(Rom) Seit dem umfangreichen Interview von Papst Franziskus mit der Jesuiten-Zeitschrift Civiltà Cattolica herrscht neues Durcheinander im katholischen Lager. Während die Massenmedien jubeln und Papst Franziskus als „Revolutionär“ feiern, verteidigt ein Teil der Katholiken den Papst mit der Formel, die Massenmedien würden Franziskus bewußt mißverstehen und absichtlich seine Äußerungen zurechtbiegen, während der Papst nichts an der katholischen Lehre ändere, sondern nur einen eigenen, ganz besonderen Stil habe. Papst Franziskus spreche nicht als Akademiker, sondern als Prediger zu den Menschen, wie der katholische US-Publizist George Weigel meinte. Ein anderer Teil der Katholiken beobachtet die Art, wie Papst Franziskus mit der Welt kommuniziert mit zunehmender Sorge. Nicht zuletzt auch wegen des Applauses von der falschen Seiten.
Es werden Zweifel am Nutzen einer Kommunikationsform geäußert, die offensichtlich anfällig für Mißverständnisse ist. Mehr noch, manche hegen Zweifel, ob es dem Papst nur um eine neue Form des Kommunizierens mit den Menschen geht, die umstritten ist, oder auch um inhaltliche Änderungen. Nicht um einen offenen Bruch mit Teilen der Glaubenslehre, aber vielleicht um eine indirekte Aufweichung durch Zweideutigkeit. Offiziell wäre damit nichts geändert, praktisch aber in den Köpfen der Menschen sehr viel. Genau, das, so einige Kritiker, sei bereits jetzt der Fall, gerade zu den „heißen Eisen“, wie Abtreibung und Homosexualität. Der Papst betone, daß die Lehre der Kirche dazu klar definiert sei, spricht sie aber nicht aus, oder jedenfalls nicht in der breiten Öffentlichkeit, sondern nur vor einschlägigen Kreisen.
So geschehen zum Thema Abtreibung, bei dem es um Leben oder Tod geht. Im Civiltà Cattolica-Interview, das um die Welt ging, verwendete der Papst eine für Lebensschützer sogar „verletzende“ Diktion, wie der amerikanische, katholische Philosoph Michael Nowak beanstandete. Während der Papst im Interview erklärte, daß er auch in Zukunft nicht viel zum Thema sagen werde und damit die Abtreibungsbefürwortern jubeln ließ, fand er am Tag darauf vor den katholischen Ärzten sehr klare Worte zum Schutz des Lebens. Worte, die allerdings nur in katholischen Kreisen bekannt wurden.
Kritik an der Kommunikationsart von Papst Franziskus übte nun der bekannte katholische Historiker Roberto de Mattei in einem Interview für Fomiche.net. Das Interview führte Francesco de Palo.
Die Presse instrumentalisiert, aber der Papst hat ihnen dabei geholfen: Das ist die Meinung des traditionsverbundenen Roberto de Mattei, Professor für Geschichte der Neuzeit und des Christentums an der Europäischen Universität Rom und bis 2011 stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Forschungsrats der Republik Italien. De Mattei ist Herausgeber und Chefredakteur der Monatszeitschrift Radici Cristiane, Nova Historia und des katholischen Informationsdienstes Corrispondenza Romana. Im Gespräch mit Formiche.net analysiert er das erste Semester des neuen Pontifikats und äußert starke Vorbehalte gegen die Kommunikationsstrategie von Papst Franziskus.
Wie erlebt ein „Katholik ohne Kompromisse“, wie Sie sich selbst bezeichnen, die Öffnungen von Papst Franziskus gegenüber Homosexuellen und Geschiedenen?
Meine Meinung ist, daß es eine große Instrumentalisierung der Worte des Papstes gibt, in dem Sinne, daß ich diese großen Öffnungen nicht sehe. Zumindest aus Sicht der Glaubenslehre, auch weil Papst Franziskus selbst betont hat, daß seine Haltung in diesen Themen nicht von jener des Katechismus abweicht.
Wie analysieren Sie das Manifest ähnliche Interview Bergoglios in der Cività Cattolica?
Gerade weil der Papst betonte, daß er bezüglich der Glaubenslehre in der Kontinuität der kirchlichen Lehre stehe und keine lehrmäßigen Neuerungen beabsichtige, ist die Ebene, auf die er sich mit diesem Interview begibt, pastoraler oder strategischer Natur. Das heißt; was er vorschlägt, ist nicht eine neue Lehre, sondern eine neue Methode, sich diesen Problemen zu nähern.
Mit welchen Rückwirkungen?
Da Bergoglio sich, laut eigenen Worten, von der Ebene der Glaubenslehre auf jene der Kommunikationsstrategie begeben hat, ist es für jeden Katholiken rechtmäßig, über diesen Ansatz zu diskutieren. Und von diesem Blickwinkel aus betrachtet, handelt es sich meiner Meinung nach um einen unglücklichen Ansatz, weil er eine Instrumentalisierung seiner Worte möglich macht. Verantwortlich für diese Instrumentalisierung ist aber nicht allein die Presse, die, wenn wir so wollen, ihre Arbeit tut, sondern auch, wer sie mit einer Sprache möglich macht, die in einigen Punkte absolut zweideutig ist.
Was ist das Ergebnis dieser neuen Sprache?
Ich meine, daß sie sehr gefährlich sein kann, denn die Welt der Kommunikation wird nicht vom Papst beherrscht und ebensowenig von den Katholiken, sondern von Lobbys und kirchenfernen Mächten, die imstande sind, einen verzerrenden Gebrauch davon zu machen. Persönlich habe ich starke Vorbehalte gegen die Kommunikationsstrategie des Papstes.
Hat die Tageszeitung Il Foglio von Giuliano Ferrara also recht mit der Feststellung, daß die nicht verhandelbaren Grundsätze inzwischen nur mehr toter Buchstabe sind?
Das scheint mir überzogen. Es handelt sich um Grundsätze, die aufgrund ihrer Natur Momente der Verdunkelung erleben können. Mir scheint aber, daß der Papst gesagt hat, ohne sie zu leugnen, daß er in seiner Kommunikation andere Punkte bevorzugt, weil er, nach eigenen Worten, von der Voraussetzung ausgeht, daß das Recht auf Leben und auf Familie bereits allgemein bekannte Grundsätze sind. Das eigentliche Problem aber ist, daß die Positionen der Kirche dazu der breiten Öffentlichkeit eben nicht bekannt sind und dazu auch in der katholischen Welt eine große Verwirrung herrscht. Die einzigen zwei Päpste, die sich dem entgegenstellten, waren Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Bergoglio, obwohl er sich lehrmäßig in die Kontinuität mit seinen Vorgängern stellt, scheint eine strategische Diskontinuität ausdrücken zu wollen.
Wie schätzen Sie diese Entscheidung ein?
Ich bevorzuge die vorherige Kommunikationsstrategie, aber natürlich wird die Zeit Antwort geben und man wird sehen, welche Früchte der Baum trägt. Ich hoffe, daß die Folgen dieses Ansatzes nicht zerstörerisch sein werden.
Und der Brief von Ratzinger an Odifreddi, ist das ein Weg Marksteine zu setzen?
Es ist ein Brief, der meines Erachtens die schon herrschende Verwirrung noch vergrößert hat, denn obwohl er klare Grundsätze vertritt, vermittelt er den Eindruck, als könnten es, wenn auch auf der Ebene eines Privatlehramtes, zwei Phasen geben, die gleichzeitig auf derselben Bühne intervenieren [Papst Franziskus und Benedikt XVI.], im konkreten Fall in der Tageszeitung La Repubblica. Ich hatte wie viele gedacht, daß Benedikt XVI. sich völlig aus dem öffentlichen Leben zurückziehen wollte, um ein Leben des Gebets und des Schweigens zu führen. Damit will ich keineswegs sagen, daß er etwas falsch gemacht hat, denn seine Kritik an Odifreddi ist präzise und punktgenau. Ich stelle also nicht den Inhalt in Frage, hege aber Zweifel daran, ob es opportun war.
Denken Sie, daß nun die Kurienreform kommen wird?
Sie hat noch nicht begonnen. Warten wir also ab, ehe wir urteilen. Vorerst gab es normale Vorgänge, aber kein Zeichen einer Reform. Im Oktober wird sich der Papst mit der Gruppe von Kardinälen treffen, denen er die Aufgabe anvertraute, Vorschläge zu unterbreiten. Wir werden also in den kommenden Monaten sehen und beurteilen.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Formiche.net