(Vatikan) Papst Franziskus hat in seinem kurzen Pontifikat bereits zahlreiche Baustellen eröffnet und immer neue kommen dazu, wie jüngst die Ankündigung, den Bischofskonferenzen Entscheidungsbefugnisse zuerkennen zu wollen. Der Papst aus Argentinien legt einen starken Reformaktivismus an den Tag, wie er vor allem an den kaum mehr überschaubaren Aktionen rund um die Vatikanbank IOR ablesbar ist. Die Baustellen betreffen direkt vor allem Strukturreformen. Ein zweites, indirektes Feld sind „pastorale“ Formen, die ohne formale Eingriffe in die Glaubenslehre diese in der Praxis aber verändern. In diesem Bereich herrscht allerdings noch wenig Klarheit, in welche Richtung das Pontifikat gehen wird. Der derzeit mit Papst Franziskus tagende C8-Kardinalsrat befaßt sich im Augenblick mit der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung. Präfekt dieses delikaten Dikasteriums an der Römischen Kurie ist Antonio Kardinal Canizares Llovera. Er gehört zu den noch nicht von Papst Franziskus in seinem Amt bestätigen Präfekten. In Rom halten sich hartnäckig Gerüchte, daß der Papst Kardinal Canizares als Erzbischof nach Madrid zurückschicken und die Kongregation neu ausrichten möchte. „Neu“ stehe dabei für die Beseitigung der liturgischen Erneuerungs- und Restaurationsversuche von Papst Benedikt XVI.
Drei Großbaustellen für den C8-Kardinalsrat
Wie Vatikansprecher Pater Federico Lombardi beim täglichen Pressegespräch gestern Mittag bestätigte, steht die Gottesdienstkongregation beim C8-Treffen an erster Stelle auf der Tagesordnung. Am Mittwochvormittag hielt Papst Franziskus seine Generalaudienz, ansonsten nimmt er an allen Sitzungen des C8-Rats teil. Der Papst habe dem neuen Beratergremium drei Richtungen zur Reform der Römischen Kurie vorgegeben: der Vatikan soll leichter zugänglich werden für Eingaben aus den Ortskirchen; die Kurie soll refomiert und effizienter werden und den Ortskirchen dienen; und schließlich soll über die Zukunft des Vatikanstaates nachgedacht werden. Drei Großbaustellen im Bereich der Strukturen.
In einem Interview mit der progressiven Zeitschrift Regno sagte der Koordinator des C8-Rats, der honduranische Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, daß bei Treffen von Kardinälen vor dem Konklave der Wunsch sichtbar wurde, daß der Papst in „direkterem Kontakt“ mit den Ortskirchen stehen sollte. Vor allem die in ihren Diözesen residierenden Kardinäle wollen in die Lage versetzt sein, ihre Stimme in Rom hören zu lassen. „Etliche von uns vertraten den Standpunkt, daß Papst Benedikt über die Realität nicht gut informiert war“, so Kardinal Maradiaga. Diese „Wünsche“ beeinflußten maßgeblich das Konklave und die Suche nach einem Kandidaten, der den „römischen Zentralismus“ zugunsten einer Dezentralisierung zurückbaut.
Kardinal Maradiaga: Papst Franziskus setzt „Empfehlungen“ des Konklaves um
Die Kardinäle, so der Erzbischof aus Honduras, wollten, daß Berichte und Informationen künftig nicht nur über die Nuntiaturen nach Rom gelangen, sondern eine Gruppe von Kardinälen aus allen Kontinenten direkten Zugang zum Papst habe. Eine Forderung, die in den Wahlabsprachen vor oder während des Konklave zur Bedingung gemacht wurde und die Papst Franziskus einen Monat nach seiner Wahl, am 13. April mit der Errichtung des C8-Rates umzusetzen begann. Kardinal Maradiaga bestätigte im Interview, daß der neue Papst, einmal gewählt, eine Reihe der im Zuge der Wahl ausgesprochenen „Empfehlungen“ verwirklicht.
Neben dem C8-Rat gilt das vor allem für die Bischofssynode. Die Synode entstand im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils und tagt alle zwei Jahre zu einem bestimmten Thema. Papst Franziskus will daraus eine ständige Synode machen und auf diese Weise die Bischöfe und die Ortskirchen permanent in die Leitung der Kirche einbinden. Wie das konkret aussehen soll, wird sich im Oktober 2014 zeigen, wenn die erste Bischofssynode des neuen Pontifikats zusammentritt. Die Ernennung des Diplomaten, Kurienerzbischof Lorenzo Baldisseri, gilt daher als eine der wichtigsten Personalentscheidungen von Franziskus (siehe eigenen Bericht Erzbischof Baldisseri: „Die Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene wird ohne Tabus diskutiert“). Von Erzbischof Baldisseri stammt, auf Anregung des Papstes, der Fragebogen zum Thema Familie, der in Vorbereitung auf die Bischofssynode zu diesem Thema an alle Bischöfe der Welt verschickt wurde. Im deutschen Sprachraum machten manche Diözesen, etwa Aachen und Graz, eine Meinungsumfrage daraus.
Die ständige Bischofssynode und der Fragebogen mit Eigendynamik
Kurienerzbischof Baldisseri sprach dem Fragebogen den Charakter einer Meinungsumfrage ausdrücklich ab, blieb jedoch in unklaren Definitionen stecken. Im deutschen Sprachraum sind einige Bischöfe, Ordinariate und Teile des Verbandskatholizismus entschlossen, die katholische Lehre, ob rechtlich oder auch nur „pastoral“, in Einklang mit der stark entchristlichten „Realität“ der Welt zu bringen. Das gilt für die Zulassung der wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten ebenso wie die Möglichkeit, in der Kirche eine Zweit- oder Drittehe einzugehen bis hin zur Anerkennung der Homosexualität. Der päpstliche Baldisseri-Fragebogen entfaltet eine Eigendynamik (siehe Aufruf, die Beantwortung nicht progressiven Kreisen zu überlassen).
2014 wird sich eine außerordentliche Bischofssynode mit dem Thema Ehe, Familie, Scheidung, Verhütung, wiederverheiratet Geschiedene, Alleinerziehende und „Homo-Ehe“ befassen, 2015 dann eine ordentliche Bischofssynode. Dazwischen werden die päpstlichen Vorstellungen von einer ständigen Synode Gestalt annehmen. Etwas Erstaunen löste es aus, daß Papst Franziskus für die erste Synode seines Pontifikats so geballt Fragen der Morallehre wählte, während er ansonsten eher Abstand nimmt und diesen Themenkomplex herunterzuspielen versucht. Im Interview mit der Civiltà Cattolica kritisierte er die Lebensschützer und meinte, daß man „nicht immer“ über moralische Fragen sprechen könne. Erst am vergangenen Montag ermahnte er die niederländischen Bischöfe, die sich zum Ad-limina-Besuch in Rom aufhielten, daß die kirchliche Verkündigung „nicht nur aus Moralvorschriften“ bestehe. Im Umfeld von Kurienerzbischof Baldisseri ist daher die Rede vom päpstlichen Willen, die „Seelsorge zu den Themen Ehe und Familie“ und die damit zusammenhängenden bioethischen und moraltheologischen Fragen zu „aktualisieren“.
Intensiver Februar 2014: von Fragebogenauswertung bis Kardinalsernennungen
Intensiv wird die letzte Februarwoche mit Fragebogenauswertung, C8-Treffen, Kurienrefeform und Kardinalsernennungen. In der letzten Woche im Februar 2014 wird das 15köpfige Sekretariat der Bischofssynode unter dem Vorsitz von Kurienerzbischof Baldisseri zusammenkommen, um die eingegangenen Antworten auf den Fragebogen zu sichten und auszuwerten.
Intensiv wird die Woche auch wegen des am 20. und 21. Februar zum dritten Mal tagenden C8-Rats und den für 22. und 23. Februar einberufenen Konsistorien. Am 22. Februar wird Papst Franziskus den zum ordentlichen Konsistorium versammelten Kardinälen die Vorschläge zur Kurienreform vorlegen. Am 23. Februar tritt das Kardinalskollegium zum ersten außerordentlichen Konsistorium dieses Pontifikats zusammen. Dabei wird Papst Franziskus seine ersten Kardinäle kreieren. Ein mit Spannung erwartetes Ereignis, das maßgeblich Aufschluß über mögliche Richtungsentscheidungen geben wird.
Neue Baustelle: Stärkung der Bischofskonferenzen
Mit dem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium errichtete Papst Franziskus eine weitere Baustelle. Er kündigte die Stärkung der auf Staatsebene organisierten Bischofskonferenzen an (siehe eigenen Bericht Wovor Joseph Ratzinger warnte: Die „föderalistische Option“ des Bischofs von Rom). Franziskus vergleicht in der Exhortatio die Bischofskonferenzen mit den alten Patriarchaten und spricht von der Möglichkeit, daß diese einen „vielfältigen und fruchtbaren Beitrag“ leisten könnten, damit sich die „Kollegialität konkret“ verwirklicht.
Kardinal Maradiaga bekräftigte dazu jüngst beim Festival der katholischen Soziallehre in Verona, daß einige Päpstliche Räte abgeschafft oder zusammengelegt und vielleicht eine neue Kongregation für die Laien oder das Volk Gottes errichtet werden könnte, die verschiedene Zuständigkeiten übernimmt. „Sicher sei“, so jedenfalls der Kardinal, daß Papst Franziskus eine „weniger romzentrierte Kirche“ wolle, daß die Römische Kurie weniger Kardinäle und vor allem weniger Skandale haben solle, die mit Geschäften und Geld zu tun haben.
Antirömisches Programm: gegen römischen „Zentralismus“ und für weniger Kurienkardinäle?
Der erste Punkt betrifft eine Schwächung der Papsttums, der zweite eine Schwächung der Römischen Kurie und der dritte Punkt kommt eigentlich einer Diskreditierung Roms gleich, um – offensichtlich – die beiden ersteren Punkte zu rechtfertigen. Rom ist abseits einer alten antikatholischen Propaganda, die bis in die Reformationszeit zurückreicht und sich durch Romane und Filme zu Unrecht in den Köpfen vieler Menschen festgesetzt hat, keineswegs ein Hort von Skandalen, auch nicht rund um „Geschäfte und Geld“, jedenfalls nicht mehr als in den Ortskirchen. Deshalb verwundert der überdurchschnittliche Einsatz, den Papst Franziskus seit seinem Amtsantritt im Zusammenhang mit der Vatikanbank IOR an den Tag legt. Seine Regierungsaktionen dazu, durch Ernennung neuer Verantwortlicher, die Errichtung neuer Kommissionen und Kontrollorgane, durch neue Statuten und Transparenzbestimmungen sind kaum mehr zu überschauen. Er köpfte die Generaldirektion der Vatikanbank und die Führungsebene der Apostolischen Güterverwaltung, errichtete zwei neue Kommissionen, eine direkt für die Vatikanbank und eine für die gesamte Güterverwaltung. Beiden Kommissionen gab er jüngst zusätzlich seinen persönlichen Sekretär Msgr. Alfred Xuereb zur Seite, der ihm direkt berichten soll. Er ernannte als seinen persönlichen Vertrauten einen neuen, skandalumwitterten Hausprälaten der Vatikanbank. Einige Personalentscheidungen in diesem Zusammenhang sind sehr umstritten (siehe Bericht Msgr. Ricca und Francesca Chaouqui: Zwei Feinde im eigenen Haus?). Die Anti-Geldwäsche-Bestimmungen wurden verschärft, ebenso jene zur Bekämpfung des Terrorismus, die Überwachung derselben durch den Europarat mittels Moneyval aktiviert. Die externen Privatunternehmen Promontory Group und Ernst&Young überwachen alle Konten der Vatikanbank und der Güterverwaltung. Dabei gehört die Vatikanbank zur Kategorie der Kleinbanken.
Gefährliche Baustelle: Status des Vatikanstaates überdenken?
Angelpunkt der Kurienreform hingegen soll der neue Staatssekretär Erzbischof Pietro Parolin sein. Der erfahrene Diplomat trat erst vor kurzem, verspätet sein Amt an. Morgen Abend wird er gemeinsam mit Kardinal Maradiaga in Rom ein Buch vorstellen. Ein gemeinsamer Auftritt, der eine starke „Achse“ erkennen läßt. Die Bezeichnung Staatssekretariat soll bald der Vergangenheit angehören, wie Papst Franziskus überhaupt ein Kirchenstaat zuwider scheint. Parolin könnte daher bald der Amtsbezeichnung nach nur mehr „päpstlicher Sekretär“ sein. Den Diplomaten Parolin gibt es allerdings nur, weil der Heilige Stuhl ein souveräner Staat ist und damit diplomatische Vertretungen unterhalten kann. Ein völkerrechtlicher Status, der Unabhängigkeit garantiert und Zugang zu allen internationalen Gremien, vor allem aber in Krisenzeiten kostbaren Schutz sichert, wie die Zeit der deutschen Besatzung in Rom zeigte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Messa in Latino