(New York) Von „überhitzten Erwartungen“, die mit dem neuen Pontifikat von Papst Franziskus verknüpft werden, schreibt der Vatikanist John L. Allen jr. im National Catholic Reporter, einer amerikanischen Zeitschrift, die trotz ihres Namens wenig Katholisches an sich hat und sich in einem Dauerkrieg mit den Bischöfen und dem Papsttum befindet, aber im Gleichschritt mit den LCWR-Rebellinnen im Ringen gegen die Glaubenskongegration marschiert.
Dennoch sind Allens Artikel meist interessant. Sie leuchten Aspekte eines Themas aus, die von vielen „zu schnellen“ Vatikanisten übersehen werden. Vor allem sind sie ein Seismograph für Entwicklungen in progressistischen Teilen der Kirche. Der Artikel Francis and the risk of overheated expectations kann daher als Lektüre nur empfohlen werden.
Allen geht von einem allgemein verbreiteten Eindruck aus, daß Papst Franziskus eine deutliche Zäsur gegenüber der Vergangenheit darstellt. Dann aber fügt er hinzu, daß jene, die sich genauer an die ersten Tage des Pontifikats von Benedikt XVI. erinnern, nicht umhin können nach dem ersten Monat des neuen Papstes einige offensichtliche Parallelen festzustellen.
Zwei Pontifikate und spiegelverkehrte Erwartungshaltung an den Rändern?
Der amerikanische Vatikanist macht auf die ersten Auftritte Benedikts XVI. aufmerksam, als sein dünner schwarzer Pullover als epochale Neuheit begrüßt wurde und seine ersten Worte nach seiner Wahl vom „einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn“ mit jubelndem Applaus bedacht wurden. Allen verweist auf die „nie zuvor gesehenen“ Gesten in den ersten Tagen von Benedikts Pontifikat, als er persönlich in seine alte Wohnung an der Piazza Leonina ging, um seine Koffer zu packen und als er an der Tür der nebenan wohnenden Klosterfrauen klingelte, um sich von ihnen zu verabschieden.
Allen setzt die Sondererlaubnis Benedikts XVI. für die sofortige Einleitung eines Seligsprechungsverfahrens für Johannes Paul II. mit der Einsetzung des neuen achtköpfigen Kardinals-Beratergremiums durch Papst Franziskus gleich. Beide Entscheidungen, so Allen, erfüllten jeweils ausdrücklich von den wählenden Kardinälen in den Generalkongregationen vor dem Konklave geäußerte Wünsche.
Und damit kommt Allen zu den übersteigerten Erwartungen, die mit dem neuen Pontifikat verbunden werden, um auch diesbezüglich, bei allen Unterschieden, gewisse Parallelen ausfindig zu machen. Damals unter Benedikt XVI. seien vor allem viele „Traditionalisten“ von dessen Vorgehensweise der kleinen Schritte enttäuscht gewesen. Die von Benedikt XVI. eingeleitete „Reform der Reform“ angefangen bei der Liturgie ging ihnen viel zu langsam. Ganz zu schweigen von der Geduld, die Benedikt XVI. abweichenden Meinungen entgegenbrachte. Ein Verhalten, das sich, so Allen, wenig mit dem Klischee vom Panzerkardinal in Einklang bringen ließ und noch weniger mit den Hoffnungen der einen und den Befürchtungen der anderen, daß dieser nun durchgreifen werde.
Benedikt XVI. handelte jedoch nicht klischeegemäß, was nach einiger Zeit und trotz fortdauernder Vorbehalte, gerade von den Lesern des National Catholic Reporter mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen wurde. Dasselbe kann nun, so Allen, unter umgekehrten Vorzeichen Papst Franziskus passieren. Von progressistischen Kreisen auf den neuen Papst projizierte Erwartungshaltungen können zu einer implosionsartigen großen Enttäuschung führen.
Die traditionalistische Seite, die Allen zur permanenten Abwehrschlacht verschanzt im Schützengraben sieht, findet jeden irgendwie vom Vorgänger abweichenden Schritt von Papst Franziskus kritisierenswert und – könnte man hinzufügen – übersieht dabei, daß die mediale Omnipräsenz jede kleinste Geste in die Wohnzimmer der ganzen Welt trägt wie noch bei keinem Papst zuvor. Damit wird ein Vielfaches an Dingen gesehen, die früher wenig oder keine Bedeutung hatten. Angeheizt wird dieses Mißtrauen in traditionsverbundenen Kreisen vor allem durch den lautstarken Jubel von der völlig entgegegengesetzten Seite.
Die Stimmung der „Moderaten“? Nicht-radikale Progressive schwindelig vor Begeisterung. Ihnen drohe große Ernüchterung
Allen schreibt, die Stimmung der „moderaten“ Katholiken, wie er sie nennt, ergründen zu wollen, also nicht der Progressisten und nicht der Traditionalisten. Die Traditionalisten sieht Allen zornig und etwas verloren in jenem Winkel schmollend, in dem er sie ohnehin am liebsten sieht. Aber auch die Progressisten (Allen meint damit die Modernisten) sieht der Vatikanist ihre Erwartungen bereits zurückschrauben. Sie würden sich nach den ersten 40 Tagen dieses Pontifikats nicht mehr viel davon erwarten. Dazu hat es nicht viel gebraucht, weil in diesen Kreisen eine grundsätzliche Geringschätzung der kirchlichen Hierarchie und vor allem des Papsttums vorherrscht. Ihr kurzer Flirt mit dem neuen Pontifikat diente mehr der Eigenwerbung und dazu, in der Kirche Zwietracht zu sähen.
„Die Moderaten der katholischen Herde scheinen geradezu schwindelig vor Enthusiasmus zu sein, unter ihnen ist die Gefahr übertriebener Erwatungen am akutesten“, so Allen.
„Moderat“ meint im Sprachgebrauch des National Catholic Reporter allerdings weder die große Masse der mehr oder weniger kirchentreuen Durchschnittskatholiken noch die Position Benedikts XVI. von der „Erneuerung in der Kontinuität“, sondern die „gemäßigten Revolutionäre“, also den nicht-radikalen Teil des progressiven Flügels.
„Moderat“ sind für Allen zum Beispiel die Unterstützer der rebellischen Ordensschwestern der LCWR, die Papst Franziskus bereits auf der Linie Benedikts XVI. gemaßregelt und ihre kommissarische Verwaltung bestätigt hat. In diesem Teil des progressiven Lagers herrscht nun, so der NCR-Vatikanist die Stimmung vor, daß man dem neuen Papst „Zeit geben“ muß, dann „wird er verstehen“, ganz nach dem Motto: „Wir können nicht glauben, daß der gute Papst wirklich auf der Seite der böse Glaubenskongregation steht“. Während die radikalen Progressiven das neue Pontifikat laut Allen also bereits abgeschrieben haben, würden sich die gemäßigteren Progressiven noch damit trösten, daß der von ihnen bejubelte Papst „schon noch“ ihren Traum von einer „anderen“ Kirche verwirklichen werde.
Allen stellt eine zentrale Frage in den Raum: Wird Papst Franziskus ausreichend schnell und ausreichend deutlich handeln, um die so euphorischen „Moderaten“ zufriedenzustellen, die sofort einen umfangreichen und detaillierten Katalog von Wünschen und Träumen auf dieses soeben erst begonnene Pontifikat projiziert haben?
Pontifikat verspreche „nichts Revolutionäres“ – Wer zitiert schon Léon Bloy?
Allen läßt erkennen, daß er diese Hoffnung in das neue Pontifikat nicht teilt, denn das wirklich Erstaunliche an der Stimmung der „Moderaten“ sei, daß unter ihnen „das Mißtrauen nicht schon Fuß gefaßt hat“. Laut Allen würden bestimmte Worte und Schritte des neuen Papstes nichts Revolutionäres versprechen. Aus den Zeilen ist unschwer zu entnehmen, daß er und NCR-Leserschaft dies zutiefst bedauern. Laut dem Vatikanisten starren alle auf die Gesten des Papstes und bejubeln diese, aber kaum jemand beachtet dessen Worte. Entweder werden sie einfach überhört oder man tue so, als würden sie etwas anderes aussagen, weil sie Schritt um Schritt das mit der Bekanntgabe seiner Wahl virtuell erzeugte Bild des argentinischen Papstes widerlegen und damit die voreilige Erwartungshaltung bloßstellen.
Im letzten Teil seines Aufsatzes liefert Allen einige Zitate aus Papstansprachen, um seine These „überhitzter“ Erwartungen, die sich schnell ins Gegenteil verkehren könnten, zu stützen. Und überhaupt könnte man Allens Ausführungen ergänzen: Wer zitiert denn schon heute Léon Bloy?:
„In seiner ersten Predigt in der mit den Kardinälen in der Sixtinischen Kapelle am Tag nach seiner Wahl zelebrierten Messe, zitierte Franziskus den französischen Schriftsteller Léon Bloy: ‚Wer nicht zum Herrn betet, betet den Teufel an“. Wenn jemand gewollt hätte, hätte der Satz als ein spektakulärer Mangel an Taktgefühl gegenüber den Nicht-Christen gesehen werden können. Stünden wir einem Papst gegenüber, der beim Amtsantritt im Gepäck den Ruf eines ‚Rottweilers Gottes‘ mitgebracht hätte, statt den eines Mannes, der für die Demut und die Einfachheit superenthusiastischen Zuspruch auf sich zog, ist es nicht schwer sich auszumalen, was für einen Zwischenfall das ausgelöst hätte.
Am vergangenen Dienstag zelebrierte Franziskus zu seinem Namenstag, dem Gedenktag des Heiligen Georg, die Messe in der Cappella Paolina. Dabei sagte er: ‚Es ist nicht möglich Jesus außerhalb der Kirche zu finden‘. Wiederum fällt es nicht schwer, sich vozustellen, wie dieser Satz aufgenommen worden wäre, wenn ihn Benedikt gesagt hätte.
In Wirklichkeit ist es unwahrscheinlich, daß Franziskus in Fragen des Glaubens und der Moral in Zukunft irgendeine wirkliche Abweichung sowohl von Johannes Paul II. als auch von Benedikt XVI. zeigen wird, und früher oder später wird sich auch Franziskus dieselben Reaktionen und denselben Widerspruch zuziehen, auch wenn die größte Enttäuschung in seinem Fall aus einem anderen Lager kommen wird.
Der Kapuziner Pater William Henn hat am 19. April auf diese Gefahr angespielt im Rahmen eines Runden Tisches über den ersten Monat des Pontifikats von Franziskus, der von der von Jesuiten geleiteten römischen Universität Gregoriana organisiert wurde. Henn war gefragt worden, einige Worte über die Reaktionen in den USA zu sagen. Er führte aus, daß die Demut des neuen Papstes gut bei den egalitären Instinkten der Amerikaner ankommt.
Henn mahnte dann jedoch zur Vorsicht: ‘Natürlich wird seine Lehre zu verschiedenen Fragen der offizielle Lehre der katholischen Kirche der vergangenen Jahre treu sein, und das wird von den Medien und einigen Teilen der Gesellschaft, und sogar von einigen Gruppen innerhalb der Kirche nicht gut aufgenommen werden.‘
Es scheint überflüssig hinzuzufügen, daß das eine Einschränkung ist, die nicht nur für die USA gilt…“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Cantuale Antonianum