(Vatikan/Menzingen) Wie erst jetzt bekannt wurde, hatte Kurienerzbischof Augustine Di Noia bereits Ende November 2012 dem Generaloberen der Piusbruderschaft einen langen persönlichen Brief geschrieben. Ausdrücklich erlaubte er Msgr. Fellay, das Schreiben bei Bedarf allen Mitgliedern der Bruderschaft zukommen zu lassen. Das Generalat der Bruderschaft hat dies in dieser Woche getan und das Schreiben des Kurienerzbischofs allen Priestern der Bruderschaft übermittelt.
Das Schreiben zeigt, daß es noch Bewegung in den festgefahrenen Einigungsgesprächen gibt und das ist bereits beachtlich. Der Brief enthält viele lichte Seiten, wirft aber auch neue Fragen auf.
Bruderschaft hat Brief allen Mitglieder übermittelt – Neue Bewegung in Einigungsfrage
Riposte Catholique schreibt zusammenfassend: Der Ausschluß von Msgr. Williamson kündigt zweifellos eine Spaltung der Bruderschaft an, was nicht dazu führen wird, die Reihen der Mehrheit der Priester rund um Msgr. Fellay zu schließen, dessen Position wenig klar hervortritt.
Kann der Status quo der Bruderschaft ohne kanonische Anerkennung noch lange so andauern? Die Bruderschaft wird sich zu einer Entscheidung zwischen kanonischer Anerkennung oder Bruch durchringen müssen oder sie wird ihr aufgezwungen werden.
Positionen unverändert – Wie kann dennoch modus vivendi gefunden werden?
In seinem Schreiben nimmt der Kurienerzbischof zur Kenntnis, daß die unterschiedlichen Positionen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Bruderschaft nach wie vor aufrecht sind. Der Heilige Stuhl betont, daß das Zweite Vatikanische Konzil im Licht der Tradition zu interpretieren ist, während die Piusbruderschaft einige Teil des Vatikanums für Irrtümer hält. Di Noias Brief zielt auf die Frage ab, wie diese derzeit herrschende Nicht-Übereinstimmung in den Positionen erträglich gemacht werden könne.
Unter Hinweis auf Texte des Apostels Paulus, des Kirchenvaters Augustinus und des Kirchenlehrers Thomas von Aquin schlägt Kurienerzbischof Di Noia einen neuen geistlichen Ansatz vor. Er fordert in seinem Schreiben beide Seiten auf, jede für sich eine Gewissenserforschung in Sachen Demut, Sanftmut, Geduld und die Nächstenliebe zu betreiben.
Di Noia schlägt neuen geistlichen Ansatz vor – Beide Seiten sollen ernsthafte Gewissenserforschung betreiben
Di Noia erinnert zwar daran, daß Rom noch auf die Antwort von Msgr. Fellay zu der ihm am 14. Juni 2012 übergebenen Doktrinellen Präambel wartet. Das Gewicht legt er jedoch auf einen neuen Vorschlag, der einer Art längerem Übergang ähnelt.
1) Einerseits sollte die Piusbruderschaft das positive Charisma ihrer Frühzeit wiederfinden, die ihre ersten Jahre in Freiburg im Üchtland und in Econe geprägt haben. Ihre Aufgabe wäre es, sich für die Erneuerung desssen einzusetzen, was erneuert werden muß, vor allem durch die Ausbildung traditionsverbundener Priester.
2) Andererseits kann die Piusbruderschaft weiterhin einige Teile der Lehren des Zweiten Vatikanums für nicht vereinbar mit dem vorhergehenden Lehramt betrachten, allerdings unter Beachtung einiger Einschränkungen:
– den Verzicht bei jeder Gelegenheit zu den Massenmedien zu gehen
– sich nicht zu einem Parallel-Lehramt aufzuschwingen
– Einwendungen immer in positiver, konstruktiver Weise vorzubringen
– alle ihre Analysen auf profunde und umfangreiche theologische Basis zu stellen.
Die von Di Noia genannten Einschränkungen sind formaler Natur. Sie beziehen sich auf die Instruktion Donum veritatis über die kirchliche Berufung des Theologen vom 24. Mai 1990. Die Vorschläge zielen darauf ab, die offenen Fragen offen zu lassen, und deren Lösung einem zukünftigen Moment zu überlassen.
Sollte sich diese Linie durchsetzen, wäre es ein unglaublicher Sieg für die Tradition, da sie offiziell anerkennt, daß es zu bestimmten Fragen zwei unterschiedliche Positionen nebeneinander gibt, zu denen noch nicht entschieden ist, welche sich in der Zukunft als die wirklich kirchliche durchsetzen wird.
Positionsklärung nicht jetzt erzwingen, sondern einem künftigen Moment überlassen – Kann derzeit mehr verlangt werden?
„Kann der Heilige Stuhl noch mehr anbieten? Kann die Piusbruderschaft noch annehmen, man würde ihr nicht genug entgegenkommen?“, fragt die Riposte Catholique.
Msgr. Fellay scheint mit dem Zuwarten, Rom eine Antwort zu geben, den für die Piusbruderschaft richtigen Weg gewählt zu haben. Di Noias Voschlag geht über alles bisher gekannte hinaus. Der Schwebezustand der Bruderschaft, nicht exkommuniziert, aber auch nicht kanonisch anerkannt zu sein, kann sicher kein Dauerzustand sein. Nun wird sich die Piusbruderschaft entscheiden müssen, ob sie den Bruch oder die Anerkennung will.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Rinascimento Sacro