(Rio de Janeiro) Papst Franziskus befindet sich auf dem Flug in das flächengrößte und einwohnerstärkste lateinamerikanische Land. Bis zum 29. Juli stattet das katholische Kirchenoberhaupt Brasilien einen Pastoralbesuch ab. Anlaß ist der Weltjugendtag, der in diesem Jahr in der brasilianischen Atlantikmetropole Rio de Janeiro stattfindet.
Das PEW Forum on Religion & Public Life von Washington hat in einer graphischen Darstellung die Religionsentwicklung der Brasilianer in den vergangenen 40 Jahren dargestellt.
Brasilien ist weltweit das Land mit den meisten Katholiken. 123 Millionen Brasilianer bekennen sich zur katholischen Kirche. War noch bis vor einem halben Jahrhundert faktisch die Gesamtbevölkerung katholisch, ist der Katholikenanteil seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil stark gesunken. Von 92 Prozent im Jahr 1970 auf 65 Prozent im Jahr 2010.
Gleichzeitig erlebten die Protestanten einen ebenso unerwarteten wie rapiden Aufstieg. Ihr Anteil wuchs im selben Zeitraum von fünf auf 22 Prozent. Während die Katholiken seit 20 Jahrzehnten bei knapp mehr als 120 Millionen Angehörigen halten, nicht abnehmen, aber auch nicht zunehmen, ist die Zahl der Protestanten allein seit dem Jahr 2000 von 26 auf 42 Millionen gewachsen.
Mit Protestanten sind nicht die im deutschen Sprachraum gekannten lutherischen oder reformierten Landeskirchen gemeint. In Brasilien erlebt nicht dieser historische Strang des Protestantismus eine Blüte, sondern die Pfingstler und die Evangelikalen. Jeder fünfte Brasilianer gehört einer Gemeinschaft dieser jüngeren protestantischen Strömungen an, die aus den USA in das lateinamerikanische Land eingeführt wurden. Seither sind einige neue Gemeinschaften, die in Brasilien entstanden sind, hinzugekommen, so die Igreja Pentecostal Deus é Amor (IPDA).
In kleinerem Maßstab sind in den vergangenen Jahrzehnten auch andere Religionen gewachsen. Die meisten durch Einwanderung. Im Land selbst erhöhte sich die Zahl der Anhänger von synkretistisch-spiritistischen afrobrasilianischen Kulten wie Umbanda und Candomblé von sechs Millionen im Jahr 2000 auf zehn Millionen.
Gab es 1970 weniger als eine Million Religionslose, ist die Zahl der Agnostiker und Atheisten auf 15 Millionen angewachsen.
Die Veränderungen treten als Phänomen sowohl bei Frauen als auch Männern auf, Gebildeten und weniger Gebildeten. Deutlicher ausgeprägt ist es bei den unter 50-Jährigen. Ein Unterschied wird vor allem zwischen den Städten und den Landgebieten sichtbar. Während auf dem Land noch 78 Prozent katholisch sind, sind es in den Ballungsräumen nur mehr 62 Prozent, wo die Evangelikalen und Pflingstler besonders aktiv sind, aber auch die Zahl der Agnostiker und Atheisten größer ist.
In Rio de Janeiro, dem Ziel von Papst Franziskus sind die Katholiken mit 46 Prozent nur mehr eine Minderheit. Das Ziel des Papstes ist, mit seiner ersten Lateinamerikareise der brasilianischen Kirche neues missionarisches Leben einzuhauchen. Eine neue Lebendigkeit, die imstande ist, die Entwicklung aufzuhalten und umzukehren und die auf die anderen lateinamerikanischen Staaten ausstrahlt.
Papst Franziskus holte sich dazu den Rat von Papst Benedikt XVI., mit dem er in jüngerer Zeit in immer kürzeren Abständen zusammentrifft, und betete gestern vor dem Mariengnadenbild der Stadt Rom in der Basilika Santa Maria Maggiore.
In den kommenden Tagen wird sich zeigen, wie sich Papst Franziskus die Trendumkehr gegen den Erosionsprozeß der katholischen Kirche gegenüber protestantischen Pfingstlern, agnostischen Religionslosen und synkretistisch-animistischen afrikanischen Kulten vorstellt.
Text: Settimo Cielo/Giuseppe Nardi
Bild: PEW