(Dublin) Auf der Suche nach einer Erklärung, wie ein katholisches Volk wie die Iren mit 62,1 Prozent für die Legalisierung der „Homo-Ehe“ stimmen konnte, versuchen manche, die ganze Schuld auf die Unkorrektheit der Regierung zu schieben. Andere ziehen es vor, im Chor mitzujubeln und dabei die Stimmen „progressiver Katholiken“ als abstimmungsentscheidend hervorzuheben. Allerdings ist schon der Begriff „progressive Katholiken“ ein Widerspruch in sich, denn entweder ist man wirklich katholisch, dann handelt es sich um Katholiken ohne jeden Zusatz, oder man ist nicht wirklich katholisch, aber dann handelt es sich auch nicht um Katholiken.
In Wirklichkeit gibt es einen dritten Faktor, der für das schwerwiegende Abstimmungsergebnis entscheidender war, als die beiden genannten: der Verrat der Kleriker.
„Öffnungen“ bestimmter Hirten gegenüber der Homo-Lobby
Es besteht kein Zweifel, daß die sogenannten „Öffnungen“ bestimmter Hirten gegenüber der Homo-Lobby unter den Gläubigen Verwirrung gestiftet und das Stimmverhalten an den Urnen beeinflußt haben.
Wenn der derzeitige Mainstream sein „Homo-Lied“ singt, gibt es auch unter den Rechtschaffenen einen Teil, der unter der einseitigen Werbung den Weg des kleinsten Widerstandes geht, was man dann bekanntlich „modern“ und „zeitgemäß“ nennt. Da haltgebende Gegenstimmen sich in den meinungsbildenden Medien Irlands kaum Gehör verschaffen konnten, wäre der Stimme der Bischöfe ein um so größeres Gewicht zugekommen.
Die Presseagentur Médias Presse-Info warf dem irischen Episkopat „Schwachheit und Unfähigkeit“ vor, eine brauchbare Verteidigungslinie gegen den homosexuellen Vormarsch auf der Insel des Heiligen Patrick aufzurichten. Einigen Bischöfen ist das durchaus gelungen. Das Ausscheren anderer bot den Gegnern jedoch die taktische Gelegenheit, ein Bild der Zerstrittenheit zu vermitteln und vor allem den abweichenden, den gefälligen Stimmen Sichtbarkeit zu verleihen und die anderen totzuschweigen.
Dublins Erzbischof und die Quadratur des Kreises
So sind die Aussagen einiger irischer Prälaten vor der Volksabstimmung zumindest als problematisch zu bezeichnen. Zu diesen Prälaten gehört auch Dublins Erzbischof Diarmuid Martin, der sich in der Quadratur des Kreises versuchte. Er meinte, von einer Koexistenz einer „Ethik der Gleichheit“, die die „affektiven Beziehungen“ Homosexueller anerkennt, und des einmaligen Charakters einer Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau sprechen zu müssen.
Vom Mea-culpa-Komplex getrieben, fügte er entschuldigend hinzu: „Ich bin mir bewußt, daß die Härte, mit der die irische Kirche die Schwulen und Lesben in der Vergangenheit behandelt hat, in einigen Fällen auch heute noch behandelt, es für LGBT-Personen schwer macht, die Ehrlichkeit dessen anzunehmen, was ich vorschlage.“
In der Tat blieb sich der Erzbischof treu. Nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses lenkte er den Blick auf die sogenannte Macht des Faktischen. Man müsse nun „den Tatsachen ins Auge sehen“, könne das „Offensichtliche nicht leugnen“ und müsse im Ergebnis eine „soziale“ und „kulturelle Revolution“ erkennen. Worte, die von den Medien mit großer Genugtuung aufgenommen wurden.
Bischof McKewon: Katholiken sollen „reife“ Entscheidung treffen, egal ob Ja oder Nein
Bischof Donal McKewon von Derry unterstützte den Erzbischof sogleich in dieser Position. Vor dem Urnengang hatte sich McKewon darauf beschränkt, auch die Gläubigen zu einer „reifen“ Entscheidung aufzufordern, egal ob sie mit Ja oder Nein stimmen würden. Als wäre das eine soviel wert wie das andere und letztlich jede Entscheidung für Katholiken gleich gültig. Mehr noch: „Ich möchte nicht, daß jemand aus schlechten, sprich sektiererischen und unangemessenen Gründen oder aufgrund von Einschüchterung mit Nein stimmen würde.“ Wodurch er den Eindruck vermittelte, als sei es nachgerade unmöglich, allein deshalb gegen die Legalisierung der „Homo-Ehe“ zu stimmen, weil das die einzig richtige Entscheidung ist.
Denn umgekehrt fügte Bischof McKewon seiner Aussage hinzu: „Ich bezweifle nicht, daß es viele der Kirche treue Menschen gibt, die für ein Ja sind. Ich werde nicht sagen, daß sie falschliegen“. Eine Erklärung, die einer Kapitulation gleichkommt und mehr noch einer Abdankung von seinen Pflichten als Bischof, als der er die Lehre der Kirche in Erinnerung zu rufen und zu verteidigen hat.
Es irritiert und verunsichert nicht wenige Gläubige, daß diese Art von politisch korrekten Prälaten für ihre unglücklichen Aussagen (um es ganz harmlos zu formulieren) nicht zurechtgewiesen wird, sondern völlig unbehelligt agieren kann oder in ihrer Haltung sogar bestärkt wird.
Irische Verfassung wie weggespült
Natürlich ist für das Abstimmungsergebnis in Irland nicht nur der „Verrat der Kleriker“ verantwortlich. Selbst die Verfassung des Inselstaates wurde durch diesen Dolchstoß schwer getroffen. In der irischen Verfassung heißt es wörtlich: „Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, von der jede Autorität ausgeht und auf die sich alle Handlungen der Menschen wie der Staaten als unserem höchsten Ziel auszurichten haben, erkennen Wir, das Volk von Irland, in Demut alle unsere Verpflichtungen gegenüber unserem göttlichen Herren, Jesus Christus, der unseren Vätern durch Jahrhunderte der Heimsuchung hindurch beigestanden hat…“
Durch den Ausgang des Referendums scheint das alles weggespült. Irland und die Iren reihen sich vielmehr in die traurige Liste der Länder und Völker ein, die einer Neuevangelisierung bedürfen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana