(Damaskus) Die vier Trappistinnen, die in einem Kloster in Syrien leben, wenden sich mit Nachdruck gegen eine Militärintervention der USA im Nahen Osten. „Warum ist man für chemische Waffen bereit, trotz der Zweifel, einen Krieg vom Zaun zu brechen, während über andere Massaker kein Wort verloren wird?“ „Der Papst hat alle ermutigt. Christen und Moslems haben eine wirkliche Aufmerksamkeit für die Situation in Syrien gespürt und wissen es zu schätzen, daß Franziskus sich persönlich so deutlich ‚exponiert‘ hat“, so Schwester Marta. Gemeinsam mit drei Mitschwestern hatte sie sich vor acht Jahren entschlossen, in Syrien ein Trappistinnenkloster zu gründen. Etwa zehn Prozent der Syrer sind Christen. Das Kloster befindet sich nahe an der Grenze zum Libanon. Die vier Nonnen haben vor kurzem einen Offenen Brief über die Lage in Syrien verfaßt. Das Wochenmagazin Tempi führte ein Interview mit ihnen.
Die USA könnten in Kürze Syrien angreifen. Ist die Bevölkerung in Ihrem Gebiet verängstigt?
Ja, jetzt, wo die Sache sich immer deutlicher abzeichnet, herrscht viel Angst. Was geschieht, wenn sie ein Raketendepot oder ein Magazin mit chemischen Waffen treffen? Wir fürchten getroffen zu werden, vor allem wenn es zu einer „Kettenreaktion“ kommt. Und wir haben Angst vor den Folgen eines Krieges, der den ganzen Nahen Osten mitreißt und vor allem fürchten wir die unmittelbare Destabilisierung, den der Angriff hier in Syrien schaffen wird.
Welche Art von Destabilisierung?
Unsere Gegend, wie auch andere, ist voll von bewaffneten Gruppen von Al-Qaida, Salafisten und vielen anderen. Gleich hinter der Grenze mit dem Libanon sind weitere Gruppen von Söldnern, die zum Angriff und zum Überschreiten der Grenze bereitstehen, wie sie es bereits jetzt jede Nacht versuchen. Die kleinen Ortschaften fürchten die Massaker, wie sie bereits geschehen sind. Seit kurzem wurden in der Gegend von Lattakie 14 Dörfer angegriffen und zerstört, darunter drei christliche. Viele Menschen wurden getötet. Frauen und Kinder wurden verschleppt.
Wie reagieren die Syrer?
Die Menschen bewaffnen sich und sind bereit, sich auch allein zu verteidigen. Hier kommt es vor allem durch bewaffnete Banden zu Gefechten, die Angriffe gegen die Militärstützpunkte durchführen.
Sie haben vor kurzem einen Offenen Brief gegen eine Militärintervention geschrieben. Warum?
In diesen mehr als zwei Jahren des Konflikts hatten wir es vorgezogen, uns nicht einzumischen, außer es war wirklich notwendig. Wir sind Nonnen, unsere Verantwortung für die Welt ist das Gebet und zudem ist es schwer zu vermeiden, daß man sofort der einen oder anderen Seite zugeordnet wird. Doch angesichts der niederträchtigen Gewalt einer Militärintervention gegen Syrien, dieser offensichtlichen internationalen Ungerechtigkeit haben wir Partei ergriffen für die Menschen in unserem Dorf, deren Stimme niemand hört. Wir haben uns gesagt: Wir müssen doch etwas sagen, wir müssen es für sie tun.
Warum sagen Sie, Sie haben „Partei ergriffen“?
Alle hier stellen eine Frage: Warum hat niemand wegen der anderen Massaker protestiert, die stattgefunden haben und die durch Filmaufzeichnungen belegt sind. Manchmal war nicht ein einziges Wort in den Medien darüber zu hören. Aber wegen dieser Episode, die tragisch aber voller ungelöster Fragezeichen ist, ist man plötzlich bereit einen noch viel tragischeren Krieg vom Zaun zu brechen? Erst in diesen Tagen hat ein Angriff auf Maalula stattgefunden.
Im Brief haben Sie geschrieben: „Das Problem ist, daß es viel zu einfach geworden ist, die Lüge als noble Geste zu verkaufen, die bedenkenlosesten Interessen als Suche nach Gerechtigkeit, den Wunsch nach Wichtigtuerei und Macht als „moralische Verantwortung, nicht die Augen zu verschließen“. Was meinen Sie damit?
Trotz der Tatsache, daß wir vertrauensvoll auf den Menschen schauen, daß wir hoffnungsvoll auf das Leben der einzelnen Nationen und ihrer Beziehungen untereinander blicken, kann man nicht so naiv sein, nicht die enormen Interessen zu sehen, die hier im Spiel sind und die leider über die Grundsätze wahrer Humanität, des Friedens und der Hoffnung zu obsiegen scheinen, die der Papst am vergangenen Samstag in Erinnerung rief.
Läuft man so nicht Gefahr eine Verschwörungstheorie auszubreiten?
Verschwörungstheorie? Einige Erklärungen werden heute in aller Öffentlichkeit gemacht. So zum Beispiel von Qatar und Saudi-Arabien, die bereit sind, den gesamten Krieg zu finanzieren. Das ist nur ein Beispiel, aber wirft es nicht einige Fragen auf? Zudem hat uns der Herr selbst gesagt: „Die Söhne der Finsternis sind klüger als die Söhne des Lichts“, und Er kennt das Herz des Menschen gut. Ich denke, man kann Ihm nicht Mangel an Hoffnung vorwerfen. Die Hoffnung aber ist eine reale Sache, die sich auf das Wissen um das Herz des Menschen stützt, und daher auch auf seine Sünde, seinen Stolz, seinen Hunger nach Macht und Herrschaft. Der Gläubige hat die Pflicht, sich diese Fragen zu stellen und den Weg der Wahrheit zu suchen, außerhalb und innerhalb von sich selbst. Und wie wir bereits in unserem Brief geschrieben haben: wenn man es will, dann ist es möglich, gemeinsam eine objektive Wahrheit hinter den Ereignissen zu finden.
Haben Sie am Fast- und Gebetstag teilgenommen, den der Papst ausgerufen hat?
Viele hier haben gefastet und gebetet. Auch wir haben diesen Tag in Einheit mit der Kirche und den Menschen guten Willens der ganzen Erde verbracht. Wir haben die Angelus-Ansprache des Papstes fotokopiert und verteilt und mit den Jugendlichen des Ortes am Nachmittag gebetet. Wir konnten es nicht zeitgleich mit dem Papst tun, um die Menschen nach Sonnenuntergang nicht zu großen Gefahren auszusetzen.
Ist das Zusammenleben zwischen Christen und Moslems in Syrien heute noch möglich?
Die Christen hier unterhalten seit alters her gute Beziehungen sowohl zu den sunnitischen als auch zu schiitischen Moslems. Was das Zusammenleben bedroht, ist der Fundamentalismus, der je nach Gruppe mehr oder weniger hart gegen die Christen vorgeht.
Zum Abschluß des Briefes haben Sie geschrieben: „Sie versuchen die Hoffnung zu töten, wir müssen dem widerstehen mit all unsren Kräften.“ Kann man noch Hoffnung in die Zukunft Syriens haben?
Gott ist unsere Hoffnung, sie kann daher nie sterben. Sie stützt sich nicht auf unsere Kräfte, sondern auf das uns von Christus für immer geschenkte Leben. Der Herr hat uns gesagt: „Selig die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden“. Und auf Sein Wort hoffen wir. Er hat uns nie versprochen, uns das Leid, den Schmerz und das Kreuz zu ersparen, sie aber zu besiegen.
Text: Tempi/Giuseppe Nardi
Bild: Tempi
„Warum ist man für chemische Waffen bereit, trotz der Zweifel, einen Krieg vom Zaun zu brechen, während über andere Massaker kein Wort verloren wird?“
Auf die Gefahr, dass mir jetzt irgendwelche USA-Fans „Aufrechnung“ vorwerfen: Chemische Waffen sind furchtbar. Wenn man sie einsetzt, gibt es Tote, aber in kurzer Zeit ist das Gas verdünnt, die Wirkung verpufft.
Bei Kernwaffen gibt es noch viel mehr Tote. Die Radioaktivität bleibt. Jahrzehnte lang oder u.U. noch länger. Soll heißen, es kann auch noch nach Jahrzehnten Tote geben.
Welcher Staat ist bis jetzt der einzige, der diese Waffen konkret gegen die Zivilbevölkerung eines anderen Landes eingesetzt hat?