht von einem Schisma, wie Erzbischof Müller es heute tut. („Bestehen bleibt jedoch eine sakramentale Exkommunikation de facto aufgrund ihres Schismas. Sie haben sich selbst aus der Gemeinschaft mit der Kirche entfernt“). Man könnte sogar noch hinzufügen, dass die römischen Prälaten in Bezug auf die Priesterbruderschaft St. Pius X. nicht nur den Begriff sondern auch das Vorliegen eines Schismas ablehnten.
So antwortete Kardinal Edward Cassidy, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen in einem Brief vom 3. Mai 1994 an einen Auslandskorrespondenten: „Was Ihre Frage betrifft, möchte ich sogleich daran erinnern, dass das Dikasterium für Ökumene nicht mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. befasst ist. Die Situation der Mitglieder dieser Bruderschaft ist eine interne Angelegenheit der katholischen Kirche. Die Priesterbruderschaft St. Pius X. ist keine andere Kirche oder kirchliche Gemeinschaft in dem Sinne, wie dieses Dikasterium diese Begriffe verwendet. Selbstverständlich sind die von den Priestern der Bruderschaft gefeierten Messen und Sakramente gültig.“
Am 13. November 2005 erläuterte Kardinal Castrillón Hoyos, Präfekt der Kongregation für den Klerus und Präsident der Ecclesia Dei Kommission gegenüber dem italienischen Fernsehsender Canale 5: „Wir haben es hier nicht mit einer Häresie zu tun. Man kann nicht in zutreffender, eindeutiger und gewissenhafter Weise davon sprechen, dass eine Häresie vorliegt. Die Bischofsweihen ohne päpstliche Erlaubnis zeigen eine schismatische Haltung. Sie befinden sich innerhalb der Kirche. Es bleibt nur diese eine Tatsache: es fehlt eine vollständige, vollkommenere – wie schon beim Treffen mit Mgr. Fellay gesagt – eine „vollere“ Gemeinschaft, denn die Gemeinschaft besteht ja bereits.“
Und in der Süddeutschen Zeitung vom 25. September 2009 führte er aus: „Von 1988 an bis zum Jahr 2000 waren alle Gespräche unterbrochen. Sie wurden bis zum Jahr 2000 nicht wiederaufgenommen und dann setzte ein neuer Prozess ein, der von Kardinal Ratzinger, damals Mitglied der Ecclesia Dei Kommission, sehr aufmerksam verfolgt wurde. In einem Konsistorium, unter dem Vorsitz des Heiligen Vaters im Jahr 2001, billigten alle anwesenden Kardinäle den Prozess der Rückkehr der Lefebvristen in die Gemeinschaft. In dem Vortrag während des Konsistoriums hieß es basierend auf einem Memorandum der Glaubenskongregation, dass die exkommunizierten Brüder nicht häretisch oder schismatisch seien. Sicherlich seien sie das Ergebnis einer schismatischen Handlung. Soweit es ihre Haltung bezüglich des Zweiten Vatikanischen Konzils betrifft, hätten sie Schwierigkeiten mit den Texten einiger Dokumente zum Ausdruck gebracht, insbesondere hinsichtlich mancher Interpretationen des Konzils. Die größten Probleme würden das Dekret über die Religionsfreiheit und die Ökumene betreffen.“
Ferner könnte man anmerken, dass es Erzbischof Marcel Lefebvre in der Predigt während der Bischofsweihen am 30. Juni 1988 ein besonderes Anliegen war, die Gläubigen genauestens über seine Absicht dieser Handlung zu unterrichten: „Es ist notwendig, dass Sie gut verstehen, warum wir um nichts auf der Welt mit dieser Zeremonie ein Schisma wollen. Wir sind keine Schismatiker. Über die Bischöfe Chinas, die sich von Rom getrennt und sich der chinesischen Regierung unterworfen hatten, wurde die Exkommunikation ausgesprochen. Man versteht sehr gut, warum Papst Pius XII. diese Exkommunikation durchgeführt hat. Für uns kommt es allerdings absolut nicht in Frage, dass wir uns von Rom zu trennen. Wir wollen uns auch keiner Rom fremden Macht unterwerfen und eine Art Parallelkirche gründen. Die Bischöfe von Palmar de Troya in Spanien haben dies zum Beispiel so gemacht.
Sie ernannten einen Papst und gründeten ein Kardinalskollegium. Derartige Dinge kommen für uns auf keinen Fall in Frage! Dieser erbärmliche Gedanke steht uns fern. Wir wollen uns nicht von Rom trennen. Im Gegenteil, mit dieser Zeremonie manifestieren wir unsere Verbundenheit mit Rom. Wir manifestieren damit unsere Verbundenheit mit der Kirche aller Zeiten, mit dem Papst und allen seinen Vorgängern. Leider vertreten seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil diese die Meinung, Irrtümer annehmen zu müssen. Diese schweren Irrtümer sind im Begriff, die Kirche zu zerstören und das katholische Priestertum zu vernichten.“
Jedem, dem es paradox erscheinen mag, dass Erzbischof Lefebvre während genau dieser Zeremonie der Bischofsweihen den Begriff „Schisma“ verwarf, wäre gut beraten zu lesen, was H.H. Pater Héribert Jone, O.F.M. Cap. in seiner Moraltheologie, Nr. 432.1 (The Newman Bookshop, Westminster, MD, 1945) schrieb: „Ein Schismatiker ist jemand, der dem Papst grundsätzlich nicht unterstellt sein will …, doch jemand, der dem Papst lediglich den Gehorsam verwehrt, ist nicht schismatisch, selbst wenn dies über einen langen Zeitraum anhält.“
Hierzu kann dem Leser das Urteil des heiligen Augustinus dienlich sein: „Häufig lässt es die göttliche Vorsehung auch zu, dass bei einzelnen allzu stürmischen, durch fleischliche Menschen verursachten Wirren auch gute Männer aus der christlichen Gemeinschaft ausgestoßen werden. Diese aber tragen die ihnen angetane Schmach und das Unrecht um des kirchlichen Friedens willen mit größter Geduld, führen keinerlei schismatische oder häretische Neuerung ein und geben dadurch den Leuten ein Vorbild, mit welch wahrer Anhänglichkeit und aufrechter Liebe man Gott dienen soll.
Die Absicht solcher Männer ist es nun, wenn die Stürme sich gelegt haben, wieder zurückzukehren, oder wenn ihnen das nicht möglich ist, weil entweder dasselbe Unwetter andauert oder vielleicht durch ihre Rückkehr ein ebensolches oder noch ärgeres losbrechen könnte, wollen sie nach wie vor auf das Wohl auch gerade derer bedacht bleiben, die sie durch ihr wildes Treiben zum Weichen zwangen. Ohne jeden sektiererischen Eigenweg verteidigen sie bis zum Tode und stützen durch ihr Zeugnis denjenigen Glauben, der, wie sie wissen, in der katholischen Kirche verkündet wird. Diese Leute krönt im Geheimen der Vater, der das Verborgene sieht. Diese Art von Leuten scheint selten zu sein, dennoch mangelt es nicht an Beispielen. Es gibt sogar mehr als man glauben kann. So bedient sich die göttliche Vorsehung aller Arten von Menschen und aller Arten von Beispielen, um für die Seelen zu sorgen und zur Heranbildung seines geistlichen Volkes.“ (De vera religione, 6,11)
Umso überraschender ist es, dass Erzbischof Müller in der jüngsten Stellungnahme im Corriere della Sera unmittelbar darauf und in Bezug auf den Befreiungstheologen Gustavo Gutiérrez äußert: Gutierrez war schon immer rechtgläubig.“ Tatsächlich hat Erzbischof Müller mit ihm zusammen ein Buch geschrieben, „An der Seite der Armen: Theologie der Befreiung“, welches in Spanisch und Deutsch herausgegeben wurde. So berichtete auch der englische Journalist William Oddie am 6. Juli 2012 im The Catholic Herald, den amerikanischen Vatikanbeobachter John Allen zitierend: „Seit 1998 reist Erzbischof Müller jedes Jahr nach Peru, um an einem Kurs von Gutiérrez teilzunehmen …
2008 nahm er einen Ehrendoktortitel der Päpstlichen Katholischen Universität von Peru an, die weithin als eine Bastion des progressiven Flügels der peruanischen Kirche angesehen wird. Bei dieser Gelegenheit lobte er Gutiérrez und verteidigte seine Theologie. ‚Die Theologie von Gustavo Gutiérrez ist unabhängig davon, wie man sie betrachtet, orthodox (recht-gläubig), weil sie orthopraktisch (recht-handelnd) ist‘, verkündete er öffentlich. ‚Sie lehrt uns, wie man in christlicher Weise richtig handelt, da sie dem wahren Glauben entspringt.‘ “ Man versteht nun: Wenn Gutiérrez nach Ansicht Erzbischof Müllers orthodox – ja sogar „orthopraktisch“ ist, dann kann die Priesterbruderschaft nur „schismatisch“ sein. Darin besteht der wesentliche Unterschied zwischen der Befreiungstheologie und der traditionellen Theologie. In diesem Zusammenhang ist es jedoch notwendig zu verstehen, dass der Gebrauch des Wortes „Schisma“ auf eine völlig willkürliche Beurteilung zurückzuführen ist.
Daher kann man ohne Weiteres zu dem Schluss kommen, dass die jüngste Verlautbarung des Präfekten der Glaubenskongregation jegliche „Versöhnung“ unmöglich macht. Wie aber soll man dann die eindeutig widersprüchliche Aussage „wir verschließen die Tore nicht, niemals“ verstehen? Das Interview mit dem deutschen Sender NDR im Oktober 2012 verdeutlicht die Schwierigkeit: „In einem pastoralen Sinn ist die Tür immer offen. Aber es gibt keine Ermäßigungen was den katholischen Glauben angeht, gerade wie er auch vom Zweiten Vatikanischen Konzil gültig formuliert worden ist.“ Anders ausgedrückt, die Tür ist im pastoralen Sinne geöffnet, im doktrinellen Sinne jedoch verschlossen.
Im selben Interview fügt er hinzu: „Das Zweite Vatikanum steht nicht im Gegensatz zur gesamtkirchlichen Tradition; allenfalls im Gegensatz zu mancher falschen Interpretation des katholischen Glaubens. Wir können den katholischen Glauben nicht den Verhandlungen preisgeben. Da gibt es keine Kompromisse.“ Erzbischof Müller gesteht ungewollt ein, dass das Zweite Vatikanische Konzil in pastoraler Hinsicht alles integrieren kann, dass jedoch die traditionelle Lehre über die Religionsfreiheit, die Ökumene, die Kollegialität, usw. von dem ersten pastoralen und nichtdogmatischen Konzil der Kirchengeschichte nicht assimiliert werden kann. Das ist es, was auch durch die doktrinellen Gespräche zwischen den römischen Theologen und jenen der Priesterbruderschaft St. Pius X. zwischen 2009 und 2011 deutlich wurde.
Text: Deutsche Übersetzung von pius.info eines Beitrags vom 13.01.2014, der auf der Website DICI.org erschienen ist, der offiziellen Nachrichtenagentur der Priesterbruderschaft St. Pius X. erschienen ist, der offiziellen Nachrichtenagentur der Priesterbruderschaft St. Pius X.
Bild: Dr. Meierhofer