(Rom) Am Abend des 19. Januar veröffentlichte Vatican Insider den nachfolgenden Artikel des Vatikanisten Andrea Tornielli. Darin berichtet er über den vor wenigen Tagen bekannt gewordenen Brief von Kurienerzbischof Augustine Di Noia an den Generaloberen der Piusbruderschaft Bischof Bernard Fellay. Torniellis Artikel wird hier in Übersetzung wiedergegeben.
Lefebvrianer: Eine ausgestreckte Hand von acht Seiten
von Andrea Tornielli
Neuer Schritt des Heiligen Stuhls in Richtung Priesterbruderschaft St. Pius X.: Der Vizepräsident von Ecclesia Dei Augustine Di Noia, dessen Händen Benedikt XVI. seit einigen Monaten das heiße lefebvrianische Dossier anvertraut hat, hat Bischof Bernard Fellay geschrieben. Und über diesen wandte er sich an alle Priester der Bruderschaft, indem er einen Weg aufzeigt, um die Fäden der im vergangenen Juni unterbrochenen Gespräche wieder zu knüpfen.
Bekanntlich hatte die Glaubenskongregation im Juni 2012, nach Jahren der Glaubensgespräche, dem lefebvrianischen Generaloberen eine von Ratzinger approbierte Doktrinelle Präambel übergeben, deren Unterzeichnung Voraussetzung für eine Einigung und eine kanonische Anerkennung war, die die Bruderschaft wieder in die volle Gemeinschaft mit Rom zurückgeführt hätte. Der Heilige Stuhl erwartete sich innerhalb einiger Wochen eine Antwort. Doch eine Antwort ist nie gekommen. Die Lefebvrianer haben den Vorschlag des Vatikans geprüft. Es gab interne Spannungen, wegen bereits zuvor bestehender Gründe, die zum Ausschluß von Richard Williamson führten, einem der vier von Msgr. Lefebvre 1988 geweihten Bischöfe, der wegen seiner Leugnung der Gaskammern traurige Berühmtheit erlangte. Der eingeschlagene Weg schien jedoch unterbrochen und die Erklärungen auf beiden Seiten klangen nicht besonders versöhnlich. Der neue Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Gerhard Ludwig Müller, kritisierte scharf die lefebvrianischen Positionen, während noch die umstrittenen Erklärungen Fellays über die „Feinde der Kirche“, die sich einer Einigung mit Rom widersetzt hätten, und unter die der lefebvrianische Bischof auch die „Juden“ reihte, für Diskussionen sorgen.
Der Schritt Di Noias stellt eine Neuigkeit dar. Der amerikanische Erzbischof, ein Dominikaner, ist ein theologisch gut vorbereiteter und realistischer Theologe. Mit dem vor Weihnachten Fellay übermittelten Brief mit der Erlaubnis, ihn allen Priestern der Bruderschaft weiterzuleiten, schlägt Di Noia einen Weg vor, um den Dialog wieder aufzunehmen und einen letzten Versuch zu unternehmen angesichts des Stillstandes und von Schwierigkeiten, die objektiv schwierig zu überwinden scheinen.
Laut dem gewichtigen französischen Vatikanisten Jean Marie Guenois, habe Papst Benedikt XVI. selbst das Schreiben angeregt, Korrekturgelesen und genehmigt. Im Schreiben, so Guenois, ist die Rede vom großen Wunsch, die bestehenden „Spannungen zu überwinden“. Im acht Seiten langen Schreiben werden drei zentrale Punkte berührt: der aktuelle Stand der Beziehungen, der Geist dieser Beziehungen und die Methode, um den unterbrochenen Dialog wieder aufzunehmen. In Bezug auf die Interpretation des Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzils, einem der umstrittensten Punkte der Gespräche, ist Di Noia der Ansicht, daß die Beziehungen noch „offen“ und „voll Hoffnung“ sind, trotz bestimmter jüngster Erklärungen von lefebvrianischer Seite. Der Vizepräsident von Ecclesia Dei bekräftigte vielleicht zum ersten Mal auf so hoher Ebene, daß es in den Beziehungen mit der Piusbruderschaft eine grundsätzliche Schwierigkeit und keine Fortschritte in der Frage der Interpretation des Konzils gibt.
Im zweiten Teil des Schreibens wird die Wichtigkeit der Einheit der Kirche betont und daher die Notwendigkeit, „Hochmut, Zorn, Ungeduld“ zu vermeiden. Die „Uneinigkeit zu grundlegenden Punkten“ darf es nicht ausschließen, die umstrittenen Fragen mit einem „offenen Geist“ zu debattieren.
Im dritten Teil des Briefes schließlich schlägt er zwei Auswege vor, um aus dem derzeitigen Stillstand herauszukommen. Der erste ist die Anerkennung des Charismas von Msgr. Lefebvre und des von ihm gegründeten Werks, das der „Priesterausbildung“ und weder das einer „kontraproduktiven Rhetorik“ noch jenes „die Theologie zu richten und zurechtzuweisen“ oder „die anderen in der Kirche öffentlich zurechtzuweisen“.
Der zweite Ausweg, enthalten im 1990 im Zusammenhang mit abweichenden Positionen progressiver Theologen veröffentlichten Dokument Donum Veritatis, besteht darin, in der katholischen Kirche theologische „Meinungsverschiedenheiten“ für legitim zu erachten, allerdings unter der Bedingung, daß die Einwände innerhalb der Kirche und nicht unter Zuhilfenahme der Massenmedien als Druckmittel vorgebracht werden, und sie vorgebracht werden, um „das Lehramt anzuregen“ seine Lehraussagen zu vertiefen. Sie dürfen deshalb nie die Form eines „Parallellehramtes“ annehmen.
In Rom erwartet man nun eine Antwort in der Hoffnung, daß sie diesmal positiv ausfallen wird.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: ordopraedicatorum.org