(Rom) Bisher wurde besonders betont, daß zwischen Papst Franziskus und Papst Benedikt XVI. „kein Blatt“ passe. Ist das schon vergessen? Diente es nur, um den Übergang möglichst fließend zu gestalten? Um auch den wenigen Journalisten, die Benedikt die Treue hielten, den fliegenden Wechsel ins Heerlager der Franziskus-Bejubler zu ermöglichen? Nach der inquisitorischen Maßnahme gegen die Ordensgemeinschaft der Franziskaner der Immakulata steht fest, es paßt doch ein „Blatt“ zwischen Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus.
Einziger Makel: Entdeckung der Alten Messe und der Tradition
Der einzige Makel dieses vorbildhaften Ordens besteht darin, daß er Papst Benedikt XVI. in dessen liturgischer Sensibilität gefolgt ist, die verlorengegangene Sakralität der Liturgie wiederzugewinnen. Und er ist Papst Benedikt XVI. ebenso in dessen korrigierendem Eingriff bei der Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils gefolgt.
Das hatte Folgen für den Orden. Er entdeckte durch Benedikt XVI. den Reichtum des Alten Ritus und machte ihn sich schrittweise zu eigen. Gleichzeitig begann eine vertiefte Beschäftigung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, eine kritischere Bestandsaufnahme und eine differenzierte Auseinandersetzung. Dabei ging es um einige konkrete Punkte in den Konzilsdokumenten, aber auch um die generelle Einordnung des Konzils in die zweitausendjährige Kirchengeschichte.
Zweites Vatikanisches Konzil: weder Superdogma noch Damnatio memoriae
Papst Benedikt XVI. folgend wurde eine einseitige Interpretation des Konzils als „Superdogma“ abgelehnt, ebenso wie umgekehrt dessen kategorische Verwerfung. Die Franziskaner der Immakulata vertreten mit Benedikt XVI. weder eine Position, als gebe es nur das Zweite Vatikanische Konzil noch eine Position als sei das Konzil einer Art Damnatio Memoriae zu unterwerfen. Das Konzil wurde als das entdeckt, was es selbst sein wollte: ein Pastoralkonzil ohne dogmatischen Anspruch, das seine Bedeutung und Relevanz nur in der Kontinuität der Kirchengeschichte haben kann ohne jeden Anspruch auf Losgelöstheit oder gar einen Sonderplatz.
Dieser Weg des Ordens wurde von einer kleinen Minderheit, deren Niederlassung sich bei der Päpstlichen Basilika Santa Maria Maggiore in Rom befindet, abgelehnt. Sie wandten sich an die Ordenskongregation mit dem kurz zusammengefaßten Hinweis, daß der Orden mit dem Novus Ordo gegründet worden sei und er durch die Erweiterung auf den Vetus Ordo sein Charisma und seinen Weg verlassen habe. In Rom fanden die Rebellen offene Ohren.
Darin ist der eigentliche Grund des Eingriffs zu suchen. Der Orden war 1990 mit einer Rückkehr zur strengen Observanz der franziskanischen Regel, aber noch im Neuen Ritus entstanden. Als glaubenstreuer, strenger Orden fand er eine rasche Ausbreitung. Eine Ausbreitung, die ungestört verlaufen konnte, da der Orden nicht „traditionalistisch“ auffällig geworden ist und damit ohne jene argwöhnische Observierung stattfinden konnte, die gewohnheitsgemäß traditionsverbundene Gruppen begleitet.
Wechsel eines „normalen“ Ordens zum Alten Ritus war für manche Kirchenkreise ein Schock
Als der Orden mit Benedikt XVI. teilweise und dann ordensintern ganz zum Alten Ritus wechselte, war diese Wandlung eines „normalen“ Ordens zur Tradition für einige Kirchenkreise ein Schock. Sie signalisierte einerseits eine Attraktivität der Tradition, und machte offenkundig, was Benedikt XVI. angestoßen und möglich gemacht hatte. Dieser Wechsel war gewissermaßen die sichtbarste Spitze eines ganzen Trends, da plötzlich Meldungen aus der ganzen Welt eingingen, daß eine ganz neue liturgische, traditionsverbundene Bewegung im Entstehen war.
Der Orden der Franziskaner der Immakulata hatte sich als „normaler“ Orden zunächst ungestörter ausbreiten können, da er nicht zu den Ecclesia-Dei-Gemeinschaften gehörte. Diese stehen unter größerer Kontrolle. Allerdings genießen sie dafür, das ist die positive Kehrseite, die nun sichtbar wurde, auch einen gewissen Schutz. Einen Schutz, den die Franziskaner der Immakulata nicht haben.
Sonderfall in der Kirche aber auch innerhalb der Tradition
Der Orden ist aber wegen seiner Entstehungsgeschichte nicht nur kirchenintern ein Sonderfall, sondern aus demselben Grund auch innerhalb der Tradition. Die meisten traditionsverbundenen Gemeinschaften wirken nur kirchenintern. Sie betreuen die traditionsverbundenen Gläubigen seelsorglich, oder versuchen nicht traditionsverbundene Gläubige für die Tradition zu gewinnen, was unter Benedikt XVI. durchaus erfolgreich gelungen ist. Für diese Abschottung gibt es Gründe. Einer davon ist die Erfahrung oft langjähriger Verfolgung und Ausgrenzung, ein anderer das Wissen, in vielen Diözesen mehr oder weniger nur geduldet zu sein. Die Folge ist allerdings schwerwiegend, weil sie kaum evangelistisch wirken und in der Öffentlichkeit daher kaum wahrnehmbar sind. Denn Wahrnehmbarkeit könnte die innerkirchlichen Gegner zu sehr aufmerksam machen oder sogar reizen und die haben in vielen Diözesen mehr Gewicht, wenn nicht ganz das Sagen.
Gemeinschaften der Tradition haben daher tatsächlich zum Teil den Makel, den Papst Franziskus bereits zwei Mal kritisierte, wenn er von der „pelagianischen Gefahr“ sprach. Der Begriff „pelagianisch“ ist im Zusammenhang zwar nicht leicht entzifferbar, doch das was Franziskus meint, das ist klar. Für ihn scheint die Tradition Rückwärtsgewandtheit, das Hängen an Vergangenem, oder noch schlimmer der Wunsch, die Uhr zurückzudrehen, was unmöglich ist. Die Kritik des Papstes ist, so ausgesprochen, nachvollziehbar. Denn, wie er den lateinamerikanischen Bischöfen sagte, die Menschen sind in der Gegenwart zu evangelisieren, nicht in Vergangenheit und nicht in der Zukunft. Wie kategorisch meint er aber diese Kritik? Denkt man sich noch einen gewissen Mangel an liturgischer Sensibilität mit und nimmt das Dekret gegen die Franziskaner der Immakulata dazu, ergibt sich ein wenig traditionsfreundliches Bild.
Wie sonst könnte einem ganzen Orden, der aus 800 Angehörigen besteht, weil sechs davon eine Eingabe gegen den Alten Ritus machten, genau die Form des Römischen Ritus aufgezwungen werden, die sie ja selbst abgelegt haben. Bedenkt man die Bedeutung der heiligen Liturgie für eine Ordensgemeinschaft, kann es dann noch unsensibler gehen?
Kein „barocker Pomp mit Spitzen“, sondern franziskanische Armut
Genau dem von Papst Franziskus skizzierten Bild einer negativen Tradition, die er als rückwärtsgewandt und abgeschottet darstellt, widerspricht der Orden der Franziskaner der Immakulata am deutlichsten. Und ausgerechnet er wird geköpft. Man kann ihm nicht Hang zu „barockem Prunk und Spitzen“ vorwerfen, was traditionsferne ohne nähere Kenntnis so gerne behaupten. Die Franziskaner der Immakulata leben die franziskanische Armut und das mit einer Würde und Konsequenz, die viele alte franziskanische Orden erblassen lassen könnte. Ein Blick auf die Ordenskleidung und wie sie getragen wird, genügt, um zu erkennen, daß sie nicht nur eine übergestülpte zweite Identität ist, unter der die letztlich eigentliche steckt, erkennbar an karierten Hemdkragen oder unter der Kutte hervorragenden zivilen Hosen. Und daß die Kutte im Zweifelsfall einfach ausgezogen werden kann, denn darunter hat man ja noch jedermanns zivile, bürgerliche Kleidung an. Nur ein Detail? Sicher. Aber doch aussagekräftig.
Keine „pelagianische“ Rückwärtsgewandtheit, sondern missionarisch und evangelistisch
Man kann dem Orden auch nicht traditionalistische Abkapselung von der Welt vorwerfen, weil er hinausgeht, missionarisch und evangelistisch wirkt, die modernsten Kommunikationsmittel nützt, wie es kaum einer der „normalen“ Orden tut, geschweige denn die meisten Gemeinschaften der Tradition. Kurzum, der Verweis auf die Franziskaner der Immakulata genügte, um eine verzerrende Darstellung der Tradition widerlegen zu können. Bis zum 27. Juli …
Der Orden hielt allerdings auch mit seiner Meinung zur kirchlichen Entwicklung seit dem Konzil nicht hinter dem Berg. Wer liturgisch sensibel ist, befaßt sich mit dem Alten Ritus. Geschieht dies, erfolgt zwangsläufig auch eine Beschäftigung mit der Frage, wie es zur Liturgiereform kommen konnte. Die Fragen drängen sich dann geradezu auf und verlangen nach einer Antwort. Der Orden ging mit seinen Erkenntnissen, die der Linie Benedikts XVI. folgten, und liturgisch vor allem von Brunero Gherardini geprägt wurden, hinaus: im Radio, im Fernsehen, im Internet, auf Tagungen und Konferenzen, mit Büchern.
„Gefährlicher“ Orden, „weil erfolgreich und traditionsverbunden“
Am Telefon bekam ich in Rom ein ehrliches Wort zu hören: „Die sind einfach zu erfolgreich. Es geht an der Ordenskongregation aber nicht nur um Neid unter Orden. Die Franziskaner der Immakulata gelten als gefährlich, weil sie erfolgreich und traditionsverbunden sind. Eine Mischung, die einige gar nicht leiden können. Unter Benedikt XVI. hätten sie diesen Schritt jedenfalls so nie gewagt.“
Was wird mit dem Dekret gegen die Franziskaner der Immakulata ausgesagt: Die außerordentliche Form des Römischen Ritus ist an sich nicht verboten. Sie wird für den Orden jedoch wieder zur ausdrücklich genehmigungspflichtigen Form reduziert. Das ist ein Rückfall in die Zeit vor Summorum Pontificum. Das Dekret unterstreicht nämlich, daß ab 11. August generell der „Neue Ritus“ zu gelten hat und „eventuell“ auch der „Alte Ritus“ genehmigt werden könne, nicht für den Orden, nur für die einzelnen Ordensangehörigen. Von einer Gleichberechtigung der beiden Formen ist damit keine Rede mehr.
Da das einzige „Verschulden“ des Ordens darin bestand, Papst Benedikt XVI. wirklich ernst genommen zu haben, wird die Tradition dargestellt, als sei sie eine „Sonderlehre“, die wie andere Sonderlehren von der Kirche wegführe. Der eingesetzte Kommissar betont das sentire cum Ecclesia. Das bedeutet, daß man an der Ordenskongregation mit Billigung von Papst Franziskus den Weg der Tradition als ungesunden „Sonderweg“ betrachtet, der ein Eingreifen erforderlich machte, wie man es von Ordensgemeinschaften und kirchlichen Organisationen kennt, die irgendeine Sonderlehre überbetonen, die mit der kirchlichen Lehre nicht in Einklang ist.
Gegner der Tradition haben neue Spielräume
Da die Tradition mit Sicherheit keine „Sonderlehre“ ist, ein absurder Widerspruch in sich, sagt das Dekret viel aus über neue Spielräume der Gegner der Tradition im Vatikan. Spielräume, die offenbar durch Papst Franziskus möglich geworden sind. Die Franziskaner der Immakulata brauchen nun viel Gottvertrauen und Disziplin, um sich in Gehorsam dieser Prüfung zu unterwerfen und sie zu bestehen. Sie brauchen dafür auch das Gebet der Gläubigen, vor allem auch, dafür, daß dieser vorbildhafte Orden nicht an dem Eingriff zugrundegeht, sondern sein Charisma bewahren und in der Zukunft weiterblühen kann.
Mit dem Dekret steht jedenfalls fest: Papst Franziskus mag zwar Benedikt XVI. als „Opa“ und „Papa“ bezeichnen, der sich allerdings „nicht einzumischen“ habe und sein „Leben leben“ solle, aber das oft zitierte „Blatt“ paßt zwischen beide. Und wahrscheinlich sogar mehr als nur ein Blatt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi
Andrea Tornielli hat mit einem der Assistenten des Generalats der Franziskaner der Immakulata gesprochen, einer Art Sprecher. Und der bestätigt alles: „einige [im Orden] haben die Wende zum Alten Ritus nicht gut aufgenommen“. Das müssen die 6 sein, die sich an Rom gewandt haben.
Der Rest ist einfach nur Anpassung an die neue Situation. Was anderes wird und kann man vom Orden auch nicht mehr hören. In Gehorsam werden sie sich beugen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Tornielli schreibt, die Mehrheit des Ordens sei gegen eine exklusive Stellung des Alten Ritus gewesen, vor allem „in der Seelsorge in Italien und den Missionen“. Ja, aber deshalb war der Orden ja auch immer birituell für die Seelsorge. Da werden also Eulen nach Athen getragen, um zu rechtfertigen, was eigentlich nicht zu rechtfertigen ist. Manche Franziskaner der Immakulata scheinen sich damit zu trösten, daß der Alte Ritus nicht verboten ist, weil sie ja Anträge stellen können. Zweckoptimismus. Hoffentlich bleiben sie Gehorsam, nicht nur diesem unsäglichen Dekret gegenüber, sonderm ihrer Mission.
Es passt offenbar ein ganzes Bündel von Blättern dazwischen.
Der damalige Kardinal Ratzinger schreibt:
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„Das Zweite Vatikanische Konzil behandelt man nicht als Teil der
lebendigen Tradition der Kirche, sondern direkt als Ende der Tradition und so, als fange man ganz bei Null an.
Die Wahrheit ist, daß das Konzil selbst
kein Dogma definiert hat und sich bewußt in einem niedrigeren Rang als
reines Pastoralkonzil ausdrücken wollte; trotzdem interpretieren es viele,
als wäre es fast das Superdogma, das allen anderen die Bedeutung nimmt.
Dieser Eindruck wird besonders durch Ereignisse des täglichen
Lebens verstärkt.
Was früher als das Heiligste galt – die überlieferte Form
der Liturgie – scheint plötzlich als das Verbotenste und das Einzige, was man mit Sicherheit ablehnen muß…
Das führt bei vielen Menschen dazu,
daß sie sich fragen,
ob die Kirche von heute wirklich noch die gleiche ist wie gestern, oder ob man sie nicht ohne Warnung gegen eine andere ausgetauscht hat.“
Joseph Kardinal Ratzinger, Rede vor den Bischöfen von Chile vom
13.7.1988, Der Fels 12/88, S.343