„Steck dein Schwert in die Scheide. Alle nämlich, die das Schwert genommen haben, werden durch das Schwert zugrunde gehen.“ (Mt. 26,52)
Nur weil ich von verschiedener Seite darum gebeten worden bin, nehme ich Stellung zur Kontroverse zwischen Erzbischof Müller, dem neu ernannten Präfekten der Glaubenskongregation, und der Piusbruderschaft, was das Thema der Jungfräulichkeit Mariens in der Geburt („virginitas in partu“) angeht. Entsprechend wähle ich das obige Herrenwort zu meiner Losung und nicht als Mahnspruch, der an andere gerichtet sein soll.
Ich bitte daher vorab um Nachsicht für meine Zurückhaltung, die den einen oder die andere irritieren mag.
1. Der Sachstand und die historischen Hintergründe
Schon die Piusbruderschaft hat klargestellt, daß sie Erzbischof Müller nicht selber einen Häretiker nennt, sondern das, was er in seinem Dogmatik-Handbuch in Sachen „virgintas in partu“ vorträgt, eine Häresie. Ich sage ganz klar: Erzbischof Müller ist nach dem, was sich uns in seinen Äußerungen und Haltungen offenbart, ganz sicher kein Häretiker. Denn: Das eindeutige Bekenntnis zur Glaubensregel in deren formaler Verbindlichkeit ist demnach unzweideutig vorhanden, ebenso der entschiedene Wille, ihr zu entsprechen. Das Problem ist im Gefälle von Dogma und Hermeneutik des Dogmas angesiedelt. Das Dogma selber ist nicht die Streitfrage, sondern eben die Hermeneutik desselben.
Selbstredend kann eine Hermeneutik des Dogmas derart willkürlich verfälschend sein, daß die Bekundung, der Glaubensregel unbedingt treu bleiben zu wollen, zum schieren Lippenbekenntnis degeneriert. Und tatsächlich – und hier wird´s dann spannend – ist die Zensur der Piusbruderschaft, wonach die inkriminierten Ausführungen im Dogmatikhandbuch zur virginitas in partu häretisch sind, ausweislich vieler unverdächtiger traditioneller Dogmatikmanualien, ja der Standardsentenz über die Jahrhunderte hindurch legitim. Allein: Diese Legitimität ist nicht mehr unstrittig. Und sehr vieles spricht dafür (siehe unten!), daß dies leider nur de facto so ist. Nichtsdestotrotz muß man von dieser Strittigkeit auf jeden Fall sagen, daß sie ein Ausmaß hat, das bedingt, daß die formale Orthodoxie Müllers und aller, die ihm folgen, nicht suspekt wird.
Weder will ich mich mit diesen Ausführungen vor der Eindeutigkeit drücken, noch will ich, aus welchen Gründen auch immer, Erzbischof Müller „herauspauken“. Der Hintergrund ist nur dies: In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde in Innsbruck durch den einschlägigen Beitrag Albert Mitterers SJ eine (erneute) Diskussion um die virginitas in partu initiiert. In Frage stand – jedenfalls der Absicht nach – nicht das Dogma, sondern die genaue Abgrenzung seines Inhalts; ob zur wahren Jungfräulichkeit Mariens auch „in der Geburt“ just jene korporalen Sachverhalte (anatomischer und physiologischer Art) gehören, die „konventionell“ darunter subsumiert werden: Schmerzfreiheit, keine Öffnung der Geburtswege (insonderheit in bezug auf das Hymen), (u.U.) Ausbleiben der Nachgeburt; ob mit anderen Worten der volle Sinngehalt des Dogmas ohne diese „Anomalien“ (selbstverständlich im neutralen Sinne zu nehmen!) zu wahren sei. Dokumentiert ist diese Diskussion unter anderem in dem bekannten Aufsatz „Virginitas in partu“ Karl Rahners (abgedruckt in: Sämtliche Werke 9, 653–678), auf den ja auch Müller Bezug nimmt. Während nun Mitterer die These vertrat, gerade um der wahren Mutterschaft Mariens willen müßten besagte Anomalien von der Bestimmung der Jungfräulichkeit in der Geburt ausgeschlossen werden (auf daß „Jungfräulichkeit in der Geburt“ nichts anderes besagt als die Geburt in bezug auf die jungfräuliche Empfängnis), beschränkt sich Rahner im besagten Aufsatz darauf, den (freilich seines Erachtens) sicheren Gehalt des Dogmas ohne Rekurs auf diese Anomalien zu benennen, ohne sich in der Sache selbst dagegen aussprechen zu wollen; wobei es ihm, im Unterschied zu Mitterer, obendrein um einen eigenständigen Sinngehalt der virginitas in partu zu tun ist, der nicht auf den Bezug zur jungfräulichen Empfängnis zu reduzieren ist. Was nun Rahner dazu ausführt, ist das, was in etwas vereinfachter, weniger nuancierter Weise bei Müller zu lesen ist; nämlich in seiner Katholischen Dogmatik (Sonderauflage 2010, 497–499). – Allerdings: Im Unterschied zu Rahner im besagten Aufsatz scheint sich Müller (hier eher wie Mitterer) auf den Ausschluß dieser „Anomalien“, also der besagten anatomisch-physiologischen Inhaltsbestimmungen, festzulegen: Der Wortlaut auf Seite 498 seiner Dogmatik (mit eben den Sätzen, an denen die Piusbruderschaft Anstoß nimmt) scheint jedenfalls besagte Inhaltsbestimmungen einer „gnostisch-dualistischen Mißdeutung“ zuzuweisen. Damit geht er über Rahner hinaus. Und damit wird er freilich auch objektiv angreifbarer.
Nun gelten, mit Blick auf die „traditionalistischen“ Theologen, Rahner und wohl auch Mitterer kaum als unverdächtige Garanten einer dem Dogma treuen theologischen Diskussion. Allein: Wie Rahner im besagten Aufsatz referiert (loc.cit., 653–656): Mitterers These fand nicht nur Gegner, sondern auch Rezipienten, wennauch vorsichtige Rezipienten. Und unter anderem erwähnt Rahner den wohl als unverdächtig geltenden Ludwig Ott. Ich beziehe mich hier auf die elfte und letzte Auflage seines berühmten Grundrisses der Dogmatik (Bonn 2005). Auf Seite 300sq. lesen wir dort: „Die nähere Bestimmung, worin die jungfräuliche Unversehrtheit in der Geburt nach der physiologischen Seite besteht, gehört nicht zum Glauben der Kirche … Die theologische Erklärung bringt die körperliche Unversehrtheit bei der Geburt in Zusammenhang mit der Freiheit von der ungeordneten Begierlichkeit. Diese hatte eine einzigartige Herrschaft der geistigen Kräfte über die körperlichen Organe und Vorgänge zur Folge. Daraus ergibt sich, daß sich Maria bei der Geburt Jesu vollkommen aktiv verhielt, wie es auch die heilige Schrift andeutet (Lk 2,7) … Die körperliche Unversehrtheit ist das materielle Element der Jungfräulichkeit in der Geburt, während das Fehlen sexueller Affekte das formelle Element ist.“ – Ähnlich äußerte sich Alois Müller im Lexikon für Theologie und Kirche (2. Auflage 1962, Band 7, 30).
Ich muß erneut um Nachsicht bitten: Was ich hier vorlege, ist kein wissenschaftlicher Fachaufsatz. Dazu müßte sorgfältigere Recherchearbeit geleistet werden. Aber die soeben angedeuteten Umstände scheinen mir doch folgenden Schluß zu erlauben: Müllers Ausführungen stehen in einer recht breiten Strömung der Gegenwartstheologie, deren Erstreckung bis hin zu eindeutig unverdächtigen Personen reicht. Allerdings kam es 1960 zu einem Monitum des Heiligen Offiziums, in der Diskussion um die virginitas in partu nicht Wege zu beschreiten, die klar der überlieferten Lehre der Kirche oder dem frommen Empfinden der Gläubigen entgegengesetzt sind. (Diese Information verdanke ich der Lektüre von „Straight answers“ von William Sanders: unter www.ewtn.de; unter AAS konnte ich dieses Monitum leider nicht verifizieren.) Jedoch beläßt es diese Sentenz bei der Ambiguität: Die Warnung als solche spricht zwar sehr zugunsten des „konventionellen“ Verständnisses, der Verzicht jedoch, den konkreten Inhalt durch eindeutige Zurückweisung entsprechender Sentenzen zu schützen, läßt dem neuen Weg Mitterer – Rahner (- Ott) hinreichend Spielraum. Von daher kann aus diesem Monitum selber „unter´m Strich“ nichts gefolgert werden. Und so hat sich faktisch erst einmal ein Kurs der stillschweigenden Duldung durchgesetzt. – Und was den deutschen Sprachraum angeht: Wo man sich gegenwärtig überhaupt noch affirmativ auf den kirchlichen Glauben in Sachen „Jungfräulichkeit Mariens“ einläßt (statt dieses Thema einfach zu umgehen), geschieht dies weitestgehend auf der Linie Mitterer – Rahner. Von daher kann man zu kaum einem anderen Urteil kommen, als daß Erzbischof Müller salviert ist; und zwar in einem Ausmaß, das über persönliche bona fides, die man ihm noch zugestehen mag, weit hinausgeht. Ich denke, diese Fakten muß man einfach so hinnehmen.
2. Zur Verbindlichkeit des traditionellen Verständnisses
Der aufmerksam Lesende merkt es an meinen Nuancierungen: Es bleibt die unerledigte Frage, ob diese (dogmengeschichtlich gesehen) jüngste Strömung in der Bestimmung der inhaltlichen Tragweite der virginitas in partu, wie sie sich sehr weitgehend durchgesetzt hat, wirklich legitim ist. Dies, obgleich sie sich im Windschatten lehramtlicher Zurückhaltung bewegt, die nämlich für sich nicht viel besagt, eher einer Verlegenheit Ausdruck gibt. Man kann eben auch an ein zeitgeschichtlich bedingtes dogmenhermeneutisches Gastspiel denken, das sich, bei Licht betrachtet, nicht halten läßt, auf daß es regelrecht vom Spielplan zu nehmen ist. Demnach ist der Ausschluß der „konventionell“ gelehrten konkreten (oben aufgezählten) korporalen Umstände aus dem Gehalt der de fide (= als zum Glauben gehörig) zu haltenden virginitas in partu in Wahrheit illegitim; mithin auch der Streit um die Qualifizierung „de fide“ in bezug auf diese Sachverhalte. Dies freilich so, daß dem einzelnen daraus kein Vorwurf zu machen ist, wenn er sich diese inzwischen faktisch weithin etablierte und geduldete Hermeneutik zu eigen macht.
Es wäre anmaßend von mir zu beanspruchen, ich könnte hier mit meinen knappen Bemerkungen gegen Rahners Argumentation zuungunsten eben dieser Qualifikation Rahner adäquat entgegnen, eine Argumentation, die selbiger auf wenigen Seiten in dennoch dogmengeschichtlich stupender Belesenheit und dogmenhermeneutischer Distinguiertheit im oben erwähnten Aufsatz ausbreitet. Dennoch wage ich, „non sine ulla formidine alterius“ (nicht ganz ohne die Befürchtung, ich könnte Unrecht haben), die These, daß dieser jüngere dogmenhermeneutische Weg, der sich (allen voran) mit den Namen Mitterer und Rahner verbindet, schlicht illegitim ist, besagte Höchstqualifikation („de fide divina et catholica“) also zutrifft: also nicht nur auf die virginitas in partu, sondern auch auf das besagte ganz konkrete korporale Verständnis derselben; wenn es überhaupt einen Sinn macht, diesbezüglich zu unterscheiden. Und davon abgesehen: Mir stellt sich die Option für die „konventionelle“ inhaltliche Ausdeutung als die „sententia incomparabiliter probalior“ („die ungleich probablere Sentenz“) dar.
Eine patristische Dokumentation kann ich hier nicht leisten. Ich beschränke mich von daher auf den schlichten Sachverhalt, daß mit Blick auf die Westkirche, die mit dem großen Schisma von 1054 zur Alleinerbin der Katholizität geworden ist, das patristische Erbe ganz eindeutig und (zumindest nahezu) exklusiv rezipiert worden ist im Sinne der konkret korporal verstandenen virginitas in partu, also im Sinne besagter „Anomalien“. Nur um der Illustration willen wähle ich dazu drei Beispiele: Ich setze ein mit dem heiligen Thomas, dem Theologenfürsten. In der Summe behandelt er die virginitas in partu unter III, 28,2. Sein Stichwort ist die „in-/corruptio“, die „Un-/Zerstörtheit“ oder „Un-/Verletztheit“. Und dabei faßt er die Verhältnisse bei Empfängnis und Geburt strikt parallel: wie ohne solche „Korruption“ des Mutterschoßes empfangen, so ohne solche „Korruption“ desselben geboren. Von daher ist es schon vom ersten Ansatz her ausgeschlossen, die jungfräuliche Geburt nach ihrer konkreten Korporalität minder anzusetzen als die jungfräuliche Empfängnis. Schließlich lassen die Gegenargumente 2 und 3 sowie deren Lösung nicht mehr den geringsten Zweifel: Der zweite Gegeneinwand nimmt die moderne Anfrage vorweg, ob der Hervortritt „durch Verschlossenes“ („per clausa“) nicht doch eine phantastische, statt eine wahre Geburt (an der ja festzuhalten ist!) dokumentiere. Thomas antwortet lakonisch: Die Manifestation der Wahrheit Christi als des Gott-Menschen verlange einerseits die wahre Geburt aus einer Frau (mit Blick auf den wahren Leib), andererseits die Geburt aus der Jungfrau auch in der Geburt (mit Blick auf die Gottheit). Der dritte Einwand behauptet, durch Verschlossenes zu gehen, sei Implikat des verklärten Leibes (was Christus bei seiner Geburt aber nicht zukam). In seiner Lösung lehnt Thomas den Antwortvorschlag, Christus habe vorübergehend die Verklärungsgabe der Feinheit („dos subtilitatis“), die den korporalen Widerstand ausschließt, angenommen, ab, um auf ein eigenes Wunder „durch göttliche Kraft“ zu verweisen. Thomas sagt also nicht, es werde eine falsche Antwort auf eine falsche Frage gegeben, sondern eine falsche auf die richtige, nämlich unter der klaren Voraussetzung, daß der Leib des Gottessohnes durch den verschlossenen Schoß der Jungfrau hervorgetreten ist. – Francisco Suárez legt in der Disputation V,2 des zweiten Teils seines Inkarnationstraktats (Opera omnia 19, Paris 1866, 83–88) eine recht detaillierte Erörterung der virginitas in partu vor, die nochmals auf ihre Weise dokumentiert, wie ernst man die besagten Anomalien nahm. – Als Vertreter schließlich der Neuscholastik wähle ich mir den von mir sehr geschätzten Louis Billot aus. Er behandelt das Dogma von der Jungfräulichkeit Mariens kurz und knapp in der 41. These von „De Verbo incarnato“ (Ausgabe Rom 1895, 358–361). Gerade aus der Feder dieses sehr scharfsinnigen und klarsichtigen Denkers besticht die lakonische Kürze folgender Sätze (in deutscher Übersetzung): „Und Jungfrau war sie sowohl vor als auch nach der Geburt, da von einem Manne nicht erkannt; Jungfrau auch in der Geburt, da der Leib Christi, der zu den Jüngern bei verschlossenen Türen eintrat, mit derselben Macht aus dem verschlossenen Mutterschoß hinausgehen konnte.“ (Billot übernimmt hier bis in den Wortlaut die knappe Darlegung aus dem Compendium theologiae des hl. Thomas im 225. Kapitel. Und wohlgemerkt: „mit derselben Macht“ heißt nicht, Thomas und Billot wollten sagen, Christus habe bei der Geburt die Gabe der Feinheit gehabt.) Also kurz und bündig: Zwischen „Jungfrau in der Geburt“ und „aus dem verschlossenen Mutterschoß“ steht das Gleichheitszeichen.
Angesichts dieser überevidenten Tatsache, wonach das Dogma von der virginitas in partu eben im Sinne der Anomalien durch die Jahrhunderte tradiert wurde, stellt sich mit Blick auf Rahners zweifelsohne höchst gelehrt und subtil angelegte Erwägungen zur Dogmenhermeneutik die Frage, ob man sich in jenem mariologischen Diskurs, wie er in den fünziger Jahren anhob, nicht doch schlicht auf die – vergebliche – Kunst verlegte, die Geltung des Offenkundigen zu paralysieren. Es scheint mir noch untertrieben, daß Rahners Behauptung, das besagte konkrete Verständnis der virginitas in partu impliziere noch nicht, daß diese konkret inhaltlichen Füllungen ihrerseits ebenso konsensuell als Gegenstand des Glaubens gelehrt bzw. festgehalten worden wären (659–661), sehr bemüht wirkt. Es gibt einfach keinen Anhalt dafür, daß diese Unterscheidung hier pragmatisch Sinn macht: Man hat sich zur virginitas in partu bekannt, und es war klar, daß damit jener Umstand gemeint ist, wonach Maria das Jesuskind ohne die üblichen Verletzungserscheinungen und Versehrungen zur Welt gebracht hat; so wie sie sich eben anatomisch und physiologisch darstellen.
Auch was Rahners Bemerkungen zu den einzelnen lehramtlichen Vorgaben (656–658) angeht, legt sich im nachhinein eher der Eindruck nahe, hier werde eine Strategie der Paralysierung aus erkenntnisleitendem Interesse heraus verfolgt. Dies betrifft unter anderem die Lateransynode von 649, die gegen die Monotheleten unter Bestätigung der Lehrposition des Maximus Confessor abgehalten wurde. Daß die im dritten Kanon (DS 503) gelehrte „Inkorruptibilität“ der Gottesmutter in der Geburt ihrem Gehalt nach nicht festgelegt werde, scheint mir argumentativ nicht durchschlägig für Rahners These: Die lehramtliche Aussage ist nach sehr probabler Auslegungsregel „simpliciter“ („einfachhin“) zu nehmen, und das bedeutet: „unter Beibehaltung der vollen korporalen Integrität“. In diesem schlichten Sinne ist dann auch die „Unaufgelöstheit“ bzw. „Unauflöslichkeit“ („indissolubiliter permanente virginitate“) der Jungfräulichkeit nach der Geburt zu nehmen. Rahners Zugeständnis (658), die Rede des Papstes auf demselben Konzil dokumentiere, daß Martin I. diese Unversehrtheit eben im Sinne besagter Anomalien verstanden habe, legt entsprechend eine Unterscheidung von verpflichtend gemachtem Inhalt und dessen konkreter Füllung zugrunde, die an sich sinnvoll sein mag, für den vorliegenden Fall jedoch nicht nachvollziehbar ist. Diese „Füllung“ war allem Anschein nach genau das, was mit „Unversehrtheit“ gemeint war. Der Verdacht des Versuches einer „discretio indiscernibilium“ (auf gut deutsch: Haarspalterei) legt sich hier mehr als nahe. – Und was die formale Verbindlichkeit dieser Lateransynode angeht (657sq.): Sie und nicht das sechste Ökumenische Konzil war der entscheidende Durchbruch des dyotheletischen Bekenntnisses, wonach die eine Person Christi gemäß ihrer zwei Naturen auch zwei Willen hat, den göttlichen und den menschlichen. Damit ist sie als Markstein der Lehrentfaltung von kaum zu relativierender Bedeutung: Auf dieser Synode hatte sich der Römische Stuhl festgelegt, so daß ein gegenteiliger Entscheid auf Konstantinopel niemals die römische Zustimmung gefunden hätte! Der Hinweis darauf (sozusagen als letzter Fluchtweg), diese Synode sei nicht ökumenisch (sprich: kein gesamtkirchliches Konzil) gewesen, ist von daher mehr als dürftig.
Mithin: Ohne fundierteren Urteilen aufgrund eingehender Untersuchungen vorgreifen zu wollen: Es legt sich der Verdacht nahe, daß bei jenem Paradigmenwechsel ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts in der Inhaltsbestimmung des Dogmas von der virginitas in partu, der sich allen voran mit den Namen Mitterers und Rahners verbindet, ein bestimmtes geistiges Klima Pate gestanden hatte. Demnach ging der sicher ehrliche Wille, das Dogma zu wahren, einher mit dem Bedürfnis, „Entlastungen“ zu schaffen von dogmatischen Zumutungen, in denen der Fortschrittsoptimismus in voller Fahrt nur Entlegenheiten erblicken konnte; ein Fortschrittsoptimismus, der sich schwer tut mit der Durchbrechung weltimmanenter Gesetzmäßigkeiten. Etwa im Sinne von: „Kann denn Maria nicht ganz normal geboren haben wie alle anderen Frauen auch? Soll denn wirklich am weiblichen Hymen das katholische Dogma hängen?“ Entsprechend sucht man nach den „tieferen“ und „eigentlichen“ Sinngehalten, welche die Peinlichkeit vermeintlich vordergründiger Konkretheiten ersparen, um dennoch das Dogma wahren zu können, wo man doch jetzt erst zu seinem wahren Sinn vordringe beziehungsweise letzteren aus seinem Schlummer heraus „reflex“ werden lasse. In diesem Sinne gab man sich bei Rahner und anderen der Illusion hin, daß sozusagen jetzt erst (nach Heidegger etc.) das katholische Dogma „wesentlich“ würde. Daß man sich dabei der Gefahr aussetzte, das Offenkundige mit Hilfe unhaltbarer Haarspaltereien und Sophismen für unklar zu erklären, übersah man im Sog der eigenen Entdeckerfreude.
Je mehr diese Beobachtungen und dieses Urteil zutreffen, desto mehr heben sie die Hermeneutik des Dogmas von der virginitas in partu auf der Linie von Mitterer, Rahner etc., was deren Legitimität angeht, aus den Angeln. Desto mehr muß jenem Verständnis des Dogmas, wonach die besagten anatomisch-physiologischen „Anomalien“ ihrerseits zum Glauben gehören (also „de fide“ sind), zugestanden werden, de jure unstrittig zu sein.
3. Zum verstehenden Nachvollzug der virginitas in partu
Ich möchte nun meine Stellungnahme nicht der Öffentlichkeit übergeben ohne ein paar Hinweise zur Sinngebung und zum nachvollziehbaren Verständnis des Dogmas. Die Argumentation des heiligen Thomas zur Erhellung der Konvenienz des Sachverhaltes der virginitas in partu (im konkret-korporalen Sinne) mir ad hoc adaptiv aneignend, möchte ich sagen: Wenn Gott der Sohn, Heil und Erlösung bringend, Mensch wird = Gott sein inneres Wort, seinen Logos heilend-rettend in die Welt hinein aus-sagt, verletzt er nicht. Entsprechend kommt der Logos Gottes sowohl beim Eintritt in den Schoß der Mutter (bei der Empfängnis) als auch beim Hervortritt aus diesem Schoß zur Welt ohne jene körperliche Versehrung und Beeinträchtigung, unter deren Vorzeichen die gewöhnliche menschliche Fortpflanzung (bis hin zur Geburt) nun einmal steht; dahingehend, daß diese Versehrungen und Beeinträchtigungen infolge des Sündenfalls bestehen oder doch wenigstens das Vorzeichen des Defektiven an sich tragen beziehungsweise aufgrund dieser Defektivität erst solche sind. (Damit will ich nicht das Geringste gegen die Sexualität und deren Vollzug als Gottes gute Schöpfungsgabe gesagt haben; wie keineswegs gegen die unbefangene Freude im geordneten Gebrauch dieses Gutes. Aber ungeachtet dessen steht die sexuelle Fortpflanzung nach dem Sündenfall unter einem sie ambivalent machenden Vorzeichen, das dem menschlichen Umgang mit ihr noch vorausliegt.) Und deshalb: Einmal, als nämlich das Heil der Welt selber in die Welt als einer von uns eintrat, durfte es nicht „ganz normal“ zugehen. Vielmehr in einer Weise, welche den alten Äon überwindet, den alten Äon, für den in seiner Hinfälligkeit kaum etwas so „sym-bolisch“ ist wie die konkrete Weise der Fortpflanzung mit ihren psychophysischen Versehrungserscheinungen. Damals, als das neue Gesetz begründet wurde, derer, „die nicht aus dem Blut und nicht aus dem Willen des Fleisches und nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind“ (Joh 1,13). Nur die metaphysischen Neider, die alles auf das „Gemeine“ rückbuchstabieren wollen, können wollen, daß immer nur alles „ganz normal“ zugeht. Ich gestehe, daß es mich rührt, wenn ich öfters um die Weihnachtszeit in Rom auf dem Petersplatz die große Krippe sehe, wo uns die allerseligste Jungfrau das weiße Laken entgegenhält, in ihrer eigenen seligen Ergriffenheit davon, daß sie soeben das Licht der Welt geboren hat, als wahren Menschen, ohne daß es darin im geringsten verletzt hätte. – Damit kein Mißverständnis aufkommt: Natürlich nimmt das fleischgewordene Wort, nimmt Christus in Anspruch, so in Anspruch, daß dies, in seiner Nachfolge, gerade nicht Leid und Tod ausschließt. Und konkret gilt dies auch für die Jungfrau Maria. (cf. Lukas 2,35) Aber diese Inanspruchnahme, die Leid oder gar Tod einschließt, und zwar als von dritten Faktoren beigefügte (!), ist etwas anderes, als daß der göttliche Logos selber bei seinem erlösenden Eintritt in die Welt verletzt.
Wie soll so etwas vor sich gehen? Eine wahre, von Seiten der Mutter natürliche Geburt, aber auf nicht normale Weise (ohne das Eröffnen des Geburtskanals, die Verletzung des Hymen, ja ohne die Nachgeburt)? (Die Schmerzfreiheit ist selbst kein Problem.) Weithin verordnen sich die Autoren dazu Diskretion. Aber wenn ein Glaubenssatz beziehungsweise jene konkrete Bestimmung desselben, mit der er de jure steht und fällt, in seiner Akzeptanz solchen Anfechtungen ausgesetzt ist, die wohl mit zu seiner hermeneutischen Ausdünnung geführt haben, dann muß vielleicht das diskrete Schweigen einmal gebrochen werden. Mit folgendem will ich daher auch nicht dem Vorwitz huldigen, sondern durch den Hinweis auf traditionelle Theoreme und die Einflechtung eigener Überlegungen in etwa das versuchen, was die angelsächsischen Religionsphilosophen „to give a model of“ nennen: Man präsentiert ein Modell für die Weise, wie sich ein bestimmter Sachverhalt realisiert, um durch diesen Aufweis der Andenkbarkeit zu belegen, daß hier nichts Unsinniges gedacht, angenommen etc wird. Es wird also nicht gesagt, wie es wirklich ist oder war, sondern wie es andenkbar ist, um in seinem wirklichen Sein oder Gewesensein annehmbar zu erscheinen. – Im einzelnen: Folge ich der instruktiven Darstellung bei Suárez (am besagten Ort), dann kommt entweder (wie von Durandus gelehrt, jedoch mehrheitlich abgelehnt) eine wunderbare Weitung der Geburtswege (ohne Ruptur, eben auch des Hymens) in Frage oder eine wunderbare Anpassung des Körpers des Jesuskindes oder schließlich eine Ausweitung des Geburtsweges über die Vagina hinaus, derart, daß die Körperteile der Jungfrau Maria (einschließlich des Hymens) ohne deren Verletzung durchschritten werden, also unter der wunderbarer Simultanität zweier Körper am selben Ort. Letzteres scheint mir von den „angebotenen“ klassischen Verstehensversuchen der sinnvollste. Die Wahrheit der Geburt aus der Jungfrau Maria und so deren wahre Gottes-Mutterschaft ist hierbei dadurch salviert, daß zum Begriff solcher Geburt nur die Entlassung des ausgewachsenen Fötus in die jetzt auch physiologische Selbständigkeit gehört. Und dabei ist es eine wahre naturale Geburt von Seiten der Mutter, während es Gottes Macht ist, die den wunderbaren Austritt ohne Versehrung ermöglicht. Meinerseits hege ich die Erwägung, daß die ausbleibende Eröffnung der Geburtswege („apertio meatuum“: cf. STh III, 35,6 bei Thomas) im Sinne der irgendwie gewaltsamen Einwirkung zu nehmen ist, die sich darstellt als irgendwie verletzende Repression des Umliegenden in Gestalt von Auseinander-„Pressung“ und Zerdehnung; zumal Kardinal Cajetan im Kommentar zur (soeben erwähnten) Stelle (gemäß einer anderen Lesart) von der „Gewalt der Eröffnung der Wege“ („apertionis meatuum violentia“) spricht. Demnach wäre irgendeine exakt angepaßte „Weitung“ des Geburtskanals, allerdings nicht gewaltsamer Art („dilatatio mere adaptiva, sed in-violativa“), anzunehmen; und so erblickte der Körper des Jesuskindes (zugunsten der Wahrheit natürlicher Geburt von Seiten der Mutter) auf just demselben Wege wie wir das Licht der Welt, ohne sich seinerseitigen (nicht unproblematischen) Anpassungen unterziehen zu müssen. Ich stelle dies nur zur Disposition, da ich mir nicht ganz sicher darüber bin, ob ich damit meinerseits dem Vollbestand dessen gerecht werde, was nach der jahrhundertelangen Tradition zu wahren ist. Einigermaßen zuversichtlich macht mich hierbei, daß so einer „dilatatio inviolativa“ das entscheidende Moment der Korruption abgeht, das allein den Verlust der korporalen Jungfräulichkeit ausmacht bzw. mit diesem Verlust in sinnvollen Zusammenhang zu bringen ist. In bezug auf das Hymen denke ich mir im Rahmen dieses Vorschlags sowohl eine wundersame Weitung, die mit besagter „dilatatio mere adaptiva“ des Geburtskanals untrennbar einhergeht, als auch vor allem eine wunderhafte lokale Simultanität mit dem Körper des geboren werdenden Gottessohnes: Ersteres verhindert die Ruptur, letzteres die Perforation. – Zur näheren, ansatzweise Plausibilisierung des solchermaßen für sich allein Phantastisch Erscheinenden gehe ich von folgender Erwägung aus, um damit erst zum Kern meines „to give a model of“ zu kommen: Nahezu alle diese Versuche, sich den Sachverhalt verständlich zu machen, haben zum Angelpunkt die Aufhebung der Widerständigkeit des Körperhaften. (Vgl. schon Suárez, ibd. n.13; loc. cit., 87) Diese Widerständigkeit bedingt nämlich sowohl, daß natürlicherweise ein größerer Körper sich nicht auf sich hin zurückziehen kann zugunsten der Anwesenheit am kleineren Ort, als auch, daß zwei Körper nicht ortssimultan sein können; als auch, daß eine Ausweitung ab einem bestimmten Grad eine Ruptur mit sich bringt. Schließlich, was meinen eigenen Vorschlag angeht, bedingt diese Widerständigkeit, daß bewegungshaftes Einwirken eines anderen Körpers jene Repression des Umliegenden besagt, die sich bei entsprechender Nichtelastizität (wie beim Geburtskanal im Unterschied zur Gebärmutter der Fall) als (irgendwie verletzende) Auseinander-„Pressung“ und Zerdehnung darstellt. Nun wissen wir aber heute, daß von den Verhältnissen im mikrophysikalischen Bereich her längst nicht jene Determinationen für die Vorgänge der physikalisch-körperhaften Welt gegeben sind, die jene eherne Ausnahmslosigkeiten begründen, wie sie für die makrophysikalische Ebene faktisch in Geltung sind (freilich von Gottes Eingriffen abgesehen). Von daher: Warum soll der Körper des Jesuskindes zu seinem Austritt aus dem Mutterschoß nicht kraft der ihm personhaft geeinten Gottheit (also in instrumenteller Ursächlichkeit) dem Mutterschoß (und gegebenenfalls angrenzenden Mutterleib) jene in den physikalischen Gegebenheiten begründete, aber von den mikrophysikalischen Gegebenheiten her nicht elementar zwingende Widerständigkeit genommen haben, welche den außerordentlichen, in-korruptiven Austritt gemäß der Bandbreite möglicher Varianten laut obiger Schilderung bzw. Andeutung verhindert? (Diese, freilich bloß vorübergehende, korporale Nichtwiderständigkeit wäre dann die leibliche Entsprechung zur geistlichen Nichtwiderständigkeit für die Empfängnis des Wortes im Geiste bzw. für die freie Zustimmung zur leiblichen Empfängnis des Wortes aufgrund der absoluten Sündenfreiheit der allerseligsten Jungfrau von Anfang an.) Analoges gälte für die Selbstanpassung (die man ja vom Menschgewordenen über sich verfügt denken kann mit instrumenteller Wirksamkeit dieser Verfügung kraft der Gottheit). In eine mehr theologische Artikulationsweise in Karl Rahners Sprache zurückübersetzt, bedeutet dies für wundersame göttliche Eingriffe auf seiten der jungfräulichen Mutter: Das Wesen menschlicher Leibhaftigkeit ist in der Dimension seiner weiblichen Ausprägung im tiefsten Gehorsamspotenz („potentia oboedientialis“) für das passive Betroffensein von dem nicht-verletzenden Eintritt des Gottessohnes als wahrer Mensch in die Welt (gerade insofern diese als zu erlösende genommen ist). – Schließlich: Bei diesem wunderbaren Vorgang trennt sich das fleischgewordene Wort bei seiner Geburt vom maternalen, unmittelbar mit dem Fötus verbindenden Substrat ohne Verletzung, und zwar dahingehend, daß er dieses Substrat ebenso wunderbarerweise redintegriert sein läßt in den Organismus der Mutter, so wie letzterer zu deren individuellem Bestand in Funktion ist. Eine ausführliche Erörterung sowie Erläuterung der Reihenfolge dieser Vorgänge ist nun wirklich nicht mehr indiziert; ich hoffe nur, damit auch noch einen einigermaßen brauchbaren Hinweis in Sachen „Nabelschnur“ und „Nachgeburt“ gegeben zu haben.
Diese umwegigen, hochwahrscheinlich in mancher Augen mehr als abwegigen Erwägungen sind ein Versuch zur Plausibilisierung eben jener streng verstandenen virginalen Inkorrumpiertheit der Gottesmutter Maria auch in der Geburt, zu deren Begriff dann eben die traditionell benannten anatomisch-physiologischen Exzeptionen besagter Art gehören und die für mich zumindest „im dringenden Verdacht“ steht, eben als so genommene zum unaufgebbaren Glaubensbestand zu gehören. Entsprechend wäre die Position Erzbischof Müllers im Gegenzug an sich als häretisch zu zensurieren, die Piusbruderschaft also im Recht. – An sich wohlgemerkt: Denn es muß die Faktenlage berücksichtigt werden, wonach die Ansicht, die gegenteilige Deutung des Dogmas sei möglich, wie oben dargestellt, faktisch einen gewissen offiziösen Status angenommen hat, der es beizufügen gebietet, daß die Zensur „häretisch“ nicht „extra controversiam“ ist, ein Sachverhalt, der jeden Vertreter dieser Position erst einmal salviert (über das Zugeständnis von bona fides hinaus). – Dogmengeschichtlich ist dieser Fall nicht neu: Im 12. und 13. Jahrhundert waren gemäß der enzyklopädischen Darstellung des Petrus Lombardus drei Theorien („tres opiniones“) zur näheren Erläuterung der Einheit der Person Christi in den zwei Naturen bekannt. Wurde die dritte schon im zwölften Jahrhundert als heterodox verworfen, um im 13. eindeutig als nicht mehr vertretbar zu gelten, so setzte sich mehr und mehr die „zweite“ durch, während erst der reife bis späte Thomas entdeckte, daß die altkirchlichen Konzilien (allen voran das zweite Constantinopolitanum) die „erste Meinung“ eindeutig als häretisch disqualifizieren beziehungsweise die zweite als Glaubenssatz ausweisen (eine Person = ein Träger zweier Naturen; eine aus zwei Naturen „zusammengesetzte“ Hypostase). Solche zeitweise weiter um sich greifende Irrtümer über den Lehrbestand, die den einzelnen deshalb nicht diskreditieren, sind also prinzipiell möglich.
4. Zusätzliche Gesichtspunkte
Wenngleich ich mich somit in der Lage sehe, sowohl Erzbischof Müller als auch die Piusbruderschaft, freilich jeden auf seine Weise, ins Recht zu setzen, so möchte ich dennoch um der Sache willen – gerade was die Aussöhnung der FSSPX angeht – noch ein klein wenig ausholen. Immerhin besagt das Ergebnis meiner Problemsichtung, das ich freilich mit der gebotenen Zurückhaltung vortrage (aber nicht mit Rücksicht auf die Person!), daß Müller eine sachlich unhaltbare Position vertritt; und zwar was den verbindlichen Lehrbestand betrifft. Und ein zusätzliches Problem ist damit gegeben, daß er die gegenteilige „Ansicht“, die ich als de fide einzustufen jedenfalls sehr geneigt bin, ziemlich brüsk einer gnostischen und somit ihrerseits häretischen Mißdeutung zuweist; jedenfalls kann man seine Ausführungen auf Seite 498 seiner Dogmatik kaum anders verstehen. Hier bestünde dann schon Gesprächsbedarf, zumal damit die Gefahr gegeben ist, daß er sich im Recht sieht, seinerseits die Linie Mitterer – Rahner – Ott – Müller als die allein legitime geltend zu machen.
In diesem Zusammenhang ist dann auch auf das Problem eines gewissen Hermeneutismus aufmerksam zu machen, wonach die „verheutigende“ Auslegung des Dogmenbestandes tendenziell die Oberhand gegenüber der (gleichwohl gewollten) konsequenten Treue zum Wortlaut gewinnt; dies jedoch, was gerne übersehen wird, im Rahmen eines latent apologetischen Duktus, der sich einer gewissen Beschwichtigung bedient, um diese jedoch in einem Gestus ins Spiel zu bringen, den man gleichwohl als autoritär empfinden kann. Dies nicht nur bei Müller, jedoch gerade auch bei ihm. Von daher möchte ich noch knapp auf seine Ausführungen zur Eucharistie eingehen, die von der Piusbruderschaft ebenso inkriminiert werden. Dazu halte ich mich jedoch an seine Dogmatik, wie sie 2010 sozusagen als sein „letztes Wort zur Sache“ veröffentlicht wurde. Und dazu greife ich bewußt die beiden Klassiker progressistisch-traditionalistischer Auseinandersetzung auf: Opfercharakter der Messe und Realpräsenz.
Hier gälte es eigentlich, die ganze Länge des Eucharistietraktats bei Müller zu würdigen (680–713). Trotzdem enthalten die „Perspektiven einer Theologie der Eucharistie“ (709–713), sozusagen als Quintessenz des Systematikers, wichtige Hinweise zur Erschließung von Müllers Eucharistieverständnis. Was nun das Thema „Meßopfer“ (709, 711) angeht, so mag ich alles in allem einen befriedigenden Realismus in der Verhältnisbestimmung Kreuzesopfer – sakramentale Handlung anerkennen: „Die Eucharistie ist nichts anderes als das Kreuzesopfer im Modus seiner sakramentalen Gegenwart, und zwar in der der Kirche von Jesus aufgetragenen Symbolhandlung“ (709). An sich hätte man sich aber kräftigere Aussagen dazu gewünscht, daß die Sakramentsvollbringung („confectio sacramenti“), konkret: in der Konsekration, in sich selber wahre Opferhandlung ist (wenngleich dies nur im strengen Bezug auf das Kreuzesopfer) und so (schon) die Früchte des Kreuzesopfers appliziert (vgl. dagegen 711). Müllers „Meister“ Karl Rahner war hier noch deutlicher. Noch in dessen „Grundkurs“ (Sonderausgabe Freiburg 1984) fallen die eindeutigen Worte: „In diesem von Jesus selbst gewollten Nachvollzug des Abendmahles wird zugleich das blutige Opfer Jesu Christi am Kreuz gegenwärtig, weil ja Fleisch und Blut des leidenden und sterbenden Gottesknechtes als hingegeben und vergossen für ‚die Vielen‘ präsent werden und nur als solche nach der Stiftung Jesu selbst präsent werden können und weil diese Gegenwart des einen Opfers Jesu Christi unter einer liturgischen Opfer-Handlung der Kirche gegeben ist. Somit ist die Eucharistiefeier der Kirche immer schon wirkliches Mahl … und zugleich wirkliches Opfer“ (409). Ich verweise auch auf das Stichwort „Meßopfer“ im „Kleinen theologischen Wörterbuch“ („unter einem Ritus, der selbst in der Dimension des Kultischen ein Opfer ist“!).
Zur Realpräsenz: Der entscheidende Satz Müllers in besagten „Perspektiven“ lautet: „In dem analogielosen Fall der eucharistischen Realpräsenz kommt es zu einer unvergleichbaren Einheit und Unterscheidung von Brot und Leib Christi“ (710). Trotz allem Problematischen an dieser Formulierung, noch mehr an ihrem Kontext (und schließlich im Buch „Die Messe“): fairerweise muß der zitierte Satz erst einmal als Bekenntnis zur Realpräsenz gewichtet werden (die „Unterscheidung“ wäre dann auf das objektive Verbleiben der Brots- und Weinsgestalt zu beziehen). Dies kann freilich, jedenfalls in der Perspektive des scholastisch-doktrinal Geschulten, nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich gemäß den Erfordernissen eigentlicher Rede, d.h. den Eigentümlichkeiten der Sache konsequent angepaßten Sprechens („locutio propria“) um eine alles andere als glückliche Formulierung handelt. Zu einer sachgemäßen Darstellung des katholischen Eucharistiedogmas in einem Lehrbuch reicht dies nicht aus. Obendrein klingt die zitierte Formulierung in kaum bestreitbarer Weise tendenziös. Der Eindruck verstärkt sich mit Blick auf die Bemerkung, „der Glaube an die Realpräsenz“ resultiere u.a. „nicht aus … einer positivistischen Unterwerfung unter die Autorität Christi“ (710). Man vergleiche dazu nur das vierte Kapitel im tridentinischen Eucharistiedekret (DS 1642). – Insgesamt ist es meines Erachtens nicht ungerecht, wenn man an Müller die Frage hat, ob er die Realpräsenz nicht doch eher als eine dynamische Einheit Christi mit den Elementen konzipiert, um dem schlichten wörtlichen Sinn der Worte „Das ist mein Leib.“ qua „Das unter diesen Gestalten Enthaltene ist mein Leib.“ eher aus dem Wege zu gehen (cf. Thomas: III, 78,5).
Als Resümee: Auch in bezug auf die Thematik „Eucharistie und Realpräsenz“ reicht es nicht zu einem Häresievorwurf an Müller. Verhindert ist dies im wesentlichen dadurch, daß Müllers Ausführungen sich in einer eigentümlichen Schwebe zwischen dem verbindlichen Wortlaut des Dogmas und einer sich davon lösenden Hermeneutik halten; eine Hermeneutik mit latent apologetischem Duktus zugunsten der Anschlußfähigkeit an die zeitgenössischen starken Spiritualisierungstendenzen (zumal in Sachen Realpräsenz). Die zudem dezidiert ökumenische Orientierung tut das Ihrige.
5. Grundsätzlicheres zum Konflikt
Dieses Resümee steht nun für mich nicht im luftleeren Raum. Denn festzuhalten bleibt eben die zu Lasten des Wortlautes des Dogmas überbordende Dogmenhermeneutik, welches Überborden ich oben schon in das Stichwort „Hermeneutismus“ gefaßt habe. Und dieser ist nicht nur ein Signum der Theologie Müllers, sondern weithin der deutschsprachigen Theologie spätestens nach dem Konzil (wenngleich hier und dort schon deutlich vorher). Von daher ist aber mit der recht starken deutschsprachigen Präsenz in der römischen Kurie, und zwar in Spitzenpositionen (man denke nur an die Glaubenskongregation), schon ein gewisser Anlaß zur kritischen Beobachtung gegeben. Ist zum Beispiel die angelsächsische Theologie mit ihren zum Teil ungleich stärkeren Anknüpfungen an die scholastische, näherhin thomistische Lehrtradition demgegenüber nicht problematisch unterrepräsentiert? – Vor allem aber, mit Blick auf die Auseinandersetzung mit der Piusbruderschaft: Wenn nun einmal im Ringen um das Verhältnis von Dogma und Hermeneutik ersteres das unbedingt Maßgebende ist, dann kann man kaum zu dem Schluß kommen, diese Bruderschaft und ihre Theologen stünden insgesamt schlechter dar. Im Gegenteil: In ganz zentralen Fragen halten sie den Maßstab des rechten katholischen Glaubens ungleich zuverlässiger hoch als mancher Theologe in (auch römischer) Spitzenposition. Das muß in der kritisch-sachgemäßen Begleitung der Auseinandersetzungen zwischen der FSSPX und den Inhabern von Spitzenämtern an der römischen Kurie unbedingt im Auge behalten werden.
Und damit wage ich noch einmal einen Sprung zum Konzil: Denn auch es war in gewisser Weise ein hermeneutisches Unternehmen. Jedenfalls ging es zu einem ganz großen Teil um die „Über-Setzung“ der Doktrin und Praxis der Kirche in das „Heute“, und in diesem Zusammenhang um die präzisere Umschreibung der Außenbeziehungen mit Blick auf die Komplexität der Verhältnisse. – Sicher muß hier differenziert werden: Nicht alles am Zweiten Vatikanum war einfach nur Hermeneutik. Und gerade bei relativ hochrangigen Aussagen sehe ich auch kein Problem in Sachen Anschlußfähigkeit an die Tradition. Dies gilt gerade auch für die Hierarchologie (einschließlich konsequent papst-zentriert verstandener Kollegialität), in bezug auf die ich persönlich den Optimismus hege, daß sich die Anstöße hier, rechte Interpretation vorausgesetzt, vollständig ausräumen lassen. Aber je niederrangiger die Erklärungen anzusetzen sind, desto mehr ist das (im besagten Sinn) hermeneutische Vorzeichen des Konzils in Anschlag zu bringen. Und dies gilt dann gerade auch für den Ökumenismus (ein Dekret, mit insgesamt jedoch mehr programmatischem als doktrinalem Charakter) und die Religionsfreiheit (eine bloße Erklärung). – Gerade mit Blick auf den mächtigen deutschsprachigen Einfluß auf dem letzten Konzil sehe ich hier schon einen Bogen zu dem, was ich oben „Hermeneutismus“ genannt habe, geschlagen. Und mit Blick auf die besagte bedenkliche Gewichtsverlagerung im Verhältnis von Dogma und Hermeneutik erscheint es mir schon eine fragwürdige Konstellation, wenn das kirchenamtliche Gegenüber der FSSPX in bezug auf höchstrangige Vertreter der Römischen Kurie einer Konfrontation gerade auch mit der deutschsprachigen nachkonziliären Gegenwartstheologie gleichkommt. Das obstinate Insistieren auf dem ganzen Zweiten Vatikanum, und zwar samt Ökumene und Religionsfreiheit, erscheint dann in einem anderen Licht. Es war Karl Rahner, der die Rede vom „freien Wort in der Kirche“ prägte: hiermit erlaube ich mir es. – Schlußendlich sei mir das persönliche Bekenntnis gestattet: Gerade für den lebhaft Anteil nehmenden Nachgeborenen, der sich einen Sinn für Recht und Billigkeit bewahrt hat und dabei keineswegs zur FSSPX ein distanzlos-unkritisches Verhältnis hat, wäre es mehr als befremdlich, sollten jetzt die letzten Erben des Coetus internationalis aus dem Ring geboxt werden. Wäre es nicht Gottes Kirche, würde ich sagen: ich gebe mein Eintrittsbillet zurück!
Dr. theol. Klaus Obenauer ist Privatdozent an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn.
Puhhh,
ich bin noch nicht fertig. Aber dem Autor schon einmal ein ganz großes Danke schön.
Schon in einer Ausgabe von „Mariologisches“ bin ich auf den für mich sonderbaren Sachverhalt gestoßen, daß
die Jungfrau Maria und ihr Sohn Jesus nicht als paradiesische Menschen wahrgenommen und dementsprechend eingeordnet werden.
Desweiteren halte ich es für eine ausgesprochene Dummheit, Privatoffenbarungen nicht auf angemessene (!) Weise ernst zu nehmen. Schließlich waren weder bei Mariä Verkündigung, noch bei der „Verkündigung an Mohammed“ Notare oder städtische Urkundsbeamte anwesend, die die Ereignisse protokolliert haben. Und trotzdem sind beide weltbewegend.
Darf/muß man annehmen, daß das Herumgeeiere um das Dogma und das „Übersehen“ von PO auf der selben Ebene liegen, wie auch bei der Auferstehung. Hat Gottes Allmacht keine Chance gegen die Empirie?
Sollten die „letzten Erben des Coetus internationalis aus dem Ring geboxt werden“, ich für mich weiß, was ich zu tun habe. Auch wenn es sehr weh tut.
Aber noch ist es nicht so weit.
Es reicht: Zwei „Konzilshermeneutiken“, wobei die „Bruch-Hermeneutik“ zumindest den deutschsprachigen Raum eindeutig beherrscht. Mit allen üblen Früchten, die sich daraus ergeben haben.
Jetzt ist auch noch eine Hermeneutik notwendig, um den Glaubenspräfekten verstehen zu können, um ihn nicht zu verdächtigen, er verstoße gegen Lehren der Kirche.
Ist der katholische Glaube nur noch eine Angelegenheit von Intellektuellen, von Theologen? Muss man mindestens Diplomtheologe sein, um überhaupt die Argumentationslinien verstehen zu können, vom Glauben ganz zu schweigen?
„Die Gläubigen sind verlassen“, sagte Erzbischof Lefebvre einmal. Daran hat sich nichts geändert.
Auch ich möchte den Autor für seinen Beitrag danken.
Möchte aber dennoch Anfügen, das es in der heutigen Zeit leider üblich geworden ist nach dem Motto „und was nicht passt wird passend gemacht“ vorzugehen. Und das betrifft nicht nur die Glaubenswahrheiten (Dogmen) der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche zu, sondern auch auf den „Heiligen Willen Gottes unseres Herrn“ der uns allen in der „Heiligen Bibel offenbart wurde.
Man kann es aber zumindest leichter verstehen, wenn heutzutage die „Heiligen Kommunion“ wie Kekse ausgeteilt werden, wenn sogar seine Exzellenz Erzbischof Müller schreibt oder besser gesagt geschrieben hat.
In Wirklichkeit bedeuten Leib und Blut Christi nicht die materiellen Bestandteile des Menschen Jesus während seiner Lebenszeit oder in der verklärten Leiblichkeit. Leib und Blut bedeuten hier vielmehr Gegenwart Christi im Zeichen des Mediums von Brot und Wein.“
Daher wäre nun eine öffentliche Richtig- Klarstellung erforderlich.
Meiner Meinung nach übergeht die ganze Debatte vorschnell die eigentliche Definition der Jungfräulichkeit. Auch gemäß St. Thomas ist die körperliche Integrität in dieser Hinsicht nur akzidentiell (ST II-II q.152 a.1 ad 3).
Kann das Eintreten bzw. Nichteintreten eines (auch heilsgeschichtlich) völlig unbedeutenden körperlichen Zufalls irgendwann im Leben der Gottesmutter tatsächlich Gegenstand des göttlichen Glaubens sein? Und würde es nicht wesentlich konkreterer lehramtlicher Definitionen bedürfen, um auch hinsichtlich dieser körperlichen Akzidentien letztgültige Verbindlichkeit herzustellen?
Im Zentrum *meines* Glaubens steht Jesus Christus, der durch sein Kommen mich zur Erbin des Himmelreiches gemacht hat.
Ist es denn angesichts dessen wirklich soooo wichtig, auf welche Weise er in diese Welt eingeterten ist?
Scheinen hinter solchen „Problemen“ nicht Glaubenszweifel auf?
@ Johannes P.
Lange habe ich auch so argumentiert. Nur habe ich im Patchwork-Glauben damit ein Dogma geleugnet: § 5 Die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens. Maria war Jungfrau vor, in und nach der Geburt. De fide.
L.Ott erklärt, dass die Jungfräulichkeit Mariens die stete jungfräuliche Gesinnung, die Freiheit von „ungeordneten Regungen des geschlechtlichen Begehrens“ und die leibliche Unversehrtheit einschließt. .„Das kirchliche Dogma bezieht sich zunächst auf die leibliche Unversehrtheit“. (S. 298, 299).
Auch wenn ich es noch unvollständig verstehe: Die Kirche hat es als Dogma formuliert. Stellen wir ein Dogma in Frage, warum nicht gleich mehrere, die unmodern wirken. Das ist der Patchwork-Glaube der nachkonziliaren Kirche, in die längst der theologische Relativismus ganz selbstverständlich eingezogen ist.
Vermutlich hat diese Lehre mehr mit der Inkarnation des Gottmenschen zu tun, als mir bewusst ist. Ich werde lesen.
Dem Autor vielen Dank für seine genau Ausführungen. Er verteidigt ja ganz wunderbar die traditionelle Lehre, auch wenn er selbst dem Dienstbetrieb verpflichtet ist, dem diese in der Regel peinlich ist.
Ich bin auch dafür Erzbischof Müller von einer subjektiven Verantwortung für seine Thesen freizusprechen. Er hat sich ja nicht selbst zum Präfekten der Glaubenskongregation gemacht. Da liegt die Verantwortung leider bei jemanden anderem. Und den sollte man fragen, wie er das verantworten kann.
…und deshalb stehe ich gefühlmäßig leider auch dort wo „Cuppa“ steht.
Hoch anspruchsvoller und versöhnlicher Artikel. Hut ab!
Das Thema wird auch im Christlichen Forum sehr engagiert und kontrovers diskutiert:
http://charismatismus.wordpress.com/2012/07/07/der-vorwurf-erzbischof-gerhard-l-muller-leugne-die-jungfrauengeburt-trifft-nicht-zu/
Als Naturwissenschaftler akzeptiere ich die Jungfrauengeburt als Wunder und brauche keine weiteren tiefschürfende Hebammenbetrachtungen. Karl Rahner, der ja von vielen als ein weiterer Kirchenvater betrachtet wird, hat meines Erachtens in der Glaubenslehre mehr Schaden als Nutzen angerichtet. Wie soll man solche häretischen Fakten in Aussagen von Kirchenführern denn sonst sehen: Lehmann predigte, wäre eine Kamera bereits damals im Grab Jesu angebracht gewesen, hätte sie keine Aufzeichnungen von der Auferstehung machen können! Zollitsch interpretierte den Kreuzestod Christi als einen Akt der Solidarität.
Und jetzt Müller: Hat er, oder hat er nicht? Die dogmatischen Eiertänze tragen doch nicht zur Klärung, sondern doch nur zur Verdunkelung bei. Mal im Ernst, wer ist überhaupt an den Spitzen der Kirche daran interessiert, die Piusbrüder zurückzuholen?
Dem Autor ist zwar zu danken.
Unbegreiflich ist jedoch seine Schonung Müllers.
Dieser könnte doch einfach widerrufen. Dann würde sich die Unruhe in der Christenheit legen.
Stattdessen tritt er mit brutaler Arroganz auf: „Man muss nicht auf jede Dummheit eine Antwort geben“ so Müller.
Auch wegen dieser Aussage verdient Müller keine Schonung, sondern nur die klare katholische Kante!
Zunächst auch einmal Dank an den Autor für den profunden Artikel!
Eine Tatsache die gerne und anscheinend auch hier übersehen wird: Müller geht klar über Ott hinaus und lehrt etwas anderes.
Währen Ott zwar sagt, dass die genauen Details (welche davon und wie genau…) nicht de fide sind bzw. die Kirche hier keine letztgültige Entscheidung vorgelegt hat, so bekräftigt er doch, dass das Dogma auf jeden Fall einen körperlichen Aspekt mit einschließt, dass es (auch) körperliche Unversehrtheit meint (wie a. etwa der KKK dies sagt).
Müller hingegen schließt diese körperl. Seite gänzlich aus. Er sagt nicht, dass das ein o. andere Detail nicht verpflichtender Glaubensinhalt sei, sondern dass es hier schlechthin „nicht um abweichende physiologische Besonderheiten im natürlichen Geburtsvorgang“ gehe. Damit haben wir also überhaupt kein leiblich-physiolog. Wunder mehr u. keine leibliche Unversehrtheit. Er reduziert alles auf einen sozusagen „tieferen“, „spirituellen“, nicht-biologischen Sinn
Und in der Tat, vgl. auch die Diskussion etwa im Christlichen Forum oder a auf anderen, engl.-sprachigen Seiten, zB:
http://www.theanglocatholic.com/2012/07/more-commentary-on-gerhard-ludwig-muller-and-other-appointments/
oder
http://rorate-caeli.blogspot.com/2012/07/mgr-bux-on-muller-these-complainers-are.html
auf http://renegadetrad.blogspot.ca/2011/12/our-ladys-virginity-in-partu.html
habe ich folgendes Zitat von Kard. Ratzinger gefunden – leider ohne Quellenangabe (weiß jemand, woraus das ist?):
„The cavalier divorce of ‚biology‘ and theology omits precisely man from consideration …The attempt to preserve a spiritual, distilled remainder after the biological element has been eliminated denies the very spiritual reality which is the principal concern of the faith in the God become flesh.“
Was ja genau auf Müller zutrifft. – Wieso dieser dann von der gleichen Person, welche diese Kritik ausgespr hat, zum Präfekten d Glaubensk. gemacht werden kann, das ist e wirklich gute Frage
@H.P.Streibelt:
„Lehmann predigte, wäre eine Kamera bereits damals im Grab Jesu angebracht gewesen, hätte sie keine Aufzeichnungen von der Auferstehung machen können!“
Nun, das hat nicht nur Lehmann so gesagt, auch bei seinem Schüler Ebf. Müller findet man diese Aussage in seiner Dogmatik – und laut Müller bezieht sich das auch auf die späteren Erscheinungen des Auferstandenen: Weder Kamera noch Tiere hätten Jesus aufnehmen bzw. auch nur sehen können (so S. 300f. [1. u. 2. Aufl.; evtl. in späteren Aufl abw. Seitenzahl])
Müller huldigt ganz klar einer „Hyperspiritualisierung“ (vgl. oben im Obenauer-Artikel „..zeitgenössischen starken Spiritualisierungstendenzen..“) – die, wie eben gepostet, von Ratzinger selbst kritisiert wurde – obwohl sein eigenes Werk „Einf. i d Christentum“ ebenfalls nicht frei davon ist, vgl. Abschn. zu Auferstehung des Fleisches.
Nicht die FSSPX ist „kapharnaistisch“, wie Bux meint, sondern Müller offenkundig gnostisch-„hyperspiritualistisch“.