von P. Franz Schmidberger (FSSPX)
Bonum ex integra causa, malum ex quocumque defectu, sagt das klassische Sprichwort: Das Gute fließt aus der Fülle; ist dagegen ein wesentlicher Teil einer Sache schlecht, so ist das Ganze schlecht. Die guten und erfreulichen Gesichtspunkte im päpstlichen Schreiben können nicht hinwegtäuschen über den festen Willen, das Zweite Vatikanum nicht nur dem Buchstaben, sondern dem (Un-)Geist nach zu verwirklichen. Die Trilogie Religionsfreiheit – Kollegialität – Ökumenismus, die nach Erzbischof Lefebvre den Schlagworten der französischen Revolution Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit entspricht, ist programmatisch entfaltet.
Zunächst einmal werden u. a. die der Tradition verbundenen Gläubigen in Nr. 94 und 95 schwer getadelt und sogar eines Neu-Pelagianismus angeklagt: „Es ist eine vermeintliche doktrinelle und disziplinarische Sicherheit, die Anlaß gibt zu einem narzisstischen und autoritären Elitebewußtsein, wo man, anstatt die anderen zu evangelisieren, sie analysiert und bewertet und, anstatt den Zugang zur Gnade zu erleichtern, die Energien im Kontrollieren verbraucht.“ (…) Es „existiert weder für Jesus Christus, noch für die Menschen ein wirkliches Interesse.“ (..) „Bei einigen ist eine ostentative Pflege der Liturgie, der Lehre und des Ansehens der Kirche festzustellen, doch ohne daß ihnen die wirkliche Einsenkung des Evangeliums in das Gottesvolk und die konkreten Erfordernisse der Geschichte Sorgen bereiten.“
Woher weiß der Papst dies? Und beweist nicht gerade die Dynamik der im katholischen Glauben fest verwurzelten Christen das Gegenteil? Um von unserer eigenen Bruderschaft zu schweigen: Waren nicht die Franziskaner von der Immakulata eine blühende junge und missionarische Ordensgemeinschaft, die jetzt durch den brutalen Eingriff des Vatikans schwer beschädigt, wenn nicht gar zerstört worden ist? Das Schreiben folgert weiter: „Auf diese Weise verwandelt sich das Leben der Kirche in ein Museumsstück oder in ein Eigentum einiger weniger.“
Die katholischen Schulen als überaus wichtiges Werkzeug einer Rechristianisierung werden nur in einem einzigen Satz erwähnt, wie oben schon bemerkt. Gerade diese Brennpunkte sind uns überaus wichtig für die Weitergabe des Evangeliums. Auch ist es unsere Freude, jährlich im Rahmen unseres Werkes neue katholische Schule ihre Pforten öffnen zu sehen.
Das Rundschreiben krankt an einer gewissen Realitätsfremdheit und gibt sich der Illusion hin, die Wahrheit werde aus sich selbst heraus den Irrtum überwinden. Dazu dient in Nr. 225 das Gleichnis vom Unkraut und vom Weizen: „Es zeigt sich, wie der Feind den Raum des Gottesreiches besetzen kann und Schaden mit dem Unkraut anrichtet. Er wird aber durch die Güte des Weizens besiegt, was mit der Zeit offenbar wird.“
Diese Interpretation ist mindestens eine Verdrehung des Evangeliums und gewiß eine Fälchung des Sinns des Gleichnisses. Die Realitltsfremdheit zeigt sich auch in der Nr. 44, wo die Priester ermahnt werden, den Beichtstuhl nicht zu einer Folterkammer zu machen. Wo ist denn dies heute noch der Fall, wenn es im Laufe der Geschichte der Kirche solche Auswüchse hier und dort tatsächlich gegeben haben mag? Wäre es nicht besser gewesen, ein ganzes Kapitel anzufügen über die Beichte als Befreiung von Sünde und Schuld, über die Versöhnung mit Gott als hervorragenden Gesichtspunkt der Neuevangelisierung und der inneren Erneuerung der Seelen?
Diese Blauäugigkeit, die mehr ein Leugnen der Erbsünde oder zumindest ihrer Auswirkungen in den Seelen und in der Gesellschaft ist, offenbart sich auch in der Nr. 84, wo die illusorische Eröffnungsrede des II. Vatikanischen Konzils durch Papst Johannes XXIII. angeführt wird: „Doch wir können diesen Unglückspropheten nicht zustimmen, wenn sie nur unheilvolle Ereignisse vorhersagen, so, als ob das Ende der Welt bevorstände… Sie sehen in den modernen Zeiten nur Unrecht und Niedergang.“ Leider hat die nachkonziliare Zeit den „Unglückspropheten“ mehr als recht gegeben.
Erschütternd rührt die Feststellung in Nr. 129 an, man dürfe nicht meinen, „die Verkündigung des Evangeliums müsse immer mit bestimmten festen Formeln oder mit genauen Worten Übermittelt werden, die einen absolut unveränderlichen Inhalt ausdrücken.“ Sie erinnert in fataler Weise an die Evolution des Dogmas, wie sie die Modernisten vertreten, und wie der hl. Pius X. sie im Antimodernisteneid ausdrücklich verurteilt hat.
Diese evolutionistische Haltung kommt auch in Bezug auf die Kirche und ihre Strukturen zum Ausdruck. Der erste Teil von Nr. 19 an ist überschrieben „Die missionarische Umgestaltung der Kirche“ und in Nr. 26 wird das II. Vatikanische Konzil als Kronzeuge angeführt für die Öffnung auf eine ständige Reform hin, für eine dauernde Reform, weil auch „kirchliche Strukturen die Dynamik der Evangelisierung beeinträchtigen können“.
In Nr. 255 lesen wir von der Religionsfreiheit als einem fundamentalen Menschenrecht. Der Papst zitiert hier seinen Vorgänger auf dem Stuhl Petri, Benedikt XVI., mit den Worten „Sie (die Religionsfreiheit) schließt die Freiheit ein, die Religion zu wählen, die man flür die wahre hält und den eigenen Glauben öffentlich zu bekennen.“ Diese Aussage ist direkt dem 15. Satz aus dem Syllabus Pius IX. entgegengesetzt, wo die Aussage verurteilt ist, es sei jedem Menschen freigestellt „jede Religion anzunehmen und zu bekennen, die er im Lichte der Vernunft als die wahre erachtet“.
Der zweite Teil widerspricht der Lehre der Päpste von der Französischen Revolution an bis zu Pius XII. einschließlich. Der Papst spricht dann von einem gesunden Pluralismus. Ist ein solcher zu vereinbaren mit der Einsicht, daß die zweite Person des einen wahren, dreifaltigen Gottes in diese Welt gekommen ist, um sie zu erlößen; daß Er die Quelle aller Gnaden ist, und in Ihm allein Heil ist? Das Schreiben verurteilt den Proselytismus. Dieser Begriff ist in der heutigen Zeit sehr zweideutig geworden. Versteht man darunter die Werbung für die wahre Religion mit unlauteren Mitteln, so ist er natürlich zu verwerfen; aber bei den meisten unserer modernen Zeitgenossen wird wohl jede missionarische Tätigkeit, jedes Werben und Argumentieren zugunsten der wahren Religion schon als Proselytismus angesehen.
Weit verhängnisvoller wird sich für die Zukunft des Lebens der Kirche die vom Papst betriebene Weiterentwicklung der Kollegialität auswirken. Man müßte dazu eigentlich die gesamte Nr. 32 lesen: „Da ich berufen bin, selbst zu leben, was ich von den anderen verlange, muß ich auch an eine Neuausrichtung des Papsttums denken.“ Er zitiert dann Johannes Paul II. in der Enzyklika Ut unum sint, wo dieser um Hilfe bittet, „‚um eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet.‘ In diesem Sinn sind wir wenig vorangekommen.“
Der Papst will also hier entschieden weiter gehen. Welche Vision verfolgt er? Er sagt sehr deutlich: „Aber dieser Wunsch [die Kollegialitlt zu konkreter Verwirklichung zu führen] hat sich nicht völlig verwirklicht, denn es ist noch nicht deutlich genug eine Satzung der Bischofskonferenzen formuliert worden, die sie als Subjekt mit konkreten Kompetenzbereichen versteht, auch einschließlich einer gewissen authentischen Lehrautorität.“
Unserer bescheidenen Meinung nach kann eine Bischofskonferenz niemals Subjekt authentischer Lehrautoritlt sein, weil sie keine göttliche Einrichtung ist, sondern eine rein menschliche, im Organisatorischem verhaftet. Das Papsttum ist göttliche Einrichtung und so auch der einzelne Bischof und mithin auch die über den Erdkreis hin verstreuten Bischöfe, die mit und unter Petrus Subjekte des ordentlichen Lehramts sind, aber eben nicht die Bischofskonferenz. Wird dieser verhängnisvolle Weg weiter beschritten, so wird sich die Kirche rasch in Nationalkirchen auflösen.
In Nr. 16 heißt es: „Ich glaube auch nicht, daß man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige und vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten muß, welche die Kirche und die Welt betreffen.“ Natürlich kann die Kirche nicht zu allen Einzelfragen Stellung nehmen; aber die Päpste der Vergangenheit haben immer die Prinzipien für ein dem Glauben entsprechendes Handeln und Verhalten des Einzelnen wie auch der Gesellschaft angegeben, und das ist es, was wir auch heute vom päpstlichen Lehramt erwarten dürfen und müssen. Christus hat Petrus dazu eingesetzt, die Herde zu weiden (Joh 21, 15 – 17).
Dritter Teil folgt
zeitschnur und andere Kommentare zum ersten Teil von Pater Schmidberger:
Mein erstes Gefühl bei der Lektüre des ersten Teils hat sich bestätigt: Es wurde anfangs eben mühsam das Positive herausgekratzt, wil FSSPX eben guten willens ist, aber P. Schmidberger arbeitet schonungslos die an der katholischen Wahrheit gemessenen katastrophalen Aussagen der päpstlichen Schrift heraus.
Es ist eben oft so im Leben, man sollte nicht zu schnell und vorschnell schießen, ich dachte mir gleich, daß der Kommentar des Paters nicht mit der Herausarbeitung der wahren Inhalte des päpstlichen Schreibens beendet ist.
Laßt uns für die Menschen in der FSSP und jene, die ihr nahestehen beten! Daß sie ihre Weisheit und Wahrheit erhalten, damit sie weiter der Leuchtturm sein können, der durch die Finsternis lotst. Diese Weisheit ist mE eines der wichtigsten Vermächtnisse des Erzbischofes und hier darf überhaupt kein Risiko eingegangen werden, ist es doch das kostbarste, das wir haben. Es liegt ALLES daran bis am Ende unser Herr und die allerseeligste Gottesmutter triumphieren wird.
Austria, ich stimme Ihnen zu. Ich habe nicht gewusst, dass noch ein zweiter Teil folgen würde, sonst hätte ich abgewartet. Ich hatte mich schon gewundert, denn Herr Pater Schmidberger hat eigentlich immer eine Struktur in seinen Texten. Die fehlte dieses Mal beim ersten Teil. Doch wenn erst mühsam das Positive zur Sprache gebracht werden soll, ist eine klare Struktur nicht möglich.
Der zweite Teil ist eindeutig. Jetzt bin ich wirklich gespannt auf die Schlussfolgerungen, das Fazit.
Ja, Gott sei Dank! Aber aus dem Text gestern ging nicht hervor, dass plötzlich ein „Cut“ gemacht würde und es „zur Sache“ geht.
Auf jeden Fall bin ich erleichtert, dass jetzt wieder ein klarer Blick die Oberhand hat – eben auch diese Tatsache, dass Falsches gemischt mit Wahrem doch im Ergebnis komplett falsch ist.
Es gibt eben keine halbe Wahrheit in Fragen des Glaubens.
Und dann noch eine Frage: meinten Sie: Lasst uns beten für die Menschen in der FSSP (oder FSSPX)?
Sehr geehrte Frau Zeitschnur!
Ich meinte natürlich FSSPX, es handelte sich um einen Tippfehler. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Die Verkäufer nennen das, was Pater Schmidberger hier praktiziert die „Sandwichtaktik“. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Taktiererei hier angebracht ist.
Im zweiten Teil war er wenigstens schonungslos offen und hat am Ende auch wunderbar herausgearbeitet, wozu sich Franziskus berufen f ü h l t und wozu er wirklich berufen i s t.
Schon die Überschrift macht doch deutlich, worum es Hw. Pater Schmidberger geht: eine klare, kritische Analyse dieses horriblen Schreibens. Dabei geht er nach der scholastischen Methode vor, die zunächst – sine ira et studio – das Gute herausfiltert, um dem Guten anschließend das Schlechte gegenüberzustellen und schlussendlich durch diese Gegenüberstellung zu einem nüchternen Gesamturteil zu gelangen. Man kann nur hoffen, dass noch mehr Theologen den Mut finden, offenkundige Unzulänglichkeiten in den Äußerungen und Handlungen dieses Bischofs von Rom darzulegen. Denn als Bischof von Rom ist auch der Papst fehlbar!
Ich finde das methodisch äußerst problematisch. P. Schmidtberger sagt es doch selbst: Bonum ex integra causa, malum ex quocumque defectu.
Wenn man davon ausgeht und davon, dass das sogenannte „Gute“ an dem Text Kraut und Rüben ist und wir alle als Studenten für so ein thematisches Wirrwarr ein glattes „Thema verfehlt – Note 6“ bekommen hätten, ist es merkwürdig, seitenlang aus diesem Geschreibsel nun noch irgendwelche Pretiosen herauskratzen zu wollen, ohne dass ersichtlich gewesen wäre, ob oder dass er einer scholastischen Methode folgt.…die aber hier verfehlt ist, weil das Schlechte eben auch das Gute verdirbt. Was nützt es, an verschimmelten Brot hervorzuheben, dass der Dinkel biologisch-dynamisch gebaut, das Wasser aus Lourdes und das Salz aus den Tiefen des Himalaya geholt wurden, wenn der fette grüne Belag nur Zeichen einer totalen Vergiftung des ganzen Brotes ist…?
Mit dem Hinweis auf die guten Zutaten führt man einen Hungrigen sogar in die Irre. Stellen Sie sich vor, jemand liest nur den Aufsatz gestern – was soll der denken über die Haltung der FSSPX zu F.?
Warten Sie das Ende ab, und Sie werden sehen, dass das Schlechte das Gute erdrückt, bzw. das Gute in seiner Substanz durch das überbordende Schlechte/Unzulängliche marginalisiert und dadurch letztlich aufgehoben wird. Und so wird es sonnenklar: ein schimmlig Brot nähret nicht, auch wenn es hier und da gute Brosamen enthält, da haben Sie recht.