von Klaus Obenauer
Die Sache der Aussöhnung der Piusbruderschaft (FSSPX) mit Rom ist ins Stocken geraten; und den leidenschaftlichen Diskurs darüber hat inzwischen das Schicksal der Ermüdung ereilt. Dennoch: Die jüngste Wortmeldung von Bischof Fellay, von der auf diesem Forum berichtet wurde, scheint mir unbedingt der Mühe wert, den Gesprächsfaden von seiten des theologischen Beobachters noch einmal aufzunehmen.
Gerade aus einem gewissen Abstand heraus muß man sich erneut die Frage stellen: Warum eigentlich dieser Konflikt? Warum diese lähmende Prolixität – wo wir doch eigentlich klare Prinzipien zur Hand haben müßten, wie er nach welchen Maßstäben zu überwinden, zu lösen wäre? Wenn der Anwendung solcher Prinzipien etwas im Wege steht: dann hat dies wohl zu tun mit uneingestandenen Handlungsmaximen, welche die eigentlichen Maßstäbe nicht zum Zuge kommen lassen. Auf der Seite der FSSPX sehe ich hier das Problem von Eigentraditionen, die mit der vom Gründer vorgegebenen ‚ratio agendi‘ („Betriebsphilosophie“) zu tun haben; auf der Seite Roms und gerade der gegenwärtigen Amtsinhaber hat es wohl etwas zu tun mit dem rechten Verhältnis von Dogma und Hermeneutik. Wenn ich dies so formuliere und damit meinerseits beide Seiten „in die Pflicht nehme“, gerate ich natürlich selber in die Schußlinie: steht doch der Vorwurf an mich im Raum, den ehrlichen Makler zwischen Kontrahenten spielen zu wollen, die ich als gleichberechtigt ansehe. Letzteres ist aber nicht der Fall. Dennoch betrachte ich es als mein gutes Recht, im Wissen um recht enge Grenzen, von denen noch die Rede sein wird, und im Bewußtsein meiner eigenen fehleranfälligen Perspektivität eben auch an die römischen Amtsträger die Frage zu richten, ob sie wirklich in allem den Maßstäben gerecht werden, die heranzuziehen sind in bezug auf diesen Konflikt, der erheblich mit Grundsatzfragen zu tun hat.
Zur Anerkennung des Novus Ordo
Was die leidige Frage der Anerkennung des ‚Novus Ordo Missae‘ (NOM) angeht: zwischen den Zeilen der jüngsten Ausführungen Bischof Fellays glaube ich einen wichtigen Hinweis entdecken zu können, wie sich diese Streitfrage beziehungsweise der Konflikt um diesen Verhandlungspunkt entschärfen ließe: „Sie [scil. die ‚neue Messe‘] ist schlecht. Das habe ich Rom geantwortet. Wir sprechen normalerweise nicht über die Rechtmäßigkeit, wir sagen einfach, daß die [scil. ‚neue‘] Messe schlecht ist[,] und das genügt“, so wird Bischof Fellay auf diesem Portal in deutscher Übersetzung zitiert. Einfach von „schlecht“ zu reden im Unterschied zur Rechtmäßigkeit, dies insinuiert einen sehr wichtigen Unterschied von meines Erachtens großer Tragweite. Schlicht „schlecht“ ist nicht schon dasselbe wie „intrinsisch schlecht“. Letzteres markiert die wesentliche und nicht nur umstandsbedingte Verwerflichkeit nach dem Maßstab rechten, also sittlich relevanten Handelns: „sub recta ratione agibilium“, wie man dies scholastisch nennt. Daneben gibt es das „schlecht“ im Sinne von „schlecht gemacht“ oder „schlecht ausgeführt“, nämlich nach den „Regeln der Kunst (Wissenschaft, Handwerk etc.)“; solches ist schlecht „sub recta ratione factibilium“. Ein Diebstahl ist schlecht „sub recta ratione agibilium“ (= wesentlich sittlich verwerflich), ein ärztlicher Kunstfehler dann jedenfalls, wenn der Arzt nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat, nur „sub recta ratione factibilium“. – In bezug auf den NOM: Man mag beste Gründe haben, diesen NOM als schlecht „sub recta ratione factibilium“, also als „schlecht gemacht“ zu bezeichnen (was natürlich nicht ohne sittliche Relevanz ist in bezug auf jene, die ihn zu verantworten haben). Dies bedeutet jedoch noch lange nicht, sich darauf versteifen zu müssen, er sei schlecht „sub recta ratione agibilium“ dahingehend, daß die (selbstredend rubrikentreue) Praxis des NOM seitens der zelebrierenden Priester und der teilnehmenden Gläubigen sittlich verwerflich sei. Natürlich sind gerade in diesem Fall beide Ebenen nicht ohne Bezug zueinander: Aber insofern der NOM als Ausdruck des Glaubens der Kirche an die eucharistische Realpräsenz Christi und den Opfercharakter der heiligen Messe entschieden zu „schmalspurig“ ausgefallen ist, so ist dies ein Umstand, dem in seinen zu befürchtenden schlechten Auswirkungen (weshalb der NOM „schlecht gemacht“ ist) abgeholfen werden kann [1]Gestaltung, Katechese etc.), weshalb Zelebration und Teilnahme daran z.B. keine aktive oder passive Glaubensgefährdung und somit intrinsisch verwerflich sein müssen. (Ich lasse mich meinerseits … Continue reading
Und so wage ich jedenfalls die Frage, ob im Sinne der Selbstvergewisserung in bezug auf die eigene ‚ratio agendi‘ auch in geschichtlicher Hinsicht der FSSPX nicht folgende Präzisierung ihrer eigenen Position möglich wäre: Demnach war (und ist) der NOM dermaßen defektiv („sub recta ratione factibilium“), daß es für „uns“ bzw. „unseren“ Gründer – angesichts seiner und unserer Sendung – in dieser Situation geboten war, die Praxis des NOM zu verweigern und mit dem Festhalten am tridentinischen Ritus ein deutliches Zeichen gegen die schwer krisenhaften Zustände, die sich faktisch mit der Einführung des NOM verbanden, zu setzen; ohne daß dies heißt, prinzipiell oder generell für jeden Einzelfall konstituierten Zelebration des NOM oder Teilnahme daran ein objektiv verwerfliches Tun („sub recta ratione agibilium“).
In der Anwendung wohl kaum im Sinne des „Erfinders“, dessen Person bei den Traditionalisten denn auch kaum weniger als andere mißliebig ist: Aber mir scheint, Karl Rahners berühmte Unterscheidung zwischen Prinzipien – die umschreiben, was aus Wesensgründen- und zusammenhängen heraus zu tun oder unbedingt zu unterlassen ist – und Imperativen – die solches benennen, was situationsbedingt ad hoc geboten ist – könnte hier weiterhelfen. Daß die Praxis des NOM zu unterlassen ist, wäre demnach kein Prinzip, aber unter Umständen für bestimmte Personen in bestimmten Kontexten ein Imperativ.
Dies zunächst im Sinne einer Selbstvergewisserung auf seiten der FSSPX, die es einem dort unter Umständen erleichtern würde, die verlangte Anerkennung der Rechtmäßigkeit des NOM zu leisten. Aber auch als Basis einer Verständigung über die Rolle der FSSPX: Aufgrund ihrer spezifischen Sendung sieht sie es als für sich geboten an, auf die Praxis des NOM zu verzichten, ohne deshalb auf die prinzipielle Verwerflichkeit seiner Ausübung außerhalb ihrer Reihen zu erkennen. Daß sie es als dringend geboten ansieht, den NOM generell hinter sich zu lassen, während man dies außerhalb (zum Großteil jedenfalls) entschieden anders sieht: diese Spannung im Leben der Kirche wird man aushalten müssen, um freilich längerfristig auf beiden (!) Seiten bestehende Anstößigkeiten für den jeweils anderen abzubauen.
Ich meine, auf dieser Grundlage müßte eine Verständigung möglich sein. Im Gegenzug möchte ich denn auch eines deutlich machen: Man mag die nach dem Zweiten Vatikanum eingetretene Situation als noch so einmalig und noch nie dagewesen empfinden und ansehen. In ekklesiologischer Instanz sind deutliche Grenzziehungen zu benennen, was die Anerkennung oder Bestreitung der sittlichen Vertretbarkeit von Praxen angeht, die der oberste kirchliche Gesetzgeber anordnet („sub recta ratione agibilium“); dies zumal in einer so erstrangigen Angelegenheit wie der heiligen Liturgie, allem voran des Ritus der Sakramente und des Meßopfers. Prominenteste, wenn nicht die große Mehrheit der Theologen erkennen auf die Unfehlbarkeit des obersten kirchlichen Gesetzgebers, dergestalt, daß seine Anordnungen in sittlicher Hinsicht einwandfrei sein müssen. [2]Als repräsentatives Beispiel: Louis Billot, De ecclesia Christi XI § 3: tom. 2, Rom 1899, 151–153. Das lehramtliche Rückgrat für diese These liegt mit dem 78. Verurteilungsartikel Pius‘ VI. gegen die Synode von Pistoja vor (DS 2678). [3]Und dies gilt auch für alternativische Verpflichtungen, mit Blick nämlich auf den Einwand, der tridentinische Ritus sei ja nicht prinzipiell verboten gewesen; der oberste kirchliche Gesetzgeber … Continue reading
Wie gesagt: zumindest mit Blick auf so wichtige Materien wie die Ordnung der (zumal sakramentalen) Liturgie muß an dieser Indefektibilität, dem Nicht-versagen-Können des obersten Gesetzgebers in der Kirche, nämlich in dessen Garantiefunktion für die sittliche Rechtheit des von ihm Befohlenen, festgehalten werden. Mit der wesenhaften Heiligkeit der Kirche (qua „sanctitas in principiis“) ist es unvereinbar, daß die höchste Gewalt in der Kirche im innersten Heiligtum der Gottesverehrung und Heiligung der Seelen einen Ritus verordnet, der dem Herrn ein Greuel und deshalb zu unterlassen ist. Mit Blick auf die historischen Fakten um das Jahr 1970 herum hätte dies ja bedeutet, daß für den weitaus größten Teil der Gläubigen die (wenigstens regelmäßige) Teilnahme an einem sittlich integren sakramentalen Gottesdienst unmöglich geworden wäre: sententia quam maxime absona.
Die Indefektibilität der Kirche eben auch in ihren essentiellen Grundvollzügen, die in bezug auf die Lehre und mit der Lehre verbundene Garantien verschiedenster Art eben „Unfehlbarkeit“ heißt, ist einer jener Prinzipalpfeiler des katholischen Kirchenverständnisses, die man eben auch seitens der FSSPX nur um den Preis der Selbstaufgabe ansägen kann; ansägen, indem man die Sicherheit dieses Prinzips in bezug auf partielle Gegenstände, mit denen man konkrete, nachvollziehbare Schwierigkeiten hat, wie eben die liturgische Gesetzgebung, einfach mal suspendiert. Denn die Anfragen an die konziliäre bis nachkonziliäre Lehramtsausübung, das Beharren auf „der Tradition“: all dies hat doch nun mal seinen Hintergrund in jenem verbindlichen Sprechen des Lehramts der Vergangenheit, das in letzter Instanz eben der Unfehlbarkeit aufruht. Und als jene Garantiefunktion, die sich auf den Beistand des Gottesgeistes stützt, um das Gelingen der Heilsvermittlung der Kirche in Lehre und Leitung für ihre Glieder zu gewährleisten, muß diese Unfehlbarkeit diesseits problematischer Maximalismen doch so weit genommen werden, wie es diese Heilsvermittlung erfordert, um nicht in ihren Grundfesten bedroht zu werden. Letzteres wäre aber der Fall bei einer liturgischen Gesetzgebung, die nahezu den ganzen Gottesdienst wesentlich, aus der Natur der Sache heraus zu einem gottwidrigen Werk degenerieren ließe [4]etwas anderes ist das womögliche sträfliche Vernachlässigen bestimmter Umstände, die faktisch, aber eben nicht ‚de iure‘ solche Verfallserscheinungen mit sich bringen. Von daher meine ich, und zwar mit allem Wohlwollen bei noch so viel kritischer Distanz: In eigenem Interesse, dem der Selbstkonsistenz ist man seitens der FSSPX bestens beraten, die eigene Kritik an der Liturgiereform und entsprechend die eigene Handlungsoption im oben angedeuteten Sinne zu präzisieren oder gegebenenfalls auch zu transformieren. Die besagten Ausführungen von Bischof Fellay scheinen mir einen deutlich Anhaltspunkt in diese Richtung aufzuweisen.
Anerkennung des Konzils: Minimum oder Maximum?
Damit bin ich schon beim zweiten Punkt angekommen, will heißen der ersten der vom Papst (laut Bischof Fellay) geforderten Voraussetzungen: Anerkennung der unveräußerlichen Zuständigkeit des Lehramts, über den Inhalt der Apostolischen Tradition zu befinden. An sich ist dieser Punkt ja alles andere als strittig: diesseits und jenseits der Grenzverläufe zwischen „Rom-Observanten“ und FSSPX ist man sich über diese Zuständigkeit einig. Eher strittig oder unklar oder gar auf seiten der FSSPX problematisch angefragt ist die Tragweite. Konkret mit Blick auf das nach-/konziliäre Lehramt: Wie weit können Dysfunktionen dieses Lehr- und Hirtenamtes gehen, so daß gegenüber dessen Verlautungen und Maßnahmen kritische Distanzierung angebracht ist, die ihrerseits freilich Fundament und Maßstab am Lehramt der Vergangenheit hat? Wie weit können diese Dysfunktionen gehen angesichts von Gottes Beistandsverheißung, die bzw. wie sie in ihrer spezifischen Dichte gerade für das katholische Kirchenverständnis konstitutiv ist? Ich denke, die Grenzen sind hier recht eng; und es gilt, sich über sie selbstkritisch Rechenschaft zu geben; und ich beziehe mich persönlich mit ein, der ich viel Wohlwollen und Verständnis für die FSSPX gezeigt habe. Für eine ausführliche Erörterung bleibt hier kein Platz. Aber ich möchte doch auf einige Stellen im Denzinger (-Schönmetzer / Hünermann) verweisen, aus denen hervorgeht, daß für die Annahme von Verdunkelungen der Wahrheit durch das Lehramt a priori nur ein ziemlich begrenzter Spielraum bleibt, so daß die Behauptung apokalyptisch-katastrophaler Defizite je nachdem gar von der Häresie nicht mehr zu unterscheiden ist [5]„vom Glauben abgefallenes Rom“ etc.; aus denen ebenso hervorgeht, wie wenig es angeht, sich in einer Parallelexistenz einzurichten, welche die disziplinarischen Maßnahmen des Hirtenamtes mißachtet. Sicherlich: diese Stellen haben kirchengeschichtlich einen Kontext (Jansenismus, Quietismus und Aufklärung), der mit der nachkonziliären Situation nur bedingt zu vergleichen ist, so daß sich ein vorschnelles „da haben wir es ja“ verbietet. Dennoch tut man gut daran, folgende Lehrverurteilungen zu beherzigen und sich selbstkritisch damit auseinanderzusetzen: DS 2491 / 2492 / 2496 / 2601.
Diese Ausführungen werden auf seiten der FSSPX freilich als Zumutung empfunden. Aber eine konsequent-prinzipientreue Rechenschaft über die legitimen Rahmenbedingungen des Streites, die zur Auflösung desselben unabdingbar ist, kann die Konfrontation mit solchen Grenzziehungen nicht umgehen.
Im Gegenzug: Das Richteramt des Lehramtes über die Inhalte der Tradition (wie über die rechte Schriftauslegung) bedeutet jedoch offenkundig nicht, es könne niemals notwendig werden, daß die Vertreter dieses Lehramts mit dem Anspruch von Heiliger Schrift und Tradition und in eins damit des Lehramts der Vergangenheit konfrontiert werden müssen. In dem Maße, als das lehramtliche Sprechen nach seiner (materialen und formalen) Verbindlichkeit vorläufig (mithin nicht infallibel) ist, ist solches prinzipiell möglich, kann die Möglichkeit eben von „Dysfunktionen“ nicht abgewiesen werden. Wenn Joseph Ratzinger in seinem berühmten Kommentar zu „Dei Verbum“, freilich unter ökumenischem Vorzeichen, die Benennung einer kritischen Funktion der Heiligen Schrift gegenüber konkreten Traditionsvorgängen [6]unter offensichtlich maßgeblich lehramtlicher Verantwortung als verbliebenes Desiderat benennt [7]LThK2 13, 524–526, so wird man (bei urkatholischer Sicht der Zusammenhänge) um so weniger die Möglichkeit abweisen, die sog. „nächste Glaubensregel“ („regula fidei proxima“ = die lehramtliche Auslegung von Schrift und Tradition), wie sie in der Vergangenheit verbindlich formuliert wurde, kritisch an die gegenwärtige Lehramtsausübung heranzutragen. Wie weit solche Dissonanzen auf der zeitlichen Achse der Lehramtsausübung [8]im Rahmen freilich nicht-endgültigen Sprechens, also ohne göttliche Wahrheitsgarantie gehen können, das ist eine schwierigere Frage; und zu konkreten historischen Vorkommnissen, die mit der Möglichkeit des irrenden Lehramtes (von nicht geringem Gewicht) konfrontieren, weiter unten. Ich denke nach wie vor, daß es sinnvoll ist, folgendes festzuhalten: Ebensowenig wie es möglich ist, daß ein Papst hartnäckig auf einem Glaubensirrtum beharrt, ohne das Papstamt zu verlieren [9]ganz gleich, ob der „papa factus haereticus“ möglich ist, ist es möglich, daß auf einem Ökumenischen Konzil die moralische Gesamtheit des Lehrkörpers mit dem Papst an der Spitze [10]bei der Ausübung des Lehramts diesseits endgültig verpflichtender Lehrvorlagen in, und sei es nur materiellen, Widerspruch zum Glauben tritt. Man mag jetzt darüber streiten, ob sich dies nur auf den „göttlichen Glauben“ bezieht [11]also in bezug auf das, was per se als Inhalt der Offenbarung Gottes feststeht oder auch auf den „kirchlichen Glauben“ [12]der beinhaltet, was aufgrund des Glaubens an Gottes Beistand für die lehrende Kirche mit letzter Gewißheit feststeht: wie z.B. bei einer Heiligsprechung oder eben auch Lehrverurteilungen.
Damit bin ich bei einem weiteren wichtigen Punkt: Was heißt „die Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils als Teil dieser Tradition“ (laut Referat in katholisches.info)? Unsereins hat freilich keinen Einblick in die „Verhandlungsmasse“. Aber was ich aus dieser Formulierung und auch den Referaten und Darlegungen Pater Schmidbergers [13]im Interview bzw. Editorial der Oktober- und Novemberausgabe des Mitteilungsblattes der FSSPX Deutschland heraushöre oder zwischen den Zeilen lesen zu können glaube, läßt mich doch folgende Frage formulieren: Was ist wirklich verlangt? Eine vollumfängliche positive Anerkennung des Zweiten Vatikanums? Oder nur eine solche, die zugibt, daß monierte Dissonanzen mit den Ausführungen des Vorgängerlehramts eben nicht so weit gehen, daß damit dem Glauben (eindeutig) widersprochen wäre (wie oben kurz erläutert)? Dies wäre mit anderen Worten also nur ein „Unbedenklichkeitsattestat“, das vollumfänglich nur in negativer Instanz seitens der FSSPX „auszustellen“ wäre. Ich kann die Frage freilich nicht entscheiden. Aber ich meine, die Konflikt- bzw. Verhandlungsmaterie gehörte daraufhin sondiert. Und aus meinen obigen Ausführungen geht freilich hervor, daß eine solche Anerkennung der Traditionskonformität des Konzils, die vollumfänglich nur in negativer Instanz zu leisten ist („kein Widespruch zu dem, was ‚de fide‘ feststeht“), (als Minimum) eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, deren Verweigerung a priori ausgeschlossen ist. Das Gegenteil zu behaupten hieße ja, die Kirche sei als Hüterin des Glaubensgutes von sich selber abgefallen.
Da also – nach meinem eigenen fehleranfälligen Ermessen – das oben zu umschreiben gesuchte Mindestmaß sowohl an Anerkennung des NOM [14]als nicht intrinsisch verwerflich und somit erlaubt [„liceitas“] als auch an Zustimmung zum Konzil (in vollumfassend nur negativer Instanz) unabdingbar ist, und nur das unabdingbar, unabdingbar von den ekklesiologischen Prinzipien her, mit welchen man nämlich sein entschiedenes Katholisch-Sein-Wollen verraten würde: deshalb reduziert sich alles auf die entscheidende Frage, ob man von römischer Seite sich auf dieses indispensable minimale Anforderungsprofil beschränkt oder eben mehr verlangt. Von Relevanz ist dies vor allem in bezug auf die Konzilsmaterie. Von meinem Standpunkt [15]mit begrenztem Einblick in Verlauf und Stand der Verhandlungen her gesehen, wäre die Abklärung des Anforderungsprofils im angedeuteten Sinne einer Sondierung wert. Daran scheint mir viel zu hängen.
Desiderate seitens der römischen Amtsträger
In Spannung zu dieser Mutmaßung, es könne in umfassender Instanz nur besagte negative Anerkennung verlangt sein, steht natürlich das bloße Zugeständnis der Kritik nur an „einzelnen Formulierungen“ etc., wie es als Erbe der Erstfassung der „Doktrinellen Präambel“ zumindest immer noch im Umlauf ist.
Was nun solche „Kritik an einzelnen Formulierungen“ etc. angeht, so, glaube ich, ist eine methodische Unterscheidung von einigem Gewicht angebracht: die Sache mit „Dignitatis humanae“, worin zweifelsohne mit einer Jahrhunderte währenden Lehrvorlage in diesen Materien gebrochen wurde [16]was eben nicht schon besagt, mit der Tradition sei gebrochen worden – und der Restbestand der konziliären Verlautbarungen. Sehen wir bei diesem Rest von „Gaudium et spes“ einmal ab, das mir denn auch am wenigsten urgiert zu werden scheint [17]schon wegen seiner offenkundigen Zeitbedingtheit und Zeitgebundenheit: meinerseits glaube ich, die Behauptung verantworten zu können, daß man diesem Restbestand – betreffs der Konzinnität mit „der Tradition“ – eine umfassend positive Zustimmung geben kann, zumindest wenn man die Möglichkeit der Kritik „an einzelnen Formulierungen“ etc. nicht zu eng auslegt. Eine einigermaßen zufriedenstellende Illustration kann hier wirklich nicht geleistet werden, auch wenn ich mich auf die wichtigsten Schwerpunkte beschränken wollte.
Auf eines sei näher eingegangen: In dem Maße jedenfalls, als eine positive Anerkennung gefordert wird, ist es strengste Pflicht aller, die in Rom maßgeblich Verantwortung tragen, keine Ärgernisse zu geben: indem man Erklärungen zur Tragweite einzelner konziliärer Verlautbarungen abgibt, die den Eindruck erwecken, mit der Anerkennung entsprechender Dokumente verbänden sich unvertretbare Relativierungen unaufgebbarer Inhalte des Glaubensgutes, wie sie vom Lehramt der Vergangenheit mit (letzter) Entschiedenheit dargelegt wurden. Mir geht es nicht darum, mich auf jemanden einzuschießen; aber die wiederholten Ausführungen von Kardinal Kurt Koch zu „Nostra Aetate“ (= NA) provozieren eine sehr kritische Anfrage; zumal die Sache mit „Nostra Aetate“ mit das mustergültigste Beispiel für die unnötige Verlängerung eines Konfliktes ist, der mit Rückgriff auf die einschlägigen Prinzipien ohne weiteres zu lösen wäre. Und beschränken wir uns hier auf die Sache „mit den Juden“. Daß wir angesichts der Shoah und der problembehafteten Vorgeschichte im christlich-jüdischen Verhältnis nach mehr Verständnis füreinander, Gespräch miteinander etc. suchen, um (überflüssige) Konflikte und (unnötige menschliche) Entfremdung abzubauen; daß wir uns in diesem Kontext auf eher vergessene Wahrheiten, die im NT jedoch klar bezeugt sind, besinnen, wonach nämlich die Berufung des Volkes des ersten Bundesschlusses durch die Verweigerung seinem Christus gegenüber nicht einfach nichtig, mithin dieses Volk selber nicht einfach zu einem heilsgeschichtlichen Nichts geworden ist: all dies ist kein Problem beziehungsweise dürfte keines sein. Wo das Festhalten an überholten Theologoumena, gar zur Kultivierung von Ressentiments, daran hindert, solche Postulationen und Klarstellungen als legitim anzuerkennen, dort ist man denn auch schlichtweg ins Unrecht gesetzt, wenn man (deshalb) mit NA Probleme hat. – Im Gegenzug: Wenn man [18]gesagt mit Blick auf Kardinal Kochs Vortrag vom 29. Oktober d. J. jüdische Existenz zumindest deutlich an den Status sozusagen einer zweiten ordentlichen Weise des einen Heilswegs „Christus“ heranrückt, die dann ohne ausdrückliches Bekenntnis zu Christus auskommt, leistet man der Transparentierung von NA hin auf die Tradition einen Bärendienst. Dasselbe gilt, wenn ich aus Synagoge und Kirche Christi das eine Volk Gottes („simpliciter dictum“) schmieden will [19]gesagt mit Blick auf Kardinal Kochs Angelicum-Rede vom 16. Mai d. J.. So etwas disharmoniert ebenso mit dem Dogma, wie es die doktrinalen Linienführungen des Zweiten Vatikanums, wie sie zumal in „Lumen gentium“ (= LG) greifbar werden, eklatant verzeichnet. Das Dogma, wie es auf dem Konzil von Florenz [20]und sei es für uns heute noch so anstößig formuliert wurde, sagt klar, daß der Alte Bund in Christus erfüllt ist, mithin das Zeremonialgesetzt zu halten sich (objektiv) für alle verbietet [21]weshalb die Kirche ihren Gliedern dessen Einhaltung eigens untersagt, wie umgekehrt die Präsenz Christi in seiner Kirche ausnahmslos für alle, eben auch für die Juden, als Heilsmittel verbindlich ist: DS 1347sq. / 1351. [22]Hinter dem Florentinum als „nächster Glaubensregel“ steht freilich das klare Zeugnis des NT. Und gemäß der Lehrdarlegung des Zweiten Vatikanums [23]bes. LG 13Ende – 16 ist der Bezugsrahmen die Katholizität der Kirche Christi, die sich auf verschiedene Weise auch dort noch zur Geltung bringen kann, wo man ohne eigene Schuld ihr (einfachhin oder gänzlich) nicht eingegliedert ist. Und eine dieser Weisen ist die Hinordnung auf das Volk Gottes, die Kirche, die auf besondere Weise dem Volk der ersten Erwählung zu eigen ist. [24]Allerdings hat das Konzil – eben ein Fall für „Kritik an einzelnen Formulierungen“ etc. – hier meines Erachtens nicht der Ambivalenz jüdischer Existenz nach Christus Rechnung … Continue reading – Um es also auf den Punkt zu bringen: Das Konzil von Florenz und das Zweite Vatikanum mögen höchst verschiedene Akzente gesetzt haben, welche Divergenz in der Akzentsetzung nicht unproblematisch sein mag. Dennoch ist mit Blick auf das Themenfeld „Kirche und Juden“ der Streit um das Konzil von Rechts wegen gegenstandslos. Es ist ein Ärgernis, daß er künstlich am Leben gehalten wird: und gerade hier sind es römische Amtsträger, die, sehr dringend, in die Pflicht zu nehmen sind. Es ist ein sehr schweres Ärgernis, wenn zumindest der Eindruck erweckt wird, als sei mit dem Verweis auf NA und seine Nachgeschichte (unter Johannes Paul II etc.) eine (zumindest faktische) Relativierung oder Unkenntlichmachung der Ansprüche des Florentinums gewollt; gewollt um der „guten Beziehungen“ zu maßgeblichen Repräsentationen des Judentums willen, auch wenn damit die Versöhnung der FSSPX mit Rom unnötig belastet, wenn nicht geopfert wird. Nie hätte ich in meinem langjährigen Verfolgen des Konflikts der FSSPX mit Rom, sozusagen schon von Kindesbeinen an, geglaubt, daß gewisse Anforderungsprofile auf dem diplomatischen Parkett, nämlich für die katholisch-jüdische Verständigung, solche Hindernisse für seine Beseitigung schaffen würden; Anforderungsprofile, wie sie, weiß Gott, nun mal nicht nur von katholischer Seite formuliert werden, denen man sich jedoch römischerseits willigst subordiniert. Ja, hier kann ich meine Empörung nicht verhehlen: das ist schlimm.
Noch einmal etwas anderes sind die allgemeinen religionsphänomenologischen und ‑philosophischen bzw. ‑theologischen Ausführungen von NA. Wie ich in meinem ersten Beitrag auf diesem Forum vor nicht ganz einem Jahr (vielleicht mit etwas zu viel Pathos) schon sagte: Rein sachlich dürften die Ausführungen nicht zu beanstanden beziehungsweise salvierbar sein; im Gesamtduktus offenbart sich hier allerdings mit eine der gefährlichsten Tendenzen des Konzils in der „Würdigung der anderen“. Mir scheint, es wäre wirklich einer Untersuchung wert, ob solche oder ähnliche Ausführungen (wie im Ökumenismusdekret, in „Gaudium et spes“ aber auch hie und da in LG) nicht als Reflexe (!!) eines von einem gewissen „Monismus“ geschwängerten Zeitgeistes zu entschlüsseln sind, ohne daß solcher „Monismus“ – Gott bewahre! – vom Konzil als theoretischer (man denke an Whitehead, Teilhard de Chardin) beziehungsweise auf der doktrinalen Ebene übernommen worden wäre, ein Monismus, der auf ein „All-ein-verständnis“ drängt, um deshalb prophetische Konfrontation (allem voran die Mission) durch den Dialog zu ersetzen. Und vielleicht müssen im nachhinein die genialen Intuitionen des Konzils von der Katholizität der Kirche, wie sie sich gerade in LG manifestieren, verteidigt werden gegen den molochhaften Sog solcher Monismen.
Da sie im Konflikt der FSSPX mit Rom und entsprechend im Streit um NA eine große Rolle spielen, wäre hier vielleicht doch noch ein Wort zu den Assisi-Treffen des seligen Johannes Paul II. zu sagen: Gewisse tragische Folgerungen, die man daran geknüpft hat, sind sicher nicht zu halten [25]„ganz vom Glauben abgefallenes Rom“ etc.. Aber, ganz, ganz ehrlichen Herzens muß ich gestehen, daß es mir ein Rätsel ist, wie man es in Rom schafft, für das gigantische Problem, das diese Veranstaltungen bis zur Stunde [26]zu welcher sie immer noch vielerorts regelmäßig nachgeahmt werden mit sich führen, kaum einen Sinn aufzubringen, jedenfalls insoweit das nach außen greifbar wird. Wer sein Altes Testament gelesen hat, der weiß, daß es eine Un-Möglichkeit ist, den Dienst des Baal und den des einen wahren Gottes in eine einzige Veranstaltung integrieren zu wollen (es sei denn so, wie der Prophet Elias das getan hat). Und das NT ist nicht minder deutlich: cf. 1 Joh 5,20sq. Zumal in einem Aufsatz, in dem ich mit Bestimmtheit Anfragen auch an die FSSPX formuliere, will ich mich da ganz bestimmt niemandem anbiedern oder Zunder liefern; aber: Mir gibt schon zu denken, daß damals, als diese unseligen Treffen abgehalten wurden, „Geist und Kraft des Elias“ nur in zwei Bischöfen sich markant Gehör verschafft hatten: Erzbischof Lefebvre und Bischof Castro Mayer. Man mag sich Reime darauf machen, wie man will, aber das gehört nun mal zur ganzen Wahrheit. – Mit Blick auf den seligen Johannes Paul: Wie man sieht, respektiere ich dessen Seligsprechung und die Verehrung, die Unzählige ihm entgegenbringen, die ich nicht verletzen möchte [27]auch wenn sich dies zu einem gut Teil vielleicht nicht vermeiden läßt. Wie soll jedoch ein „Traditionalist“ damit umgehen? Ich denke, man kann verantworten zu sagen, daß Papst Johannes Paul bei persönlich besten Absichten in das Zwielicht eines Zeitgeistes geraten ist, das ihn über einen gewissen Optimismus die abschüssige Seite dieser gut gemeinten Veranstaltungen übersehen ließ. Kann es eine Art von „Mystizismus“ gewesen sein, der sich mit Grenzziehungen schwer tut? Ich hielte es für vertretbar, es bei dieser Seligsprechung zu belassen, um auf die Kanonisierung zu verzichten. Als Vorbild können Fälle von als Selige verehrter Personen mit mehr oder minder ähnlichen „Abgründen“ (in Praxis oder Lehre) dienen: Karl der Große, Joachim von Fiore, Raimundus Lullus. – Ansonsten gehört das Ärgernis der Assisi-Treffen, wie es in fortwährender Nachahmung leider immer noch im Leben der Kirche präsent ist, endlich aus der Welt geschafft!! Das muß sein, mit derselben Notwendigkeit, mit der der Herr, unser Gott nicht vom ersten Gebot dispensieren kann. Ja, es wird jetzt langsam Zeit.
Es wäre also gut, wenn sich die römischen Amtsträger mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln für die besagte Transparentierung des Konzilstextes auf die Tradition hin verwenden würden – jedenfalls in dem Maß, als von der FSSPX eine positive Anerkennung des Konzils (im erläuterten Sinne) verlangt wird: Es muß klar werden, wie die Innovationen in der Lehrdarlegung sich einfügen in die bleibend verbindliche Umschreibung des Rahmens durch das Lehramt der Vergangenheit, zu dem nun einmal auch die Päpste der großen „pianischen Ära“ gehören; wie ebenso klar sein muß, daß es Mission der FSSPX nicht sein wird, diese Innovationen zu beschwören, sondern (bis in die Diktion hinein) gegen den Sog der Konturlosigkeit das bleibende Profil dieses Rahmens deutlich werden zu lassen. [28]Übrigens: Für höchstrangige Repräsentanten des römischen Lehramts ist es unziemlich, sich aufzuführen wie ein Sozialarbeiter im Blaumann an der Gulaschkanone, der jedem seinen … Continue reading
Der unverdaute Rest von „Dignitatis humanae“ – „Können Konzilien irren“?
Daß mit „Dignitatis humanae“ (= DH) von der bisherigen Linie lehramtlicher Äußerung zum relevanten Themengebiet abgerückt wurde, ist sogar von höchstkirchlicher Instanz bestätigt worden. Daß im Leben der Kirche, freilich unbeschadet ihres Nicht-fehlgehen-Könnens in dem, was sie als zum Glauben gehörig festhält, fehlerhafte Lehrbildungen von nicht unbeträchtlichem Ausmaß auftreten können, ist ein Faktum, mit dem man sich eigentlich auf beiden Seiten, der Kritiker am nach-/konziliären Lehramt ebenso wie der „Konzils-Observanten“, auseinanderzusetzen hat. Mit dem Gros der scholastischen Theologen halte ich dafür, daß die berühmte Bulle „Unam sanctam“ (DS 870sqq.) ihrem Schlußsatz nach [29]nämlich von der Heilsnotwendigkeit für jedermann, dem Papst untertan zu sein eine Kathedralentscheidung ist, mithin ein unfehlbarer lehramtlicher Spruch. Dennoch stellt es bis heute eine gewisse Anfechtung dar, daß dieser Spruch im Kontext einer damals schon überholten Zwei-Schwerter-Theorie steht [30]wobei besagter Schlußsatz eben nicht mit Bestimmtheit zu verstehen gibt, er wolle im Sinne dieser Theorie genommen sein, was den Unfehlbarkeitsanspruch unangetastet läßt: ein Beispiel für einen lehramtlichen Anachronismus, der diesseits letztverbindlichen Sprechens sehr wohl vorkommen kann; ein Anachronismus ungeachtet der Autoritäten, die er für sich vorbringen konnte. – Wenn man umgekehrt den Vorwurf, das Konzil müsse zumal bei DH geirrt haben, mit dem Hinweis pariert, schon Martin Luther habe gesagt, Konzilien könnten irren, dann vergesse man nicht folgendes: Blickt man auf die, Luthers frühe Lehre verurteilende, Bulle „Exsurge, Domine“ (DS 1451sqq.), entdeckt man alsbald, daß Luthers Lehraufstellungen in Sachen Konzilien zwar nicht nur, jedoch gerade auch im Kontext von dessen Bezugnahme auf die Causa des Johannes Hus auf dem Konstanzer Konzil getroffen werden sollen:
„Einige Artikel des Johannes Hus, die auf dem Konzil zu Konstanz verdammt worden sind, sind höchst christlich, höchst wahr und evangelisch, welche nicht einmal die Universalkirche verurteilen könnte [/ so daß sie nicht einmal die Universalkirche verurteilen konnte].“ (DS 1480)
Was sind aber die Artikel des Hus, die Konstanz verurteilt hat, worin Leo X. noch einmal eigens dieses Konzil gegen Luther in Schutz nimmt? Unter anderem folgender:
„Die Lehrer, die die These vertreten, daß jemand, der durch eine kirchliche Zensur [/ Besserungsstrafe] zu bessern ist, dann, wenn er sich nicht bessern will, dem weltlichen Gericht auszuliefern ist, folgen darin mit Bestimmtheit den Hohenpriestern, Schriftgelehrten und Pharisäern, die Christus, der ihnen nicht in allem gehorchen wollte, – indem sie sagten: „Uns ist es nicht erlaubt, irgendjemanden zu töten.“ – ihn eben dem weltlichen Gericht auslieferten; und solche sind schlimmere Mörder als Pilatus.“ (DS 1214)
[Ein Blick auf die konziliären Verhandlungen samt Hus‘ Verhören zeigt, daß tatsächlich die Rechtmäßigkeit kirchlich-staatlicher Kooperation, konkret: der Überstellung an die weltliche Gewalt zum Vollzug der Todesstrafe, eben an ihr selber im Blick war und in Schutz genommen werden sollte: Entsprechend wurde im Verhör vom 8. Juni 1415 als 18. Artikel der Satz verhandelt: „Kein Häretiker ist über die kirchliche Besserungsstrafe hinaus dem weltlichen Gericht zur Bestrafung mit dem leiblichen Tode zu überlassen.“ Und da im Disput mit Hus die Verlesung jener Sätze aus „De ecclesia“, die dann die Grundlage für die oben zitierte Endfassung bildeten, bei den Konzilsvätern zum Eindruck führten, was Hus geschrieben habe, gehe in Wahrheit noch über das hinaus, was die Exzerptoren seiner Lehrsätze festhielten, enthält die Endfassung eben besagten Wortlaut. Dem überlieferten Hergang zufolge entstand bei den Konzilsvätern der Eindruck, es sollten prinzipiell diejenigen, welche die Überstellung von Häretikern ans weltliche Gericht betreiben (oder auch nur befürworten), dessen geziehen werden, wie die Hohenpriester und Schriftgelehrten bei der Passion Jesu zu handeln. – Ich stütze mich hierzu auf die „Relatio des Petrus de Mladenowic“ vom Verhör vom 8. Juni; dokumentiert in: Documenta Mag. Joannis Hus (hgg. von F. Palacky), Osnabrück 1966, (285–315; hic) 293sq. Siehe auch die kurze Notiz bei: C.J. von Hefele: Conciliengeschichte VII (§ 758), Freiburg 1874, 161sq.]
Konstanz bestätigend, nimmt schließlich Martin V. in der Bulle „Inter cunctas“ die Lehre vom Recht der kirchlichen Gewalt, den „weltlichen Arm“ anzurufen, in Schutz (DS 1272). – Daß sich nun solches mit DH 2 und 6 (jeweils am Ende) gehörig „beißt“, versteht sich von selbst. Könnte man von daher nicht denjenigen, welcher die Kritiker des Zweiten Vatikanums (mit Blick gerade auf DH) auf der Seite Luthers loziert, fragen, ob er sich als leidenschaftlicher Verfechter von DH nicht doch recht inkommod auf der Seite von Luther und Hus zugleich wiederfindet?
Aber lassen wir das Spiel mit dem Feuer; klar ist, was gemeint ist. Nimmt man noch DS 1483 (gegen Luther) hinzu, so ist evident, daß das Zweite Vatikanum mit DH eine Lehre vortrug, die nach wesentlichen Implikationen vom (auch konziliären) Lehramt Jahrhunderte zuvor (und nicht erst im 19. Jh.) zensuriert worden war. Allerdings bedürfte es erst einmal einer Erörterung der Tragweite solcher Zensuren (was zum Beispiel ihre Letztverbindlichkeit angeht). Und wenngleich es einiges für sich hat, daß die Verurteilungen in etwa auf „irrig“ („propositio erronea“) gehen sollten, obgleich dies nicht ausdrücklich gesagt wurde (wofür aber die Voten der Theologen wie z.B. Bellarmin sprechen): auch dann ist meines Erachtens immer noch nicht geklärt, was dies exakt besagt; auch dann ist keineswegs eindeutig präjudiziert, daß die entsprechenden (gegenteiligen) Lehrsätze an ihnen selber irreformabel sind. Die Erörterung muß ich hier schuldig bleiben. Entsprechend muß dann auch das Zweite Vatikanum keineswegs dessen geziehen werden, einer Lehre widersprochen zu haben, die „de fide ecclesiastica“ („vom kirchlichen Glauben her“) irreformabel wäre (eben aufgrund des Glaubens an den Beistand Gottes auch bei solchen Lehrverurteilungen); somit bleibt auch prinzipiell positiver Spielraum für die Lehre von DH.
Aber eben nur Spielraum: [31]Natürlich ist die in den herangezogenen Lehrverurteilungen in Schutz genommene kirchlich-staatliche Kooperation zur Verfolgung von Dissidenten für uns heute schlicht keine Option mehr, gleich wie … Continue reading Es stellt sich eben die Frage, wie DH ankommen soll gegen die über Jahrhunderte verbindlich vorgetragene Lehre, und zwar vor dem Hintergrund kirchenamtlich gestützter Praxis, wonach es gerade kein natürliches Recht gibt, (zumal öffentlich) unbehelligt von der staatlichen Gewalt das Dissidententum zu praktizieren. Ich sage: „es stellt sich die Frage, wie“. Und beantwortet ist die bis zur Stunde nicht.
Es ist der eigenen Worte genug. Deshalb sei zum Schluß noch einmal dem Psalmisten das Wort überlassen:
Ecce, quam bonum et quam iucundum: habitare fratres in unum!
Sicut unguentum in capite, quod descendit in barbam, barbam Aaron,
quod descendit in ora vestimenti eius.
Sicut ros Hermon, qui descendit in montes Sion:
Quoniam illic mandavit Dominus benedictionem et vitam usque in saeculum.
Siehe, wie gut und wie köstlich: daß Brüder wohnen in eins!
So wie das Salböl auf dem Haupt, das herabsteigt auf den Bart, den Bart Aarons,
das herabsteigt auf den Saum seines Gewandes.
So wie der Tau des Hermon, der herabsteigt auf die Hügel des Sion:
Denn dort hat der Herr Segen überlassen und Leben bis in Ewigkeit. (Psalm 132/133)
Dr. theol. Klaus Obenauer ist Privatdozent an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn.
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↑1 | Gestaltung, Katechese etc.), weshalb Zelebration und Teilnahme daran z.B. keine aktive oder passive Glaubensgefährdung und somit intrinsisch verwerflich sein müssen. (Ich lasse mich meinerseits hier auf die undifferenziert vorgetragene These der „Schlechtigkeit“ ein, ohne sie durchdiskutieren zu wollen. Es geht hier nicht darum, welcher Standpunkt der richtige, sondern welcher in den Grenzen des legitim Vertretbaren möglich ist. |
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↑2 | Als repräsentatives Beispiel: Louis Billot, De ecclesia Christi XI § 3: tom. 2, Rom 1899, 151–153. |
↑3 | Und dies gilt auch für alternativische Verpflichtungen, mit Blick nämlich auf den Einwand, der tridentinische Ritus sei ja nicht prinzipiell verboten gewesen; der oberste kirchliche Gesetzgeber muß sich dann für die Integrität beider Riten verbürgen, zumal kein Zweifel daran besteht, daß im Zuge der Liturgiereform der NOM etc. mindestens der ungleich mehr favorisierte Ritus war. |
↑4 | etwas anderes ist das womögliche sträfliche Vernachlässigen bestimmter Umstände, die faktisch, aber eben nicht ‚de iure‘ solche Verfallserscheinungen mit sich bringen |
↑5 | „vom Glauben abgefallenes Rom“ etc. |
↑6 | unter offensichtlich maßgeblich lehramtlicher Verantwortung |
↑7 | LThK2 13, 524–526 |
↑8 | im Rahmen freilich nicht-endgültigen Sprechens, also ohne göttliche Wahrheitsgarantie |
↑9 | ganz gleich, ob der „papa factus haereticus“ möglich ist |
↑10 | bei der Ausübung des Lehramts diesseits endgültig verpflichtender Lehrvorlagen |
↑11 | also in bezug auf das, was per se als Inhalt der Offenbarung Gottes feststeht |
↑12 | der beinhaltet, was aufgrund des Glaubens an Gottes Beistand für die lehrende Kirche mit letzter Gewißheit feststeht: wie z.B. bei einer Heiligsprechung oder eben auch Lehrverurteilungen |
↑13 | im Interview bzw. Editorial der Oktober- und Novemberausgabe des Mitteilungsblattes der FSSPX Deutschland |
↑14 | als nicht intrinsisch verwerflich und somit erlaubt [„liceitas“] |
↑15 | mit begrenztem Einblick in Verlauf und Stand der Verhandlungen |
↑16 | was eben nicht schon besagt, mit der Tradition sei gebrochen worden |
↑17 | schon wegen seiner offenkundigen Zeitbedingtheit und Zeitgebundenheit |
↑18 | gesagt mit Blick auf Kardinal Kochs Vortrag vom 29. Oktober d. J. |
↑19 | gesagt mit Blick auf Kardinal Kochs Angelicum-Rede vom 16. Mai d. J. |
↑20 | und sei es für uns heute noch so anstößig |
↑21 | weshalb die Kirche ihren Gliedern dessen Einhaltung eigens untersagt |
↑22 | Hinter dem Florentinum als „nächster Glaubensregel“ steht freilich das klare Zeugnis des NT. |
↑23 | bes. LG 13Ende – 16 |
↑24 | Allerdings hat das Konzil – eben ein Fall für „Kritik an einzelnen Formulierungen“ etc. – hier meines Erachtens nicht der Ambivalenz jüdischer Existenz nach Christus Rechnung getragen: Denn diese Existenz bleibt auf Christus und seine Kirche hingeordnet, insofern dieses Volk mit seinem Gesetz darin seine, immer noch unabgegoltene, Teleologie hat, um zugleich von Christus und seiner Kirche wegzuverordnen, insofern Christus damit als nicht bzw. noch nicht gekommen „bezeichnet“ wird. An diesem Überspringen der eigentümlichen Tragik jüdischer Existenz zeigt sich einmal mehr der harmonistische Duktus des Konzils, vielleicht sein problematischstes Handicap. |
↑25 | „ganz vom Glauben abgefallenes Rom“ etc. |
↑26 | zu welcher sie immer noch vielerorts regelmäßig nachgeahmt werden |
↑27 | auch wenn sich dies zu einem gut Teil vielleicht nicht vermeiden läßt |
↑28 | Übrigens: Für höchstrangige Repräsentanten des römischen Lehramts ist es unziemlich, sich aufzuführen wie ein Sozialarbeiter im Blaumann an der Gulaschkanone, der jedem seinen „Schlacks“ Eintopf verabreicht und gegenüber den empfindlich-maulenden Kostgängern cholerisch darauf besteht, daß gefälligst gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Vel aliis verbis brevius: Muß der Wolf durch dutzende von Interviews den sieben Geißlein zu verstehen geben, daß er sie zum Fressen gern hat? |
↑29 | nämlich von der Heilsnotwendigkeit für jedermann, dem Papst untertan zu sein |
↑30 | wobei besagter Schlußsatz eben nicht mit Bestimmtheit zu verstehen gibt, er wolle im Sinne dieser Theorie genommen sein, was den Unfehlbarkeitsanspruch unangetastet läßt |
↑31 | Natürlich ist die in den herangezogenen Lehrverurteilungen in Schutz genommene kirchlich-staatliche Kooperation zur Verfolgung von Dissidenten für uns heute schlicht keine Option mehr, gleich wie man zur Lehre von DH steht; jedoch ist sie sozusagen die markanteste Verdichtung jener Lehrauffassung, wonach ein natürliches Recht auf staatlich unbehelligte Praxis des Dissidententums nicht besteht; mithin: |